Anno 1693
§ 23

[64] Da ich diesen Sommer bald hier, bald da mein Nacht-Lager aufschlagen müssen, so bekam ich um das Ende desselben sedem fixiorem, und einen beständigen Aufenthalt; zum wenigsten auf ein halb Jahr. Und ich wünschte, daß auch da mein unordentliches[64] Leben zugleich ein Ende gehabt hätte. Allein dieses schien alsdenn erst recht anzufangen, ob mir wohl niemals dabei wohl zu mute, sondern dasselbe stets mit großer Gemüts-Unruhe verknüpft gewesen. Meine Pate, die Frau D. Vollgenadin, eine reiche Apothekerin, die mir viel Gutes tat, und schon manchen Taler zu Büchern, und Kleidern gegeben hatte, mietete vor mich eine Stube auf dem Sperlings-Berge, bei einem Gast-Schlächter, der nur ein Weib, aber keine Kinder hatte, allwo ich ruhig in der Stuben studiren kunte. Ich bekam auch allda die Kinder des Rot-Gerbers [Lohgerbers], dem das Haus gehörte, und der im untersten Stocke wohnte, zu informiren, und hatte davon etwas Geld, und die Woche zweimal einen Mensam ambulatoriam [Freitisch]. In Breslau essen die reichen Leute um 12, und die mittelmäßigen und armen um 11 Uhr. Weil mir es nun an Wohltätern nicht fehlte, so hatte ich zuweilen in einem Mittage zwei Tische; und mein Magen war dazumal auch noch so vortrefflich, daß eine Mahlzeit der andern nichts schadete. Die Rot-Gerberin hatte eine Anverwandtin, so eine Jungfrau von 21 Jahren, deren Eltern mir auch etwas zuwendeten, indem ich ihre Tochter im Schreiben und Rechnen unterrichten mußte. Ich war derselben nicht ungewogen, wie sie denn gar ein fein Mägdgen war; und vielleicht war es mein Glücke, daß sie nicht nur an Jahren, sondern auch am Verstande mich übertraf, und auch frömmer und tugendhafter, als ich war.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 64-65.
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