13.


[203] Auch unter den neuen Directionsverhältnissen bewährte das Breslauer Theater seine ehrenvolle Stellung und in der ersten Zeit konnte man wohl nur hinter den Coulissen eine Veränderung fühlen. Hier aber machte sich der Abgang Rohde's in geistiger Beziehung bald sehr fühlbar. Der Gang der Geschäfte ward langsamer, die Bande unter der Gesellschaft selbst wurden lockerer; der collegiale Esprit de Corps, der sich unter Rohde's allumfassender Leitung wie von selbst gebildet hatte, begann schwächer zu werden und noch andere Anzeichen deuteten auf eine umwandelnde Krisis hin, welcher das Institut entgegengehe.

Um diese Zeit kam Mosewins von einer Reise zurück, die er mit Capellmeister Bierey nach Wien gemacht hatte. Er war voll von den Eindrücken, die ihm die heitere Kaiserstadt bereitet hatte. Seine und seines Reisegefährten Berufssphäre hatte ihn nicht nur mit den musikalischen Kunstkreisen in nähere Beziehung gebracht, er hatte bei dem hohen Rufe, den das Wiener Hofburgtheater seit Kaiser Josefs Zeiten genoß, diesem Kunstinstitute eine ganz besondere Theilnahme geschenkt und war in näheren Verkehr mit dem so hochgeachteten Secretär und Dramaturgen des Hofburgtheaters Josef Schreivogl (als Bühnenschriftsteller Carl August West) getreten.[203]

Schreivogl sprach sich gegen Mosewins über die Verhältnisse des Hofburgtheaters sehr eingehend aus.

Korn, der mit Recht gefeierte Liebling Wiens, wendete sich, von seinem richtigen Verständnisse und einer genauen Selbstkenntniß geleitet, mehr und mehr dem Conversationssache zu, worin er keinen Nebenbuhler hatte. Er selbst fühlte am besten, daß ihm seine beschränkten Stimmmittel gewaltige Heldendarstellungen nicht gestatteten, und so verdienstlich viele seiner Darstellungen im höheren Drama waren, so kannte er doch die Grenzlinie seiner Wirksamkeit genau.

Kettel spielte zwar mitunter Liebhaber in der Tragödie, aber sein Talent verwies ihn deutlich darauf hin, Korn's Schüler und Nachfolger zu werden.

Lange, Ziegler und Klingmann reisten der Pensionirung entgegen und Koberwein, den mehr das Alter der Vorgenannten und Brockmann's Tod als die Richtung seines Talentes zur Tragödie führte, spielte zwar noch die gesetzten Helden, fing aber bereits an sich humoristischen Rollen im Schau- und Lustspiele mit Vorliebe zuzuwenden. Wer erinnert sich nicht mit Vergnügen an seinen älteren Ruf in der »Schachmaschine«, an seine eifersüchtigen Ehemänner, wie in »Beschämte Eifersucht« und »Verbannter Amor« an Merkutio, an den Derwisch im »Nathan« und an sein Genrebild: »Der Bettler,« von Raupach?

Es fehlte also in Wien eigentlich an einem Heldendarsteller und die ganze Tragödie ruhte auf dem Namen Sofie Schröder.

Als Mosewins von diesen Verhältnissen Kenntniß erhielt,[204] lenkte er Schreivogl's Aufmerksamkeit auf mich und brachte mir die Aufforderung des Letzteren mit, mich um ein Gastspiel zu bewerben, welches mir auf mein Gesuch für den Monat Juni 1820 zugesagt wurde.

Ich traf mit meiner Gattin am 1. Juni in Wien ein, wo ich nach neunjähriger Trennung meine Brüder Gustav und Eduard in die Arme schloß, die sich mitterweile in Wien niedergelassen hatten. Daß sich in der fremden Stadt sogleich ein Familienkreis um mich versammelte, trug nicht wenig bei, mir dieselbe angenehm zu machen. Einer meiner Breslauer Collegen hatte als mein Vorgänger soeben sein Gastspiel am Hofburgtheater ohne Erfolg beendet.

