II.

Bade- und Vergnügungsreisen.

[730] 731. Badereise. Wer eine Badereise macht, sich also zum festen Aufenthalt für einige Wochen einzurichten hat, sollte nicht ängstlich erwägen, ob er dies oder jenes nicht doch zurücklassen soll. Mit ein paar Kleinigkeiten, die man gewohnt ist, täglich um sich zu haben, kann man sich das übliche rote Sammtameublement des Hotels oder das primitivste chambre garnie behaglich machen. Und man wird an Regentagen und anderen Gelegenheiten, die das Ausgehen verbieten, sich nicht so ungemütlich in dem »kahlen« Raume fühlen. Man versehe sich mit ausreichender guter Lektüre, auch die gewohnte Zeitung werden viele nicht entbehren wollen und sich nachbestellen, ferner nehme man sich Schreibmappe und Briefpapier, Halter und Federn mit – aber ja nicht Tinte, auch keine zugekorkte Flasche! – Damen werden sich mit Handarbeiten versehen und die Dilettanten werden den Malkasten, Noten, den Brennstift oder den Photographieapparat mitnehmen. Sehr angenehm ist für längeren Aufenthalt eine kleine Theemaschine und ein kleiner Vorrat an Wein, Cakes und Schokolade. Das »Nichtsthun« macht hungrig und es ist lästig, um jeden Bissen ins Hotel zu laufen. Selbstverständlich darf man nichts genießen, was sich mit der Kur nicht verträgt. Wenn eine größere Familie die Sommer- und Badereise antritt, wird das Gepäck zum Entsetzen der Eltern immer mehr Raum und Gewicht einnehmen, als man im kühnsten Voranschlag berechnete. Trotzdem sollte man einiges Spielzeug und ein paar Bilderbücher zulassen – es kommen Tage und Stunden, wo man ihr Dasein segnen wird! Dagegen ist es thöricht – besonders bei einer mehrköpfigen Familie – sich mit viel Wäsche zu belasten. Man sollte nur soviel mitnehmen, als durchaus notwendig ist und die getragene Wäsche im Badeort sofort waschen lassen. Die Rückkehr einer Familie mit Koffern voll unsauberer Wäsche wirft den ersten Schatten auf die Heimkehr – besonders wenn dann als erstes ein Riesenwaldfest angesagt wird! Außerdem wiegt Wäsche sehr viel und es ist mühsam, die Leinensachen vieler Personen im Hotel zu überwachen und zusammenzuhalten. Und die Badereise soll doch für alle eine Erholung sein und möglichst frei von allen Pflichten machen.

[731] 732. Die Gepäckfrage hat durch die gute Einrichtung der »Rundreisebillets« eine andere Wendung genommen. Es giebt dabei kein Freigepäck, und wer nicht die bei größerer Entfernung und schweren Koffern erheblichen Kosten tragen will, wird sein Gepäck als Frachtgut voransenden. Da nun Frachtgut, besonders im Sommer und bei komplizierteren Bahnverhältnissen, recht lange unterwegs sein kann, so ist man genötigt, für die letzten Tage daheim und die ersten am Ziel, wieder eine ganze Menge Sachen bei sich zu behalten und sie als Handgepäck mit sich zu führen. Selbst praktische und anspruchslose Familien füllen durch diesen Zwang, sich und den Mitreisenden zum Kummer, die freien Plätze, die Netze, die Ecken, den Raum unter den Bänken mit Taschen, Körben und Handkoffern aus und stapeln selbst vor den notwendigsten Thüren Plaidrollen, Schirmfutterale und Botanisiertrommeln übereinander. In dieser Hinsicht wirken die »Rundreisebillets« direkt erschwerend auf den Verkehr. Und welch ein Aerger und eine Unruhe am Bestimmungsort, bis endlich, endlich die Koffer eintreffen, nachdem eine Woche der vier freien glücklich vorüber ist und man noch keine der hübschen Sommertoiletten zeigen konnte! Und die Kinder spielen die Gekränkten und Verlassenen, als wären sie nur ins Bad gereist, um hier die sonst oft wochenlang kaum beachteten Bücher und Spielsachen zu genießen.

Wer die große Ersparnis durch die Rundreisebillets macht und genötigt ist, sein Gepäck vorauszuschicken, sollte es nur als Eilgut senden. Die geringe Differenz wird reichlich von dem behaglichen Gefühl aufgewogen, die Koffer bei der Ankunft schon vorzufinden und sich gleich vom ersten Tage an bequem einrichten zu können. Auf diese Weise kann auch bei einer mehrköpfigen Familie, selbst wenn ein oder zwei Nachtquartiere unterwegs nötig sein sollten, das Handgepäck möglichst beschränkt werden. Man sollte es zweckmäßig auf die verschiedenen Mitglieder verteilen und jedem ein bestimmtes Stück zur Ueberwachung geben. Sehr praktisch sind die über der Schulter zu tragenden Rucksäcke, die sehr viel fassen können und leicht sind.

[732] 733. Praktische Winke. Man vergesse nicht, reichlich Decken, Kissen und warme Mäntel oder Jacken mitzunehmen. Die Hotelbetten sind meistens sehr dürftig ausgestattet und die Nächte an der See oder im Hochgebirge oft sehr kalt. Plaids, die man bequemer tragen und leichter ab- und umnehmen kann als Mäntel, sind sehr geeignet für weite Spaziergänge.

Was man an Toilette zu einer Badereise mitnehmen soll, richtet sich nach dem Wunsch des einzelnen, ungestört und für sich zu leben, oder an dem »Badeleben« teilzunehmen. Wer in eins der jetzt sparsam verstreuten einfachen und stillen Bäder reist, verzichtet im voraus darauf, viel zu sehen und gesehen zu werden. Seine und der Seinigen Ausrüstung wird sich daher auf das Notwendigste und Einfachste beschränken. Wer ein Modebad aufsucht, wird die Absicht haben »mit den Wölfen zu heulen« und unter der eleganten Schar der Kurgäste nicht als gar zu simpel und unmodern aufzufallen.

Man thut gut, ehe man in ein fremdes Bad reist, sich bei einem Bekannten zu erkundigen, welche Tageseinteilung dort herrscht; ebenso ob in dem Hotel, in dem man wohnt oder zu speisen wünscht, das Diner am Mittag oder am Abend eingenommen wird. Das letztere bedingt, besonders für Damen, einen größeren Toilettenaufwand als die frühe Essensstunde, zu der man nur im hellen Promenadenkleid zu erscheinen pflegt.

[733] 734. Was nehme ich mit zur Badereise als Herr? Ein Herr wird zur Badereise ein oder zwei Morgenanzüge aus ganz hellem oder dunkel- und hellgestreiftem Flanell mitnehmen, dazu weiße oder bunte ungestärkte Hemden, leichte braune Schuhe oder Stiefel und bequeme weiche Hüte oder Mützen. Als Tagesanzug helle oder mittelfarbene Jackett- oder joppenanzüge, zum Diner am Abend, Soireen und dergleichen einen Gesellschaftsanzug (Gehrock) und für alle Fälle einen Frack. Matt kann nie voraussehen, mit wem man in Berührung kommen wird und ob sich nicht Gelegenheiten bieten werden, zu denen man des Fracks benötigt ist. Und gerade auf Reisen ist es gut, auf alle Eventualitäten gefaßt zu sein.

Ein Herr, der besonderen Sport: Wasser-, Radfahr-, Tennis- oder »Kraxler«sport pflegt, wird sich gewiß auch mit Kostümen zu diesen Uebungen versehen. Ein »sweater« oder »Jersey«, ein kurzes Beinkleid, lange weiche Strümpfe und eine festsitzende Mütze werden zu all diesen Sportarten passen, nur die Schuhe sind verschieden: je leichter sie fürs Tennis sein müssen, desto fester und widerstandsfähiger trägt man sie zum Bergsteigen.

[734] 735. Als Dame? Eine Dame wird sich auch für das einfachere Bad mit reichlicher Auswahl an Kleidern versehen, um schon, wenn eins verregnet oder sonst verdirbt, nicht in Verlegenheit zu geraten. Schneiderinnen an Badeörtern zu beschäftigen ist kostspielig und zeitraubend. Ueber die Wäsche wiederhole ich oben Gesagtes: nicht zuviel. Dagegen nimmt man gern elegantere Sachen mit, trotzdem sie in Badeörtern nicht grade besser in der Wäsche werden. Aber auf Reisen setzt man gern den besten Fuß vor. Sehr angenehm ist es, von dem Wäschevorrat immer einen Teil im Schrank bereit liegen zu haben, damit man bei plötzlichem Reiseentschluß nicht von der Hauswäsche oder Wäscherin abhängig ist. Damen, die viel reisen, sollten sich das einrichten. Neben eleganten Unterröcken, die ja jetzt zu guter Toilette fast unerläßlich sind, nehme man einige festere, vor allem fußfreie mit, zu den Morgenspaziergängen oder weiteren Touren. Viele Damen bevorzugen die »Reformkleidung«, den geteilten Rock, »die Rockhose« oder über haupt das Beinkleid, das sich durch den Sport immer mehr einbürgert und für Bergpartien u.s.w. das Alleinrichtige ist. Auch der Kleiderrock muß zu Fußtouren fußfrei oder mit Knöpfen versehen sein, daß er leicht zu schürzen ist. Der einfache Matrosenhut oder eine leichte Mütze ersetzt den garnierten Hut.

Das Reisekleid der Dame sei einfach in Schnitt und Farbe, aber gutsitzend und sehr sauber. Von der Theorie, alte Sachen im Coupé zu tragen, da bessere verdürben, ist man jetzt glücklich abgekommen. Man trägt auf der Reise tailormade-Kleider oder Rock und Jacke mit leichter, nicht zu heller Bluse; einen einfachen Hut und gute Handschuhe und Stiefel. Bunte reichgarnierte Kleider und Phantasiehüte sind als Reisetoilette verpönt – man verlangt hier noch mehr Diskretion in der Kleidung, als für die Straße. Ein leichter Staubmantel aus Wasch- oder Gloriaseide schützt sehr – die praktischen Gummimäntel sind für Touren zu raten, noch mehr die aus »imprägnierten« Stoffen. Für die heißen Sommertage sind Reisekleider aus Alpaka, Foulard oder ganz leichtem Loden angenehm.

Als Morgentoilette wird die Dame ein paar wollene Kleider mit dazu passender Jacke nötig haben. In Brunnenkurörtern beginnt die Kur früh und man braucht warme Kleidung, ebenso für die frühen Morgenstunden an der See oder im Gebirge. Als Tagestoilette, die man dann zur table d'hôte oder zum Speisen anbehalten wird, trägt man helle Promenadenkleider. Doch ist es gut, sich für regnerische und kühle Tage auch mit einigen dunkleren Straßentoiletten zu versehen. Wird im Kurort oder dem gewählten Hotel das Diner spät eingenommen, so darf man seidene Gesellschaftskleider mit etwas ausgeschnittener Taille anlegen. Ganz dekolletierte Kleider trägt man in Badeorten nur, wenn sich an das Diner ein Tanzfest oder eine Soiree anschließt.

