22. Brief.

[132] Lieber Wilhelm!


Um mit Dir in einige nähere Verhältnisse einzugehen, will ich mich mit Dir heute über die gute, höfliche Art unterhalten, die Du bey Deinen Geschäften mit Andern zu beobachten hast. Zuvörderst setze ich voraus, daß Du Dein Ehrgefühl nie so sehr verläugnen und nie so niedrig denken wirst, ein Amt, ein Geschäft zu suchen und zu übernehmen, dem Du nicht vollkommen gewachsen bist. Es geschieht zwar leider! oft, daß Leute Aemter suchen, deren Geschäfte sie gar nicht kennen, und deren Kenntniß sie sich zu erwerben nicht einmal im Grundsätze, [132] worauf sie dieselbe bauen müssen, ganz fehlen. Indeß dieß kümmert sie nicht, sie halten sich einen Gehülfen, der die Geschäfte besorgen muß, und sie ziehen die Einkünfte, gefühllos gegen die Schande, die ihnen ihre Unwissenheit und ihr unthätiges, müßiges Leben bey allen Rechtschaffenen bringt, und gegen die unvermeidlichen Nachtheile, die für den Staat hieraus entstehen müssen. Doch ich fürchte für Dich nichts; Du hast zu viel wahres Ehrgefühl, zu viel Liebe zu den Wissenschaften, als daß Du Dich nicht zu Deiner Bestimmung vollkommen vorbereiten und Dich zu den Dir einst anzuvertrauenden Geschäften ganz geschickt machen solltest.

Hast Du so mit Ehren ein Amt, Geschäfte erhalten, so besorge sie zuerst mit Treue, Redlichkeit und Eifer, dann auf jene gute Art, welche Andern Zufriedenheit und Vergnügen gewährt. Diese gute Art bestehet vorzüglich darin, daß Du in jedem Geschäfte mit Andern bestimmt, zuverlässig, pünktlich und kurz seyst. Nichts misfällt, nichts belästiget Andere mehr, als ein träges, langsames, zerstreutes, unordentliches Wesen, mit dem man Geschäfte betreibt, [133] bey welchen sie mit zu thun haben oder interessirt sind. Sie glauben, eine Sache sey beendiget, und sehen, daß sie noch nicht angefangen ist; endlich soll sie fertig seyn, und sie finden, daß sie es nur halb ist. Sie haben mit uns eine Sache zu bearbeiten und müssen auf alles warten. Sie erwarten uns und wir kommen nicht, oder nicht zu gehöriger Zeit; wir haben sie zu einer bestimmten Stunde zu uns bestellt, und sie finden uns nicht zu Hause oder noch bey der Toilette, so daß sie lange warten müssen; oder wir gehen zu ihnen, halten sie lange auf und rauben ihnen eine Zeit, die ihnen wichtiger ist, als uns.

Vermeide insbesondere alle unnützen Schwierigkeiten, die so Viele in Geschäften zu machen gewohnt sind, und dadurch Andern Verdruß und Zeitverlust verursachen. Keine Sache darf übereilt werden. Ist sie aber einmal reiflich durchdacht, bearbeitet und beschlossen, so muß sie, ohne Verzögerung, ohne Einmischung nicht dazu gehöriger Nebendinge ausgeführt werden.

Wenn es von der einen Seite der guten Art [134] Geschäfte mit Andern zu betreiben, zuwider ist, mit einer immer mürrischen, verdrießlichen Laune, mit ewigem Tadeln und Argwohn, zu belästigen und zu beleidigen, so ist es ihr von der andern Seite eben so zuwider, Geschäfte mit Scherz und Possen zu betreiben, und bey allen, auch den ernsthaftesten Gegenständen zu badiniren. Dieß ist höchst unanständig und für diejenigen, welche dabey interessirt sind, sehr beleidigend. Ein humaner Ernst muß jedes Geschäft begleiten.

Hast Du mit einem Höhern ein Geschäft zu besorgen, so bereite Dich vor, ehe Du es unternimmst; bearbeite und vollende es nach Deinen besten Einsichten. Lege ihm dann die Sache kurz und gründlich vor, und erwarte seine Entscheidung. Mische nie etwas Fremdes hinein; antworte und gib Rechenschaft von dem, was Du gefragt wirst. Sey überhaupt nie klüger, als Dein Vorgesetzter, trage die Sache immer so vor, als wenn Deine Bearbeitung sein eigener Einfall wäre; zeige ihm nie Ueberlegenheit, er fühlt sie von selbst, und wird sie benutzen, so lange Du sie ihm nicht mer ken läßt.

[135] Niedern mache ihre Geschäfte nicht schwer, laß ihnen die gehörige Zeit, störe und unterbrich sie nicht; höre sie mit Gelassenheit und Aufmerksamkeit an, mache die nöthigen Erinnerungen mit Sanftmuth, leite sie mit Humanität, und alles wird gut gehen. –


[136] ** den 26. Oct. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 132-137.
Lizenz: