Anno 1736
§ 161

[389] Doch siehe, was ich am meisten hätte anführen sollen, fällt mir jetzo zuletzt ein: das ist die Angst, so mir die Batzen, und das schlimme Geld, so wir im Lande haben, verursachet. Mich hat zwar allemal gekränkt, wenn ich auf Reisen, oder auf Spazierfahrten beim äußersten Tor, der Leute ihre schreckliche Leichtsinnigkeit wahrgenommen, nach welcher sie sich kein Gewissen machen, wider des Königes Gesetze zu handeln, und nicht ansagen, was sie mitbringen, sondern einen kahlen Groschen zu ersparen, vertuschen und verstecken, was sie haben; oder wenn wohlhabende Leute ihr Bier, und ganze Viertel in Kellern verstecken, daß sie solche nicht veraccisiren [verzollen] dürfen; was aber das verrufene Geld anbelanget, so ist mir jederzeit im Gemüte gewesen, wie andern Leuten. Ich sahe, wie ich es konnte los werden, und wieder ausgeben, so oft ich dasselbe[389] einzunehmen genötiget wurde. Es sind aber schon mehr als zwei Jahr vergangen, daß mich mit Ungestüm der Zweifel überfallen, ob es recht sei in diesem Stücke dem königlichen Münz-Mandat zuwider zu leben. So viel kunte ich wohl begreifen, daß arme Leute in diesem Stücke zu entschuldigen, die in solchem Nahrungs[Erwerbs]-Wesen stehen, daß sie zu Bettlern müßten werden, und die Kinder verhungern lassen müßten, wenn sie keinen andern Pfennig, als gut Geld annehmen wollten; aber ich sehe doch nicht, wie die es verantworten können, die, ob sie schon einigen Schaden in ihrer Nahrung leiden würden, wenn sie dem Befehle des Königes nachkämen, doch deswegen nicht um ihre zeitliche Glückseligkeit kommen würden. Ich habe aus der Erfahrung gelernet, daß es möglich sei den königlichen Verordnungen nachzukommen. Schmerzlich ist es wohl, ich muß es gestehen; denn bei zwei Jahren her, da ich bei Pistoleten 4 und bei den Louis d'or 3 Gr. gegen gut Geld eingebüßet, so habe ich mehr als 30 Rtlr. Schaden am Gelde erlitten, womit ich meinen Anverwandten und andern Armen hätte helfen können. Es ist schmerzlich auch vor diejenigen Eltern, deren Kinder mit mir zu verkehren haben, und mit mir zu essen pflegen; denn diese müssen in den kleinen Städten, damit sie den Söhnen nur Gold an statt der Batzen schicken können, 8 bis 10 Gr. vor einen Louis d'or Aufgeld geben.

Doch muß endlich noch zu allem Rat werden, wenn man sich genötiget siehet, nicht wider die Obrigkeit, und also nicht wider Gott zu sündigen. Und sollte ich meinen, wenn bei solchen Land-Übeln, dergleichen das Münz-Wesen verursachet, die Obrigkeit dem Consilio des Herrn Thomasii folgte, und die Prediger zu Hülfe nähme, daß dieselben eine große schwere Gewissens-Sache den Leuten daraus machten, wo sie nicht, so viel möglich, der Obrigkeit auch in diesem Stücke gehorchen wollten, es sollte den Übeln bald mit mehrerm Nachdruck gesteuret werden. Ich muß nur noch lachen, wenn ich an die Antworten gedenke, welche mir die Leute manchmal gegeben, wenn ich ihr verrufen Geld nicht nehmen wollen. Lauter kindische Entschuldigungen haben sie, und können nicht das geringste aufbringen, so lange sie nicht ihre höchste Not und Armut vorschützen. Draußen in Lindnau nehmen sie sie: ich wollte derselben wohl vor 100 Rtlr. unter die Leute bringen, es wegert [weigert] sich niemand; auch der und der Politicus [Beamte] und Prediger nimmt sie, wenn sie ihm den Zins bringen. Trefflich ausgesonnen! hab ich denn eingewendet: es ist nun aber das königliche Gebot[390] da, so ist es ihnen lächerlich gewesen. O man muß sich nicht in allem so genau nach der Obrigkeit richten, haben sie hinzugesetzt. Nun, sage ich, wenn es in einem Stücke angehet, über die Gesetze der Obrigkeit zu critisiren, und sie nach meinem Schaden und Interesse zu beurteilen; so ist kein Gesetze der Obrigkeit, was nicht durchlöchert werden kann, und alles Wort Gottes ist lauter nichts, welches doch so ernstlich gebietet, unter der Bedrohung des Zornes Gottes der Obrigkeit untertänig und gehorsam zu sein [Tit. 3,1], welcher man gehuldiget, welcher man den Gehorsam verheißen und zugesaget. Da nun das Gesetze der Natur will, daß man seine Pacta und Versprechen halten soll, so sündiget der wider das Gesetze der Natur, dessen Urheber Gott ist, und also wider Gott selbst, der wider die Obrigkeit sündiget. Bei so bestallten Sachen habe ich mich bisher nur gedultig nach meinem Erkenntnis den öffentlichen Verfassungen unterwerfen müssen. Wegen obangeführter Ursache, und meines eigenen Schadens, habe ich wohl ein und das andere mal gedacht an das gnädigste Mandat, so vor 3 Jahren einst affigiret und ausgehänget war worden, da die Unter-Obrigkeit befehliget worden, die Execution an denen, welche wider die ersten Mandata handeln, aufzuschieben, und erst zu berichten, und den armen Leuten Raum und Gelegenheit zu geben wegen ihrer Not und Armut, und wegen des genommenen und ausgezahlten Geldes ihre demütige Vorstellung zu tun: Doch dieses hat mich dennoch nicht den Befehlen contrair zu agiren bewegen können, weil leicht zu vermuten, daß die Unter-Obrigkeit, wenn das Übel größer wird, und mehr überhand nimmt, als gewissenhafte Richter vor Gott ihre Ursachen haben werden, warum sie des Blut-Armen nicht schonen können, sondern Gewalt brauchen müssen; so, daß folgendlich man auch derselben ihren Befehlen sich, so viel möglich, zu unterwerfen verbunden ist.

Da dergleichen Skrupel in großer Menge mir aufgestoßen, der ich doch jederzeit mich der christlichen Freiheit bedienet, und den rechten, und zulässigen Gebrauch der Mittel-Dinge verteidiget; zu was vor Gewissens-Zweifel werden nicht andre arme Melancholici können verleitet werden, die nicht studiret, und denen man bald das, bald das zur Sünde machen, auch wohl gar sie zu absolviren Bedenken tragen will, wo sie nicht ihre Lebens-Art ändern? Ists hernach Wunder, wenn auch vielmal solche Leute, deren Profession, und Gewerbe doch etliche Schritte weiter von der Gelegenheit, und Veranlassung zur Sünde entfernet ist, sich ein Gewissen machen bei ihrer Arbeit, und Handtierung[391] zu bleiben, ihr Nahrungs[Erwerbs]-Wesen mit Dippeln, und Gichteln vor sündlich halten, und lieber im Lande müßig herumlaufen wollen? Der eine trinkt Wein, sein Herze zu erfreuen, der andere säuft sich darinnen voll. Der eine trägt sein Kleid wie Judith, und Esther: der andere stolziret darinnen wie der reiche Mann. Der eine bauet aus Not, und aus guten Absichten, der andere bauet seine große Babel, wie Nebucadnezar. Der eine erquicket sich durch eine Music, der andere braucht sie, seine herrschende Wollust zu nähren. Der eine bedienet sich in Gesellschaft der zweideutigen, und scharfsinnigen Worte seines Nächstens, sein Gemüte zu ergötzen, der andere nimmt daraus Anlaß, einen bösen Affect zu erregen. In Summa, wo alle diejenigen ihre Lebens-Art ändern sollen, die durch das, was sie mit den Händen verfertigen, oder mit dem Munde reden, dem Nächsten per accidens [mittelbar] zur Sünde Anlaß geben; so werden wir in kurzem 100 Handwerker vor eines einbüßen. Bier- Wein-Caffée-Schenken, Branntewein-Brenner, Zimmerleute, Mäurer, Schuster, Schneider, Hoffartsmacher [Putzmacher], Kartenmacher, Peruckenmacher, Pferde-Verleiher, Lohn-Kutscher, Musicanten, und 600 andere, werden ihr Handwerk müssen fahren lassen. Denn wenn sie nicht wären, noch das Werk ihrer Hände, so würden viel tausend Sünden unterbleiben; indem der Mißbrauch eines jeden Dinges auf Erden hundertmal größer, als sein rechter Gebrauch ist. Was soll ich sagen von Seil-Tänzern, und Taschen-Spielern, denen wir doch unter andern zu danken haben, daß uns die betrügliche Welt nicht mit ihren falschen und erdichteten Wundern äffen, und zu ihrem Aberglauben bewegen kann? Die Gemüts-Erquickungen sind manchem Menschen schier so nötig, als das Kleid, das er auf dem Leibe hat. Die geistliche Freude aber kann man nicht haben, wenn man will, sondern Gott giebt sie, wenn sie der Seele nötig: vor den Leib hat er andere Mittel verordnet. Zudem, ist die geistliche Freude nicht in hohem Maße, so bringet sie häufige Tränen herfür: und derselben reichliche Vergießung ist nicht allemal dem Leibe zuträglich.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 389-392.
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