Anno 1712
§ 118

[284] Diese und andere Dinge mehr, so ich vortrug, machten einen großen Eindruck, sowohl bei Sündern, die noch nicht bekehrt waren, als auch bei solchen, die schon einen guten Anfang im[284] Christentum hatten; so daß sie öfters mit vielen Worten mir bezeugeten, wie sie durch meine Predigten entweder zu einem bessern Leben gebracht, oder im Guten gestärket, auch wohl bei ihren Trübsalen und Anfechtungen getröstet worden. Ich kann nicht umhin, ich muß doch hier zweier Weibes-Personen gedenken, die in ihrer Krankheit, und auf ihrem Sterbe-Bette einsten mich zu sich entbitten lassen, und welche ich in einem solchen seltsamen, doch gutem Zustande, was ihre Seelen anbelanget, angetroffen, daß ich darüber in die höchste Verwunderung gesetzet worden. Das eine war eine Gärtnerin in des alten Herrn D. Drechslers Garten, welche ich Anno 1716 auf ihr Begehren besuchte; und das andere war des jüngern Herrn D. Drechslers seine Frau Liebste, welche mich, wo ich nicht irre, Anno 1727 zu sich kommen ließ. Ich meinte, ich würde sie etwan wider das Schrecken des Todes, und der Höllen trösten, und aufrichten sollen; so aber befand ich ganz ein anders. Sie waren selbst schon mit so viel himmlischen Trost, und Versicherung von ihrer Seligkeit erfüllet, dergleichen ich mein Lebtage an keinem Sterbenden wahrgenommen, auch selbst noch niemals zu einem so hohen Grade des Vorschmacks des Himmels, und der ewigen Seligkeit gelanget bin. Sie redeten alle beide auf einerlei Weise. Sie hätten mich nicht zu sich kommen lassen, sprachen sie, irgend etwan Trost auf ihrem Sterbe-Bette von mir zu begehren, sie wären damit in ihrem Herzen überschwenglich erfüllet: sie hätten nur gewünscht vor ihrem Ende noch den zu sehen und zu sprechen, der so oft in Predigten ihr Herz und Seele mit himmlischer Freude erquicket, und zu ihrem Wachstum im Christentum und Standhaftigkeit im Leiden, und Trübsalen so ein großes beigetragen. Sie wußten mir nicht genug davor Dank zu sagen, und wünschten mir so viel Gutes, als dergleichen Herzen in solchen Umständen zu wünschen nur fähig sind.

Bei der letzten, nämlich der Frau D. Drechslerin, war dieses noch das Merkwürdigste, daß sie mit Paulo, wenn ich so reden mag, gleichsam bis in den dritten Himmel entzückt war [2. Kor., 12,2], und vorgab, sie wäre nicht mehr auf Erden, sondern schon würklich im Himmel bei Gott. Ich merkte so wenig Krankheit an ihr, daß vielmehr ihr Angesicht voller Freuden leuchtete, und ihr Mund so voll Frohlockens und Jauchzens war, daß ich nicht anders meinte, die Freude würde ihr noch das Herze abstoßen. Der alte Herr D. Drechsler, so zugegen, redete mit mir von diesem Zustande und wollte es einer bloßen Phantasie zuschreiben; ich antwortete ihm aber, und sagte: ich[285] wünschte, daß ich in solchen Phantasien sterben möchte; und wenn das bloße natürliche Phantasien sind, so weiß ich nicht, was wir endlich vor einen himmlischen Herz-stärkenden Trost der Gläubigen im Tode, und vor einen Vorschmack des Himmels wollen ansehen, und ausgeben. Zudem bei aller dieser Einbildung, die sie hatte, als ob sie schon im Himmel wäre, so kannte sie uns Anwesende doch alle, wußte auch gar gute Vermahnungen denen zu geben, so ihr am nächsten waren; und wie glücklich würden wir sein, wenn wir solchen Vermahnungen alle nach ihrem Tode gefolget hätten. Denn was mich insonderheit vollends am allermeisten bewegte, so daß ich nicht wußte, was ich denken sollte, war unter andern eine gewisse Abmahnung, die sie an mich ergehen ließ. Ach, lieber Herr Magister, sprach sie, ich weiß wohl, sie haben jetzt dies und jenes im Sinn, und gedenken große Dinge zu unternehmen; ach tun sie es nicht, ändern sie ihren Vorsatz, bleiben sie in dem, wozu sie Gott gesetzt und berufen hat, sie werden mehr Nutzen schaffen, es ist damit nicht viel in der Welt anzufangen. Waren es just nicht diese Worte, so konnte ich doch keinen andern Verstand [Sinn] daraus nehmen, als eben diesen. Ich deutete es, da ich noch bei ihr zugegen war, heimlich auf den bekannten Tractat, den ich damals zu schreiben willens war, und welchen ich schon untern Händen hatte. Ich nahm mir vor, so bald ich würde nach Hause kommen, diesem seltsamen Umstande, und dieser wunderbaren Begebenheit nachzudenken; und siehe, ich weiß nicht, wie es geschehen, daß ich eher nicht, als das Jahr darauf, und kurz vor meiner Resignation wieder dran gedacht habe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 284-286.
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