Am 3. Juni 1829 kündigte der Theaterzettel Müllner's »Schuld« an und Herrn Anschütz vom Stadttheater in Breslau als Gast. Nun aber kamen meine Brüder, die den Graben passirt und gehört hatten, wie aus einer Gruppe um dem Theaterzettel versammelter Neugieriger der Ausruf ertönte: »Ui (o weh), schon wieder ein Breslauer!« Es war recht aufmunternd. In der Garderobe fand sich kein Ueberwurf vor, der mir paßte, und ich mußte mich mit einem blousenartigen Kittel begnügen, der meinen kurzen Hals noch mehr verdeckte und mich verunstaltete. Meine Frau wohnte in Gesellschaft meiner Brüder der Vorstellung bei und als ich mich vom Ruhebette erhob, vernahmen die Meinigen neben sich den Ausruf: »Das ist ja ein Bär!« Lieber Leser, das waren die Auspielen, unter welchen ich am Michaelerplatze eingeführt wurde!

Tiefe, beinahe peinliche Stille folgte dem ersten und der[205] ersten Hälfte des zweiten Actes meiner Darstellung. Bei den Worten: »Cain müßt Ihr sagen, Carlos fiel von meiner Hand,« flog als erstes Lebenszeichen ein wohlgefälliges Murmeln durch den Zuschauerraum; bis endlich bei der Stelle: »Ausgebrannt aber ruhig steht das Haus,« die kalte Eisrinde brach und ein sturmähnlicher Zuruf erscholl, der sich am Actschlusse zu einem doppelten Vorrufe ausdehnte. Das Publicum wollte mich für seine zuwartende Haltung entschädigen. Im vierten Acte kamen mir die Wiener bei jeder bedeutenderen Stelle mit der herzlichsten Anerkennung entgegen. Als der Vorhang zum Schlusse niederrauschte, brauste mein Name wie ein alter Bekannter durch die Räume und das Schlachtfeld war für den Breslauer Bären erobert.

Meine zweite Rolle, Ferdinand, ist mir besonders durch den Eindruck unvergeßlich, den ich in der Scene mit Kalb und mit dem nachfolgenden unverkürzten Monologe hervorbrachte; nach dem letzteren brach ein so enthusiastischer Beifallssturm los, daß ich auf den Ruf des Publicums dreimal erscheinen mußte.

Nun steigerte sich die Aufnahme meiner Darstellungen zu immer größerer Wärme mit den Rollen: Rudolf in Körner's »Hedwig«, Marquis Posa, Don Guiterre, Theseus in »Phädra« und gipfelte bis zur rauschendsten Anerkennung in »Hamlet«, den ich hier wieder nach Schröder umstudiren mußte.

Unter den vielen Censurvorschriften waren für den Schauspieler, der vom Auslande kam, jene für den Marquis Posa die lästigsten und ich hatte die größte Mühe, ihnen Folge[206] zu leisten. Eine ungewöhnliche Wirkung hatte die Stelle: »Ich kann nicht Fürstendiener sein.« Nach dem Actschlusse kommt Schreivogl ganz bestürzt auf die Bühne und macht mir den Vorwurf: »Wie können Sie uns das zufügen und eine gestrichene Stelle sprechen, die solchen Eclat macht?«

Ich erwiederte: »Ich habe mich genau an das censurirte Buch gehalten.«

»Das ist unmöglich!« ruft Schreivogl.

»Ich bitte, das Soufflirbuch holen zu lassen.«

Das Buch wurde nachgeschlagen und die Stelle war unbeanständet.

»Unbegreiflich,« meinte Schreivogl, »die Stelle ist erst heute aufgefallen.«

»Dafür kann ich nichts.«

»Wer denn?« meinte Schreivogl lächelnd. »Man muß die Worte künftig abwägen, die man Ihnen in den Mund legt.«

Kurz nach meinem Engagementsantritte wurde »Don Carlos« mit dem früheren Darsteller Posa's gegeben und der ganze Hof war anwesend. Ich stand neben Schreivogl im Parterre und als die gefürchtete Stelle unbeachtet vorüberging, klopfte mich Schreivogl auf die Schulter und sagte: »Heute bin ich froh, daß Sie den Posa nicht spielen.«

Die herrlichste Erinnerung aus meinem Gastspiele in Wien ist mir aber bis heute noch meine Abschiedsvorstellung als Orest in Goethe's »Iphigenie«.

