Anno 1696
§ 31

[81] Um das Ende des Sommers 1696 wurde der Zustand meiner leiblichen Glückseligkeit nochmals verbessert. Die Frau D. Kaltschmidtin[81] ließ nicht ab, bis sie ihren Herrn beredete, mich gar vor ihren jüngsten Sohn zum Præceptore ins Haus zu nehmen, und mir ein völliges Hospitium [freie Kost] zu geben, da ich denselben bisher nur eine Stunde des Tages informiret hatte. Wer war froher, denn ich? Ich machte gleich meinen Abschied bei Herr Closen, weil ich es besser in dem Hause des Herrn Doctors zu finden hoffte. Und das geschah auch. Es waren fromme, und bescheidene [kluge] Leute, und giengen nicht mit mir, wie mit einem Bauern um, ob ich gleich eines Bauern und Kohl-Gärtners Sohn war; sondern wie mit einem Studenten. Sie waren durch besondere Providenz [Vorsehung] Gottes zu großem Reichtum gelanget, waren aber doch nicht dabei verschwenderisch, sondern so sparsam und genau, als es Christen geziemete, insonderheit der Herr Doctor, dessen Sparsamkeit manchmal beinahe einem Geize und Kärglichkeit ähnlich sahe. Und es schien einst, als wenn er selbst wäre bei sich überführet worden, daß er von diesem Fehler nicht ganz frei, sondern ein wenig gar zu genau wäre. So ungern er einen Heller ohne Not ausgab, so gieng er doch gern in die Comœdien, und ich war nach meinem damaligen Zustande auch kein Feind davon. Einst führten die Comœdianten den Avare des Molière auf, welche Comœdie ein rechter Spiegel vor solche Leute ist, denen Gott dieser Welt Güter gegeben, und sie ihnen doch nicht zu genießen giebt. Wir waren sonst gewohnt des Abends, oder des andern Tages über Tisch, im Garten, oder wo wir sonst zusammen kamen, von der Comœdie, in welcher wir gewesen, zu discuriren [sprechen], so wie man etwan, wenn man aus der Predigt kommt, von dem, was geprediget worden, zu discuriren pfleget; dasselbe mal aber, da des Molière sein Geiziger war vorgestellet worden, schwieg er stock stille, und ich war auch so listig, und wollte selbst davon nicht zu reden anfangen, damit es nicht schiene, als ob ich glaubte, daß er darinnen wäre getroffen worden. Er erzählte mir manchmal, wie sein Vater, so nur ein Schuster gewesen, einst durch Diebe schier um alle das Seinige gekommen, und wie er, als ein Christ, mit ungemeiner Gedult und Gelassenheit, und Vertrauen auf Gott solches vertragen, und wie er, als sein Sohn, hernach so wunderbar in der Welt zu einem so ansehnlichen Vermögen gekommen. Nur schiene mir es nicht recht getan, und wohl geschlossen zu sein, daß er bloß aus dieser zeitlichen Glückseligkeit immer ein Argument und Schluß machen wollte, wie ihn Gott so lieb haben müsse. Vielleicht hatte ich damals schon in der Schule gehöret, quod a gratia[82] creatoris ad gratiam Salvatoris non valeat consequentia. Die Frau Doctorin aber war desto gütiger und freigebiger, zum wenigsten gegen mich. Der Doctor gab mir vierte halb Kaiser-Böhmen [2 böhmische Kaisergroschen] die Woche vor meinen Tisch-Trunk; weil sie aber erkannte, daß das zu wenig vor mich sein wollte, so sahe sie, wo sie es am Markt-Gelde ersparen kunte, damit sie mir wöchentlich noch einmal so viel geben könnte. Das kam mir ungemein sehr wohl zu statten. Denn mein Bruder wohnte nicht weit von uns, und schickte mir zum Tisch-Trunk so viel Bier umsonst, als ich nur trinken mochte; kunte also das Bier-Geld hinlegen, oder davor bald dieses, bald jenes gute Buch mir anschaffen. Das tat ich auch. Ich kaufte mir schöne Autores Classicos, und Poeten, auch die guten Autores, und Oratores unserer Zeiten, die ich mit großem Vergnügen las. So las ich Buchneri, Cunæi, Guinisii, Barlæi, Vernulæi, Avancini Orationes [Reden], Sarbievii, Sautelii, Baldii Carmina [Gedichte], und machte mir Excerpta draus. Betaure, daß ich so bald auf die arguten [scharfsinnigen] Autores Tacitum, Senecam und Plinium verfiel, und an ihrem Stylo so vielen Geschmack fand, daß ich mich nicht satt lesen konnte. Ich verknüpfte mit denselben Barclaji Argenidem und sein Satyricon, der mich so angesteckt, daß ich auch in meinen Orationen [Reden], so ich publice [öffentlich] im Gymnasio hielt, ihn glücklich, wenn ich wollte, exprimiren [nachahmen] konnte. Andere Commilitones, welche meine, oder deren Æmulus [Konkurrent] ich war, waren auch bei ihren Reden und Gedichten dem Scharfsinnigen und den Argutiis ergeben; also suchten wir einander es immer darinnen zuvor zu tun; indem wir merkten, daß die arguten Ingenia [scharfsinnigen Begabungen] vom Herrn Rector, und auch Herr Krantzen æstimiret [geschätzt] würden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 81-83.
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