Verkehr zwischen Familie und Dienstboten.

[22] Es ist Pflicht eines jeden Menschen von anständiger Gesinnung, auch mit seinen Untergebenen nur in höflicher Form zu verkehren. Man kann streng darauf achten, daß alle im Haushalte nötigen Arbeiten mit der erforderlichen Pünktlichkeit[22] ausgeführt werden, ohne deshalb immer und immer nur schelten zu müssen. Fehler haben alle Menschen, also auch die Dienstboten; es kommt demnach in erster Linie darauf an, die Fehler des Dienstpersonals rechtzeitig zu erkennen und sie mit der überlegenen Ruhe und Sicherheit des wahrhaft gebildeten Menschen den Betreffenden abzugewöhnen. Ist das unmöglich, so steht dem Haushaltungsvorstände ja immer als äußerstes Mittel die Entlassung zu. Muß aber getadelt oder gerügt werden, so geschehe dies ruhig und gelassen, am allerwenigsten aber in Gegenwart einer dritten Person, weil die Anwesenheit der letzteren für den Getadelten beschämend wirken, ihn verbittern muß.

Zur Erhaltung des eigenen Ansehens ist es unbedingt nötig, daß den Dienstboten sobald wie möglich klar gemacht wird, daß sie dem erhaltenen Befehl unbedingt gehorchen müssen. Da ist es denn von Wichtigkeit, daß vor Erteilung eines solchen sich Hausherr und Hausfrau immer in Übereinstimmung wissen, daß das Für und Wider eines Befehls nicht in Gegenwart des Dienstpersonals erörtert werde; das wäre geeignet, das Ansehen der Hausfrau oder des Hausherrn, wenn nicht gar beider, zu untergraben. Alles in allem: die Dienstboten sind an Ordnung, Reinlichkeit, höfliches Betragen und stilles, geräuschloses Arbeiten bei gehörigem Fleiß zu gewöhnen. Wer diese Bedingungen nicht erfüllen kann, möge so bald wie möglich entlassen und dutch passenden Ersatz ergänzt werden, damit nachhaltige Störungen durch ungehörige Personen im Hauswesen vermieden werden.

Höflichkeit gegen die Dienstboten haben auch die Kinder zu üben. Deshalb ist es gut, wenn letztere die Dienerschaft nicht duzen, weil dadurch allzugroße Vertraulichkeiten entstehen. Auch dürfen Kinder zu den Dienstboten niemals in schroff befehlender Weise reden; Befehle kommen überhaupt nur den Eltern zu.

Familienangelegenheiten sind den Dienstboten niemals anzuvertrauen, auch muß man es vermeiden, Dienstboten anzunehmen, welche bei befreundeten Familien in Dienst standen. Tut der Dienstbote seine Pflicht, so ist es gut, ihm auch hin und wieder ein Wort des Lobes, der Anerkennung zu widmen. Solch ein freundliches Wort wirkt oft[23] Wunder; es ist der beste Sporn für das Dienstpersonal, welches, wenn es nur getadelt, niemals gelobt wird, sich leicht störrisch beträgt, weil die Annahme Platz greift, der Herrschaft sei ja doch niemals etwas recht zu machen. Scheltworte sind überhaupt nur geeignet, dem Ansehen zu schaden; Zorn und Heftigkeit sind keine Beweismittel und können den, der sich derartigen leidenschaftlichen Ausbrüchen überläßt, in den Augen anderer nur herabsetzen.

Daß die Hausfrau ihren Dienstboten in allem, was die gute Lebensart verlangt, vorangehen muß, ist selbstverständlich. Deshalb dürfen Angehörige der Familie im Gespräch mit Dienstboten niemals nur mit dem Vornamen bezeichnet werden und wenn von Freunden der Familie zu ihnen gesprochen wird, darf der jenen gebührende Titel nie fortfallen.

Wird ein Dienstbote entlassen, so ist ihm ein wahrheitsgetreues Zeugnis auszustellen. In dieser Beziehung wird von vielen Hausfrauen gar oft gesündigt, weil sie glauben, dem ferneren Fortkommen des Dienstboten hinderlich zu sein, wenn sie ihm nicht ein gutes Zeugnis ausstellen. Aber sie bedenken nicht, daß sie auf diese Weise den Dienstboten in seinen Fehlern nur bestärken und daß sie außerdem andere Hausfrauen veranlassen, Dienstboten anzunehmen, die sie abgelehnt hätten, wären ihnen deren Fehler bekannt gewesen. Ein wahrheitsgetreues, wenn schon in gehöriger, milder Form ausgestelltes Zeugnis ist zum besten der Herrschaft wie der Dienstboten unerläßlich; für letztere kann es sogar ein nicht zu unterschätzendes Besserungsmittel werden.

Beschäftigten die vorstehenden Zeilen sich ausschließlich mit dem Alltagsleben der Familie, so sollen die nachstehenden die nötigen Aufschlüsse über die Gesetze des guten Tones bei feierlichen Anlässen geben.[24]

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 22-25.
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