Ehrwürdige Collegin, du größte Meisterin deutscher tragischer Kunst, wenn dich diese Blätter noch unter den Lebenden antreffen, so nimm den Zoll aufrichtiger Verehrung freundlich[207] hin, den dir hier ein redlich Mit- und Nachstrebender aus voller Seele darbringt. Wer dich nicht gekannt hat in den Jahren deiner Kraft und deiner künstlerischen Entfaltung, der wird sich kaum ein vollständiges Urtheil bilden können über den Höhepunct und die möglichen Grenzen tragischer Darstellung. Wer dich aber gekannt hat, der neigt sich vor dir ohne Neid und Eifersucht mit dem Bekenntniß: »Bis hieher muß der Genius der Kunst dringen, aber er kann auch nie mehr erringen.«

Nachdem ich Sofie Schröder bereits als Elvira, Milfort, Sappho, Fürstin Isabella kennen und bewundern gelernt hatte, schien sie mir alle vorhergegangenen Genüsse durch Iphigenie verdunkeln zu wollen. In dieser Gestalt lagen eine Weihe, Größe, Klarheit und Ruhe, die den Darsteller an ihrer Seite völlig bezauberten, und man hatte Mühe, über dem Zuhören nicht auf die eigene Leistung zu vergessen.

Das Publicum folgte der ganzen Vorstellung mit fast andächtiger Aufmerksamkeit und ein lauter Zuruf ungeheuchelter Freude schallte mir entgegen, als ich am Schlusse der Vorstellung in einigen Abschiedsworten den Wunsch ausdrückte, bleibend zurückzukehren.

Es waren herrliche, unvergessene Tage und Stunden! Eine nicht minder freundliche Aufnahme wurde meiner Gattin zu Theil, obgleich sie in ihrem eigentlichen Fache als muntere Liebhaberin die wenigsten Rollen vorzuführen Gelegenheit fand. Ihre Gastrollen waren Louise, Hedwig, Melitta, Gurli, Bäschen in »Das war ich.«

Noch während meiner Anwesenheit beendigten Amalie Neumann (jetzige Haitzinger) und ihr Gatte ihr Gastspiel und[208] als sie die Eboli spielte, gab ich an demselben Abend den Posa.

Da wir in demselben Hotel, »zum wilden Mann« wohnten, machte ich ihre Bekanntschaft bereits in den ersten Stunden meines Wiener Aufenthaltes, worauf ich nicht wenig gespannt war, da meine Brüder, zwei junge Männer, in förmlichem Enthusiasmus für die »unsinnig schöne Frau« schwärmten.

Die Erscheinung der zwanzigjährigen Frau war aber auch wirklich eine dergestalt blendende, daß man in Verlegenheit kam, ob man bei ihren Darstellungen mehr dem Geschlechte oder dem Talente huldigen sollte. Daß das Letztere der Sieger war, hat übrigens die Zeit erprobt, denn nur wer den göttlichen Funken in sich trägt, bewahrt sich solche innere Jugend und solche Elasticität des Geistes bis in das Greisenalter.

Bei meinem Gastspiele hatte die Vorstellung der »Phädra« noch ein besonderes Interesse dadurch, daß Sofie Schröder ihre Tochter Wilhelmine einen theatralischen Versuch als Aricia machen ließ. Ein Jahr später fand ich Wilhelmine Schröder bereits als gefeierte Sängerin wieder.

Da mit Ende Juni die Ferien des Hofburgtheaters begannen, so wurde mir und meiner Frau der Antrag gemacht, mein Gastspiel im Theater an der Wien fortzusetzen.

Das Theater an der Wien nahm damals einen hohen künstlerischen Rang ein. Von einer Gesellschaft von Cavalieren geleitet, besaß es einen Kreis wahrhaft ausgezeichneter Mitglieder, worunter die Namen Heurteur, Kistner, Friedrich Demmer, Rüger allen Theaterfreunden mehr oder minder bekannt sein dürften.[209]

Die gewöhnliche Sphäre dieser Bühne war zwar das Spectakel- und Ausstattungsstück; Körner's »Zriny,« Klingemann's »Moses« und »Columbus« gingen hier in Scene: aber auch die modernen französischen Effect- und Schauerdramen wurden daselbst virtuos ausgeführt.

