Stiergefecht in Spanien.

[257] Um ein Beispiel von der Gewalt und List der schrecklichsten und wildesten Stiere und von der [257] Gewandtheit und dem alles besiegenden Verstande des Menschen zu geben, wird den Lesern eine kurze Beschreibung von den berüchtigtsten Spanischen Stiergefechten und von der beispiellosen Geschicklichkeit eines Indianers zu Cadix hier hoffentlich willkommen seyn.

Der ganzen Spanischen Nation, erzählt ein Reisender, insbesondre aber den Einwohnern beider Castilien, gehen die Belustigungen des Anblicks der Stiergefechte über jedes andre öffentliche Vergnügen. Hier ist fast keine beträchtliche Stadt, wo dies grausame und oft schreckliche Schauspiel nicht jährlich mehrere Male, und in der Absicht gegeben würde, um selbst ihre höchsten Freudensbezeugungen – z. B. die Heiljgsprechung eines Heiligen, die Geburtsfeier der Personen vom Königl. Hause, die Einweihung der Kirchen und andrer öffentlichen Gebäude dadurch zu heben.

In Spanien führten die Römer die Stiergefechte ein; aber diese Gefechte sind gewiß [258] älter und schreiben sich aus den rohesten Zeiten her. Es scheint, daß in den ältesten Zeiten, da die Menschen noch nicht gelernt hatten, aus wilden Stieren, diesen schrecklichen Thieren – Heerden zu machen, sie sich geübt haben, sie zu zähmen und selbst mit ihnen zu fechten; das kann zu dieser Art Uebungen Gelegenheit gegeben haben.

Das Alter der Stiere, die zu dem Schauspiele der Stiergefechte dienen sollen, ist von sechs bis zwölf Jahren. Ehe sie sechs Jahr alt sind, nennt man sie junge Stiere oder Neulinge und gebraucht sie bei kleinern Festen und auf den Dörfern zu einer Uebung, die nicht so weit geht, daß sie dabei getödtet würden, sie aber viele List lehrt, deren sie sich nachher bedienen, wenn man sie nach den öffentlichen Plätzen zu einer ernsthaften Uebung führt. Und den Fechtern sind diese eingehetzten Stiere bei weitem die furchtbarsten Gegner.

Gemeiniglich werden die Stiergefechte in einem entweder achteckigen oder länglicht runden Kreise, ungefehr von 120 bis 150 Lachtern im [259] Umfange, gehalten. Man bereitet daselbst zwei oder drei Reihen von Behältnissen für die Zuschauer über einem Amphitheater von sieben bis acht Stufen, vor welchem eine Brustwehr von zwei bis drei Schuh in der Dicke ist, die eine Höhe von fünf bis sechs Schuh hat, um zu verhindern, daß die Stiere in dem Umkreise, den die Brustwehr macht, nicht in das Amphitheater springen, welches, dieser Vorsicht ungeachtet, dennoch zuweilen geschieht.

Diese Behältnisse sind allezeit ungemein geputzt und mit Personen aus allen Ständen besetzt, welches eines der prächtigsten Schauspiele gewährt. Die Kreise, welche ich zu Sevilien gesehen habe, konnten ungefähr 30 bis 40tausend Menschen fassen. Das Frauenzimmer erscheint bei solchen Gelegenheiten ausnehmend geputzt und mit unbedecktem Angesichte.

Zu Sevilien hat sich eine eigne Gesellschaft von Adlichen gebildet, welche man die Meisterschaft nennt, und die in Uniform erscheint.

[260] Wenn das Schauspiel eröffnet ist, geht der befehlhabende Offizier mit seinen Soldaten rund um den Platz, um zu verhindern, daß niemand, als die zum Gefechte Gehörenden, dableibe. Die Obrigkeit giebt aus dem Erker des Rathhauses, nachdem sich jedermann von dem Streitplatze entfernt hat, das Zeichen zum Gefechte.

