5. Bei den Karaiben.

[172] Die Karaiben befolgen bei der Verheirathung ihrer Töchter den Grundsatz, daß jeder Genuß durch vorhergegangene Entbehrung erkauft werden müsse. Vierzig Tage lang vor der Hochzeit dürfen die guten Mädchen keinen Bissen mehr zu sich nehmen, als zur Fristung des Lebens nothwendig ist. Die Heirathsceremonien selbst sind von sonderbarer Beschaffenheit. Männer und Frauen versammeln sich, mit Blumen bekränzt, in einem Gehölze. Eine Menge musikalischer Instrumente erweckt die Versammlung zur Fröhlichkeit. Der Kazike (Priester) führt den Trupp an. Ehe man aus dem Holze geht, bringt man ihm ein Gericht Fleisch. Dieses nimmt der Kazike, wirft es zur Erde und ruft dazu: »Da, du Hund von bösem Geiste, friß das, und laß uns dafür heute ungeschoren!«

Der Zug tanzt nun bis zur Thüre der Neuverehlichten. Alte Weiber sind diesem zunächst, [173] wovon die eine Hälfte weint und die andre lacht. Die Weinerinnen brechen in die Worte aus: »Ach, mein Töchterchen, kenntest du die Sorge und den Verdruß einer Haushaltung, Du nähmest Dir in Deinem Leben keinen Mann!« Damit indessen das gute Kind nicht kleinmüthig werde, rufen die Lacherinnen: »Ach, mein gutes Töchterchen, kenntest Du die mannigfachen Freuden einer Haushaltung, so hättest Du Dir längst einen Mann genommen!«

Im Hochzeithause setzt sich hierauf alles um einen mit Schildkröten beladenen Tisch, wo bis in den andern Tag hinein gegessen und getrunken wird.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 172-174.
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