Das Institut verschloß sich übrigens auch dem höheren und classischen Drama nicht, namentlich bei Gastspielen. Diese ehrenvolle Stellung des Theaters an der Wien erwarb demselben sogar die Begünstigung, daß die Mitglieder des Hofburgtheaters zur Mitwirkung eingeladen werden durften und daher öfters an der Wien gastirten. So eröffnete ich schon in den ersten Tagen des Juli mit meiner Frau ein längeres Gastspiel, welches unter anderen Rollen Dunois, Benjowsky, Klingemann's »Faust«, Roderich im »Leben ein Traum« u.s.w. umfaßte.

Da sich hierdurch mein Aufenthalt in Wien bedeutend verlängerte, so hatte ich Gelegenheit, auch die anderen Kunstinstitute Wiens kennen zu lernen. Das Kärnthnerthortheater mit Forti, Vogl, Weinmüller, mit den Sängerinnen: Waldmüller, Laucher, ja sogar noch die unvergeßliche Campi.

Ein besonderes Interesse als Localerscheinung hatte für mich das Leopoldstädtertheater.

Angewiesen, ein Repertoire aufzustellen, welches einer streng abgeschlossenen Sphäre angehörte, fiel demselben die Aufgabe zu, Localpossen von äußerst zweifelhaftem Werthe, Caricaturen, Parodien und Pantomimen vorzuführen, wo der Witz, um nicht der Censur zu verfallen, die untersten Formen annehmen und durch Plattheit sich unschädlich machen[210] mußte. Ist es zu verwundern, daß bei solchen Verhältnissen das Volksstück bei Perinet, Gleich, Meisl und Bäuerle stehen bleiben mußte? Der Parodie und Caricatur war eigentlich nur der classische Olymp überlassen und die Götter Griechenlands mußten herhalten, um in ihrer ungefürchteten Maske doch einige Wahrheiten – austheilen zu können.

Um so größer mußte mein Erstaunen sein, als ich die erste Vorstellung dieser Art besuchte und in die geistigste Anregung versetzt, in fortwährendem convulsivischem Lachen erhalten, und gleich darauf bis zu Thränen gerührt wurde. Was dem gefesselten Geiste des Dichters zu sagen verboten war, das ergänzte, erläuterte und verdolmetschte ein Künstlerkreis von Schauspielern erster Größe. Wer nicht Ignaz Schuster als Staberl, als Jupiter, als Knakerl, Raimund als Hamlet und in den Feenpossen: »Geist auf der Bastei,« »Fee aus Frankreich« u.s.w., wer nicht Korntheuer, Sartori, Landner, nicht die Frauen Huber, Demmer, Krones, Scutta gesehen hat, wird nie einen Maßstab für die Würdigung des damaligen Leopoldstädter Theaters finden. Das waren Kunstgenüsse der besten Art. Hier wurde eine Charakteristik in der Darstellung geboten, die überzeugend, überwältigend wirkte.

Ein Seitenstück zu diesen Genüssen lieferte Friedrich Horschelt, der würdige Meister der Choreographie, mit seinem »Kinderballet«. Hier grenzte, was dem Auge und dem Geiste geboten wurde, an das Zauberähnliche. Unter Horschelt's schöpferischer Anleitung sah man im Theater an der Wien ein Armeecorps von Kindern zwischen 4–15 Jahren Dinge ausführen, die man nur von den kühnsten Seiltänzern,[211] Jongleurs, von den gepriesensten Tänzern und Mimikern erwarten konnte. Den Nachahmungstrieb wußte Horschelt so planmäßig auszubilden, die individuellen Fähigkeiten so gewandt zu entdecken und zu benützen, daß man diese blühenden Kindergruppen bald für herabschwebende Engelschaaren, bald für Elfen und Feen, bald für eingefleischte Teufel halten mochte.

Hier sah man ganze Dramen an sich vorüberschweben, wo Kinder die Stufenleiter menschlicher Leidenschaften und ihrer Conflicte so naturgetreu und hinreißend darstellten, daß man versucht war, Darstellungen von so vollendeter Art für unmittelbare künstlerische Eingebung zu halten. Wenn man aber plötzlich wieder an das Alter dieser »Nippesfiguren« erinnert wurde, so mußte man unwillkürlich in den stürmischen Ruf des Publicums einstimmen, das Friedrich Horschelt immer wieder auf der Scene zu sehen begehrte. Aus dieser Pflanzschule der Grazie und Schönheit gingen Wilhelmine Schröder-Devrient, Fanny Elßler, Angioletta Mayer u.s.w. hervor.

