1.


Das Hofburgtheater hatte bei seiner Entstehung um das Jahr 1742 eigentlich nur den Charakter eines kaiserlichen Privattheaters gehabt und erst in der Zeit, als Kaiser Josef Mitregent seiner berühmten Mutter geworden war, sehen wir dasselbe einer größeren Lebensthätigkeit entgegengehen.

Schon während des achten Decenniums im vorigen Jahrhundert bemerkt man das Streben, demselben bedeutendere Darstellungskräfte zuzuführen und ein geordnetes Repertoire aufzustellen, um den ersten geistigen Aufflug des Instituts anzubahnen und die dichterische Production Oesterreichs begann ihre ersten schüchternen Versuche.

Da besteigt Kaiser Josef den Thron des deutschen Reiches und ergreift den Herrscherzügel in seinen Erblanden. Die große germanische Idee, die ihn erfüllte, fand auch in den Intentionen Ausdruck, deren Ausführung er von dem Wiener Bühneninstitute erwartete. Er erhob dasselbe zum Nationaltheater, öffnete dasselbe allen Classen der Bevölkerung und deutscher Geist und deutsches Wort sollten im Gewande der edelsten Unterhaltung von der Bühne herab ihren mächtigen Einfluß auf alle Schichten seiner Unterthanen ausüben. Kaiser Josef legte dem Theater den Zweck bei, zur Bildung und Veredlung beizutragen und durch diese Absicht des Herrschers erhielt das Institut eine Mission, welche zwar im Laufe der Zeiten manche Veränderungsphasen erlebt und nunmehr so gut wie aufgehört[225] hat, welche aber nicht verfehlen konnte, auf die Stellung des Wiener Hoftheaters entscheidend zu wirken. Die Liebe und Achtung des Kaisers für diese Kunstanstalt ging auf Publicum und Schauspieler über, und das Bewußtsein der Aufgabe, das Beste, Edelste in möglichst vollendeter Form zu bieten, wurde jene Tradition des Wiener Hofburgtheaters, welche sich fortgepflanzt hat bis auf unsere Tage, und deren mächtige Wirkung nur von jenen zweifelhaften Geistern bespöttelt wird, die sich und die Welt so gern überreden möchten, daß das Heil erst mit ihnen anhebe, die aber umsonst zu negiren suchen, daß sie nur ernten, was Andere vor ihnen gesäet haben.

Kaiser Josef gab dem Theater organische Gesetze, eine festvorgezeichnete, fast bureaukratische Verfassung und, was man auch dafür vorbringen möge, daß ein Kunstinstitut nicht wie eine Behörde administrirt werden könne, der wohlgefügte Geschäftsgang bei dem Wiener Hofburgtheater hat einen Geist der Ordnung herangebildet, der sich in den bedenklichsten Krisen als segensvoll erwiesen hat und dem es zu danken ist, daß selbst heute noch das Wiener Hofburgtheater das bestorganisirte und leistungsfähigste aller deutschen Bühneninstitute ist. Die Preßfreiheit gab dem Theater einen ungebundenen Wirkungskreis, durch Anstellung bedeutender Künstler, durch Heranbildung junger Talente wurde eine künstlerische Ausfüllung aller Fächer der Bühnendarstellung angestrebt und durch Schröder's Berufung sollte dem Theater der leitende Geist gewonnen werden.

Leider war Schröder nicht auf lange Zeit zu fesseln und der frühe Tod des großen Kaisers mußte nothwendig das aufblühende Institut mit dem ersten Froste heimsuchen. Der gänzliche[226] Umschwung, der mit dem 20. Februar 1790 in allen politischen Anschauungen eintrat, mußte consequenterweise auf die Thätigkeit des Hofburgtheaters hemmend wirken.

Die meisten josefinischen Neuerungen, darunter auch die Preßfreiheit, wurden als Quellen von Mißbräuchen und Uebelständen beseitigt. Man organisirte ein überängstliches Polizeiwesen und als dessen nächsten Ausfluß eine doppelt strenge, völlig unerbittliche Censur, welche platte und frivole Schaustellungen ungehindert passiren ließ, dagegen aber größere und geistreiche Werke in der empörendsten Weise verschnitt, verstümmelte, vom ämtlichen Standpuncte bearbeitete und am liebsten ganz von der Bühne ausschloß, denn gerade die vorzüglichsten Geister der Nation, die Classiker, wurden als die verhaßten Vertreter jener gefürchteten Ideen verpönt, welche die Schrecken der französischen Revolution hervorgerufen haben sollten. Wie wenig hat man sich auf den unverdorbenen Charakter des Volkes verlassen.

Die seither in Gott oder im Satan entschlafene Censur führte zwar als oberstes Theatergesetz das große Wort im Munde: »Nichts gegen Kirche, Staat und gute Sitten!« die Anwendung dieses an sich löblichen Grundsatzes war aber eine ganz verkehrte und willkürliche, die von den zufälligen Fähigkeiten und der guten oder schlechten Verdauung der Censurbeamten vollständig abhing.

Kein Priester durfte auf der Bühne erscheinen, keine österreichische Uniform schaugestellt werden (was übrigens noch befolgt wird), keine politische Begebenheit, keine religiöse oder philosophische Idee sollte von der Scene herab verhandelt[227] werden. Lange Jahre war das Wort »Gott« verboten und es wurde statt dessen »o Himmel« vorgeschrieben; statt »Kirche« sagte man »Tempel«; leichtsinnige und verbrecherische Officiere wurden in Civilpersonen verwandelt; ungeschliffene und bösartige Grafen wurden je nach Umständen zu Baronen und bei wachsendem Unwerthe zu »Herrn von« degradirt; Präsidenten wurden zu fabelhaften Vicedomen, Geheimräthe zu Commerzienräthen, Franz Moor und Ferdinand wurden die Neffen ihrer Väter, Fürsten und Könige mußten am Schlusse Recht behalten u.s.w.

Was war die nothwendige Folge dieser ängstlichen Unterdrückung und Vormundschaft? Konnte man von einem in solchen Verhältnissen aufgewachsenen Publicum geistigen Aufschwung und Geschmack an großartigen Gegenständen erwarten?

Mit Weiße, Engel, Kratter, Soden u. dgl. überfüttert, fast ausschließlich auf Iffland, Kotzebue, Bretzner, Jünger, Stefanie und Weißenthurn beschränkt, mußten die Zuschauer nothwendig des Maßstabes entbehren, der an große Weltbegebenheiten und erschütternde Katastrophen auf der Bühne anzulegen ist. Sie kannten nur Zweierlei: Lachen bei guten und schlechten Scherzen oder Witzen, und die wohlfeilen Thränen einer falschen Gemüthlichkeit und Rührseligkeit.

Ein starker Anflug von naiver Frivolität oder frivoler Naivetät machte sich denn auch bei jeder Gelegenheit im Publicum geltend. Es hatte zwar ein ziemlich glückliches Gefühl für das absolut Schlechte, aber fast gar kein Urtheil für das relativ Gute oder für das Vorzügliche, wenn es sich nicht in[228] einer althergebrachten Form bewegte. Was ihm fremdartig erschien oder was sein noch unreifes Urtheil nicht augenblicklich auffaßte, das verwarf der Spottvogelgeist und die Bonmotistennatur des Wieners ohne weitere Prüfung als »fad« oder »dumm«.

Ich selbst war noch ein Zeuge solcher allzuraschen Beurtheilung eines classischen Werkes.

Bald nach meiner Ankunft ging Kleist's »Prinz Friedrich von Homburg« unter dem Titel: »Die Schlacht bei Fehrbellin« in Scene. Der erstere Titel wurde von der Censur verboten, weil es der Name eines souveränen Fürsten war und weil überdies Prinzen von Homburg als österreichische Militärs in Wien domicilirten.

Ich sollte mit Koberwein in der Rolle des Churfürsten alterniren und als jüngeres Mitglied erst am zweiten Abend vorgeführt werden. Leider hatte ich aber das Schicksal, nur das Leichenbegängniß des Prinzen von Homburg mitzufeiern. Das Stück war bei der ersten Vorstellung so vollständig verunglückt, daß es unter Zischen und Spottgelächter zu Ende gebracht wurde.

Ich will nicht läugnen, daß Korn nicht eben der glücklichste Repräsentant der Titelrolle war. Korn machte stets nur den Eindruck eines Liebhabers, nie aber eines Helden, und ohne letzteren Eindruck verliert der Contrast des Benehmens in den späteren Acten die hauptsächlichste Grundlage; dennoch aber wußte Korn, als ein so fertiger Schauspieler, jede Rolle bis zu einem gewissen Grade verständlich zu machen. Wer das Werk kannte, wußte natürlich, welcher Maßstab anzulegen[229] war, aber die Wiener, fremdartig davon berührt, waren gleich fertig. Sie lachten bereits, als der Traumwandler bei Nennung seines Namens zusammenbricht; der todesmuthige Soldat, der vor dem Gedanken, als Verbrecher zu enden, in Delinquentenangst verfällt, war den Wienern von damals eine lächerliche Person. Das leichte Völkchen fertigte den Helden mit der Spottbemerkung ab: »Ui, ein Soldat, der sich fürchtet und um sein Leben weint und bettelt!« Von dem ganzen geistigen Reichthum des herrlichen Schauspieles wurde weiter keine Notiz genommen. Man zog es vor zu lachen, wo man das Verständniß nicht gefunden hatte.

Jetzt, nach vierzig Jahren, nimmt das ernster und reifer gewordene Publicum dasselbe Schauspiel mit voller Achtung hin.

Uebrigens hatte nicht nur Kleist dieses Schicksal; »Romeo und Julie« fiel bei der ersten Vorstellung total durch.

Das war das Publicum Wiens in den ersten Decennien des Jahrhunderts.

Mittlerweile war das »Nationaltheater«, welches als solches nur noch den hohlen Titel führte, zum k. k. Hoftheater nächst der Burg umgewandelt und die Tradition aus Kaiser Josefs Zeiten lebte nur noch als Erinnerung fort.

Da fügte es sich wie durch ein halbes Wunder, daß der Mann hervortrat, der in diese stagnirenden Zustände Bewegung brachte, das Geäder des Institutes mit einem neuen Kreislauf belebte und trotz aller Hindernisse der Zeitverhältnisse binnen zehn Jahren den Ruf dieser Kunstanstalt auf eine Höhe hob, bis zu welcher es vorher nie gelangt war.[230]

Josef Schreyvogl, einer der geistreichsten Köpfe seiner Zeit, ein Dichter von vorzüglicher Begabung, ein Denker und Aesthetiker von seltener Bildung und Gesinnungstüchtigkeit, wurde unter dem bescheidenen Titel eines »Theatersecretärs« mit der künstlerischen Leitung des Hofburgtheaters betraut.

Nach dem Vorausgeschickten mag man ermessen, welchen Riesenkampf Schreyvogl zu bestehen hatte, um dieses Auditorium nach und nach zu höherer Anschauungsweise zu erheben, seinen Geschmack zu veredeln und ein geistiges Verständniß in dieser Versammlung anzubahnen. Schreyvogl's Verdienst besteht zum Theile auch darin, daß er sein Reformationswerk nicht durch gewaltsame Zumuthungen plötzlich durchzuführen suchte, sondern dasselbe vorsichtig und um so sicherer betrieb. Er behielt das gewohnte Repertoire in der ersten Zeit ungeschmälert bei.

Ohne Aufsehen zu erregen, entfernte er jedoch in der Folge ein werthloses Stück nach dem anderen und ergänzte die Lücke durch zeitgemäßere Novitäten oder durch classische Werke. Nicht nur daß er selbst durch seine mustergiltigen Bearbeitungen den Wienern die spanische Literatur in einer geschmackvollen Form vorführte, auch ein glücklicher Zufall unterstützte ihn.

Ich habe oben des Censurwiderstandes gegen die Classiker erwähnt. Es ist bekannt, daß Goethe, Schiller und Lessing nur durch die wenigsten ihrer Dramen an der Wiener Hofbühne vertreten, und daß diese Werke zum Theile bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren.

Der Franzosenherrschaft im Jahre 1809 war es, wie[231] man mir erzählte, vorbehalten, dem Wiener Publicum diese Schätze zum Theile zuzuführen. Die französischen Militärbehörden fanden durchaus kein Bedenken, die Aufführung der Classiker zu gestatten und das Theater an der Wien beeilte sich, ein Schiller'sches Drama nach dem andern einzustudieren.

