Anno 1699
§ 41

[100] Das war mein erstes Jahr auf der Universität. Ich kunte mit wenigem Gelde auskommen, denn ich lebte mäßig und sparsam; und die Collegia kosteten mich auch nicht viel, weil ich deren wenig hielt [besuchte], oder dieselben gratis hatte. Ich fieng auch schon an, einen halben Sprach-Meister zu agiren, und einige gute Freunde im Italienischen, und Französischen zu informiren, welche Sprachen ich, wie gedacht, in den letzten Jahren auf dem Gymnasio gelernt hatte; welches jetzt meinem Armut wohl zu statten kam. Ingleichen mußte ich gegen gute Bezahlung einem, so der mystischen Theologie ergeben, die sogenannte Deutsche Theologie ins Lateinische übersetzen, welche Übersetzung aber meines Wissen nicht gedruckt worden, ohne Zweifel, weil ihm hernach Castellionis, oder eines andern Übersetzung zu Handen gekommen.


Anno 1700

Anno 1700 in Ostern änderte ich mein Logis. Ich wünschte gerne auf einer Stube alleine zu sein, damit mich niemand im Studiren hindern möchte. Der bisherige Stuben-Pursche war zwar von der Schule her mein guter Bekannter; ich kunte aber doch nicht recht mit ihm in allem harmoniren. Ich mietete demnach bei dem alten Herrn Kecken, dem Auctionario, auf dem Thomas-Kirchhof ein. Allein ich hatte kaum drauf gegeben [eine Mietanzahlung geleistet], so reuete es mich schon wieder. Ich hatte mich übereilet, und einige Umstände nicht recht erwogen. Die Stube war im Hofe, und sehr dunkel. Man sagte mir, es werde um 9 Uhr des Morgens erst recht lichte, und im Winter täte es Not, man zündte um 2 Uhr Nachmittage schon wieder ein Licht an. Ich geriet darüber in unmäßige Sorge und Kummer, so daß ich etliche Tage des Nachts nicht ein Auge davor zu tun kunte. Ich sann, und sann, wie ich wieder loskommen könnte, und wußte doch kein Mittel zu erfinden. Endlich fiel mir eine Entschuldigung ein, warum ich die Stube nicht beziehen könnte, und Herr Keck nahm solche zu meinem großen Vergnügen an. Du wirst vielleicht lachen, daß eine so geringe Sache mich embarassiren [verwirren], und einnehmen [beunruhigen] können; aber was kann ich davor, daß mir die Natur keinen stärkern Kopf gegeben? Mein Haupt ist zum Sorgen, und in zweifelhaften[101] Fällen zum Wählen in meinem Leben jederzeit so schwach gewesen, daß ich mich vor nichts so sehr, als vor dem Pro, und Contra hütten [hüten] müssen, und vor dem Streit, den die Gedanken im Haupte haben, wenn der Mensch in einer Sache zu keiner Resolution kommen kann, auch allemal, so oft ich das Unglück gehabt, in dergleichen Zufälle, und Umstände zu geraten, der Verwirrung des Gemütes nahe gewesen, und jedesmal die ersten Anwandlungen davon gespüret habe. In ictu pulicis Deum invocare ist zwar ein Sprüchwort, mit welchem man derjenigen spottet, die bei allen Kleinigkeiten bald so ängstlich tun, als ob sie in ein Bocks-Horn kriechen wollten; aber schwachen Gemütern kann man es in Wahrheit nicht verargen, wenn sie auch bei dergleichen geringen Umständen, als der jetzt angeführte meinige war, zum Gebete, und in demselben zu demjenigen ihre Zuflucht nehmen, der der Schwachen Stärke ist. Ich tat es, und, ich glaube, wenn du um mich gewesen wärest, du würdest gesagt haben, du hättest dein Lebe-Tage keinen ärgern Poltron [Angsthasen] gesehen. Doch der Mensch muß sein, wie ihn Gott geschaffen hat, möchte ich auch hier mit den gemeinen Leuten sprechen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 100-102.
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