Anno 1676
§ 4

[21] Der andere [zweite] Tag meines Lebens war der Tag meiner Wiedergeburt, in welchem ich getauft worden; und zwar in einer katholischen Kirche. Denn das Teil der Vorstadt, wo meine Eltern wohnten, gehörte auf den Dom; und, weil solches diesseits der Oder, und von dem Dom weit abgelegen war; so waren wir in die nächste Kirche vor dem Niclas-Tore eingepfarret, in welcher die Lutheraner getaufet, getrauet, und wohin sie auch begraben werden. Ob nun schon der Erz-Priester in dieser Kirche, und unsere Obrigkeit auf dem Dom niemanden mit Gewalt zu ihrer Religion zwang, noch auch sich sonderlich Mühe gab, uns zu bereden, ihren Glauben anzunehmen; so mußten doch aus unserer Gemeinde alle Sonntage 4 Personen in ihre Kirche vor dem Niclas-Tore gehen, und die Predigt mit anhören. Sie hatten zuweilen sehr schlechte Prediger, so sie auf die Kanzel stellten: und bekam der Capellan öfters mehr Beifall und Approbation [Zustimmung] bei dem Volke, als der Erz-Priester. Einst kam unter der Predigt ein Hund mit einem Stücke Fleisch in die Kirche gelaufen, dem die andern Hunde das Stück Fleisch abjagen wollten. Weil sie sich nun harte [knapp] vor der Kanzel bissen, und belleten, so mochte der Prediger etwan aus dem Concepte kommen sein; dannenhero schrie er von der Kanzel herunter: Jagt mir doch den Hund mit dem Stücke Fleisch hinaus, ich kann sonst unmöglich predigen; worüber die Lutheraner herzlich lachen mußten, weil dergleichen in ihren Kirchen was Ungewöhnliches ist.

Die Catechisationes [Katechismusunterricht] taugten auch nicht viel. Der Catechete ließ meistens nur die Kinder das Vater Unser, das Ave Maria, den Glauben [Credo], und ein und ander[21] Gebet herbeten, und beschenkte sie darauf mit einem Bilde. Und das war alles. Du, hieß es, kannst du das Vater Unser? Ja. Nun laß hören. Vater Unser etc. Da hast du ein Bild; welches alles denn machte, daß wir Einwohner auf den Siebenhuben eher Eckel vor der römischen Kirche bekamen, als daß uns eine Lust hätte sollen ankommen, uns zu derselben zu bekennen. Bei allem dem excessiven Eifer, den die Papisten, als die größten und ärgsten Sectirer, haben, ihr Reich zu vermehren, so wundere mich, daß der Pabst mit seinem Anhange nicht siehet, wie nötig es sei, wenn die Ketzer, wie sie uns nennen, sollen bekehret werden, dahin zu denken, daß in allen Städten und Dörfern bessere Prediger und Catecheten gesetzet werden; daß das Predigen in formam artis [in die Form einer akademisch geschulten Kunstfertigkeit] und eine Disciplin gebracht, und auf Universitäten Collegia Homiletica [Vorlesungen zur Predigtkunde] denen Studiosis gehalten werden. Zur Zeit der Reformation traten viel 1000 Papisten zu den Lutheranern, unter andern Ursachen auch wegen der vortrefflichen Predigten, so sie von ihnen höreten, in welchen nebst der Materie, und ihrem Inhalt auch ihre Gaben und Beredsamkeit vermögend waren, die Zuhörer zu einem solchen Entschluß zu bringen. Man hat solches auch zu unsern Zeiten aus der Erfahrung lernen können. Ein gewisser Welt-berühmter Professor und Prediger würde nimmermehr so viel Anhänger bekommen, und ich mag wohl sagen, so viel Sünder bekehret haben, wenn er bei allem seinem Eifer dem gefallenen Christentum aufzuhelfen, ein elender und miserabler Prediger gewesen wäre, und nicht vielmehr die Gaben gehabt hätte, die alle Welt an ihm verwundert.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 21-22.
Lizenz: