Anno 1695
§ 27

[72] Das 1695. Jahr aber, und das zwanzigste in meinem Leben, war eines von den allermerkwürdigsten, und vor mich ein recht glückseliges Jahr in Ansehung meiner Seelen. Ich konnte der Gesellschaft böser Buben, so vom Saufen, und Huren Profession machten, und unter welche ich geraten, noch nicht los werden. Denn ob ich mich wohl [obwohl ich mich] ihrer Sünden nicht teilhaftig machte, so tauerte [dauerte] mich doch oft die Zeit, welche ich durch den Umgang mit ihnen verschwendete, die ich zu etwas Besserm hätte können anwenden. Doch ward ich endlich derselben überdrüssig. Am großen Neuen-Jahrs-Tage ließ ich mich bereden, mit ihnen nach der Mittags-Mahlzeit auf das Dorf, ich weiß nicht mehr, ob Alt- oder Neu-Scheitnich, hinter dem Dom hinaus zu gehen. Sie trieben erschreckliche Sauereien, und ihre Üppigkeiten [Laster] in Worten und Werken waren so groß, daß mir dafür zu eckeln, und ich bei mir nach der Erlösung von solchem Leben und Compagnie heimlich zu seufzen anfieng. Die Canaille, der sie zu gefallen giengen, und mit der sie Narrenteidung [Narretei] trieben, und Zoten rissen, war ein gemein Luder, und nicht sonderlich schön; so daß ich mich wunderte, wie sie zu einer solchen Bestie so viel Zuneigung haben konnten. Zwei derselben wohnten bei einem Collegen, Secundi Ordinis [Lehrer der Sekunda] im Hause, und giengen auch bei ihm an Tisch, taten aber dem ehrlichen Manne durch ihr böses Leben alles Herzeleid an, ja waren wohl die meiste Ursache an seinem frühzeitigen Tode; wie er sich denn auch mehr als einmal vernehmen lassen, daß sie ihn noch um sein Leben bringen würden. Er sagte ihnen auch, insonderheit dem Boshaftigsten unter ihnen, dessen Namen ich verschweige, frei unter die Augen, es[72] könnte ihm unmöglich wohlgehen. Ich möchte wissen, ob sie noch leben, und in was vor einem Zustande sie sich befinden. In dieser Dorf-Schenke saß ich eine Weile, und bezeugte aus Menschen-Furcht wohl noch meine Complaisance und Wohlgefallen über ihr Tun und Wesen. Endlich, ehe es noch Abend wurde, faßte ich die noble Resolution, sie zu verlassen, und keinen Abschied von ihnen zu nehmen. Ich tat es auch, und gieng auf der Oder, die dazumal gefroren war, schnelle wieder nach der Stadt zu, damit ich desto eher von ihnen wegkäme. Das war in Wahrheit ein Schritt, den ich auf Gott zu tat, und ihm, so zu reden, entgegen gieng. Und weil ich mich anfieng zu Gott näher zu machen, so nahete er sich auch noch näher zu mir mit seiner Gnade. Der Schluß, den ich in diesem Wirts-Hause faßte, gieng nicht nur dahin, daß ich diese Compagnie meiden, sondern mich von allem unordentlichen und sündlichen Leben losreißen wollte, als welches mir keine Ruhe in meinem Gemüte ließ, und mit welchem ich immer zu zanken und zu streiten hatte. Quotidie cum mea sorte rixabar.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 72-73.
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