Hierauf kommen zwei von der Meisterschaft in den Kreis, auf den schönsten Pferden des Landes, mit dem prächtigsten Geschirre. Ein jeder von ihnen hat zwei Bediente zur Seite, die ihr Pferd halten, wenn der Stier aus seinem Stalle, einer schwarzen Kammer unter dem Amphitheater, herausgelassen wird. Ueberdieß begleitet sie noch eine Menge gleichgekleideter junger Leute. Diese haben alle kleine Mäntel, welche sie in der Hand halten und um einen kleinen Stock herumschwenken. – Nachdem nun der Stier 24 Stunden im schwarzen Thierstalle eingesperrt gewesen, und mittelst langer Piken, womit man ihn im Stalle sticht, recht wüthend gemacht worden ist, eröffnet man ihm die Stallthür, vor dessen Eingange [261] die Ritter mit ihren Lanzen seiner warten. Wüthend und mit funkelnden Augen fährt er nun, den Kopf gegen die Erde gerichtet, hervor und auf einen der Ritter los. Diese brechen ihre Lanzen auf seinen Leib, nachdem sie seiner ersten Wuth durch eine geschickte Wendung ausgewichen sind.

So bald sie ihre Lanze gebrochen haben, oder ihnen einige Gefahr droht, laufen die jungen Leute, die man die Flüchtigen nennt, dem Stiere mit ihren Mänteln entgegen, ziehn ihn von seinem Wege ab, und hindern ihn, auf die Ritter los zu gehen, welche sonst große Gefahr laufen würden, daß ihnen nebst ihren Pferden das Eingeweide ausgerissen werden möchte, wie es sich zuweilen beim ersten Angriffe zuträgt. Die größte Sorge dieser Ritter besteht nämlich darin, daß sie der ersten Hitze des Thiers ausweichen, und hernach so bald, als es ihnen nur möglich ist, ihre Lanze auf den Stier brechen; der Schaft von diesen Lanzen ist aber gewöhnlich so schwach, daß er schon das erstemal zerbricht. Hierauf [262] begeben sie sich weg, damit die Flüchtigen ihre Kräfte üben mögen.

Diese Flüchtigen, deren oft 50 im Kampfplatze sind, spielen mit dem Stiere, ehe sie ihn erlegen, und ein jeder von ihnen bemühet sich, seine Geschicklichkeit in Wendungen und verstellten Angriffen des Stiers zu zeigen, der durch kleine Lanzen mit Haken noch mehr aufgebracht wird, welche sie ihm ganz um den Hals herum, um den Kopf, und sogar um die Nasenlöcher werfen, und woran man Schweife von Blumenbüschlein und Bändern, oft auch Raketen, Feuerschlangen und alle Arten von Feuerwerken bindet. Dieß erbittert das arme Thier in hohem Grade. Nachdem sie lange mit dem Stiere gespielt haben, der am Ende von dem Rennen und von dem Blute, das er durch seine Wunden verloren hat, ungemein ermüdet und entkräftet wird, geht der muthigste von den Flüchtigen an den Erker des Königs, oder der Obrigkeitsperson, und bittet sich Erlaubniß aus, den Stier zu erlegen, welches denn auch mit einem einzigen Schwerdtstoße ins Herz geschieht.

[263] Unter mancherlei Ceremonien wird nun der todte Stier mit vieler Pracht durch sechs Maulthiere weggebracht, und das nehmliche Schauspiel mit dem zweiten, dritten etc. Stiere beginnt.

Von andrer Art sind die besondern Stiergefechts-Feste. Diese werden von dem Könige oder den Obrigkeiten besondern Personen zugestanden, welche die Plätze dazu vermiethen. Diese Feste sind zwar weniger prächtig, aber, wegen der Geschicklichkeit und Stärke der streitenden Ritter, die mit starken Lanzen bewafnet sind, (welche nicht auf den ersten Stoß brechen, wie die Lanzen der Edlen von der Meisterschaft) weit merkwürdiger.

Nicht alle Pferde sind zu diesen Arten von Gefechten tüchtig: die einzigen, worauf man sich verlassen kann, sind diejenigen, deren sich die Lanzenfechter bedienen, und die man Andalusier nennt. Diese zeigen bei dieser Uebung so vielen [264] Muth, Unerschrockenheit und Biegsamkeit, daß sie dem Stiere Trotz bieten, und aller seiner List ausweichen; auch wird ihnen niemals das Eingeweide anders, als durch Versehen derer, die sie reiten, ausgerissen, welches sich oft zuträgt.

Diese Lanzenfechter zu Pferde stellen sich anfangs in dem Kreise zur Seite des Stierstalles in einer gewissen Entfernung von einander; so daß, wenn der Stier herauskommt, er unfehlbar auf den ersten Lanzenfechter, der ihm ins Gesicht fällt, losgeht. Der Lanzenfechter erwartet ihn unbeweglich, und treibt ihn mit einem Lanzenstoße zurück, welcher macht, daß der Stier auf die entgegengesetzte Seite springt, wo er auf den andern Lanzenfechter stößt, der ihn eben so empfängt. Da der Stier sich so zur Rechten und zur Linken gestochen fühlt, sucht er davon zu fliehen; weil er aber nicht sieht, wo er davon kommen könne; so geht er auf die Lanzenfechter zurück, und läßt sich mit ihnen in den Streit ein.

