Tischreden und Trinksprüche.

[88] Eine löbliche Sitte ist es, das Mahl durch Trinksprüche, seien sie ernsten oder heiteren Inhaltes, zu würzen. Aber es ist keine kleine Kunst, einen guten Trinkspruch auszubringen, und wer sich nicht völlig Herr seiner Gedanken fühlt, um diese in ansprechender Form auszu[88] drücken, der schweige lieber still, denn die Gefahr, sich lächerlich zu machen, liegt nirgends näher, als bei einer derartigen Gelegenheit. Sogar auswendig gelernte Reden sind nicht ohne Bedenken, denn das Gedächtnis erweist sich nie trügerischer, als bei Tafel, namentlich wenn irgend ein Anwesender die auswendig gelernte Rede durch Zwischenrufe unterbricht und so den Redner verwirrt. Wer also seine Schwäche kennt, trotzdem aber in die Lage kommt, reden zu müssen, etwa in Erwiderung einer auf ihn gehaltenen Rede, der begnüge sich mit wenigen deutlichen, herzlichen Worten des Dankes. –

Hat ein Mitglied der Tafelrunde dutch Anschlagen an das Weinglas zu erkennen gegeben, daß er reden will, so haben die übrigen ihre Unterhaltung sogleich zu unterbrechen, auch ist jedes Geräusch mit Messer und Gabel zu vermeiden. Zwischenrufe sind zu vermeiden, weil sie den Redner verwirren und außerdem übel aufgenommen werden können; man tut deshalb auf jeden Fall gut, sie zu unterlassen.

Wir sagten bereits oben, daß nach beendeter Tafel der Herr seine Dame aus dem Speisesaal zu führen hat, um sich von ihr durch eine Verbeugung zu verabschieden.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 88-89.
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