15.


[392] Ich habe bereits früher von der Entweichung Sofie Schröder's aus ihrem ersten Wiener Engagement gesprochen. Vierthalb Jahre waren seitdem verstrichen und die nunmehrige k. bairische Hofschauspielerin bewarb sich um ein Gastspiel am Hofburgtheater. Die Zeit heilt die tiefsten Wunden. Der Unmuth über den damaligen Schritt der großen Künstlerin war verraucht und nur die Erinnerung an das, was sie in Wien geleistet und was man mit ihr verloren hatte, lebte unvergessen fort. Dieser glänzenden Erinnerung und der Ueberzeugung, daß man von der gefeierten Tragödin die höchsten Genüsse zu erwarten habe, war es zu danken, daß sich der in ähnlichen Fällen unerbittliche Kaiser Franz zu der Genehmigung des Gastspieles mit den Worten bewegen ließ: »Na ja, wann's die Schröder ist, so laßt sie kommen!«

Mitte März eröffnete Sofie Schröder dieses Gastspiel, welches sich über zwei Monate ausdehnte. Von dem Jubel des[392] Publicums bei ihrem ersten Erscheinen habe ich bereits Erwähnung gethan. Der Kaiser selbst war gekommen, um sich an der enthusiastischen Begrüßung zu betheiligen.

Sophie Schröder feierte ein neues Siegesfest. In diesem Gastspiele führte sie den Wienern noch einmal fast das ganze Repertoire vor, das ihren Namen durch Deutschland getragen hatte.

Im Frühjahre 1833 genoß man diese Kunstleistungen noch völlig unverändert; die Zeit hatte noch nichts daran verwischt und dieser Eindruck war auch der maßgebende, als die Künstlerin nach dem Tode des Kaisers zu einem abermaligen Gastspiele eingeladen wurde, dem ihr Wiedereintritt in den Verband des Burgtheaters leider nur für wenige Jahre folgte.

Für den Sommer hatte ich ein Gastspiel in Breslau und Dresden erhalten.

Die freudige Erwartung, meine Breslauer Freunde wieder zu begrüßen, war erst kürzlich dadurch genährt worden, daß ein junger Mann, der wohlbekannte Komiker Hausmann, mir ein Empfehlungsschreiben Schall's überbracht hatte.

Der ernste Ton, den der sonst lebensfrohe Schreiber anschlug, ließ mich Schlimmes besorgen. Ich sollte ihn sterbend wiedersehen.7 Dagegen fand ich meinen bewährten Freund[393] Mosewius zwar nicht mehr als Opernsänger, aber als Musikdirector der Singakademie der Aula wieder.

Auch lernte ich hier den wackeren Schauspieler Baudius kennen, den Nasenkünstler, wie ihn später der Uebermuth seiner[394] Leipziger Collegen taufte, weil Baudius ein übertriebenes Maß von Mühe und Zeit dazu verwendete, mannigfaltige Gesichtsmasken durch Schminke und namentlich durch Aufklebung falscher Nasen zu ersinnen. Baudius hatte die seltene Ausdauer, sich 4–5 Stunden vor Beginn einer wichtigen Vorstellung zur Toilette in der Garderobe zu setzen und hier eine Reihe von Gesichtsmasken fertig zu machen und zu verwerfen, bis ihm eine zusagte. Er hatte sich dieser Liebhaberei zu Gefallen sogar zu dem Opfer entschlossen, seine Augenbrauen wegzubeizen, um diese nach Belieben künstlich anzubringen.

Während seines kurzen Engagements am Hofburgtheater spielte ihm diese Nasenleidenschaft einen drolligen Streich. Er hatte den Melvil in »Maria Stuart« zu spielen. An einem schwülen Sommernachmittag begibt er sich um fünf Uhr in seine Garderobe, um den treuen Haushofmeister und heimlichen Beichtvater durch eine sinnreiche Nase zu verewigen. Um nicht gestört zu werden, hatte er sich glücklicherweise sogleich costümirt. Nun drechselte er unermüdlich bald längere, bald kürzere, bald stumpfe, bald spitze Nasen, um die Treue im Gesichte zur Schau zu tragen. So hatte er, von der Tageslänge irregeführt, in seinem Atelier gearbeitet:


»Wie lange Zeit, das konnt' er nicht ermessen,

Denn alles Maß der Zeiten war vergessen.«


Da ruft man zu seiner Thür herein: »Herr Baudius, der fünfte Act fängt an!« Eben hatte er eine herrliche Nase als ungenügend abgerissen und nun, o Schicksal, nach vierstündigem Bemühen muß er sich rasch abwischen, ein Paar[395] Wangen schminken und ohne Nase, will sagen mit seiner eigenen, hinausstürzen.

