10.


[339] Das Burgtheater entwickelte im Herbste und Winter 1827 auf 1828 eine große Thätigkeit. Nachdem Deinhardstein's beste Arbeit: »Hans Sachs,« einen dauernd beifälligen Erfolg errungen hatte, folgten hierauf Raupach's »Isidor und Olga« und »Wallenstein« in einer neuen Scenirung, in welcher die Titelrolle auf mich überging.

Das Lager war damals noch ganz verpönt.

Auch den Questenberg durchzubringen, gelang Schreyvogl nicht; die Audienzscene war nun einmal gegen den Katechismus der Censur. Ohne Questenberg gibt es aber keine Piccolomini. Schreyvogl mußte daher auf eine andere Auskunft denken. Er machte das Bankett und den letzten Act der »Piccolomini« zum ersten Acte der neuen Einrichtung und »Wallenstein's Tod« mit unvermeidlichen Kürzungen bildete die vier folgenden Acte.

Der Eingang mit dem Bankett und die große Scene zwischen den Piccolomini brachte große Lebendigkeit in die Exposition, die Gestalten des Octavio und Max gewannen durch die Vorstellung an einem Abend an Bedeutung; der Entschluß des Max den Herzog zu fragen, schloß sich nun unmittelbar an die[339] Scene im astrologischen Thurme an. Aus »Wallenstein's Tod« fehlte von Bedeutung nichts als die Scene zwischen Buttler und den beiden Hauptleuten Deveroux und Macdonald.

Wenn ich übrigens von dem angenehmen Eindrucke der Schreyvogl'schen Wallenstein-Einrichtung sprach, so setzte ich natürlich die früheren Censurverhältnisse voraus. Es versteht sich von selbst, daß man an Bühnen, wo es gestattet ist, die Trilogie unverändert darstellt, und es dem gebildeten Publicum überläßt, den Schluß der Piccolomini in Gedanken zu ergänzen.

Sechs Jahre war »Wallenstein« in dieser Gestalt eingebürgert, als derselbe »Kunstkenner«, der Grillparzer's »Ottokar« beseitigt hatte, auch Schiller's chef d'oeuvre und Shakespeare's »Lear« mit der Bemerkung: »Ah was, ›Lear‹ und ›Wallenstein‹ immer diese ungenießbaren Trauerspiele!« auf Jahre in die Registratur verwies. »Es muß auch solche Käuze geben!«

Die erste Darstellung eines Grillparzer'schen Werkes gehörte damals zu den Wiener Theaterfesten.

Der Februar 1828 brachte den Wienern ein solches Fest. »Ein treuer Diener seines Herrn« ging in Scene.

Die Kritik und namentlich ungarische Stimmen haben die Gestalt des Bankbanus als eine durch Hyperidealisirung der Vasallentreue gekünstelte bezeichnet, und dem Dichter mit Unrecht Servilismus vorgeworfen.

Ich bin kein Kritiker, ich erhebe mich mit meinen Anschauungen nicht über den Standpunct, den jeder denkende Schauspieler einnehmen muß. Mir aber war Bankbanus ein Gegenstand des reichsten Interesse.

Ich will gerne glauben, daß ein ungarischer Magnat nach[340] der Zeit des politischen Verfalles von Ungarn, daß ein Magnat von 30 Jahren, dem Verachtung, Verhöhnung, despotische Gewaltthat zugefügt, dem ein schuldloses, geliebtes Weib indirect gemordet wird, gegen seine Feinde sich minder schonend betragen, und sich vielleicht bis zum Widerstande gegen seinen König verleiten lassen würde. Aber Bankbanus ist ein Greis und das Kind einer Zeit, wo blinde Vasallentreue noch ein herrschender Adelsbegriff war; er ist grau geworden im treuen Dienste seines Herrn, der ihn stets durch Gnade und Vertrauen ausgezeichnet hat, und ihn am höchsten ehrt, indem er ihn gegen die Wünsche der Königin in seiner Abwesenheit zum Reichsverweser macht.

Sein König vertraut seinem Rath das Reich, seinem Schutze Weib und Kind mit der Mahnung, daß, wenn er seiner Aufgabe nicht gerecht werde, sein ruhmlos' Grab die Inschrift tragen solle:


»Er war ein Greis und konnte sich nicht zügeln,

Er war ein Ungar und vergaß der Treu',

Er war ein Mann und hat nicht Wort gehalten.«


Bankbanus fühlt und spricht es aus, daß er dazu nicht tauge. Aber König Andreas erwiedert: »Dein Weigern zeigt mir, daß ich recht gewählt.«

