Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer.

[134] Da wir gerade über ›Geschäfte‹ sprechen, sei bei dieser Gelegenheit auch dessen gedacht, was die gute Lebensart von denen verlangt, die Geschäftslokale betreten, um Einkäufe zu machen. Freilich spielen hierbei die örtlichen Verhältnisse eine große Rolle. In kleinen Städten herrscht zwischen Verkäufern und Käufern vielfach eine genaue Bekanntschaft, die ein gegenseitiges Vertrauen bedingt. In kleinen Städten kauft man in der Regel immer bei dem gleichen Kaufmann, zu dem man dann auch das Vertrauen hat, daß er niemand übervorteilt.

In großen Städten jedoch ist die Verlockung, zu dem Kaufmann zu gehen, der die Waren zu den billigsten Preisen anzeigt, größer, und wenn schon auch dort eine Menge Geschäfte mit fester Kundschaft bestehen, so haben doch viele Käufer nicht ihre festen Bezugsquellen. Ob man aber einem bekannten oder fremden Kaufmann gegenüber steht – der geschäftliche Verkehr geht am glattesten vor sich, wenn der Käufer Ruhe und bestimmte Klarheit des Wollens bei höflichen Formen und sicherem Auftreten mitbringt. Dann wird er auch stets höflich und zuvorkommend bedient werden, denn die Kaufleute, die täglich mit einem zahlreichen Publikum verkehren, eignen sich mit der Zeit ein Unterscheidungsvermögen an, das den Käufern unerklärlich ist, da es die Verkäufer in den Stand setzt, auf den ersten Blick zu erkennen, wes Geistes Kind der an ihn herantretende Käufer ist.

Einen Laden zu betreten, sich vielerlei zeigen zu lassen, schließlich aber nichts zu kaufen, dürfen sich nur solche Personen gestatten, die ständige Kunden des betreffenden Geschäftes sind und das Gesehene bei späteren Einkäufen berücksichtigen wollen. Wollten Fremde sich derartiges herausnehmen, oder wollte jemand gar im Interesse eines Konkurrenten das Gesehene ausnutzen, so würde ein derartiges Betragen einfach unanständig zu nennen sein. Denn die Verkäufer haben die Pflicht, alles vorzulegen, was der vermeintliche Käufer zu sehen wünscht, ohne daß sie üble Laune zeigen dürfen, wenn nichts gekauft wird, und es ist also ein grober Vertrauensbruch, dessen sich der schuldig macht,[134] der das durch die Verhältnisse dem Kaufmann zur Pflicht gemachte Entgegenkommen mißbraucht. Verkäufer dagegen sollen es vermeiden, den Käufer zu einer teureren Ware zu überreden, als er zu kaufen wünscht, noch dürfen sie letzterem etwas aufzudrängen suchen, was seinem Geschmack nicht entspricht.

Junge Damen haben auch in Kaufläden ihre Zurückhaltung zu bewahren; mit dem Verkäufer dürfen sie nur das zur Sache gehörige sprechen, und wollte letzterer es sich herausnehmen, dem sachlichen Gespräch eine persönliche Wendung zu geben, so verdiente er strengen Tadel. Äußerungen wie: »Dieser Stoff würde das Fräulein sehr gut kleiden« oder »Ich würde raten, diesen Hut zu wählen; Frau N. haben auch einen selchen« und alle derartigen persönlichen Ansichten des Verkäufers oder der Verkäuferin sind wahrhaft gebildeten Damen gegenüber unpassend. Leute aus niederen Ständen oder vom Lande müssen freilich oft zu einem Entschluß gedrängt werden; es ist deshalb Pflicht eines jeden Verkäufers, sich die nötige Sicherheit im Verkehr mit einem gebildeten und weniger gebildeten Publikum anzueignen, damit er stets weiß, wie er sich zu verhalten hat.

Unsein ist es, in einem Geschäfte vor dem Ankauf eines Gegenstandes um den Preis zu handeln und zu feilschen; viel unseiner aber ist es noch, wenn Kaufleute ›vorschlagen‹. Die wachsende Konkurrenz zwingt übrigens die Kaufleute schon von selbst, die billigsten Verkaufspreise anzusetzen und vielfach sind diese auch an den Waren bereits ›ausgezeichnet‹, das heißt: Der Verkaufspreis ist für jedermann verständlich hinzugefügt. Es liegt also, wenn man zu handeln beginnt, ein klar ausgesprochenes Mißtrauen gegen die Lauterkeit des Verkäufers vor, ausgenommen, es handelte sich um größere Bezüge, auf Grund deren das Verlangen einer Preisermäßigung berechtigt wäre. Jeder Käufer muß wissen, was er kaufen will, und dementsprechend den Preis schon vorher bestimmen, den er anlegen will. Findet er, daß der Verkäufer mehr fordert, als die Ware ihm wert scheint, so unterbleibt eben der Ankauf und er geht zu einem anderen Händ ler, um sich zu überzeugen, ob er nicht billiger bedient wird.

Daß auch beim Betreten eines Ladens gewisse Regeln der Höflichkeit zu beachten sind, ist wohl selbstverständlich.[135] Werden wir von einem Pförtner empfangen, der uns beim Ein- wie beim Austritt die Glastür öffnet, so brauchen wir dessen Gruß nicht zu beachten; wohl aber haben wir die Verbeugung des Geschäftsherren oder des Angestellen, der sich in der Nähe der Tür aufhält, um das Publikum nach seinen Wünschen zu fragen und dann den nötigen Bescheid zu geben, mit einem Kopfnicken zu beantworten; die Verkäufer als solche werden nicht gegrüßt. Der Kassierer hinter seinem Verschlag kümmert sich nur um seine Kasse und grüßt ebensowenig, als er gegrüßt wird. Herren nehmen beim Betreten eines Ladens meist den Hut ab; in anderen Ländern behalten sie ihn auf. –

Es gibt noch eine Art geschäftlichen Verkehrs, dessen wir an dieser Stelle gedenken müssen. Dieser Verkehr findet statt zwischen Laien und Fachmann.

Mit dem Lehrer, der unseren Kindern Privatstunden erteilt, mit unserem Hausarzt, dessen Hilfe wir bei Erkrankungen in Anspruch nehmen, unterhalten wir auch einen ›geschäftlichen‹ Verkehr, der aber wesentlich anders aufgefaßt werden muß.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 134-136.
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