§ 76

[206] Nun die Ausschweifung, die ich bisher gemacht, ist ziemlich weitläuftig gewesen; ich habe aber wichtige Ursachen gehabt, diesen Discours von der Autochirie [Selbstmord] hier einfließen zu lassen, den ich sonst zu Ende des ganzen Buches anzuhängen beschlossen hatte. Wenn du etwan in andern Stücken der Gelehrsamkeit geübter bist, als in dieser Materie, so in die Pneumatic und andere Scientien [Wissenschaften] einschlägt, so meine nicht, als ob es mich viel Kopfbrechens gekostet hätte, von diesen Dingen zu schreiben, oder als ob ich gar durch dergleichen speculativische Dinge meinen Kopf geschwächet, und den Grund zu meinen seltsamen Plagen geleget hätte, die ich in meinem Leben erfahren müssen; wie denn unterschiedene, wenn ich denselben etwas von meinen Zufällen [Krankheiten], denen ich in der Welt unterworfen gewesen, oder noch unterworfen bin, entdecket, alle meine Übel meinem unmäßigen Studiren, das insonderheit auf philosophische, abstracte, und moralische Dinge[206] gerichtet gewesen, zuschreiben wollen. Ich kann dich versichern, daß, was auch etwan in meinen Büchelgen, so ich heraus gegeben, Speculativisches und Tiefsinniges zu finden sein möchte, ich mich niemals etwas zu schreiben unterfangen, wobei ich den Kopf sonderlich angreifen müssen, sondern lauter solche Dinge geschrieben, die recht nach der Schwachheit meines Leibes und Hauptes gerichtet gewesen, und die ich innumerato [zahllos] gehabt, und so zu reden in Fingern herzählen können, und ohne groß Meditiren in die Feder dictiren können, wie mir meine Schreiber davon selbst werden Zeugnis geben. Ein Erkenntnis von Dingen, die man selbst erfahren, und auf welche man in der Jugend sich appliciret und geleget, da die Natur noch stark, und zu solchen Studiis vor andern geschickt gewesen, kost einem Scribenten [Autor] niemals große Mühe auf das Papier zu entwerfen, und andern mitzuteilen. Mein Studiren ist, leider, auch mäßig genug in der Welt gewesen, so daß du mir unrecht tun würdest, wenn du mich unter die Püchler [Vielschreiber] und Sudler rechnen wolltest, die ganze Tage und Nächte über den Büchern liegen, und doch wohl wenig vor sich bringen. Die gute Methode im Studiren, auf welche ich zu fallen das Glücke gehabt, hat mir müßige Tage und Stunden genug in meinem Leben verstattet, die ein anderer sich nicht leicht würde haben machen dürfen, wenn er auch nur das niedrige Maß der Erudition erlangen wollen, welches du mir zuschreiben möchtest. Ich habe außer meiner Mutter-Sprache bis 8 andere Sprachen gelernet, in Humanioribus [Sprachen und Literatur], in Philosophicis, in theologischen Dingen, in der Morale und Polemic [Kontroverstheologie] mich geübet, ohne daß es mich viel Zeit, oder Mühe gekostet, dasjenige zu erlernen, was ich erlernet zu haben, in Schriften, wie ich meine, gewiesen, so wenig als es auch sein möchte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 206-207.
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