Todtenmahle der alten Preußen.

[278] Wenn ein naher Anverwandter betrauert wurde; so wurde unter andern Ceremonien, den 3ten, 6ten, 9ten oder 14ten Tag nach dem Begräbniß ein großes Gastmahl gegeben. Bei demselben [278] saßen die Männer und Weiber, jede besonders; und zwar anfangs so still, als wenn sie stumm wären. Niemand hatte ein Messer bei sich. Zwei Weiber warteten bei Tische auf, welche den Gästen die schon vorher zertheilten Stücke vorlegten. Nun wurde die Seele des Verstorbenen, die nach der Gäste Meinung vor der Thüre stand, zur Mahlzeit gebeten, da denn ein jeder von jeglicher Speise ein Stück unter den Tisch warf und etwas vom Getränke nachgoß, damit die Seele sich erquicken möchte. Wenn die Mahlzeit vorbei war, stand der Priester von dem Tische auf, fegte das Haus aus und jagte die Seele hinaus, mit den Worten: »Du hast gegessen und getrunken, o Seele! geh hinaus, geh hinaus!« Nun erst wurden die Gäste gesprächig und munter, Männer und Weiber tranken sich unter einander zu, und küßten sich weidlich.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 278-279.
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