Eine andere belustigende Anecdote passirte ihm während meines Gastspieles in Breslau. Er spielte den Edmund in, »König Lear«. Es war die scenische Anordnung getroffen, daß der getödtete Edmund bis zur nächsten Verwandlung auf der Scene liegen bleiben und sodann von brittischen Soldaten weggetragen werden sollte. Die Scene war zu Ende, Baudius lag entseelt, aber die Soldaten erschienen nicht. Eine peinliche Pause tritt ein. Da ruft aus dem vollgepfropften Parterre, das größtentheils von Studenten occupirt war, die Stimme eines Musensohnes: »Herr Baudius, stehen Sie auf.« Baudius rührt sich nicht. »Bester Herr Baudius, stehen Sie auf, Sie sehen, es kommt Niemand.« Baudius liegt regungslos. »Herr Baudius, gehen Sie in Gottesnamen nach Hause, man hat Sie vergessen.« Endlich erhebt sich Edmund-Baudius, verbeugt sich gegen das Auditorium und mit den Worten: »Wenn Sie gütigst erlauben,« entfernt er sich. Kaum ist er in der Coulisse, so erscheinen von der entgegengesetzten Seite vier Soldaten. »Ist schon fort,« schallt ihnen unter homerischem Gelächter entgegen und die betroffenen Krieger marschiren wieder davon.

Von der größten Bedeutung für mich war mein erstes Gastspiel in Dresden, obgleich es nur vier Rollen umfaßte: Wallenstein, Lear, Belisar und Abbé de l'Epée.

Ich sollte zum ersten Mal vor ein Publicum treten, welches über die Künstler geurtheilt hatte, die meiner Laufbahn als Vorbilder gedient und meinen Kunstenthusiasmus entzündet[396] hatten. Hier war die künstlerische Heimat jener sächsischen Hofschauspieler gewesen, deren Leistungen mich von 1794–1807 begeistert hatten. Aber ich fand nur noch die Matrone Hartwig, alle Andern ruhten bereits in dunkler Erde; Friederike Schirmer-Christ war wenige Monate vor meinem Eintreffen gestorben.

Aber ich fand hier bei meinen wiederholten Gastspielen einen neuen Areopag gefeierter Namen, neben denen seine Kräfte zu messen schon an sich eine ehrenvolle Aufgabe war. Hier wirkte die Hartwig, das Ehepaar Werdy, Burmeister, Pauli, das Ehepaar Rettich, Marie Berg, später Caroline Bauer, Waimar, Porth und vor allen Emil Devrient, letzterer bereits in der vollen Entwickelung seines Talentes und im Vollbesitze der allgemeinen Gunst. In der Oper herrschte, Alles verdunkelnd, Wilhelmine Schröder-Devrient, die gleichberühmte Tochter der berühmten Mutter; neben ihr wirkten Wächter, Babnigg, Schuster, Zope, die Schubert (Maschinka-Schneider), Wüst u.s.w.

Eine ganz besondere Befriedigung gewährte mir die theilnehmende Aufmerksamkeit, welche mir Ludwig Tieck schenkte. Er ließ sich mit mir in eingehende Besprechungen über »Lear«, »Macbeth« und »Othello« ein und versicherte mir zu meiner größten Freude, daß wir in allen wesentlichen Puncten von derselben Anschauung geleitet wären. Auf meine Anregung gab er auch eine Vorlesung der Wallenstein-Trilogie zum Besten, die für mich von unschätzbarem Werthe war und mir über manche Stelle des großen Werkes neuerdings zu denken gab. Ein zweites Geschenk machte er mir mit der Vorlesung[397] des »gestiefelten Katers« und ich erinnere mich nicht, in großer Gesellschaft so übermäßig laut gelacht zu haben, als an diesem unvergeßlichen Abend. Im Bereiche des Lustspieles habe ich nie wieder einen ähnlichen Genuß gehabt, wie durch Tieck's Vorlesungen, der noch während meiner Anwesenheit einige Holberg'sche Lustspiele und Komödien der Spanier vortrug. Fast jeden Abend, der nicht durch das Theater oder durch Ausflüge in die reizende Umgebung Dresdens in Anspruch genommen war, brachte ich bei dem Heros der Romantik zu. Tieck hatte eine der wohlthuendsten Eigenschaften des großen Geistes: er belehrte im Gespräche, ohne Lehrer sein zu wollen und ohne seine Ueberlegenheit fühlen zu lassen. Er ließ sich mit immer gleichem Wohlwollen zu dem Ideenkreise eines Jeden herab, bei dem er ein ernstes Streben zu erkennen glaubte, aber unerbittlich schwang er das Schwert seines Geistes und die Ruthe des Spottes, wenn ihm hohle Anmaßung entgegentrat.