Als nach dem Wiener Friedensschlusse die Franzosen abgezogen waren, fanden die reactivirten Polizeibehörden diese gefährlichen freigeisterischen Geschwüre bereits eingebürgert. Einige Jahre später hatte man mit Erstaunen bemerkt, daß die Sünden dieser Darstellungen vom Herrn der Heerschaaren weder durch Sündflut noch durch Schwefelregen oder Pest bestraft worden waren und Schreivogl durfte es wagen, nach und nach diese Perlen der Literatur auf das Hofburgtheater zu verpflanzen. Diese Darstellungen der deutschen Classiker weckten nacheifernde Talente und überhaupt die österreichische Literatur, und unstreitig verdanken wir diesem Umschwung der Dinge das Erwachen der Grillparzer'schen Muse. Oesterreichs größter Dichter gab der größten deutschen Tragödin, Sophie Schröder, Gelegenheit zur glänzenden Entfaltung ihres Genies und an der unwiderstehlichen Gewalt ihrer Darstellungen lernte vielleicht zuerst der verkümmerte Geist der Zuschauer sich nach und nach zu dem Verständnisse großartiger Bühnenvorwürfe aufzuschwingen.

Das Schwierigste in Schreyvogl's Stellung war aber nicht der damalige Standpunct des Publicums, sondern sein dienstliches Verhältniß zu der Obersten Hoftheaterdirection. Das Hofburgtheater unterstand von jeher entweder hochgestellten[232] adeligen Persönlichkeiten oder dem k. k. Oberstkämmereramte. Letzteres ist nun offenbar nur berufen, eine oberste Aufsicht zu führen, erstere sind durch Erziehung, Standesbegriffe und Stellung in der Regel viel zu unbekannt mit den ästhetischen Bedürfnissen einer bedeutenden Kunstanstalt. Was ist die Folge? Daß solche Vorstände ihre individuellen Neigungen und Privatliebhabereien statt der Kunstinteressen zur Geltung zu bringen suchen und bei ihrem Einflusse auch durchsetzen, und Gegenvorstellungen für Eigensinn und Widersetzlichkeit halten.

Um so erstaunlicher ist, was Schreyvogl diesen Verhältnissen dennoch abgerungen hat.

Fast jedes Shakespeare'sche Drama zog ihm die üble Laune seines Chefs und das Nasenrümpfen gewisser Zuschauer zu, und wem fiele nicht eine beißende Stelle aus dem Schiller'schen Gedichte: »Shakespeare's Schatten« ein, wenn er an die Aeußerung einer solchen Persönlichkeit denkt: »Mon dieu, nur kein Trauerspiel! Ich habe Trauerspiel genug zu Hause!«

Mit den wachsenden Kunstaufgaben, die Schreyvogl dem Theater stellte, empfand er auch das Bedürfniß, demselben die möglichst bedeutenden Darstellungskräfte für jedes Fach zu gewinnen.

Ueber die Darstellungskräfte für das Trauerspiel habe ich bereits bei Gelegenheit meines Wiener Gastspieles gesprochen.

Für das Lustspiel hatte er vor Allem den unvergeßlichen Korn. Korn war allerdings durch sein krankes Sprachorgan[233] und durch seine vom Wiener Dialecte nicht gereinigte Aussprache an die Scholle gebunden, und ich finde nur darin eine Erklärung dafür, daß er im Auslande keine größere Geltung gefunden hat. War man aber an diese beiden Eigenheiten gewohnt, so fand man in Korn's Darstellungen der feinen Liebhaber und Bonvivants Genüsse, die man mit nichts vergleichen kann.

Dieses leichtblütige Temperament, diese schmiegsamen Körperformen, dieser sichere Tact für Alles, was in der feineren Gesellschaft bon ton genannt wird, machten ihn für seine Sphäre wie geschaffen. Er war selbst der feine Weltmann, den er auf der Bühne so hinreißend darstellte; dem Klingsberg, wie er ihn repräsentirte, verzieh man die Fehler um seiner Liebenswürdigkeit willen. Korn konnte mit einem Blick, einer Handbewegung, einem Lächeln, Räuspern eine ganze Situation beherrschen. Er war der überzeugende Darsteller des täglichen Lebens, der frohen Gegenwart.

Im Charaktersache hatte Korn Leistungen aufzuweisen, wie sie nur dem großen Schauspieler gelingen. Ich habe wenige Marinelli und Carlos in »Clavigo« kennen gelernt, die über Korn stehen und sein Giulio Romano in »Correggio« bleibt unerreichbar.

