16.


[403] Am 2. März 1836 beschloß Kaiser Franz I. seine vielbewegte Laufbahn.

Für das Burgtheater machte sich der Thronwechsel sogleich dadurch fühlbar, daß der Oberstkämmerer, der in seinem Amte verblieb, seiner Functionen als unmittelbarer oberster Hoftheaterdirector enthoben und Landgraf von Fürstenberg unabhängiger Director oder Intendant wurde. Die Stellung und der Wirkungskreis des Burgtheaters fand dadurch[403] manche Erleichterung, mancherlei Vorurtheile und Privatansichten wurden beseitigt.

Das Frühjahr brachte sogleich Gäste, die mit dem Todesfalle in der Hofburg einen gewissen Zusammenhang hatten.

Eine der ersten Schwalben, welche den Geistesfrühling zu ahnen glaubten, war Adolf Glaßbrenner. Dieser geistreiche Satyriker und Humorist ist, wie die meisten Capacitäten des Auslandes, mit der Ueberzeugung nach Wien gekommen, ein entartetes, herabgekommenes, mitleidwürdiges Sclavenvolk kennen zu lernen, und welch' andere Ueberzeugung hat er mitgenommen! Wenn er auch in seinen treffenden und witzigen Reiseberichten viele Schattenseiten ganz richtig beurtheilt und verurtheilt, so konnten sich doch seine wesentlichen Angriffe nur gegen ein seither versunkenes Regime und dessen bekannte Gebrechen richten, das Volk lernte auch er bei näherer Bekanntschaft achten und lieben. Das hat er in allen Kreisen, worin er verkehrte, unumwunden eingestanden.

Ich kann als Zeuge mitreden, denn ich hatte das Vergnügen, mit Glaßbrenner sehr viel zu verkehren. Ich habe ihn auf vielen Gängen begleitet, die er wie Harun Al-Raschid antrat, um dieses Volk in der Nähe zu belauschen.

Glaßbrenner ließ nichts unbeachtet, was an seinem physischen und geistigen Auge vorüberzog; man war mitunter versucht, ihm die Sehkraft des Argus zuzuschreiben. Oft, wenn man ihn auf etwas aufmerksam machte, weil man annehmen mußte, er sei gerade mit etwas Anderem beschäftigt gewesen, erwiederte er: »Ja, ich habe es schon bemerkt.«[404] Ringelhardt, der seit 1832 die Direction des Leipziger Theaters führte, war im Herbste 1834 zum Besuche nach Wien gekommen und hatte mich aufgefordert, im Sommer 1835 bei ihm zu gastiren. Ich nahm sein Anerbieten mit Freuden an. Leipzig hatte den werdenden Schauspieler beurtheilt, es sollte nach 24 Jahre über den fertigen Künstler richten, bevor das Alter ihn berührte.

Meine Heimat nahm mich gar liebreich auf. Ich fand bei Ringelhardt ein vortreffliches Bühnenpersonal: Ringelhardt, Baudius, Lortzing, Berthold, Düringer, Pögner, Ball, Ballmann und meine beiden Neffen Saalbach, sowie die Damen Günther, Weise, Wagner (jetzige Marbach).

Dieses Gastspiel umfaßte zwölf Vorstellungen und ist mir dadurch besonders in Erinnerung, weil ich hier von Carl Moor und Egmont Abschied nahm.

Wie schwer trennt sich der Schauspieler von solchen liebgewordenen Gestalten! Und dennoch war dieser Abschied nichts gegen die Empfindungen, als ich Wallenstein und Falstaff abgab und nach der letzten Vorstellung des Lear mir eingestehen mußte, daß diese Anstrengung meinen Organismus bedenklich erschüttere.

Daß ich in Leipzig gar heitere und glückliche Tage mit Ringelhardt verlebt, war natürlich. Unsere Jugendzeit wurde völlig lebendig, alle Plätze, welche Erinnerungen boten, wurden aufgesucht; wir erstreckten unsere Ausflüge nach Grimma und Oschatz und mit einem Geschichtsbuche über den Feldzug 1813 bewaffnet, durchwanderten wir das denkwürdige Schlachtfeld.[405]

