Geburt eines Kindes als Familienfest.

[25] Die Geburt eines Kindes ist stets eine frohe Angelegenheit des Hauses, die auch weitere Kreise berührt. Da sind zunächst die Verwandten der Familie, die es sich nicht nehmen lassen, zu der Ausstattung des kleinen Weltbürgers, die freilich zum bei weitem größten Teil von der jungen Mutter selbst rechtzeitig besorgt wurde, ihr Scherflein beizusteuern in Form von Geschenken, die in kleineren Handarbeiten bestehen. Besonders aber der Gatte läßt es sich angelegen sein, seiner Freude über das glückliche Ereignis auch äußerlich durch ein Geschenk, das er seiner Gattin macht, Ausdruck zu geben. Selbstredend bestimmt nun nicht der Wert dieser Gabe die Größe der Freude, die der glückliche Vater empfindet; vielmehr ist es nur ein Ausdruck der um so viel inniger gewordenen Zärtlichkeit. Nicht auf das, was gegeben wird, kommt es an, sondern wie es gegeben wird.

Ist das Kind geboren, so erfordert es die gute Lebensart, Verwandten und Freunden das frohe Ereignis mitzuteilen.[25] Viele wählen dafür einzig und allein den bequemen Weg der Zeitungsanzeige, der sie die übliche Bemerkung ›Statt jeder besonderen Meldung‹ hinzufügen. Das ist indes wenig rücksichtsvoll, denn niemand ist verpflichtet, diese oder jene Zeitung mitsamt ihren Anzeigen zu lesen. Deshalb bleibe dieser Weg der Bekanntmachung nur für den Teil unserer Bekannten berechnet, dem wir eine besondere Anzeige nicht schuldig ind, bei dem wir aber doch ein gewisses Interesse an unserem Ergehen voraussetzen. Unpassend sind deshalb bei solchen Anzeigen alle überflüssigen und burschikosen Worte. Das ›prächtige‹ Mädchen, der ›derbe‹ Junge, und wie alle diese Beiworte lauten mögen, sind zu vermeiden; je einfacher die Anzeige ist, desto besser wirkt sie.

Verwandten und näherstehenden Bekannten oder Freunden hat man die Geburt selbst, mündlich oder schriftlich, anzuzeigen, und zwar sobald wie möglich, jedenfalls innerhalb drei Tagen nach dem freudigen Ereignis. Die Beantwortung einer derartigen Mitteilung hat ebenfalls möglichst bald, spätestens inner halb acht Tagen, zu geschehen, und zwar derartig, daß man sich außer Darbringung seines Glückwunsches auch noch im besonderen nach dem Befinden der Wöchnerin erkundigt.

Besuche dürfen der jungen Mutter jedenfalls erst gemacht werden, wenn deren Wohlbefinden es gestattet. Den hierzu geeigneten Zeitpunkt erkennt man auf Grund der über ihr Ergehen eingezogenen Nachrichten. Soll eine Zeit angegeben werden, so kann man sagen, daß Besuche vor Ablauf der ersten Woche unstatthaft sind, daß sie aber auch spätestens innerhalb des ersten Monats erfolgen müssen. Keinesfalls dürfen sie jedoch auf allzulange Dauer ausgedehnt werden; es ist eine Pflicht des Besuchenden, des angegriffenen Zustandes der Wöchnerin eingedenk zu bleiben und sich deshalb sobald wie möglich wieder zu empfehlen. Besonders eine überfließende Redseligkeit wird meist seitens der Wöchnerin als eine schwere Belästigung empfunden werden. Dem Taktgefühl des Besuchenden ist es hierbei anheimgegeben, der Wöchnerin den Besuch angenehm zu machen, indem auch des jungen Weltbürgers mit einigen schmeichelhaften Worten über dessen Aussehen usw. Lob gewidmet wird.[26]

Es gibt keine Mutter, die nicht ihr Neugeborenes für das vollkommenste Wesen auf dem Erdenrund hielte, und deshalb kann der Besuch immerhin so viel Zugeständnis seinem eigenen Aufrichtigkeitsgefühl machen, daß er dem von der Mutter und der Wärterin angestimmten Lobe sich anschließt. Tut er dies nicht, dann hinterläßt sein Besuch bei der Mutter wohl selten einen angenehmen Eindruck.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 25-27.
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