Anstellung in einem Privathause.

[131] Nimmt jemand eine Stellung in einem Privathause an, zum Beispiel als Erzieher, Gesellschafter und dergleichen, so wird er gut tun, vorausgesetzt, daß zwischen dem Zeitpunkt, wo die Anstellung erfolgte, und dem Tage des Antritts eine längere Frist liegt, wenige Tage vor seinem Eintreffen sich brieflich anzumelden; dadurch werden von vornherein alle kleinen Mißverständnisse, die Stimmung gegen den Neukommenden erregen kännten, beseitigt.

Die Stellung gebildeter Personen in Privathäusern ist schon an und für sich vielfach sehr schwierig. Die Gesellschafterin, die Erzieherin, der Hauslehrer, der Sekretär, kurz der dienende Teil besitzt oft mehr Bildung und Wissen, als der zahlende, ohne dennoch jemals sein geistiges Übergewicht zeigen zu dürfen. Wer eine derartige Stellung annimmt, muß wissen, daß er der Untergebene ist, und als solcher muß er sich vor jedem Übergriff, vor allem Besserwissen und Besserkönnen sorgsam hüten, will er sich nicht des Rechtes begeben, sich für den Gebildeten halten zu dürfen. Ohne natürlich dem entgegengesetzten Fehler, der niedrigen Kriecherei, zu verfallen, wird der wahrhaft Gebildete, den Verhältnisse zwingen, eine abhängige Stellung in einem Privathause anzunehmen, nur streben, seine Fähigkeiten und Kräfte in dem Dienst gemeinsamer Interessen nutzbringend zu verwenden. Wird ihm das unmöglich gemacht, so wird er den nicht befriedigenden Dienst baldmöglichst aufgeben.[131]

Einer steten Quelle von Verdrießlichkeiten sind besonders ausgesetzt die Erzieherinnen und die Hausfräulein, die sogenannten Stützen der Hausfrau. Diese Verdrießlichkeiten drohen ihnen von seiten des übrigen Dienstpersonals. Man sagt: eine Erzieherin, eine Stütze der Hausfrau wird angestellt; der Dienstbote wird gemietet. Diese Worte bezeichnen schon die Stellung der Erzieherinnen und Hausfräulein als zwischen dem übrigen Dienstpersonal und der Herrschaft befindlich. Trotzdem versuchen es die Dienstboten vielfach, die Erzieherin in ihren Kreis zu ziehen, und nur eine sich stets gleichbleibende ernste Freundlichkeit, die niemals in Vertraulichkeiten ausarten darf, vermag hier, die Versucher innerhalb der gebotenen Grenzen zu halten. Nie höre eine Erzieherin oder ein Hausfräulein Klatschereien über die Familie oder Angehörige an; noch viel weniger aber darf sie Dienstboten über die Verhältnisse ihrer Herrschaft ausforschen. Wahrt sich die Erzieherin oder die Stütze der Hausfrau auf solche Weise ihre Stellung, so wird es niemand gelingen, diese zu erschüttern.

Dennoch ist zwischen der Stellung einer Erzieherin oder Gesellschafterin und der ›einer Stütze der Haus frau‹ ein Unterschied. Letztere kann keine Ansprüche auf gesellschaftliche Vollgültigkeit erheben, sofern nicht bei der Anstellung ›Zugehörigkeit zur Familie‹ ausbedungen wurde. Anderenfalls wird sie nicht ins Zimmer gerufen, wenn Besuch kommt, auch macht man mit ihr keine Besuche und stellt sie gar nicht oder nur den Personen vor, die mit den Vorkommnissen in Küche und Haus in Berührung kommen. Sie werden auch nicht zu Festlichkeiten, Festessen usw. hingezogen, allenfalls zu Kaffeekränzchen oder zu solchen Gesellschaften, wo die junge Welt beieinander ist.

Für Kinder, die das Lernen aus Büchern noch nicht betreiben, wird keine Erzieherin, sondern ein Kinderfräulein gewonnen. Die Stellung eines solchen ist auch nicht leicht, denn die Verantwortung ist groß, weil das Kinderfräulein die stete Begleiterin der Kinder ist. Als solche wird sie auch nur zu den Mahlzeiten herangezogen, bleibt aber im übrigen an das Kinderzimmer gebannt.

Daß alle Personen, die das Leben einer Familie teilen, an den verschiedenen Ereignissen Anteil nehmen müssen,[132] ist selbstverständlich. Gesellschafterinnen oder Erzieherinnen treten sogar häufig in recht freundschaftliche Beziehungen zur Dame des Hauses, und je nach dem Grade einer etwa vorhandenen Freundschaft, beteiligen sie sich an Geburtstagen dutch bescheidene Geschenke, womöglich in eigenen Arbeiten bestehend, und nehmen teil, wenn die Familie von einem Trauerfall heimgesucht wird. Entsprechende dunkle Kleidung ist dann Pflicht und wird in den meisten Fällen seitens der Herrschaft besorgt.

Obwohl die Stellung der Hauslehret, Sekretäre, Begleiter und dergleichen den hier besprochenen Stellungen der Damen ähneln, so werden deren persönlichen Beziehungen zur Familie im Grunde genommen doch meistens kühler sein und bleiben. Der Mann ist an und für sich schon selbständiger und läßt deshalb zwischen seinem Arbeitgeber und sich nur die geschäftlichen Beziehungen gelten; die Familie, soweit sie nicht seiner Obhut anvertraut ist, bleibt ihm fern und fremd. Bei dienstlichen Stellungen im geschäftlichen Leben tritt erst recht alles persönliche vollständig zurück gegen die sachlichen Anforderungen der Arbeit. Da hat der einzelne nur sich danach zu richten, daß er seine Obliegenheiten pünktlich in der ihm vorgeschriebenen Weise erfüllt; aber nicht nur hierfür sind bestimmte Vorschriften, sondern auch für die Zeit und die Stunden der Arbeit. Wer also in geschäftlichen Stellungen dutch Unpünktlichkeit und Unregelmäßigkeiten Störungen verursacht, verletzt nicht nur die Regeln guter Lebensart, sondern er schädigt auch sich selbst, weil so etwas nie ungestraft bleibt. Persönliche Gefälligkeiten passen ebenfalls nicht in den Rahmen der geschäftlichen, bestimmt abgegrenzten Bestimmungen und sollen deshalb nur im äußersten Notfalle erbeten werden. –

Damen, die in Geschäften angestellt sind oder erwerbshalber sich in der Stadt aufhalten, dürfen, sofern sie nicht zu den ›Frauen‹ gehören, nicht selbständig leben, sondern müssen ein Unterkommen in einer Familie suchen oder mit einer zweiten Dame zusammen eine Wohnung nehmen, wollen sie ihre Stellung in der guten Gesellschaft wahren und sich nicht übler Deutung aussetzen. Eine diese Vorschrift nicht beachtende Selbständigkeit wäre nur auf Kosten der Weiblichkeit durchführbar.[133]

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 131-134.
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