Im allgemeinen sollen sich die Toiletten einer Dame im Badeort mehr durch den guten Schnitt und die hübsche Farbe auszeichnen, als durch Pracht des Materials und des Besatzes. Hier, wo sich Damen aller Kreise zusammendrängen und die einzelne dem öffentlichen Urteil vielmehr ausgesetzt ist, als zu Hause, ist die feine Dame bestrebt, durch geschmackvolle, aber nicht durch auffallende oder übertriebene Toiletten zu gefallen. Letzteres überläßt sie solchen, deren Beruf es ja ist, Aufmerksamkeit zu erregen. Eine feine Dame kennt genau die Grenze, die eine moderne, geschmackvolle Toilette von einer auffälligen trennt, und sie wird sich nicht aus falscher Eitelkeit verlocken lassen, durch besondere Kleider, gewagte Hüte oder starke Parfüms zu einem Mißverständnis Veranlassung zu geben.

[735] 736. Die Kinder auf der Badereise. Die Kinder kleide man während der Eisenbahnfahrt in nicht zu helle Stoffe. Dunkelblaue Kostüme mit weißen Kragen oder Westen oder das bequeme, aber wenig kleidsame Dunkelbraun ist am ratsamsten. Kinder werden während einer längeren Reise weder die Handschuhe stets anbehalten, noch saubere Hände haben; nur der Appetit steht unterwegs durchaus auf der Höhe, und wenn man sie auch mit Servietten versieht oder zum Händewaschen anhält – sie werden doch »Reisespuren« auf Kleidern und Mänteln haben. Für kleine Mädchen sind Rock, Jacke und leichte Bluse das beste, Waschkleider oder Waschanzüge für die Knaben nur, wenn sie dunkel sind. Kinder in schmutzigen Waschkleidern sind ein häßlicher Anblick.

Als Morgenanzug im Bad sorge man für Kleider und Anzüge, die nach jeder Richtung widerstandsfähig sind. Zu Tisch, zu den Nachmittagskonzerten und Unterhaltungen ist jede Mutter darauf bedacht, ihre Kinder möglichst zu putzen – nur sollte das Entsetzen nicht zu groß sein, wenn trotz aller Ermahnungen der »gute« Anzug doch ein Loch, oder das »Beste« ein paar Flecken hat. Auf jeden Fall ist es gut, reichlich Kleider für die Kinder mitzunehmen. Bei dem vielstündigen Aufenthalt in freier Luft und Sonne und dem Spielen von Morgen bis Abend wird in vier Wochen mehr verbraucht, als auf der härtesten Schulbank in einem Vierteljahr. Waschanzüge und -kleider sind nicht billig durch die stete, wiederkehrende Wäsche; aber sie haben den großen Vorteil, immer wieder frisch auszusehen, während die Wollsachen nur zu bald an Farbe und Ansehen verlieren. Für Knaben sind morgens dünne »sweaters« vorteilhaft.

[736] 737. Seereise. Zur Seereise sind besondere Vorbereitungen nötig. Die engen Kabinen gestatten nicht, daß man die großen Koffer bei sich hat – diese werden im Schiffsraum verladen, sind also bei hohem Seegang und geschlossenen Luken kaum zu erreichen. Man braucht daher einen Handkoffer, der Raum für ein oder zwei Anzüge und genügend Wäsche bietet. Am besten ist ein sogenannter »Kajütenkoffer«, dessen Niedrigkeit und flacher Deckel es gestattet, ihn unter die »Koje«, das schmale Wandbett, zu schieben. Ferne versäume man nicht, sich für Seereisen mit Pelzen, Decken und warmen Plaids gut zu versehen. Schiffsbetten sind durch ihre dürftige Ausstattung berühmt; auch braucht man des Abends auf dem Meer warme Sachen, damit man lange die schönen Nächte an Deck genießen kann.

[737] 738. Toilette an Bord. Auf den großen eleganten Dampfern des Bremer »Lloyd« oder der »Hamburg-Amerikalinie« ist es Sitte, zu Tisch und zwar zum Frühstück, dem luncheon, um 1 Uhr, und dem späten Diner Toilette zu machen; zu letzterem Gesellschaftstoilette – vorausgesetzt, daß ruhige See Zeit und Interesse für diese Fragen bewilligt! Bei schlecht Wetter, hohem Seegang und allgemeinen Leidenszuständen hört jede höfische Etikette auf – jeder denkt nur an sich und über den egoistischen Sorgen werden die eitlen einmal vergessen!

Vorsichtige Leute – und solche, die oft Seereisen gemacht haben, entkleiden sich nie ganz an Bord. Sie sagen, man muß allezeit, ohne Aufenthalt, bereit sein, die Kabine zu verlassen und das Verzögern um Minuten oder Sekunden kann von größter Bedeutung werden. Man darf bei einer Seereise nicht an die schlimmsten und traurigsten Möglichkeiten denken – wer das thut, verkümmert sich von vornherein jeden Genuß – aber man soll in Momenten der Gefahr nicht kopflos sein und vor allem nicht unnütz Zeit vertrödeln. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es durchaus ratsam, einiges Unterzeug, wie Strümpfe usw. anzubehalten und einen Mantel oder ein rasch umzuwerfendes Kleidungsstück gleich bei der Hand zu haben. Damen wählen als Nachtkleid für Seereisen oft rote, schwarze oder gelbe Waschseide, um in dem ominösen Weiß, das immer ganz »négligé« ist, nicht den Augen der stewards und stewardesses ausgesetzt zu sein.

Auch auf einfacheren Dampfern und bei kürzeren Fahrten sollte man sich, wenigstens zu Tisch, etwas in Ordnung bringen, nicht in zu vertragenen Kleidern und mit zerzausten Haaren erscheinen. Die Rücksicht auf die Mitreisenden verbietet, zu nachlässig zu sein – wenigstens dem, der selbst kein Gewicht auf saubere Hände und einen reinen Kragen legt. Es soll ja solche Leute geben!

Als Kopfbedeckung sollten Damen wie Herren an Bord nicht Hüte, sondern festsitzende, anliegende Mützen tragen. Es ist langweilig, beständig den Hut festhalten zu müssen, und ein Hut mit Krempe wird trotz Nadeln, Gummiband und Schleiern emporgewirbelt werden. Auch trage man nicht empfindliche Stoffe an Bord, wenigstens nicht an Deck. Mit Segelschiffen reist wohl selten jemand mehr und auch auf den reinlichsten Dampfern, »von deren Deck man Reis essen kann«, bekommt man leicht Oel- und Rußflecken.

