Palmesels- und Charfreitags-Procession.

[234] Zu Schwäbisch-Gemünd ward auch im Jahre 1802 die schon seit vielen Jahren gebräuchliche [234] sogenannte Palmesels-Procession wiederholt: – Behängt mit Silber und geschmückt mit Blumen wurde das hölzerne Christusbild auf dem ebenfalls modern gezierten Esel, achtspännig, in Begleitung des Magistrats und der Klerisei in die Spitalkirche geführt und wieder abgeholt. –

Die Charfreitags-Procession konnte auf öffentlichem Platze wegen übler Witterung nicht gehalten werden: dieß geistliche Schauspiel wurde also auf dem Stadttheater gegeben. Hier sah man nun freilich die geistlichen Personen oft sonderbar mit den Büsten von Kotzebue und Iffland, die auf der Gardine gemalt sind, zusammen gruppirt.

Um über die Art der Aufführung urtheilen zu können, folge hier ein Pröbchen davon! Christus spricht:

Streck aus, o Vater, deine Hand, und meine Mutter segne; auch allen, die ihr anverwandt mit Glück und Heil begegne!

[235] Maria: Liebster Sohn!

Chr. Gebährerinn!

M. Der Schmerz mein Herz durchdringet.

Chr. Gott sey mit dir!

M. Ach bleib bei mir!

Chr. Der Will des Vaters trennet uns.

Nach geendigtem Theater beginnt der Zug durch die Stadt:

Ein schwarz gekleideter Mann zu Pferde. Der Tod zu Pferde. Genoveva von Jägern geführt. Samson in Ketten geführt. Die 7 Todsünden. Kinder, von Teufel und Tod in einer Chaise geführt. Adam und Eva. Longinus zu Pferd. Pauken und Trompeten. Herodes und Pilatus. Der ganze jüdische Rath; sämmtlich zu Pferde. Christus, das [236] Kreuz tragend, und Juden. Maria, Veronia, Martha, Magdalena, Kaiser Konstantin, ein Kreuz tragend. Einige ganz kleine Knaben, als Husaren gekleidet, schließen zu Pferde den Zug.

Auf dem ganzen Zuge werden Knittelverse abgesprochen. So sagt z.B. ein Jude zu Christum:

»Jetzt sah' ich selbst dein' Zauberkunst, ich hab' sie selbst erfahren, doch mach' mir kein Gewiderspunst, sonst stich' ich dir den Staren.«

Dem Urtheile eines jeden Unbefangenen sey es anheimgestellt, ob dergleichen Aufzüge unsern Zeiten angemessen und zur Religiosität beförderlich sind? Der Pöbel belustigt sich freilich an dergleichen Spektakelscenen: aber zu seiner sittlichen Besserung tragen sie nichts bei; sie schaden vielmehr der guten Sache, und geben dem Leichtsinnigen Gelegenheit zu Spöttereien über die Religion selbst.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 234-237.
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