Diese edlen Stierbezwinger oder Lanzenfechter [265] bedienen sich ihrer Lanzen vollkommen rittermäßig: sie halten das Ende davon fest, indem sie das Eisen davon in den Leib des Stiers stoßen, um ihn zurück zu treiben; und zuweilen führt der Ritter ihn auf diese Weise rund in dem Platze herum. Zuweilen aber behält der Stier die Oberhand und macht es mit dem Ritter eben so, jedoch ohne alle Gefahr, wenn er nur fest hält, und allezeit, vermittelst seiner Lanze, einen gehörigen Raum zwischen der Linie, worin der Stier geht, und derjenigen, welcher er folgt, setzt. Diese Uebung erfordert mehr Stärke und weniger Geschicklichkeit, als das Gefecht mit den Wurfspiessen, wie man es an einigen Oertern von Spanien im Gebrauche hat; welches für den Ritter weit gefährlicher ist, da hingegen die Art mit der Lanze zu fechten, den Ritter auf Kosten des Pferdes erhält, indem dieses sich oft durch den großen Widerstand, den es dem Stiere thut, die Flechsen in den Beugungen der Füße zu nichte macht.

Der Fechter und der Stier treffen in gerader Linie auf einander: aber, wenn der Stier im [266] Begriff ist zu stoßen, kommt man ihm zuvor, indem man ihm selbst den Stoß giebt, und man zieht sich durch eine andre Linie, welche mit dieser einen rechten Winkel macht, zurück. Je spitziger der Fechter diesen Winkel macht, desto mehr läuft er Gefahr, erreicht zu werden.

Hierbei ist zu merken, daß der Stier im Laufe gemeiniglich die gerade Linie verfolgt: wo er nicht etwas sieht, das ihn davon abtreibt, daher eben greift der Ritter den Stier nicht rennend an, welches für eine Verwegenheit angesehen werden würde: sondern er nöthigt den Stier selbst zu laufen und erwartet ihn unbeweglich mit geringerer Gefahr, weil er dann weiß, welche Linie das Thier beschreiten muß; welches ihm die Vorbereitung, selbst seinen rechten Winkel zu machen, erleichtert. Es giebt Stiere, welche sich nicht irre machen lassen, und wider welche diese Vorsichtigkeit nicht nützet: das sind diejenigen, die man auf den Dörfern geübt hat. Diese kommen aus dem Stierstalle nicht so hervor, daß sie drohen und auf alles, was sie vor sich finden, loslaufen: [267] sondern mit einem kalten und gesetzten Wefen, welches den Muth der berühmtesten Fechter niederschlägt. Diese Stiere sehen sich majestätisch nach allen Ecken des Platzes um, als wenn sie nur herausgekommen wären, zu sehen, was unter den Zuschauern vorgehe, halten sich ganz ruhig und erwarten, daß sich die Fechter ihnen nähern, um sie wohl zu empfangen. Ein Stier von dieser Beschaffenheit ist sehr zu fürchten, und man sieht ihn selten erlegt, ohne daß er vorher einen von den Kämpfern getödtet, oder tödtlich verwundet habe. Mit einem solchen Stiere gelingt es den Rittern, selbst den Lanzenfechtern, nicht gemeiniglich; sie machen alsdann den Fechtern zu Fuße Platz, welche sich durch den Gebrauch aller Geschicklichkeit, die ihnen der Vorzug des menschlichen Verstandes an die Hand giebt, alle List und Stärke dieser Thiere zu übertreffen, besser helfen können.

Die Art der Uebung, welche die Kämpfer zu Fuß gebrauchen, ist beinahe einerlei mit derjenigen, die von den Rittern gebraucht wird: in Wahrheit zwar nicht prächtig anzusehn, aber weit gefährlicher. [268] Sie gebrauchen Degen oder halbe Lanzen, den Stier zu tödten, und spielen eine Zeitlang mit demselben, welches die Zuschauer sehr ergötzt.

Dieß Schauspiel wird zuweilen acht Tage nach einander, und gar noch länger, gegeben; es ist nicht sehr beträchtlich, wenn es nur Drei Tage währt. Die bequemste Zeit zu dieser Art von Gefechten ist der Monat Mai; dann sind die Stiere am muthigsten zum Streit, und die Tage länger.

Ein Indianer aus Buenos-Aires, zu Cadix, zur Galeerenstrafe verurtheilt, war ausnehmend geschickt in körperlichen Uebungen, und gerieth daher auf den Einfall, dem Oberrichter vorzuschlagen, daß er umsonst einige öffentliche Feste geben wollte, wenn man ihm seine Freiheit dafür zu gestehen würde. Er versprach, daß er den wildesten und grausamsten Stier ganz allein, ohne ein andres Gewehr in die Hand zu nehmen, als einen Strick, angreifen, daß er ihn zu Boden [269] werfen, daß er ihn, bei welchem Theile des Körpers man es verlange, bei den Füßen, bei dem Kopfe oder bei den Hörnern, haschen, daß er ihn satteln, zäumen, sich darauf setzen, und so reitend wider noch zwei von den wüthendsten Stieren, die man aus dem Stierstalle herauslassen würde, fechten, und sie alle, einen nach dem andern, in dem Augenblicke, da man es ihm beföhle, und ohne jemandes Beistand, tödten wollte. Sein Gesuch ward ihm zugestanden: aber man schmeichelte sich nicht mit einem glücklichen Erfolge. Hier sehe man, wie er es anstellte, so große Versprechungen zu erfüllen!

Dieser beherzte Indianer erschien im Jahre 1746 zu Cadix zu Pferde, in dem Kampfkreise bloß mit einem Stricke in der Hand, und nachdem er in dem Platze herumgeritten war, und die Gesellschaft gegrüßt hatte, ließ man auf ihn aus dem Stierstalle einen der wüthendsten Stiere los. Er erwartete denselben unbeweglich. Das Thier wollte auf ihn los fahren: er aber wich dem Stoße auf eine geschickte Weise aus, indem er sich ganz [270] herumschwenkte, und dem Stier, der darauf vor ihm flohe, in vollen Sprüngen nachjagte.

Er fragte den Oberrichter, bei welchem Theile er den Stier mit dem Stricke gehascht haben wollte. Der Oberrichter antwortete ihm, es wäre gleichgültig, wenn er nur thäte, was er versprochen hätte. Der muthige Kämpfer warf unverzüglich seinen Strick, woran am Ende eine Schlinge war, und das mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit. Er erhaschte den rechten Fuß des Stieres, und, indem er den Strick an sich zog, überwältigte er denselben. Hierauf ritt er in vollen Sprüngen um den Stier herum, und da er ihn so durch drei bis vier Kreise um ihn herum gleichsam durch den Strick gefesselt hatte, fiel der Stier, der seine Beine ungemein stark gebunden fand, in dem Stricke verwickelt, über einen Haufen.

Nun stieg der Indianer ab; und da sein Pferd den Strick gespannt und fest hielt, als ob er an einen Pfahl gebunden gewesen wäre: so ging er an den Stier hinan, stieg von hinten auf [271] denselben, und gab ihm einen Stoß mit einem Dolche zwischen den Hörnern, so daß er todt auf dem Platze lag. Er machte darauf seinen Strick los, und stieg wieder auf sein Pferd. Man brachte den todten Stier auf die gewöhnliche Weise mit sechs Maulthieren weg.

Dies war nur das Vorspiel: er gab den Zuschauern zu verstehen, daß er sie auf eine andre Art vergnügen wollte. Alsbald ließ man einen noch wüthendern Stier aus dem Stierstalle, damit er gesattelt und gezäumt werden möchte. Der Indianer machte es dabei auf folgende Weise: Er stellte sich zur Seite von dem Stierstalle mit der größten Gelassenheit; er wich den Hörnern des Stiers durch die geschwindesten Wendungen um ihn herum aus, damit er hinter ihn kommen möchte; und nachdem er ihn darauf verfolgt hatte, haschte er ihn bei dem Kopfe, und bei den Hörnern, mit dem Stricke, zog ihn gegen den Pfahl, den man in der Mitte des Kreises eingegraben hatte, und band ihn so fest an den Pfahl, indem er seinen Strick ganz um das Thier herumdrehte, [272] daß der Stier sich nicht rühren konnte, und unbeweglich zu seyn schien. Hierauf stieg er von seinem Pferde, das den Strick ordentlich gespannt hielt, legte einen Sattel, der auch zu dem Ende in dem Streitkreise hingelegt war, auf den Stier, zog den Bauchgurt recht fest zu, und zäumte ihn mit einem andern Stricke, den er durch eine große und starke eherne Nadel gezogen hatte, welche er ihm queer durch die Nasenlöcher steckte; alsdann zog er den Strick über den Hals des Stieres, wie einen Zaum, versahe sich mit einer Lanze, setzte den Fuß in den Steigbügel, und stieg hinauf.