Hat man es vorgezogen, während einer ganzen Reise immer denselben Anzug oder dasselbe Kleid zu tragen, so sollte man wenigstens einen zweiten Anzug bereit haben, um ihn zur Ankunft anzulegen. Man wird es als eine Wohlthat empfinden, Kleider zu tragen, denen der übliche »Schiffsgeruch« nicht anhaftet – dieser besondere Duft, der den mutigen Reisenden bei leisestem Seegang die Treppe zum Deck wieder emportreibt und den zuversichtlichsten »Seefahrer« kleinlaut werden läßt. Und selbst an Land hat man zuerst noch einen ausgesprochenen Widerwillen gegen alles, was noch »Kajütenluft« ausströmt.

[738] 739. Erholungs- und Vergnügungsreise. Die Erholungs- und Vergnügungsreise – eins ist vom andern fast untrennbar, denn nichts »erholt« so gut wie eine Vergnügungsreise und nie amüsiert man sich leichter und dankbarer als bei einer Erholungsreise, zu der man alle Sorgen und Kümmernisse abstreift und das »zu Hause« etwas in den Hintergrund schiebt – wird für jeden eine besondere Form annehmen. Denn hier, vor allem, kommt der persönliche Geschmack zur Geltung. Der eine wird sich bei lieben Verwandten oder Freunden »erholen« und man kann nur wünschen, daß dabei beide Teile zufrieden gestellt werden – der eine durch wirkliche Erholung, die andern durch die Dankbarkeit, die sie für ihr Entgegenkommen und die gewährte Gastfreundschaft verdienen! – Der Kleinstädter oder Provinzler sehnt sich nach der »Großstadt« und wird sich vielleicht weniger erholen als amüsieren. Der nervöse Großstädter sucht sich zur Erholung ein einsames Försterhaus, ein halbversandetes Fischerdorf oder eine primitive Sennhütte, um bald einzusehen, daß die Weltentlegenheit ja sehr schön, aber die Großstadt doch noch schöner sei! Und wie das Ziel verschieden ist, so variiert auch die Art des Reisens. Reiche Leute, die sich zwar eine Reise »zum Vergnügen« nach Paris gestatten, finden dort ihr höchstes Glück darin, möglichst sparsam zu leben, in einer »crêmerie« zu frühstücken, nur Omnibus zu fahren, im Theater im allerhöchsten Rang zu sitzen und nachher zu rühmen, wie sie praktisch reisen und was sie für ihr Geld alles hätten! Andere dagegen, die zu einem leichten Beutel viel Leichtsinn mit auf die Welt bekamen – und diese Zusammenstellung ist nicht so selten, wie man annehmen sollte! – verzichten lieber auf jede Reise, als daß sie gezwungen wären, jeden Pfennig einmal umzudrehen und sich jede kleine Extraausgabe zu versagen. Wieder andere reisen nach »Schema F«, sie berechnen vorher bis ins kleinste – ja bis auf die fünf Pfennige Trinkgeld bei jedem der durchaus notwendigen Gläser Bier – was jeder Tag, jedes Nachtquartier kosten wird, wie lange sie für die Sehenswürdigkeiten dieser Stadt, die Naturschönheiten jener Landschaft brauchen. »Einmal vom Aussichtsturm hinuntergucken, d.h. natürlich von ganz oben, das ist genug! Gleich mit der Drahtseilbahn weiter – fünfzig Pfennig Aufschlag – im Thal ein Glas Bier und dem Küster fürs Kirchenbesehen, macht zusammen fünfundvierzig Pfennig!« Keine Katastrophe, kein Erdbeben oder Lawinenrutsch wird diese Leute zur Abänderung ihres »Programms« oder ihres Kostenanschlags bringen können – daß der Reiz einer Gegend oder einer Stadt sie dazu bewegen würde, ist noch hoffnungsloser.

[739] 740. Verschiedene Reisespezialisten. »Der Kilometerreiser«, der »Hochtourist« oder »Bergkraxler«, für den die Welt erst bei den Wolken anfängt, der »Spaziersitzer«, der für einen Sommer eine Bank beschlagnahmt, ohne sich von ihr zu rühren, der »Schnellzugsmann«, der weite Umwege macht, aber »blitzschnell« durch die schönsten Landschaften kommt, die Damen – um auch direkt von ihnen zu reden! – die ängstlich, auch mitten in der Nacht, den Namen jeder Station erforschen und aufschreiben, statt sich die Sache am hellen Tage durch das Kursbuch zu erleichtern, die Alleinreisenden und sofort Bekanntschaftschließenden – vor allem, um mit der neuerworbenen Freundin die Ausgabe für den Wagen oder das Boot zu teilen –, die Aengstlichen, die ihr Gepäck wie die Glucke ihre Küken bewachen, die Mitteilsamen, die dem ganzen Coupé ihre Stammesgeschichte bis zur vierten Generation aufrollen, die Neugierigen, die aus dem verschlossensten vis-à-vis Namen und Herkunft herauslocken, die Allesbesserwissenden und -kennenden, die, die »überall« schon waren und alles tadeln oder alles loben – all diese unzähligen Spezies der Erholungs- und Vergnügungsreisenden geben sich meistens ohne viel Rücksicht auf die liebe Mitwelt ihren Eigentümlichkeiten hin und verlangen dagegen, daß man sie bewundert, beneidet, anhört, ihnen unermüdlich Antwort giebt, Kinder und Gepäck mitbewachen hilft, von dem Uebermaß ihres Handgepäcks fast erdrückt wird, ihre Füße neben sich auf der Bank duldet, ihren oft recht unappetitlichen Manipulationen beim Essen und Trinken zuschauen muß und entzückt über die Aussicht ist, noch mehrere Tage Seite an Seite mit ihnen diese schöne Reise zu genießen. Gottseidank nein, alle Reisenden sind nicht so! Es giebt Reisende, die mit feinem Takt höfliche Manieren, liebenswürdiges Entgegenkommen und doch eine gewisse Zurückhaltung verbinden und die nicht nur »Schiffe sind, denen man nachts begegnet« und die spurlos an uns vorüberwandern, sondern deren Bild sich uns in angenehmster Weise mit dieser oder jener Wegstrecke verknüpft und deren verständiges Wort man behält, auch ohne ihnen je wieder den Weg zu kreuzen oder ihren Namen zu wissen.

[740] 741. Zugänglichkeit. Dem ganz Fremden gegenüber giebt man sich ungenierter und offener. Selbstverständlich wird man nichts Persönliches erzählen oder zu erfahren suchen, aber es liegt ein gewisser Reiz darin, einmal mit Menschen aus anderen Gegenden und anderen Kreisen und Verhältnissen zu reden. Darum ist es thöricht, von vornherein jede Anknüpfung abzulehnen – der »Einsamwandelnde« hat zwar seinen Stolz, aber oft auch außerdem seine Langeweile bewahrt.

Wer so glücklich ist, eine Erholungs- oder Vergnügungsreise machen zu dürfen, lasse den Reisen-Nachbar an seiner guten Laune und Zufriedenheit Anteil nehmen; er wandle vergnügt seines Weges und verderbe weder sich noch andern die Reise durch kleinliche Empfindungen oder Eigenschaften.

»Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt –!« Und sei es zu Fuß, per Rad, mit der Bahn, zu Wagen oder mit dem Schiff – eine Reise bleibt immer etwas Schönes und Begehrenswertes, ob man sie mit vollem oder leichtem Beutel macht – es kommt auch hier wieder alles auf die Auffassung an – und auf den guten Willen!

[741] 742. Die Dame allein im Badeort. Besucht eine Dame allein einen Badeort, so wird sie sich vorher genau ausrechnen, wieviel ihr der Aufenthalt kosten wird. Zu diesem Zweck läßt man sich von der Kur-oder Badekommission einen Prospekt kommen, auf dem die Wohnungsverhältnisse, die Hotelpreise, die Badetaxe, die Kosten für Bäder, Brunnenwasser u.s.w. angegeben sind, ebenso die Namen empfehlenswerter Pensionen. Letztere sind für die einzelne Dame immer angenehmer als Hotels. Hat man sich von zu Hause aus nicht mit einer Pension oder einem Hotel einigen können, so thut man gut, sich für die ersten ein oder zwei Tage in einem Hotel anzumelden und von hier aus sich in aller Ruhe nach einem angenehmen Logis umzusehen. An Ort und Stelle erhält man leichter gute Adressen und Ratschläge und kann eine Wohnung nehmen, die in bequemer Entfernung vom Strand, den Quellen u.s.w. liegt. Man erkundige sich außerdem genau, wer die anderen Mitbewohner, Nachbarn, Pensionäre u.s.w. sind – macht einem das Ganze aber keinen vertrauenerweckenden Eindruck, so kehre man beizeiten um. Jedenfalls verpflichte man sich nicht übereilt für die ganze Zeit des Aufenthalts, noch für alle Mahlzeiten. Praktisch ist es, vielleicht auf eine Woche zu mieten. Auch werden sich meistens die Wirte darauf einlassen, daß rechtzeitig abgesagte Mahlzeiten nicht bezahlt werden brauchen. Es verteuert den Aufenthalt sehr, wenn man sonst bei jedem Ausflug doppelt für die Mahlzeiten zahlen muß. Zieht man es vor, nicht in der Pension, sondern auswärts zu speisen, so thut die einzelne Dame gut, das Restaurant nicht zu oft zu wechseln. Ist sie den Kellnern und dem Wirt schon bekannt, so wird sie besser bedient.

[742] 743. Anschluß an andere Damen. Einzelne Damen finden sich leicht zusammen und es ist jedenfalls sehr angenehm, Bekanntschaften zu machen, die befriedigen und unterhalten. Da man Personen aber nicht nach dem erstenundzweitenmal, wenn man sie spricht, beurteilen kann, so sollte man die Freundschaft nicht gleich zu heiß beginnen, um nicht hinterher enttäuscht zu werden. Auch ist es nicht immer leicht, Lästigwerdende wieder abzuschütteln, und man kann sich den ganzen Aufenthalt durch zu große Intimität von Anfang an verleiden. Knüpft die einzelne Dame mit Familien Bekanntschaft an, so ist ihr erst recht zu raten, zurückhaltend zu sein. Es ist für die Betreffenden sehr verletzend, wenn sich die zuerst sehr zugängliche Dame plötzlich zurückzieht – vielleicht weil sie inzwischen Genaueres über Herkunft und Stand erfahren hat! Ganz vorurteilslos ist ja niemand – aber in der Fremde sollte man sich doch etwas von den Beschränkungen befreien und nicht eine Gesellschaft, die einem bis dahin sehr gut gefiel, in Acht und Bann thun, weil sie nicht ganz auf derselben Stufe steht! Das Weh, das solche Kränkungen hervorrufen, steht wohl nicht im Verhältnis zu dem bißchen Ueberwindung, das es kostet, von Bekannten mit »diesen Leuten« gesehen zu werden. Eine Dame wird dieses Dilemma mit feinem Takt zu vermeiden wissen. Sollte sie dennoch eine kleine Uebereilung begangen haben, so muß sie auch so viel Mut und Anstandsgefühl besitzen, daß sie den neuen Bekannten jede Beschämung erspart. In einem süddeutschen Kurort sah man vor zwei Jahren die Frau eines reichen Fabrikbesitzers täglich mit einer Berliner Dame, bis sie erfuhr, daß diese, die ihr bis dahin so ausgezeichnet gefallen hatte, ein offenes Geschäft, einen großen Stickereiladen besäße. Von diesem Tage an existierte die Berlinerin für die vornehme Frau nicht mehr. Die wirklich feine Gesellschaft aber verurteilte nun ihrerseits die Fabrikbesitzersfrau vollständig wegen ihres herzlosen u. lächerlichen Benehmens.

Um all diese Konsequenzen zu vermeiden, ist es eben richtiger, die Bekanntschaften nicht zu übereilen.

Wiederum soll sich eine Dame nicht wie eine Klette an eine Familie heften und das Entgegenkommen dadurch belohnen, daß sie sich zu jedem Vergnügen und jedem Ausflug herbeidrängt und mitschleppen läßt. Sie hat es sich dann selbst zuzuschreiben, wenn sie schließlich Zurückweisungen erleidet.

[743] 744. Mit Herrenbekanntschaften muß eine einzelne Dame natürlich doppelt vorsichtig sein. Es ist ja merkwürdig, daß viele Damen sich unbeanstandet vieles erlauben dürfen, worüber bei anderen schon boshaft gesprochen wird. Manche Dame steht durch ihr gleichmäßiges Betragen eben außerhalb allen Zweifels, eine andere, vielleicht sonst auch vorwurfsfreie, erregt aber durch ihr Benehmen und ihre Kleidung besonderes Aufsehen und jeder ihrer Schritte wird deshalb beobachtet und gedeutet. Jedenfalls muß eine Dame im Badeort, um jeden Irrtum zu vermeiden und jedes häßliche Gerede auszuschließen, sehr vorsichtig sein. An weiteren Touren sollte sie sich nur unter dem Schutz einer Familie beteiligen, oder im Anschluß an andere Damen. Der Verkehrston in einem Badeort ist ja so wie so freier und soll es auch sein. Denn alle Leute kommen zur Erholung und zum Vergnügen hierher. Und wer leicht zugänglich ist und lebhaft, dem wird es bald nicht an Bekanntschaften fehlen. Die rechten zu treffen und die bestimmte Grenze im Ton und Umgang innezuhalten, das ist allerdings die Sache der einzelnen Dame und von ihrem Naturell bedingt.

Jedenfalls sollte es die einzelne Dame unter allen Umständen vermeiden, nachts spät, allein oder nur von Herren begleitet, nach Hause zu kommen, sich auf weiten Spaziergängen mit einem Herrn abzusondern und sich überhaupt viel und auffällig mit einem Herrn allein zu zeigen. Auch hier wird das Taktgefühl der Dame raten, Maß zu halten.

[744] 745. An Soireen und Tanzgesellschaften im Badeort sollte die einzelne Dame ebenfalls nur unter dem Schutze einer Familie oder anderer Damen teilnehmen. Eine Dame allein wird sich unter Fremden im Ballsaal nicht wohl fühlen, ja, es könnten für sie peinliche Dinge passieren. Keinenfalls darf die einzelne Dame mit einem Herrn allein ein solches Fest besuchen und ausschließlich an seinem Arm gesehen werden. Hat die Dame keinen passenden Anschluß in einer Familie oder bei anderen Damen gefunden, so bleibe sie dem Fest fern.

[745] 746. Junge Mädchen im Kurort. Alle diese Regeln gelten doppelt verschärft für das junge Mädchen, das allein einen Badeort besucht. Am besten ist es, ein junges Mädchen ganz einer Familie – nicht einer offenen Pension – zu übergeben, in der sie wirklich Schutz findet. Ein junges Mädchen allein in einem Hotel einzumieten, ist durchaus gegen die Sitte und könnte dem Ruf der jungen Dame gefährlich werden. Auch muß das junge Mädchen Herrenbekanntschaften, falls sie nicht durch eine Familie oder ältere Damen vermittelt werden, vermeiden und allen Anknüpfungen gegenüber sehr zurückhaltend sein. »Der Ruf eines Mädchens ist wie ein Spiegel, den ein Hauch trübt«, sagt ein altes Wort. Und fern der Heimat und der Familie hat das junge Mädchen sich doppelt in acht zu nehmen, keinen Anlaß zu Gereden zu geben.

[746] 747. Benehmen im Badeort. Das Benehmen der einzelnen Dame im Badeort ist bereits besprochen. Allgemeine Regeln für Familien, verheiratete und unverheiratete einzelne Herren sind noch folgende:

Kleide dich nicht auffallend – weder zu nachlässig noch zu geckenhaft. Wohne in einem anständigen Hause oder Hotel, sei es auch einfach; aber aus einer zweideutigen Umgebung wird man auf dich selbst schließen. Hüte dich, zu schnell Bekanntschaften und Freundschaften zu schließen. Sei weder hochmütig noch protzig. Versuche nicht, dich an Höherstehende heranzudrängen. Belästige niemand mit deiner Gesellschaft, der allein sein will. Behandle niemand verächtlich um seiner Stellung, seines Namens, seiner Religion und seiner Rasse wegen: wenn du dich in all diesen Dingen ihm überlegen fühlst, so hast du deine Vorzüge durch Bildung und gute Manieren zu beweisen – nicht durch Taktlosigkeiten! Benimm dich außerhalb nicht besser und nicht schlechter, als bei dir im Hause. Gleichmäßiges feines Betragen ist das beste Zeugnis für einen gebildeten Menschen. Benimm dich an der table d'hôte anständig. Schilt nicht beständig über das schlechte Essen und preise deinen Mittagstisch zu Hause; das wird nur Zweifel erregen. Nimm nicht von allem das beste, sondern denke auch an den Nachbar. Behandle die Kellner anständig, sie sind auch Menschen. Iß, wie es sich für einen gebildeten Menschen geziemt. Steh nicht hungrig auf, weil es »feiner« ist, wenig zu essen, – biete deinen Tischnachbarn aber auch nicht das Bild einer Raubtierfütterung. Vermeide es, auf der Promenade, am Strand u.s.w. zu laut zu lachen, zu lebhaft zu erzählen oder sonst aufzufallen. Denke daran, daß die Kurgäste Ruhe nötig haben. Sei rücksichtsvoll am Brunnen, im Bad oder wo du sonst mit den Kurgästen zusammentriffst. Sei aufmerksam gegen ältere und kranke Leute und laß ihnen in allem den Vortritt. Schüttle den Lästigen und Aufdringlichen von dir ab, aber sei entgegenkommend gegen feine und taktvolle Leute. Benimm dich in deiner Wohnung noch ruhiger als in den eigenen vier Wänden daheim und graule nicht durch Rücksichtslosigkeiten die Mitbewohner fort. Nimm besondere Rücksicht auf Kranke und Leidende; kannst und magst du das nicht, so zieh aus, ehe du Streit und Aerger heraufbeschwörst. Störe nicht Konzerte oder Aufführungen durch lautes Sprechen und beifällige oder tadelnde Bemerkungen. Gestatte deinen Kindern nicht, im Hause zu toben und auf den Treppen zu jagen; laß sie nicht andern Leuten zur Last fallen und sich ihnen aufdrängen. Laß dir nicht von der Bedienung Nachrichten über die Mitbewohner des Hauses bringen. Raffe im Lesesaal nicht alle Zeitungen an dich und halte es nicht für eine persönliche Kränkung, daß auch andere sie lesen wollen. Enthalte dich möglichst aller längeren Unterhaltungen und Scherzreden mit den Angestellten der Hotels und Restaurants.

[747] 748. Die alleinreisende Dame. Die alleinreisende Dame sollte es sich zur Regel machen, das Damencoupé zu benutzen. Selbst die Vorstellung, in Gesellschaft kleiner Kinder reisen zu müssen, die selten während der ganzen Fahrt schreien, sollte sie nicht davon abhalten. Im Nichtraucher- oder Rauchcoupé kann immer der Fall eintreten, daß eine Dame eine Strecke allein mit einem Herrn fahren muß, was besonders für jüngere Damen unangenehm werden kann. Man betont nicht mit Unrecht, daß meistens die Dame durch ihr Benehmen dem Herrn das seine vorschreiben muß. Aber man trifft nicht immer auf »Herren« und gegen unverschämte und aufdringliche Patrone nützen oft weder Ruhe noch gänzliche Zurückhaltung. Für ein junges Mädchen ist das Reisen im Nichtrauchercoupé durchaus unstatthaft und es wird die übrigen Personen im Coupé unangenehm berühren, wenn eine junge Dame ungeniert auf Anreden eingeht und Gespräche anknüpft. Eine Dame reist nicht, um etwas zu erleben, und wenn die ältere, verheiratete und sichere Frau es sich auch erlauben darf, sich mit fremden Herren zu unterhalten, ohne ihrer Würde damit das geringste zu vergeben, so kann ein Mädchen gar nicht zurückhaltend genug sein. Wenn ein Herr in ehrerbietiger Weise seine Hilfe anbietet, so darf auch das junge Mädchen, wenn es in Verlegenheit um Rat ist, sie annehmen. Besser thut sie aber immer, sich an eine der mitreisenden Damen zu wenden und in bescheidener Form um Auskunft oder Hilfe zu bitten. Eine Dame, die viel reist und Erfahrung hat, wird ja überhaupt selten in irgend eine peinliche Lage geraten. Die Unerfahrene und Unsichere aber, die nicht aus noch ein weiß, muß sich doppelt hüten, einen Fremden in Anspruch zu nehmen, wenn sie nicht hinlängliche Menschenkenntnis besitzt.

[748] 749. Verhalten zu den Angestellten. Die alleinreisende Dame sollte sich, wenn keine der anderen Passagiere ihr helfen kann oder mag, an den Schaffner oder an den Stationsvorsteher wenden. Beide werden auf eine höfliche Anfrage gern Auskunft erteilen. Will man aus irgend einem Grunde möglichst unbehelligt und im nicht überfüllten Coupé reisen oder bei der Ankunft gleich einen Dienstmann oder Kofferträger haben, so gebe man dem Schaffner ein kleines Trinkgeld. »Wer gut schmiert, der gut fährt.« Daran sollten Damen auf Reisen überhaupt denken und nicht gerade immer am Trinkgeld sparen wollen. Die Höflichkeit der Beamten und Angestellten wird manchen Aerger und manche Schwierigkeit ersparen. Die ruhig und bestimmt auftretende Dame, die dem Kofferträger genau Anweisungen über ihr Gepäck giebt und geduldig wartet, bis er ihr alles herbeischafft, wird nicht schlechter als ein Herr bedient werden – besonders wenn sie ihm gleich ein Trinkgeld verspricht. Wer aber aufgeregt hin und her läuft, ungestüm und ängstlich sein Gepäck fordert, die Beamten ungeduldig macht und die anderen Mitreisenden belästigt, wird nichts erreichen als grobe Bemerkungen und rücksichtslose Behandlung. Wer Höflichkeit lernen will, reise nach Frankreich. Das »s'il vous plait, monsieur« und »merci, Madame« sind der Anfang und Ende aller Fragen und Gespräche – nicht dem niedrigsten Arbeiter noch der ärmlichsten Frau darf man die Höflichkeitsformeln verweigern, dafür wird man aber auch überall das größte Entgegenkommen und die feinste Liebenswürdigkeit finden.