Unter den jüngern Mitgliedern des Dresdner Hoftheaters trat mir als bedeutendste Erscheinung Emil Devrient entgegen.

Emil Devrient ist nach meiner Ansicht der glücklichste Schauspieler, den die Kunstgeschichte aufzuweisen hat. Ihm hat die Natur seine Kunst so leicht gemacht, daß er sie spielend ausübt. Einen großen Namen als Empfehlungsbrief in die Welt mitnehmend, hat er das Gewicht dieses Namens nicht nur zu ertragen gewußt, sondern ihn durch den eigenen Ruf in Ehren gehalten und ist für sein Streben mit einem materiellen Erfolg belohnt, der im Bereiche des recitirenden Schauspieles ohne gleichen dasteht. Noch in voller Kraft ist ihm das Loos beschieden, der Ruhe zu pflegen und nach Gefallen[398] aus seinem Tusculum hervorzutreten, um das Publicum noch durch periodische Sonnenblicke seines Künstlerherbstes zu erfreuen.

Carl Devrient war in schauspielerischer Beziehung von der Natur noch weit günstiger ausgestattet, ja durch etwas entschieden Kräftiges und Männliches in Gestalt und Gesichtszügen für Heldenrollen offenbar mehr geeignet, als der schwächere und weichere Emil. Auch in Carl Devrient lebte ein Funke des Devri ent'schen Familienschatzes »Talent«.

Ich lernte Carl Devrient 1829 kennen, wo er am Hofburgtheater gastirte und mir einen Empfehlungsbrief von Tieck überbrachte.8 Schon dieser Umstand machte mich auf den jungen Schauspieler aufmerksam.[399]

Eduard Devrient, den hochgeachteten Geschichtschreiber unserer Kunst, habe ich auf der Bühne ein einziges Mal gesehen, und ich habe aufrichtig beklagt, daß es mir nicht vergönnt war, dem bedeutenden Mann näher zu stehen. Es ist mir beim Gedanken an ihn oft das Wort eingefallen: »Die Menschen sollten alle in einer Stadt beisammen wohnen.«

Im Frühjahre 1834 hatte ich einige Ersparnisse dazu benützt, mich in Besitz eines Landhäuschens mit Garten zu setzen, das in Pötzleinsdorf nächst Wien feilgeboten worden war. Hier in meinem Tusculum gab ich mich mit Vorliebe durch eine Reihe von Jahren einer Beschäftigung hin, die eigentli ch nur aus einer Sprachübung entstanden ist.

Es drängte sich mir als Schauspieler sehr bald die Erfahrung auf, wie unentbehrlich auf der Bühne die Kenntniß einer oder der andern lebenden Sprache ist. In meiner Jugendzeit lernte man auf den Schulen Lateinisch und Griechisch, aber von Französisch, Englisch u. dgl. schrieb Apostel Paulus nichts. Während der Wanderjahre fand ich neben meinen Berufsgeschäften nicht die erforderliche Muße.[400]

Als nun meine Kinder nach dem Bedürfnisse unserer Tage französischen Unterricht erhielten, fing auch ich an das Versäumte nachzuholen und die Sprache grammatikalisch zu erlernen. Ich brachte es zwar nicht zum Sprechen; zur Conversation in fremder Sprache, die man nicht als Kind erlernt, gehören besondere Anlagen, die mir fehlen. Schriftlich aber lernte ich die französische Sprache gebrauchen, und habe, unter Anleitung meines Lehrers, Kotzebue's »Epigramm« und »Brandschatzung« in's Französische übersetzt.