Diesem seltenen Schauspieler fehlte seit lange der würdige Partner. Er fand sich in Julie Löwe. Eine Salondame, wie sie es war, hat Wien vor ihr nie besessen. Wenn Julie Löwe eine Frau von Stande vorzustellen hatte, so konnte jede Dame der Aristokratie an ihr die Formen des Umgangs, den Geschmack sich zu kleiden, bewundern.[234]

Eine Baronin Holmbach in »Stille Wasser sind tief«, eine Baronin Waldhöll in »Das letzte Mittel«, eine Fürstin in »Elise Valberg« und »Hotel von Wiburg«, wie sie Julie Löwe zu schaffen wußte, hat Wien auch nach ihr nicht wiedergesehen und die künstlerischen Duo's zwischen ihr und Korn sind jedem Zeitgenossen unvergeßlich.

Für tragische Rollen fehlten ihr die sprachlichen Mittel, und so vollendet z. B. ihre Repräsentation der Stuart war, so wirkte ihre Darstellung doch nur im ersten und fünften Acte bedeutend; der leidenschaftliche Ausbruch im dritten Acte schwang sich bis zur hinreißenden Gewalt niemals auf.

Korn's Gattin, die vormals vielbeliebte Beherrscherin des naiven Faches, kämpfte bereits mit den für dieses Fach gefährlichen Jahren, weshalb auch bald der größte Theil ihres Repertoires an meine Frau überging.

Koch und Krüger, die würdigen Meister im Fache der zärtlichen Väter und humoristischen Alten im bürgerlichen Drama und im Lustspiele, gingen nach und nach dem Abende ihrer glänzenden Laufbahn entgegen. Von ersterem lernte ich nur ehrwürdige Ruinen kennen; von letzterem dagegen bewunderte ich in den nächsten Jahren noch so manche Pendants zu jenen köstlichen Leistungen, die mich schon in Leipzig entzückt hatten. Wem, der ihn gekannt hat, sind nicht Darstellungen wie Graf Almaviva, Amtsrath Herbert im »Hotel von Wiburg«, Graf Prahlenstein im »Bräutigam aus Mexico« unvergeßlich?

Mit beiden im Vereine vollendete Costenoble, der polternde Alte par excellence, eine prachtvolle Trias. Baron[235] Sachou in »Entführung,« Hermann in »Er mengt sich in Alles,« Magister Schnudrian in »Sorgen ohne Noth,« Bach in »Amerikaner,« Vortheil in »Nummer 777,« Hettmann in »Benjovsky,« Hild in »Garrick in Bristol« waren ergötzliche Darstellungen.

Was man auch zu ihrer Zeit an diesen Darstellern im Einzelnen ausstellen mochte, sie waren Charakteristiker und wirkten durch unwiderstehliche Wahrheit.

Wothe ist in seiner letzten Zeit vielfach angefeindet und schließlich unbillig behandelt worden.

Wothe hat Fehler gehabt, namentlich war er nicht frei von Uebertreibung. Und das hat man ihm heutzutage zum Verbrechen gemacht!!

Wothe war aber ein entschiedenes Talent im niedrigkomischen Fache. Er ist bis heute einer der besten Schelle in den »Schleichhändlern«. Auch gehörte er zu jenen Komikern, die nicht gleich beim Auftreten die Lachmuskeln reizen zu müssen glauben. Wothe konnte auch in ernsten Stücken verwendet werden, ohne daß ihm das Publicum entgegenlachte. Auch war ihm die Gemeinheit fremd, ernste Situationen durch Hanswurstbewegungen absichtlich zu verderben.

Daß Wothe benutzt wurde, den König in der »Jungfrau von Orleans«, Tybalt und den Edmund im »Lear« zu spielen, läßt sich bei Schreyvogl's Kenntnissen und Erfahrungen nur aus einem auffallenden Personenmangel erklären, aber bezeichnend ist es für den Schauspieler und das Publicum, daß letzteres in seiner Erscheinung nicht eine Nothwendigkeit erkannte, sein Verständniß durch Lachen zu beweisen.[236]

Der alte Wagner, der privilegirte Bediente, Knappe und Bauer, war in seiner Aussprache so »urwienerisch« fehlerhaft, daß er außerhalb Niederösterreich als Schauspieler unmöglich war. Abgesehen hievon, ist er in seinem Fache noch heute nicht ersetzt. Der Pachter in den »Hagestolzen,« Dominik im »Taubstummen,« Jacob im »Spieler,« waren charakteristische Figuren und an seinen Gottschalk im »Käthchen von Heilbronn« denke ich mit Dankbarkeit zurück.