In den Herbst 1835 fällt das umfangreiche Gastrollenspiel des Fräulein Charlotte von Hagn. Diese Schauspielerin hat eine so glänzende Laufbahn gehabt, daß man sie schon deshalb nicht unbeachtet lassen kann. Für die Tragödie war Charlotte von Hagn nie von Bedeutung, denn es fehlte ihr an Größe der Auffassung, an Tiefe der Empfindung für die Darstellung mächtiger Leidenschaften und Conflicte, und auch an dem erforderlichen Schwunge der Phantasie. Viel bedeutender wirkte sie im Conversationssache. Von einer glänzenden Erscheinung, voll der anmuthigsten Formen unterstützt, legte sie auf diese den Schwerpunct, und die Darstellung heiterer und ausgelassener Weltkinder, sowie der coketten Salondamen fand an ihr eine außerordentlich glückliche und begabte Repräsentantin. Rollen wie Mirandolina, Hedwig van der Gilden im »Ball zu Ellerbrunn«, Baronin Holmbach in »Stille Wasser sind tief« haben Anspruch auf gerechte Anerkennung, die denn auch sowohl in München wie in Berlin der schönen Frau in vollem Maße von Hoch und Niedrig, von Reich und Arm zu Theil geworden ist.

Zwei andere Gäste, die um diese Zeit das durch die Scheuner'sche Directionswirthschastverwaiste Josephstädtertheater bevölkerten, waren Holtei und seine reizende Gattin, Julie Holzbecher.

Hier brachte Holtei seine »Drillinge«, »Lorbeerbaum und Bettelstab« und »Shakespeare in der Heimat« zur Darstellung.

Holtei's eigentliche Wirksamkeit in Wien begann erst einige Jahre später als Vorleser. Was ihn als Schauspieler[406] hinderte, verschwand hier und nur die Vorzüge traten zur Erscheinung. Ich habe seit Ludwig Tieck nie wieder ähnliche Genüsse gehabt, als durch Holtei's Vorlesungen, unter denen mir der »Sommernachtstraum« alle anderen überbot. Die Elfengestalten belebten sich in seinem Munde, man ward durch die Phantasie bis zur glücklichsten Täuschung verzaubert. Die Neckereien mit den Liebespaaren und mit den Rüpeln im Walde fanden den reizendsten Ausdruck und hiermit kann auch die beste Darstellung nicht gleichen Schritt halten, weil Shakespeares »Sommernachtstraum« eben keine Verkörperung verträgt.

Nicht minder trefflich trug er die »Komödie der Irrungen« vor und unter den historischen Dramen zeichneten sich Heinrich IV. und V. besonders aus. Bei letzterem hörte man eine unverkennbare Vorliebe heraus. Bekanntlich bildete eine herrliche Stelle des letzteren die höchst effectvolle Entwicklung in Holtei's »Shakespeare in der Heimat«.

Den Schluß des Jahres 1835 bildete das für Theater und Literatur hochwichtige Debut Friedrich Halm's mit seinem ersten Drama: »Griseldis.«

Friedrich Halm gehört zu jenen öffentlichen Charakteren, welche schon durch den tiefen Ernst und durch die Reinheit ihrer künstlerischen Intentionen Achtung und Liebe einflößen. Solch' heilige Begeisterung, mit solchen Anlagen des Geistes und Herzens gepaart, mußte würdige Resultate erzielen. In unserer durch materielle Interessen ernüchterten und entzauberten Zeit ist es eine wahre Erquickung, einer Persönlichkeit[407] zu begegnen, welche den Muth hat, an den Idealen seines Geistes mit solch' unerschütterlicher Treue festzuhalten.

Mir war es eine große Genugthuung, daß mir dieser edle Mann eine wahre und innige Freundschaft zuwandte, die mir viele Stunden meines Lebens verschönerte und manche bittere Stunde theilnehmend linderte.

Als Künstler bin ich Halm große Dankbarkeit schuldig, denn der Dichter, welcher einem Schauspieler zwei Aufgaben wie Jean Gomard in »König und Bauer« und Godwin in »Ein mildes Urtheil« verschafft, erwirbt sich dessen Ergebenheit für das Leben.

Es war übrigens ein Zug meines ganzen Wesens, daß ich mich im Kunstverkehre am meisten zu Menschen hingezogen fühlte, die mir geistig überlegen waren, weil ich von diesen den größten Vortheil für meine künstlerische Ausbildung erwarten durfte.

Der Name Friedrich Halm steht in der Kunst- und Literaturgeschichte fest und es wird all' seinen Gegnern nicht gelingen, ihm den ehrenvollen Platz streitig zu machen, den er sich mit seinen dreizehn Dramen errungen hat.

Mag sein, daß Halm's geistige Richtung zum Theile an eine Literaturperiode anknüpft, welche unserer Zeit fremd geworden ist; den poetischen Werth von Halm's Werken verwischt die Zeit nicht.

Halm braucht übrigens weder Lobredner, noch hat er seine Feinde zu fürchten, die meist unter ihm stehen. Die acht Bände seiner Werke sprechen von selbst und für sich selbst.
[408]

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 403-409.
Lizenz:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon