Anno 1704
§ 54

[133] Ich meinte, mein Jammer, Trübsal und Elend würde nun bald kommen zu einem seligen End. Denn ich bekam gegen die [Leipziger] Messe einen höchst dünnen Leib, so daß ich Anfangs gänzlich meinte, ich würde am Durchfall sterben müssen, und aller Plagen auf einmal los werden. Allein diese Krankheit war wider alles Vermuten eine Gelegenheit zu einer neuen Anfechtung. Denn auf die selbstmörderischen Gedanken, oder auch zu denselben, kamen nun auch die abscheulichsten, und unflätigsten Gedanken, so von natürlichen Dingen und Excrementis hergenommen, und, welches erschrecklich zu sagen, auf göttliche Dinge im Gemüte schnelle appliciret [bezogen] wurden. Ich mag sie nicht specificiren, um keines Menschen Imagination dadurch zu vergiften, und etwan anzustecken. Die, so mit dergleichen Plagen behaftet, daferne sie über diese Stelle hier kommen sollten, werden schon wissen, wie diese garstige und abscheulichste Gedanken, vor welchen das ganze Herz erschrickt, und schon bebet, wenn man sie auch nur von ferne sieht aufsteigen, und anmarchiret [anmarschiert] kommen, beschaffen gewesen; wie es denn ein großer Trost ist, wenn Angefochtene über solche Bücher kommen, in welchen sie sehen, daß es andern Leuten auch so, wie ihnen ergangen; indem sie nicht meinen, daß einem einzigen Menschen auf Erden jemals begegnet sei, was ihnen begegnet: zu welchem Ende ich auch selbst diese verdrüßliche Plage, und Seelen-Pein hier anführe. Es fallen mir auch zuweilen noch jetzt dergleichen Gedanken, Kraft der Imagination bei gewissen Gelegenheiten, insonderheit wegen schwächlicher Disposition meines Kopfs, wieder ein, nur daß ich es nicht mehr achte, noch wie dazumal, dafür erschrecke; welches zur Stunde der Anfechtung auch das beste Mittel ist, derselben wieder los zu[133] werden, wo man sich solche nichts läßt anfechten, sondern sich fest versichert, daß, weil sie wider unsern Willen aufsteigen, und man die höchste Verabscheuung dafür hat, solche von Gott nicht werden zugerechnet werden.

Ein schwaches Haupt mit seinen Ursachen ist und bleibt ein Geheimnis, das noch kein Philosophus und Arzt ganz ausstudiret, und die Würkungen desselben a priori völlig demonstriret. Ich will nach der Philosophie in dieser Sache die Dinge einem so deutlich machen, daß er sich darüber verwundern soll, daferne er mich nur zu verstehen fähig ist; ich tue mir aber doch nicht vollkommene Satisfaction, glaube auch kaum, daß ich unten alles völlig in das höchste Licht setzen werde. Wenn ich zur selbigen Zeit einen Trunk Merseburger-Bier, oder einen Trunk Wein zu mir nahm, so hatte ich auf eine kurze Zeit von solchen garstigen Einfällen Ruhe, ob ich gleich an solche Dinge gedachte, welche sonst die schändlichsten Gedanken auf den Fuße nach sich zogen; so daß es mich recht schwer würde ankommen sein, wenn ich dergleichen unflätige Gedanken mit Fleiß alsdenn hätte erwecken wollen; da sie sonst bei schwachem Haupte, wie der Blitz, in der größten Lebhaftigkeit, und Menge gleich da waren. Ich fieng also gar bald an zu merken, daß diese Plagen großen Teils auch leibliche Krankheiten wären, und vom Leibe, erhitzten Geblüte, und matten Lebens-Geistern herkämen, oder doch, wenn sie Anfangs aus einem gewissen Zustande entstanden, hernach durch die schwache Leibes-Disposition unterhalten und fortgesetzet würden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 133-134.
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