Moreau, der grobe Gerichtsdiener, der Schwätzer par excellence, Reil, der treue Diener, Schullehrer und Pastor (Rector wollt' ich sagen), waren höchst verdienstliche Mitglieder.

Johanna Weißenthurn hat sich eine ehrenvolle Stelle in der Literaturgeschichte erworben und die Dichterin war zu ihrer Zeit auf allen deutschen Bühnen rühmlich anerkannt.

Ich habe sie als Frau von siebenundvierzig Jahren kennen gelernt und habe daher über ihre bedeutendsten Schauspielerzeiten kein autoptisches Urtheil. Ihre sentimentalen Mütterrollen zeigten die verständige Frau, die routinirte Schauspielerin, aber niemals habe ich durch sie bedeutende Eindrücke empfangen.

Sophie Koberwein, früher als Liebhaberin im muntern und ernsten Fache, ja selbst im Trauerspiele wirksam, begann soeben mit dem Uebertritte in ihre glänzendste Periode und beherrschte bis zu ihrem Ende das Fach der komischen Alten als Meisterin, mitunter nicht frei von starker Uebertreibung, aber unverwüstlich wirksam und ergötzlich.

Magdalena Hruschka-Poller und Nina Lefèvre waren[237] tüchtige und höchst verdienstvolle Schauspielerinnen im Fache intriguanter Frauenrollen. Warum aber erstere als Jerta gemalt wurde, habe ich nie begreifen können.

Eine höchst angenehme Schauspielerin war die zwanzigjährige Louise Weber, ein liebliches, elastisches Talent, welches im Conversationsstücke, wie in höheren Dramen als ernste Liebhaberin vielleicht eine bedeutende Zukunft gehabt hätte, wenn sie nicht durch ungünstige Verhältnisse zurückgedrängt und endlich durch einen frühzeitigen Tod in ihrer Laufbahn unterbrochen worden wäre.

Das Hofburgtheater war im Jahre 1820 in vielen Beziehungen vortheilhafter gestellt, als heutzutage. Die Casse war durch so bedeutende Gagen und so umfangreiches Personal wie jetzt nicht in Anspruch genommen; die Finanz- und Lebensverhältnisse in Oesterreich waren glücklichere und mit Beihilfe einer Dotation von 40,000 fl. C. M. war die Direction im Stande, das Theater auf dem Fuße eines Hofamtes zu erhalten. Das Theater besaß einen ansehnlichen fundus instructus, namentlich an Garderobe; Fürsten und Standespersonen bewegten sich wirklich in Sammt und Seide; die meisten Stücke hatten ihre eigene Ausstattung, die Garderobe wanderte nicht von einem Leibe zum andern, die Damen verwahrten die Garderobe für die ihnen zugetheilten Rollen im eigenen Hause, bezogen für Costümstücke bei jeder dritten Vorstellung die Handschuhe, bei jeder vierten Vorstellung die Fußbekleidung neu aus der Garderobe. Diese Reichhaltigkeit der Garderobe machte natürlich die Nachschaffung leichter und man[238] fand es öconomischer, jährlich 20,000 fl. als vielleicht später 200,000 fl. auf Einmal auszugeben.

Die Comparserie war freilich schon damals nicht glänzend ausstaffirt. So z. B. gingen die Soldaten, die damals noch Comparsendienste leisten durften und mit dem Silberzwanziger-Spielgeld sehr einverstanden waren, in allen mittelalterlichen Komödien in ihren Gamaschen und hatten darüber nur ein Collett an. Ja ich erinnere mich sogar, daß die römischen Helden in »Regulus,« »Coriolan« und »Belisar« unter den Tuniken die verrätherischen schwarzen Waden zur Schau trugen, und dazu mit ihren reglementsmäßigen Backenbärten recht fidel blickten.

In decorativer Beziehung wurde Anständiges aber nicht mehr geleistet und schon damals war es Sitte, die Zimmer mit zwei Tischen und vier Stühlen zu möbliren.

