Zweikampf der Grönländer.

[365] Wenn ein Grönländer von einem andern beleidigt zu seyn glaubt, so läßt er darüber keinen Verdruß und Zorn, noch weniger Rache spüren; sondern dichtet einen satyrischen Gesang, den er in Gegenwart seiner Hausleute, und besonders der Weiber, so lange singend und tanzend wiederholt, bis sie ihn alle auswendig können. Alsdann [365] läßt er in der ganzen Gegend bekannt machen, daß er auf seinen Gegner oder Beleidiger singen wolle. Dieser stellt sich dann auch sowohl, als das Volk der umliegenden Gegend, an dem bestimmten Platze ein; es wird ein Kreis geschlossen, in den beide Theile, Kläger und Beklagter, treten. Erstrer singt nun tanzend und nach der Trommel, in Begleitung seiner Hausgenossen und Freunde, letzterem so viele spöttische Wahrheiten vor, daß die Zuschauer etwas zu lachen haben. Hat er ausgesungen, so tritt der Beklagte auf, und beantwortet, unter Beistimmung seiner Leute, die Beschuldigungen auf eben dieselbe lächerliche Weise. Der Kläger sucht seiner Seits ihn zu widerlegen und ihn in die Enge zu treiben, damit er sich nicht ferner vertheidigen könne. Wer nun von beiden das letzte Wort behält, der hat gesiegt, und wird von allen Anwesenden als ein großer Mann gepriesen. Auch geht die Versammlung nicht eher aus einander, bis beide Theile sich ausgesöhnt, und, keinen Groll auf einander zu hegen, feierlich versichert haben.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 365-366.
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