Bankbanus hat recht geurtheilt. Die Königin, erbittert, daß ein Vasall ihrem Bruder Otto von Meran vorgezogen worden, erschöpft sich, Letzterem zu gefallen, in Beweisen von Geringschätzung und Widerwillen gegen Bankbanus, und begünstigt schon deshalb des Prinzen unlautere Absichten auf Bankbanus junge Gattin. Als diese darüber erschrickt, sich selbst für[341] schuldig hält, da tritt er ihr mit der ganzen Milde eines Vaters entgegen. Auf ihren Wunsch, auf ihres Vaters Wunsch begab sie sich in Bankbanus Schutz und ward sein Weib. Hier ist von jenem leidenschaftlichen Schmerze eines heftig liebenden Gatten nicht die Rede. Als daher Erny, um dem drohenden brutalen Angriffe des Prinzen zu entgehen, sich den Tod gegeben hat, ist Bankban inmitten des unendlichen Weh's, das die Brust des väterlichen Freundes zerreißt, noch Herr seines Urtheiles. Was kann mein Herr und König für die Vergehen seines Weibes und seines Schwagers?

Als Bankbanus Bruder und Schwager, um Erny's Tod zu rächen, die Auslieferung des Prinzen Otto von Meran begehren und auf die Weigerung der Königin zur Erstürmung des Schlosses schreiten, da erkennt er klar den schmalen Weg der Pflicht. Er will die Königin und ihr Kind retten, und als Gertrud, auf Otto zeigend, fragt: »Und dieser?« antwortet er: »Ich will nicht seh'n, wer euren Schritten folgt.« Aus Treue für seinen König ist der Greis im Stande, selbst den Mörder seines Weibes zu retten. Der Eingang des fünften Actes gehört zu dem Ergreifendsten, was Grillparzer geschaffen hat, und als Bankbanus durch den Eindruck seiner unbestochenen Rechtlichkeit die rebellische Hauptstadt zur Pflicht gebracht, die Rädelsführer, Bruder und Schwager in Ketten geschlagen und den geretteten Bela in des Vaters Arme gelegt hat, kann er allerdings vor dem Königskinde mit dem einzigen Troste erfüllter Vasallenpflicht niederknien und sich selbst das stolze Zeugniß geben:


»I nu, ein treuer Diener seines Herrn!«
[342]

In diesem Begriffe von hingebender Treue gegen den Thron unter allen Verhältnissen liegt, vom Standpunct der Feudalzeit betrachtet, wirklich Größe. Unserer Zeit fehlt jede Grundlage zum Verständnisse solcher Ansichten und nur dadurch erscheint das Drama fremdartig.

»Ein treuer Diener seines Herrn« war ein gerngesehenes, oft wiederholtes Stück, und gehörte zu den Censuropfern der politischen Verhältnisse nach der französischen Julirevolution. Es theilte das Schicksal mit »Tell«, »Fiesco« und »König Heinrich IV.«

Shakespeare's »Heinrich IV.« (erster Theil) wurde von der Regie als Beneficevorstellung gewählt und gelangte im März 1828 zur Darstellung.

So groß meine Freude war, als die Rolle Falstaff's an mich kam, eben so groß erschien mir auch die Aufgabe, diesen Ausbund unter den Gestalten der dramatischen Muse darzustellen. Falstaff ist ein unbegüterter, durch Wohlleben herabgekommener Edelmann, der aller Orten die schmutzigsten Schulden macht und der Bezahlung durch vornehme Frechheit ausweicht. Er würde in Noth gerathen, wenn er sich nicht hätte entschließen können, das Leben eines Schmarotzers zu führen. Um das zu können, muß er nothwendig auf reiche Gesinnungsgenossen und Zechbrüder reflectiren. Der Hang des ausgelassenen Prinzen von Wales, die Spelunken des Lasters und der Sünde aufzusuchen, »um die Sonne zu spielen, die niedrigem Gewölke erlaubt zu dämpfen ihre Schönheit,« bringt Falstaff zuerst in Heinrichs Nähe. Die Zudringlichkeit sogenannter verschämter Bettler ist zu allen Zeiten[343] dieselbe gewesen. Um von dem Beutel des Prinzen zu profitiren, denkt er darauf, diesem zu gefallen. Als das sicherste Mittel erscheint ihm, Heinrichs lockeren Gesinnungen zu schmeicheln, sie wo möglich zu unterstützen, denn Heinrich ist ihm nur so lange gewiß, als es ihm gelingt, ihn in seinem gedankenlosen Leichtsinn zu erhalten. Der Drang, sich dem Prinzen als Gesellschafter unentbehrlich zu machen, führt ihn zu dem traurigen Amte, Heinrich durch freche Ergötzlichkeiten zu unterhalten, durch liederliche Abenteuer zu zerstreuen und durch seinen Humor zu erheitern. Diesem unerschöpflichen Borne kommt er durch Ausschmückung seiner Erzählungen zu Hilfe. Die Ausschmückung wird zur Uebertreibung, Renommage und endlich zur handgreiflichen Gewo hnheitslüge. Falstaff ist ein moralischer Taugenichts, aber er ist es mit einer Art von Grazie und Liebenswürdigkeit. Um von dem Prinzen gefüttert und geduldet zu werden, macht er sich zu seinem Narren, zu seinem Hanswurst, aber bei allen Liederlichkeiten bewahrt er in Heinrichs Gegenwart einen gewissen edelmännischen Schliff, eine Art äußerer Tournüre. Man sehe ihn nur in des Prinzen oder in Gesellschaft der noch unter ihm (Falstaff) stehenden Gauner und Wegelagerer. (Wirthshausscene 3. Act, 1. Theil, und 2. Act 2. Theil.) Vor dem Prinzen ist er »Bonhomme« und auch in der gemeinsten Ausschweifung, bei der größten moralischen Versunkenheit blitzen noch einzelne Funken adeliger Erziehung und jenes äußerlichen Anstandes durch, die diesem Stande selbst in der scheußlichsten Entartung durch Geburt anhängen. Aber ein solches Zerrbild der Gottheit muß nothwendig auch die niedrigste Eigenschaft des Schwächlings, Feigheit besitzen.[344]