Während dieser Verrichtung erhob der Stier ein gräßliches Gebrülle: dies aber brachte unsern beherzten Kämpfer nicht im geringsten aus seiner Fassung: vielmehr zerschnitt er mit der größten Kaltsinnigkeit den Strick, der um den Stier herumging, mit seinem Messer. Da dieser sich hierauf befreiet sahe, fing er an zu laufen, und mit aller ersinnlichen Muth zu springen, und machte alle Arten von Drehungen und Bewegungen, [273] sowohl vorwärts als rückwärts, ohne den Menschen abwerfen zu können.

Hierauf ließ man zwei andre Stiere aus dem Stierstalle heraus, welche den Reuter umringen wollten: aber, da diese Thiere, ob sie gleich wüthend waren, sahen, daß er auf einem andern Stiere saß, ließen sie von ihm ab, und flohen, anstatt zu stoßen. Der Reuter ward von seinem eignen Stiere hinter sie her fortgeführt: denn dieser folgte den andern auf dem Fuße nach; welches dem Indianer bequeme Gelegenheit gab, von Zeit zu Zeit seinen Postillionen einige Lanzenstöße in die Hinterkeulen zu versetzen.

Er jagte verschiedenemal in dem Platze hinter den beiden Stieren herum, als welche allezeit vor ihm flohen, weil sie auf ihres gleichen nicht geradezu losgehen wollten. Nachdem dies die Zuschauer sehr belustigt hatte, befahl ihm der Oberrichter, sie zu tödten. Man höre, wie er es machte. Er fing bei demjenigen an, worauf er ritt: diesem stieß er den Dolch zwischen die beiden Hörner, [274] so daß das Thier todt niederfiel, und der Mensch blieb aufrecht auf der Seite, die derjenigen, wo der Stier gefallen war, entgegen stand, stehen.

Er nahm hiernächst sein Pferd wieder, welches in dem Umfange des Amphitheaters eingesperrt gewesen war, und nachdem er sich auf dasselbe gesetzt hatte, haschte er den andern Stier bei einem Hinterfuße, umwand ihn nach seiner gewöhnlichen Weise, stieg vom Pferde, ging zu dem Stiere, setzte sich von hinten auf denselben und brachte ihn durch einen Dolchstich zwischen den Hörnern um's Leben. Eben so machte er's hierauf mit dem dritten, der erschreckt war, und sich nichts zu unternehmen unterstand, sondern sich begnügen ließ, in dem Kreise herum zu laufen. Dies war das Ende dieses Schauspiels.

Am folgenden Feste, welches drei Tage darnach war, ließ man wieder einen Stier los, daß er gezäumt und gesattelt werden sollte. Der Indianer sattelte ihn: als er ihn aber zäumen wollte, [275] wandte der Stier so viele Gewalt an, daß er den Strick, womit er umwunden und gefesselt war, zerriß. Da er sich hierauf befreiet fand, lief er mit einer solchen Wuth auf den Menschen los, daß der Indianer, weil er sich nicht geschwinde genug in Sicherheit stellen konnte, und sich den Stier über den Hals kommen sahe, sich zur Erde nieder warf. Der Stier, welcher im Laufe war, sprang über ihn weg, und kam dann im Augenblick auf ihn los; allein der Mensch behielt sein gesetztes Wesen bei dieser Gefahr, und erwartete ihn auf den Hintern sitzend. Wie hierauf der Stier sich ihm näherte, um ihn mit den Hörnern zu fassen, gab ihm der Indianer Dolchstiche in die Schnautze; das that er zu wiederholten nölen, weil der Stier allezeit wieder zurückkam. Endlich packte ihn der Stier bei dem Stiefel an, der zum guten Glücke riß, so daß der Indianer der Länge lang zu Boden siel. Die Flüchtigen kamen ihm augenblicklich zu Hülfe, und, nachdem sie den Stier abgescheucht hatten, stand der Indianer wieder auf, stieg wieder auf sein Pferd, und erlegte den Stier, nachdem er ihn mit seinem [276] Stricke bei dem Fuße erhascht hatte, ob ihm gleich von dem Oberrichter befohlen war, sich wegzubegeben.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 257-277.
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