21. Brief.

[127] Lieber Wilhelm!


In Deinem Umgange mit Andern wirst Du Dich sehr oft in der Nothwendigkeit befinden, ihnen Gefälligkeiten, Dienste, Wohlthaten zu gewähren und zu erweisen, oder zu verweigern und abzuschlagen, oder sie anzunehmen und zu empfangen. Es ist ein wichtiger Gegenstand der Höflichkeit, die gute Art zu kennen und zu beobachten, mit welcher dieses alles geschehen muß.

Zeige beym Gewähren und Erweisen ein Vergnügen, welches dieses Dir [127] selbst macht, um die Verbindlichkeit des Empfängers so viel als möglich zu mindern und ihre Last zu erleichtern; denn immer ist sie eine Last, welche der Eigenliebe des Andern beschwerlich, oft unerträglich ist, sobald Du sie ihm fühlbar werden läßt. Wenn aber Dein edleres Benehmen ihm diese Verbindlichkeit zu verbergen, und einen Schleier darüber zu werfen sucht, so wird jene Last leichter, der Dank aber desto lebhafter und aufrichtiger. Vermeide daher jene rohe, unfreundliche Art der Erweisungen, welche nicht verbindet, sondern beleidiget und kränkt. Wer Dienste und Gefälligkeiten leistet mit stolzer Härte, mit Beschämung des Andern, ohne Schonung seines Ehrgefühls, mit Zwang, nicht freywillig, nicht aus Liebe und Gewogenheit, späte, nach vielen langen Bitten, oder nach lange vorher gemachten Versprechungen, indeß sie hätten sollen oder können verbeten werden, wer sie leistet als eine bloße Belohnung, so, daß der Empfänger sie für Schuldigkeit halten muß, wer einen zu hohen Werth auf sie legt, davon spricht, sie andern erzählt, wohl gar dem Empfänger in Erinnerung bringt, – der verbindet nicht, der beleidiget. Wer aber bey allen seinen Erweisungen [128] und Gewährungen dem Andern zu erkennen gibt, daß sie ihm selbst Freude machen, und er deswegen selbst dem Andern Dank und Verbindlichkeit schuldig ist, wer zeigt, daß seine Dienste ganz freywillig sind, jederzeit aus der Quelle wahrer Zuneigung herfließen, wer sie bald, ohne lange gebeten zu seyn, zu rechter Zeit, unbemerkt leistet, keinen besondern Werth darauf legt, sie zu vergessen scheint, nie davon spricht, noch weniger sie dem Empfänger in Andenken bringt, – der verbindet sich Andere, und verdient sich einen Dank, der ihm gerne gezollt wird.

Beym Abschlagen zeige jederzeit ein Misvergnügen, ein Bedauern, daß Dir die Gewährung unmöglich ist, sie nicht in Deiner Gewalt stehet. Höhere Pflichten der Berufsgeschäfte, denen Alles ohne Ausnahme nachstehen muß, Pflichten gegen die Deinigen, gegen Deine häusliche Ordnung, gegen Deine Freunde, werden es oft nöthig machen, Dinge abzuschlagen, die man von Dir verlangt, Theilnahme an Vergnügungen, Geschäften, Unternehmungen zu verweigern, die Dir Zeit und Geld rauben und Dich von Deinem Hauptzwecke entfernen. [129] Du würdest anstoßen, wenn Du diese Verweigerungen mit einer rohen, unsanften, undelikaten Art begleiten und die Bitten geradezu, wohl gar mit Vorwürfen abschlagen wolltest. Nein, zeige jedesmal mit der lebhaftesten Neigung zu dienen, die Unmöglichkeit, derselben zu folgen, und das Misvergnügen, welches dieses Dir verursacht.

Es gibt so viele, besonders junge Leute, welche um Andern nicht Misvergnügen zu machen, gleich alles versprechen, und dann es entweder nicht halten können, oder wenn sie es doch möglich machen, sich in die größten Verlegenheiten setzen. Ersteres bringt den Bittenden und letzteres ihnen selbst Verdruß und Schaden. Hüte Dich daher, lieber Wilhelm, jemals etwas zu versprechen, was Du nicht halten kannst, oder dessen Erfüllung höhere Pflichten verletzt und Dir dadurch Nachtheil bringt. Der erstere Verdruß ist jederzeit besser, als der letztere.

Wenn Du Dienste, Gefälligkeiten, Wohlthaten, Geschenke von Andern empfängst, so zeige jederzeit das Vergnügen, welches diese Erweisungen [130] Dir machen und die Größe der Verbindlichkeit, die sie Dir auflegen, durch den hohen Werth, den Du ihnen gibst. So wie Du nie von Andern, als im höchsten Nothfall, dergleichen Erweisungen verlangen und annehmen wirst, so weigere Dich doch bisweilen nicht, die, zumal von Höhern, angebotenen anzunehmen (es müßten denn Menschen seyn, die von Deinen Verbindlichkeiten Misbrauch machen wollten), um ihnen das Vergnügen zu machen, Dich zu verbinden, und nimm sie nie als Belohnungen, sondern als Gunnbezeigungen an, hättest Du auch den größten Anspruch darauf. Die kleinsten Dir geleisteten Dienste und Gefälligkeiten rechne hoch an, und erwiedere sie, nur bisweilen nicht mit zu großer Eilfertigkeit, um nicht den Schein zuhaben, als sey Dir die Verbindlichkeit eine unangenehme, unerträgliche Last. –


[131] ** den 19. Oct. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 127-132.
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