Geburtstagsfeier und Geburtstagsgaben.

[41] Haben wir in den vorstehenden Zeilen die einzelnen Abschnitte im Familienleben geschildert, so erübrigt es nur noch, an besondere Familienereignisse anknüpfend, zu erwähnen, welches Verhalten bei derartigen Gelegenheiten von den Gesetzen der guten Lebensart vorgeschrieben ist.

Ein fröhliches Fest in der Familie bildet stets der Geburtstag eines der Familienglieder. Der Geburtstag ist ein Tag der Freude, die ihren Ausdruck findet in den Glückwünschen und Geschenken, die dem Geburtstagskinde von allen Seiten, nicht nur von Angehörigen und Verwandten, sondern auch von Freunden und Bekannten dargebracht werden.

Wie erstere sich dabei zu verhalten haben, braucht nur kurz gesagt zu werden. Die im Herzen ruhende Liebe und Anhänglichkeit läßt den Sohn, die Tochter, den Bruder, die Schwester usw. stets die richtigen Mittel und Wege erkennen, auf welche Weise das Geburtstagskind zu erfreuen sei. Anders aber gestaltet sich diese Angelegenheit für Freunde und Bekannte. Sind die Beziehungen zu dem Gefeierten sehr innig, so ist ein persönlicher Besuch geboten; andernfalls genügt Übersendung einer Karte. Ist ein Geschenk[41] beabsichtigt, so wähle man dazu nur solche Gegenstände, von denen man weiß, daß sie dem Empfänger Freude machen werden; und hierbei spielt der eigentliche Wert des Geschenkes durchaus nicht die Hauptrolle.

Untergebene fühlen sich sehr geehrt, wenn Höhergestellte sie zum Geburtstage beglückwünschen, ihnen gar ein Geschenk machen.

Ist das Geburtstagskind noch nicht erwachsen, und ist ein Spielzeug noch angebracht, so wähle man keine Gegenstände, die großen Lärm verursachen oder bei deren Gebrauch die Spielenden sich verletzen können, denn man würde durch ein solches Geschenk statt dauernder Freude nur Unzufriedenheit und Ärger stiften.

Geben ist zwar seliger denn Nehmen; aber Nehmen ist schwerer als Geben. Der Geber empfindet schon eine stille Freude, wenn er den zu wählenden Gegenstand aussucht, wobei er dann sich das freudige Erstaunen des zu Beschenkenden ausmalt. Der Nehmer aber hat in seiner Freude oft nur einen stummen Druck der Hand, mit dem er das ausdrücken will, was er empfindet und wozu ihm in seiner Überraschung nicht gleich die passenden Worte zur Hand sind. Da vermag eben nur der dankbare Blick das Fehlende zu ersetzen.

Wie aber, wenn der Erfolg anders ist, wenn das Geschenk beim Empfänger nicht diese Überwältigung, sondern geradezu Enttäuschung hervorruft? Auch in solchem Falle muß er ein freundliches, zufriedenes Gesicht machen und darf nie vergessen, daß die Absicht des Gebers auf jeden Fall gut war. Kann das Geschenk den Empfänger nicht zur Dankbarkeit reizen, so soll es doch wenigstens die Freundlichkeit, mit der von seiten des Gebers seiner gedacht wurde. Deshalb ist es Pflicht der Eltern, schon von frühester Jugend an die Kinder daran zu gewöhnen, stets zufrieden und dankbar zu sein, selbst in Fällen, wo ihre Erwartungen eine Enttäuschung erfuhren. Nie darf ein Kind seiner Unzufriedenheit Worte leihen, wenn der Geber sich entfernt hat, und will es dies tun, so müssen die Eltern ihm die Absicht des Gebers, es zu erfreuen, klar machen. Daß aber das, was Kindern nicht gestattet ist, von Erwachsenen am allerwenigsten getan werden darf, braucht wohl nicht[42] erst besonders hervorgehoben zu werden. Alles in allem: wir haben als Empfänger die Pflicht, das Geschenk anzunehmen, es zu bewundern und von Anwesenden bewundern zu lassen und seine guten Eigenschaften rühmend hervorzuheben. Dann muß das Geschenk seinen Platz bei den anderen erhalten, und zwar so, daß es gesehen wird.

Gegenstände, die man als Geschenk erhalten hat, dürfen nicht wieder verschenkt werden; das wäre eine Unhöflichkeit gegen den Geber.

Damen werden von Herren, mit denen sie nicht verwandt sind, nur mit Blumensträußen, nicht mit Topfgewächsen beschenkt; allenfalls ist noch ein Buch oder ein Musikalienhest erlaubt. Wird das Geschenk nicht persönlich überreicht, so muß der Geber seine Karte hinzufügen. Dagegen beschenken sich Freundinnen unter einander mit blühenden Topfgewächsen, als Symbol der fortwachsenden, stets zu pflegenden Freundschaft.

In Ländern, wo es Sitte ist, die Namenstage zu feiern, gilt für diese das vorher gesagte gleichfalls.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 41-43.
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