Allein das Publicum bedurfte nicht mehr. Es übersah diese Nebendinge und beschäftigte sich mit der Hauptsache, mit dem Worte des Dichters und der Leistung des Schauspielers. Es herrschte noch mehr die Bereitwilligkeit vor, das Fehlende durch die Phantasie zu ergänzen. Das hat sich freilich jetzt geändert. Die Jugend und die Mittelclasse, welche den Olymp und die offenen Plätze bevölkern, sind dieselben geblieben, in einen andern Theil des Publicums ist aber ein Materialismus und Realismus gefahren, gegen welchen die leinwandene Welt hinter den Lampen vergebens ankämpft. Wenn dieser Theil der Zuschauer beim Thee sitzt, so weiß er wohl, ob die Schauspielerinnen[239] nach dem letzten Journal gekleidet waren, oder ob der Schauspieler N. N. sich in der Uniform gut benommen hat, vom Stücke weiß er gewöhnlich kein Sterbenswörtchen.

Auf den Sperrsitzen gähnt die Geschäftswelt, sie sind zwar froh, daß die Feierstunde da ist; weil sie aber auch diese nur dazu benützen, um sich ängstlich nach »Franzosen«, »Amerikanern« und »Credit« zu erkundigen, so haben sie nicht Zeit, dem Schauspiel zu folgen. Sie sprechen unter der Scene von der Abendbörse, begnügen sich dann und wann einen Blick auf die Bühne zu werfen und wenn sie dann den Zusammenhang nicht finden, so ist das Stück »fades Zeug«. Für diese Classe Zuschauer sind die einactigen Stücke die angenehmsten; wenn sie während des einen geschwatzt haben, so haben sie doch das nächste in Aussicht.

Die Regie, welche damals aus dem vierfachen K bestand: Koch, Krüger, Koberwein und Korn, besaß zu Anfang des Jahrhunderts große Machtvollkommenheiten, die ihr entscheidenden Einfluß auf Engagementsabschlüsse, Gastspiele, Annahme von Stücken und Rollenbesetzung gestatteten. Zum Theil hatte sie diese Rechte an Schreyvogl bereits abtreten müssen, dennoch war ihr Wirkungskreis noch immer ein bedeutender und die artistische Inscenesetzung war ihr völlig überlassen; auch war sie berufen, auf die Feststellung des Repertoires, resp. auf eine angemessene Vertheilung der Darstellungskräfte Einfluß zu nehmen. Heute ist das Amt der Regisseure[240] zu einem bloßen Titel geworden, nachdem die Regie mit der artistischen Direction verbunden ist.

Ich habe oben bemerkt, daß das Hofburgtheater früher nach einem gewissen Hofton verwaltet wurde. Dieser Hofton machte sich wahrlich zum größten Vortheile des Ganzen im Verkehre zwischen Direction und Schauspielern und zwischen den Mitgliedern selbst fühlbar.

Im Bewußtsein, daß sie dem Hoftheater nächst der Burg angehörten, beobachteten die Mitglieder, sobald sie die Räume des Theaters betreten hatten, eine gewisse Feinheit gegenseitigen Benehmens, auf der Bühne hinter den Coulissen ging es nie tumultuarisch und wüst zu. Auch zu jener Zeit wußte die geheime Chronik zu erzählen, daß Schauspieler und Schauspielerinen nicht immer nur ihre Kunst, sondern auch sich und Andere mit Liebe umfaßten; aber diese Privatangelegenheiten wurden in den respectiven Wohnungen abgewickelt; hinter den Coulissen hätte man vergeblich die schmachtenden Gruppen und die Kneipengespräche gesucht, wodurch die jungen Schauspieler zum Theile zu beweisen streben, daß sie aufgeweckte Geister sind. Kunstenthusiasmus, Zeitungsruhm und Schneiderrechnungen durch unfreiwillige Liebe zu bezahlen, war noch keine Regel geworden. Im Foyer fehlte es nicht an heiterer Unterhaltung, ein freier Scherz wurde als Ausnahme verziehen, aber die ganze Versammlung trug den Charakter einer seinen Gesellschaft. Das war ungefähr der Zustand des Burgtheaters, als ich am 11. Mai 182l die Donaubrücken passirte und dem riesigen Wegweiser St. Stefan entgegenfuhr, um meine neue Stellung einzunehmen, die ich unter der herzlichsten Begrüßung[241] des Publicums am 16. Mai mit der Rolle des Don Gutierre antrat.1

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 223-242.
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