»Das Kinderballet an der Wien« war aber auch ein Schlagwort für Wien, denn die vornehme wie die Mittelclasse pilgerte förmlich zu dieser Augenweide, und Zacharias Werner wußte das so wohl, daß er eine seiner vielbesuchten Fastenpredigten mit den Worten schloß: »Ich hätte Euch zwar von diesem Gegenstande noch viel zu sagen, aber es ist schon halb sieben Uhr; um sieben Uhr geht das Kinderballet an und da habt Ihr natürlich keine Zeit mehr zuzuhören.«[212]

In einer anderen Predigt beklagte Werner bitterlich den Verfall der Sittlichkeit und daß die heutige Jugend, wo sie in Gesellschaften zusammentreffe, nichts wisse, als lüsterne Blicke zu schleudern und ihrem unlauteren Trieben in zügellosem Gespräche Ausdruck zu geben und, setzte er hinzu, »es gibt so manchen Stoff zu ganz harmloser Unterhaltung, als z. B.: Haben Sie schon den persischen Gesandten gesehen, oder: Haben Sie den verrückten Kerl, den Werner, predigen gehört?«

Es circulirte von diesem großen verirrten Geiste eine Masse der ergötzlichsten Anecdoten und Einfälle. Schade nur, daß die wenigsten dieser Bemerkungen vor der versammelten Gemeinde geeignet sind, durch den Druck veröffentlicht und einem Leserkreise beiderlei Geschlechtes wieder erzählt zu werden.

Die freie Zeit meines Aufenthaltes benützte ich dazu, mich mit den Kunstkreisen in nähere Verbindung zu setzen. Vor Allem suchte ich Grillparzer's Bekanntschaft zu machen, dieses edelsten Dichtergeistes Oesterreichs, über welchen Goethe und Byron das Wort der Weihe ausgesprochen hatten. Die schlichte Offenheit, das scheubescheidene Wesen sprach mich so vertraut an, daß ich mit dem ersten Blicke in dieses klare blaue Auge dem seltenen Manne für das Leben ergeben war.

Grillparzer ist einer der größten Patrioten Oesterreichs. Mit einem Geiste geboren, der bestimmt war, über alle Länder und Meere zu dringen, gab ihm die Liebe zur Heimat die Kraft, die unwürdigen Fesseln zu tragen, welche politische Verhältnisse seiner glühenden Jugendphantasie auferlegten.[213]

Er wirkte so viel er durfte, nicht so viel er konnte und ich bin der Ueberzeugung, wenn ich es auch nicht erlebe, daß Grillparzer's Schreibtisch die Werke des freien Dichters birgt, der für seine Zeit verstummte, um der Nachwelt ganz zu gehören. Wenn einst Grillparzer's Nachlaß und eine Sammlung seiner Werke erscheint, dann wird die Welt nicht wenig erstaunt sein, plötzlich einen Classiker mehr zu besitzen, von dessen Dasein sie erst durch seinen Tod das Richtige erfährt.

Was die Mitwelt von ihm kennt, von der »Ahnfrau« bis zu »Weh' dem, der lügt,« ist für den Dichter eine Kette von Widerwärtigkeiten, Einschränkungen, Enttäuschungen und bitteren Erfahrungen geworden.

Es geht Grillparzer wie allen großen Dichtern; bei Lebzeiten heißt ihr Schaffen Spielzeug, unnützer Tand; sie selbst gelten als unbequeme, unbrauchbare Menschen, und wenn dann aus ihrem Grabhügel der Lorbeer unzweifelhaft aufschießt, dann hat Jeder den Dichter schon im Leben bewundert und den Menschen in ihm hochgeschätzt. Diese Bemerkung gilt übrigens nur von einzelnen Kreisen. Seit man mit dem Zeitfortschritte Grillparzer's hohe Bedeutung begreifen lernte, genießt der edle Dichter in Wien eine Verehrung, die nur den Verehrern zu Gute kommt. Se ipsum honorat honorans.
[214]

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 203-215.
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