[749] 750. Die einzelne Dame im Hotel. Muß eine Dame allein in einem Hotel übernachten, so sollte sie sich, wenn irgend möglich, vorher anmelden und ein Zimmer mit Angabe, ob für eine oder mehrere Nächte, ob einfach oder eleganter, ob im ersten Stock oder höher, bestellen. Der Wirt wird nach Möglichkeit den Wunsch erfüllen und es ist für eine Dame sehr viel angenehmer, erwartet zu werden, als unangemeldet zu kommen und erst gemustert zu werden. Hat die Dame aus irgend einem Grunde, weil die Reise plötzlich beschlossen oder unterwegs unterbrochen wurde, ihre Ankunft nicht vorher angezeigt, so frage sie bei der Ankunft gleich nach dem Wirt oder dem Oberkellner, äußere ihre Wünsche und mache den Preis aus. Das schützt sie vor unangenehmen Ueberraschungen und zeigt den Leuten im Hotel, daß sie reisegewandt und sicher ist. Geld und besondere Wertgegenstände sollte man sofort beim Wirt deponieren. Die Koffer halte man verschlossen und führe die Angestellten nicht in Versuchung, obwohl diese meistens ungefährlicher als manche andere Gäste sind. Eine Dame sei nicht unbescheiden in ihren Forderungen an Aufwartung, ebensowenig aber lasse sie sich Nachlässigkeiten gefallen. Daß eine Dame in einem Hotel achtsam mit den Möbeln umgehen und nicht die Brennmaschine auf der Plüschdecke anzünden wird oder dergleichen, ist wohl selbstverständlich. Hat man dennoch irgend etwas ruiniert oder zerbrochen, so sollte man so anständig sein, es dem Wirt zu melden und eventuell den Schaden ersetzen, für den sonst die Angestellten aufkommen müssen. Die Thür schließt man ab, wenn man fortgeht, und übergiebt dem Portier den Schlüssel; nur so kann es vermieden werden, daß Unbefugte das Zimmer betreten. Das Zimmermädchen hat einen zweiten Schlüssel und wird inzwischen aufräumen. Daß eine Dame ihr Zimmer nicht in zu großer Unordnung verlassen wird, ist anzunehmen.

[750] 751. Damen und Trinkgelder. Verläßt die Dame das Hotel, so wird auch sie an eine ganze Reihe hingehaltener Hände zu spenden haben: Zimmermädchen, Zimmerkellner, Hausknecht, der berühmte »Piccolo«, der Oberkellner und der Portier – alle wünschen »glückliche Reise« und seufzend zahlt man sich die Treppen hinunter. Wer aber reist, muß diese Ausgaben vorher mitberechnen und sie machen können. Denn vorläufig sind die Angestellten eines Hotels noch hauptsächlich auf die Trinkgelder angewiesen und die einzelne Dame kann nicht plötzlich »reformieren« wollen. Man würde die gute Absicht nicht verstehen und sie mit sehr ungnädigen oder gar unhöflichen Mienen abfahren lassen. Ist man nachlässig und unaufmerksam bedient worden, so hat man natürlich das Recht, nur das allernotwendigste zu geben. Im ganzen aber thut die alleinreisende Dame wohl, etwas »splendide« zu sein. Das wird ihr ebensoviel Beachtung und aufmerksame Behandlung verschaffen, als wenn sie mit einem Herrn der Schöpfung führe, die ja auf Reisen, in Hotels u.s.w. »der offenen Hand wegen« den Damen vorgezogen werden.

Es ist merkwürdig, aber eine bekannte Thatsache, daß selbst Damen, die zu Hause eine offene Hand haben, auf der Reise gern mit Trinkgeldern knausern. Eine Dame, die allein reist, sollte sich vorher bei reisebewanderten Bekannten erkundigen, wem und wieviel man da und dort Trinkgelder zu geben pflegt. Goethes Wort: »Mann mit zugeknöpften Taschen, dir thut niemand was zu lieb!« gilt auch für die Damen. Man mag über Trinkgelder denken, wie man will, und sie als den größten Unfug betrachten – aber man wird nicht umhin können, mit den Wölfen zu heulen, es sei denn, daß es einem ganz gleichgültig ist, ob man freundlich und gut oder mit sauren Mienen und schlecht bedient wird.

[751] 752. Junge Mädchen im Hotel. Daß ein junges Mädchen allein in einem Hotel übernachtet, ist gegen die Sitte. Man denkt ja jetzt über das Alleinreisen und -ausgehender jungen Mädchen bedeutend freier als früher und das ist nur zum Vorteil der jungen Damen. Sie werden sicherer und selbständiger und finden sich in peinlichen Lagen durch größere Ruhe und Geistesgegenwart schneller zurecht. Das Leben fordert jetzt von allen Menschen etwas Initiative und Energie und es ist sehr unrecht, die jungen Mädchen in gänzlicher Abhängigkeit und Unmündigkeit zu halten. Daß aber eine junge Dame allein in einem Hotel übernachtet, gehört, wenigstens in Deutschland, noch zu den »gesellschaftlichen Unmöglichkeiten«, durch deren Verletzung man sich selbst bestraft. Muß eine junge Dame allein eine weitere Reise machen, so richtet man es ein, daß sie die Nacht mit der Bahn durchfährt. Ist das nicht möglich und ein Nachtquartier Bedingung, so hat die Mutter oder der Vater die Tochter vorher in einem Hotel von anerkanntem Ruf anzumelden und zu bitten, daß man besondere Obacht und Aufmerksamkeit anwendet; auch muß man bitten, daß ein Angestellter des Hotels sie an der Bahn empfängt. Reisen zwei oder drei junge Damen zusammen, so müssen sie darauf halten, daß sie durch ruhiges würdiges Benehmen die Achtung erzwingen, die sie zu finden wünschen. In den meisten größeren Städten sind jetzt »Christliche Vereinshäuser«; in diesen sind auch alleinreisende junge Mädchen sicher und gut aufgehoben.

Quelle:
Baudissin, Wolf Graf und Eva Gräfin: Spemanns goldenes Buch der Sitte. Berlin, Stuttgart [1901], S. 730-752.
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