§ 69

[171] Hieher kann ich mit Recht auch die gemeine Sorgen-Plage rechnen, mit welcher viel Menschen zu gewissen Zeiten behaftet. Ich möchte sie beinahe die Sorgen-Krankheit heißen; denn die Zufälle des Leibes, woraus sie entstehet, werden von den vorigen nicht viel unterschieden sein. Siehe, du weißt, wie dir im Leibe, und in der Seelen zu Mute, wenn allerhand wichtige Dinge, z.E.[171] eine verworrene Proceß-Sache, ein besorglicher Verlust deiner Güter, eine zuvorher gesehene öffentliche Schande, dir wahrhaftige Sorge und Kummer macht, so daß man dir es nicht vor übel halten kann, wenn du überlegest und denkest, wie du dieser Übel los werden, oder denselben entgehen mögest, dafern du nur dabei als ein Christ Maße hältest, und deine Sorgen auf Gott zu werfen nicht vergissest. Mußt du aber nicht selbst gestehen, daferne du nur hast Achtung auf dich geben lernen, daß du dich manchmal in einem solchen Zustande befindest, da nichts zu sorgen ist, und da du gar nicht zu sorgen Ursache hast, und doch bei allen geringen, kleinen und nichtswürdigen Dingen mit einem ganzen Heer von Sorgen angegriffen, und überfallen, und im Gemüte eingenommen wirst, so daß du derselben nicht kannst los werden, und dich recht verwundern, und darüber klagen mußt? Deine Seele will mit ganzer Gewalt, und mit des Henkers Dank an allen Lappalien hangen bleiben, so daß dein Haupt und dein Gemüte recht darüber zerrüttet wird; da du zu anderer Zeit dir aus solchen Dingen gar nichts machen, sondern, weil keine Schwürigkeiten vorhanden, dich gar bald zu entschließen wissen würdest. Z.E. du weißt, dein Nächster wird dieses, oder jenes von dir begehren. Zu einer andern Zeit würdest du in einer halben Minute bei dir ausgemachet und beschlossen haben, was du ihm antworten wolltest; zu der Zeit aber, da du just einen solchen Leib hast, wie diejenigen, deren Leib durch wahrhaftige reelle Sorge alteriret [geschwächt ist], und in gewisse Disposition gebracht wird, so kannst du einen ganzen Tag des Bettels, und des Dinges nicht los, und nicht mit dir einig werden, was du deinem Nächsten antworten wolltest; und ist doch eine nichtswürdige Sache. Du richtest [lachst] dich selbsten deswegen aus, du ärgerst dich nicht wenig darüber, und hänget dir doch an, wie eine Klette, und macht dir den Kopf warm, daß du davor nicht schlafen, und du dir es nicht aus dem Sinne schlagen kannst. Begegnet dir dergleichen selten, so kann ich dich versichern, daß es Leute giebt, die in gewissem Grade Hypochondriaci und Melancholici sind, die solche Plage täglich, und viel Jahre haben, und bei jedwedem Lumpen-Dinge pro und contra mit sich zu streiten haben, und solches entweder als eine Anfechtung, oder als eine Krankheit ansehen, und Gott um Befreiung derselben anrufen.

Das größte Licht in dieser Sache würden wohl geben diejenigen Bewegungen im Leibe, welche mit den Neigungen zu dem andern Geschlechte verknüpfet sind, und welche Bewegungen,[172] und Ausbreitungen bei jungen, gesunden, und auch wohl bei solchen Leuten, wo die vielen Salze im Geblüte so gar zu einer Krankheit werden, ebenfalls öfters ohne vorhergegangene Gedanken, Urteile, Schlüsse, und Neigungen zu entstehen pflegen, und die Seele, wenn sie nicht auf der Hut ist, zu dergleichen Gedanken, Urteilen, Schlüssen, und Begierden verleiten, die solche Bewegungen im Leibe sonst erregen; allein weil ich nicht die Freiheit in dieser Sache zu schreiben habe, welche man den Naturkündigern, und Ärzten giebt; oder weil es vor einen alten Junggesellen sich nicht wohl schicken will, von dergleichen Dingen zu reden; so muß ich solches billig weglassen, um zarte Gemüter nicht zu ärgern. Verständige Leser werden leicht dieses wenige, was ich jetzt gesagt, mit dem Vorhergehenden vergleichen, und die Application [Anwendung] drauf machen können.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 171-173.
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