§ 80

[213] Meine aber nicht, als ob ich diese Dinge demselben hoch anrechne, die ich jetzt von ihm erzählet, oder noch von ihm zu erzählen werde veranlasset werden. Es sind Fehler und Gebrechen eines großen Mannes, dergleichen Breslau nicht gehabt hat, auch wohl nicht leicht wieder haben wird. Er war ein Philosophus, Theologus, und dabei ein ungemeiner Orator und Redner, dessen Predigten mich selbst vielfältigmal beweget und erquicket. Er[213] hat gehandelt nach seinem Erkenntnis, und nach dem, was ihm vor seine Ohren gebracht worden. Wenn einer in einem Orte Inspector der Kirchen ist, wo man die Papisten zu Nachbarn hat, und ein neuer Prediger auftritt, der eine ganze Stadt in Bewegung setzt, und zu allerhand Urteilen Gelegenheit giebet, so ist es nicht zu verwundern, wenn er Turbas [Wirren] befürchtet, und darnach seine Furcht so weit ausschweifen, oder sich zu unmäßigem Zorne bewegen läßt. Es begegnet dies vielen Leuten, was ihm wiederfuhr, und sonderlich denen, die schon zu Jahren kommen, daß, wenn sie das Übel des Zornes selbst erfahren, sie sich hernachmals bei gewissen Gelegenheiten, wo ihr Amts-Zorn nötig zu sein scheinet, vorm Zorne fürchten, und im Streit mit sich selber, so sehr sie auch den Zorn zu unterdrücken bemühet sind, aus Übereilung denselben mit Ungestüm heraus brechen lassen. Es schien auch, als wenn es den Herrn Inspector hernachmals selbst gereuet hätte, daß er zu heftig gegen mich gewesen. Denn er schickte mir kurz darauf durch den Schemel-Setzer, den die Leute, weil er alles bei ihm galt, den kleinen Inspector nennten, 6 Taler als ein Viaticum [Reisegeld] auf die Reise, mit Vermelden, daß es ihm jemand, der mich gerne gehöret, zugeschicket, und gebeten, mir solches einhändigen zu lassen. Aber der kleine Inspector gab mir zu verstehen, daß es wohl ein Geschenke von ihm selber sein würde. Sein Zorn wurde auch nach der Zeit durch desto größere Furcht, was er etwan vor böse Folgen nach sich ziehen dürfte, zur Genüge bestraft. Denn er machte sich fürchterliche Gedanken von mir, und dachte, wer weiß, was ich anfangen, und wie ich mich an ihm rächen würde, sobald ich wieder nach Leipzig würde gekommen sein, wie aus dem folgenden erhellen wird. Vor mich war das, was mir wiederfahren, eine gute Züchtigung. Denn ich hatte mich an ihm, da ich noch auf dem Gymnasio studirte, ohne Zweifel durch allzu große Hochachtung und Vertrauen auf seine Gunst und Wohlgewogenheit versündiget, und beinahe einen Gott aus ihm gemacht; so ließ mich denn Gott anjetzo sehen, daß er ein Mensch wäre, und daß es eine Torheit sei, auf Menschen sich zu verlassen, und sein Vertrauen zu stellen. Es war mir aber auch ein großer Anstoß in der Religion, und im Glauben; wie mir denn in meinem Leben mein Glaube durch nichts so schwer und schwach gemacht worden, als durch die Aufführung gewisser Prediger gegen mich, die sich allzu harte gegen mich bezeuget, auch zu einer Zeit, da ich noch unschuldig gewesen, und ganz ein ander Tractament [Behandlung] verdienet hätte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 213-214.
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