Im Jahre 1832 hatte die damalige Gesellschaft der Musikfreunde ein Concert veranstaltet, wobei die alte, mir aus der Schulzeit bekannte Musik zu Racine's »Athalia« aufgeführt, und die vertheilten Rollen von Schauspielern vorgetragen wurden. Mir war die Partie des Jojada zugefallen. Ich fand die Uebersetzung entsetzlich hölzern und flach, nahm das Original zur Hand und machte mir Verschiedenes in meinem Parte mundgerecht.

Bei diesem näheren Verkehr traten mir die dichterischen Vorzüge Racine's wieder recht lebhaft vor den Geist und ich konnte dem Drange nicht widerstehen, in meinen Mußestunden eine eigene metrische Uebersetzung der »Athalia« zu versuchen.

Anfangs kam ich nur langsam vorwärts, doch interessirte mich die Sache mit jeder Scene mehr. Als ich zu Ende war, gab ich das Manuscript einem befreundeten Schriftsteller zur Durchsicht, der sich anerkennend darüber aussprach und mir vielfache Verbesserungen vorschlug. Das regte mich ganz besonders an und ich begann nun, wie erwähnt, während meiner[401] Sommeraufenthalte ein Trauerspiel Racine's nach dem andern zu übersetzen. Bis auf die »Plaideurs«, wozu ich mir nicht genug Gewandtheit und Verständniß zutraute, und »Phädra«, deren prachtvolle Uebersetzung durch Schiller mich nie hätte ganz unbefangen arbeiten lassen, habe ich binnen acht Jahren sämmtliche Dramen Racine's metrisch übersetzt. Die Freude, welche mir Sophie Schröder zugedacht, die Rolle der Agrippina in »Britannicus« nach meiner Uebersetzung zu studiren, ist leider nicht realisirt worden. Auch der Vorsatz Deinhardstein's, den »Mithridates« in Scene zu bringen, ist nicht zur Ausführung gelangt. Ein besonderes Interesse fesselte mich an »Berenice«. Nirgend hat Racine die Gabe, eine mehr als einfache Handlung durch eine kunstvolle Beredsamkeit dem Leser durch fünf Acte anziehend zu machen, glänzender entfaltet, als in diesem Drama, das eigentlich nur eine ausgesponnene Abschiedsscene ist. Bedenkt man überhaupt, mit welcher Armuth scenischer und mit welchem Drucke politischer Verhältnisse Racine's Muse zu kämpfen hatte, so muß man doppelt anerkennen, was er unter solchen beengenden Einflüssen geschaffen hat und ich finde die Pietät vollständig gerechtfertigt, mit welcher die Franzosen an diesem Classiker hängen.

Der Herbst 1834 brachte Grillparzer's Märchen: »Der Traum ein Leben.«

Diese Jugendarbeit des Dichters trägt alle Vorzüge und Schattenseiten überströmender Phantasie, die das, was in ihr lebt und pulsirt, auch bei Anderen voraussetzt.

Eigenthümlich war der Eindruck und Verlauf der ersten[402] Darstellung. Nachdem der erste Act sehr anregend gewirkt hatte, setzten das bunte Getriebe, der rapide Wechsel und die fast überstürzenden Situationen der Traumacte das Publicum immer mehr in Verwunderung; es wurde todtenstill im Hause; die letzten gewaltsamen Momente des Traumes verbreiteten schon den unruhigen Eindruck der Unwahrscheinlichkeit. Da stürzt endlich Rustan von der Brücke in das nasse Grab und zugleich liegt er auf seinem Ruhebett; er stöhnt, er wendet sich, die drohenden Gestalten verschwinden und von Entsetzen gepeitscht, springt der Erwachende vom Lager. »Ein Traum,« murmelt es durch den Zuschauerraum; man besinnt sich, man erkennt, man empfindet und ein Beifallssturm tobt durch das Haus, daß der Darsteller innehalten muß.

Der Erfolg war entschieden. Die anmuthige Schlußscene, das gesicherte Glück der Liebenden, ruft die versöhnendste Heiterkeit hervor und als der Vorhang niederrauscht, schallt der Name »Grillparzer« von allen Lippen.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 392-403.
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