Diese macht ihn großsprecherisch, wo er sich sich er fühlt, und erbärmlich in der Gefahr.

Zu Shakespeare's Zeiten mag es viel leichter gewesen sein, als Falstaff zu genügen, denn damals, wo ein derberer, roherer Ton auf der Bühne herrschte, wo die Sitte das Frauengeschlecht aus dem Zuschauerraum und aus der Reihe der Schauspieler ferne hielt, konnte sich der Darsteller ungleich mehr erlauben, um diese Gestalt ganz so grotesk auszuführen, wie sie Shakespeare's Fantasie sich gedacht und der Dichter selbst erläutert hat. Unser verfeinertes Jahrhundert fordert dieselbe ergötzliche Wirkung aber in einer conventionellen Form. Es soll eben auf der Bühne selbst dem Caliban die Grazie der Kunst nicht fehlen, und jede Zeit hat ein Recht, ihre Anschauungen und Grundsätze respectirt zu sehen. Ich gehe aber noch weiter, ich behaupte, Falstaff ist nicht minder wirksam, wenn er innerhalb gewisser Schranken gehalten wird, und die genialsten Darsteller der Rolle haben das befolgt.

Nicht nur der theatralische Erfolg, sondern das Urtheil competenter Richter haben mir die Ueberzeugung verschafft, daß ich mit Auffassung und Darstellung des Falstaff nicht unglücklich war, und als ich zehn Jahre später den Falstaff als Gastrolle in Dresden gab, errang ich damit die angenehmste Heiterkeit und den lautesten Beifall Tieck's, der mir die Ehre anthat, nach dieser Vorstellung meiner in Dresden engagirten Tochter den Rath zu ertheilen, von mir die Grazie im Komischen zu lernen. Die größte Genugthuung wares mir noch in späten Jahren, daß geachtete Stimmen sich aussprachen, meine Darstellung Falstaff's stehe vollkommen ebenbürtig neben jener König Lear's.[345]

Mir ist die Rolle Falstaff's deshalb noch besonders denkwürdig, weil es die letzte Shakespeare'sche Hauptrolle war, die ich neu zur Darstellung brachte.

Der Erfolg König »Heinrichs IV.« war für einen Mann wie Schreyvogl eine unwiderstehliche Aufforderung, den zweiten Theil binnen Kurzem nachfolgen zu lassen. Aber wie es mit den meisten Fortsetzungen von Dramen geht, so war es auch hier. Das lebensvolle concentrische Bild des ersten Theiles konnte der Zuschauer in dem zweiten Theile nicht wieder finden, und die komischen Scenen konnten das mangelnde Interesse für den politischen Theil der Handlung nicht ersetzen. Schon Schreyvogl kam auf den Gedanken, den ersten Theil in vier Acte zusammenzudrängen, und Fragmente des zweiten Theiles zu einem letzten Acte zusammenzustellen. Dieser bestand aus der Begegnung Falstaff's mit dem Oberrichter und der Todesscene des Königs, aus der ergötzlichen Scene Falstaff's bei der Nachricht dieses Todesfalles und aus der Schlußscene des zweiten Theiles. Aber es blieb nur ein Experiment und es geht jetzt mit der Wiederaufnahme dieser Einrichtung durch Director Laube nicht besser. Man thut am besten, auch hierin Schreyvogl's Beispiel nachzuahmen, der den ersten Theil wieder herstellte, und diesen allein aufführen ließ.


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 339-346.
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