Die alleinstehende Frau

die alleinstehende Frau.

[92] Unter diesem Titel begreifen wir sowohl die Unverheiratete wie die junge Witwe und die geschiedene Frau. Beschäftigen wir uns zuerst mit der Erstgenannten.

Es gehört bekanntlich zu den verpöntesten Vergehen in der Gesellschaft, eine Dame nach ihrem Alter zu fragen,[92] und wir werden uns hüten, einer einzelnen gegenüber uns dessen schuldig zu machen; aber im allgemeinen darf man doch die Frage aufwerfen: wie alt muß ein Mädchen sein, um zu den nicht mehr zu verheiratenden, den sogenannten »alten Jungfern« zu gehören?

Es ist schwer, eine Antwort auf diese Frage zu geben, denn es handelt sich ja nicht um einen ausgesprochenen Verzicht auf die Ehe; und da Vermählungen auch noch in späteren, ja den spätesten Jahren stattfinden, so ist es unmöglich, ein Alter dafür zu fixieren. Im allgemeinen denkt man, wenn ein Mädchen die Dreißig überschritten hat, sie werde sich nun nicht mehr verheiraten; richtiger wäre es wohl, die Zeit anzunehmen, wenn ein Mädchen zugibt, die Dreißig überschritten zu haben.

Wir berühren damit eine Schwäche nicht nur der unverheirateten, sondern der Frauen im allgemeinen. Freilich eine verzeihliche Schwäche. Die Jugend hat so viele Vorrechte, wird so gefeiert, daß der Wunsch begreiflich ist, ihr lange anzugehören. Ein französischer Schriftsteller – ich glaube La Bruyère – sagt einmal: »Wenn ich zu wählen hätte, so möchte ich bis zum zweiundzwanzigsten Jahre ein junges Mädchen, dann aber ein Mann sein.« So kurze Zeit nur erscheint ihm die Stellung des Mädchens angenehm. Die Frauen also suchen sich jene Vorteile so lange wie möglich zu bewahren, leider aber auf Kosten der Wahrheit und auf Kosten ihrer Würde!

Ja, verzeihen können wir dem alternden Mädchen den Wunsch, die Zeit der Jugend zu verlängern, die Sehnsucht, noch in der zwölften Stunde ein Glück zu finden, das ihr das einzige erstrebenswerte erscheint; aber höchst traurig ist es, die Anstrengungen zu beobachten, welche jene Mädchen machen, um die genannten Ziele zu erreichen. Da werden alle möglichen Toilettenkünste angewandt, um die fliehenden Reize[93] zu bewahren; da schließen sie sich immer wieder der aufblühenden Generation an, um als mit ihr in gleichem Alter stehend betrachtet zu werden; da wird um so mehr geschäkert und gelacht, je mehr man berechtigt ist, den Ernst des Lebens bei ihnen zu suchen. Und ist dann alles umsonst, gehen die Jahre dahin, ohne ihnen das ersehnte Heil zu bringen, so zieht tiefe Bitterkeit in das getäuschte Herz ein und ihr Leben gehört zu denen, die man mit dem trostlosen Epitheton »verfehlt« bezeichnen muß.

Diese Auswüchse sind es, die das alternde Mädchen in Verruf gebracht, ihr den erwähnten Spottnamen der »alten Jungfer« eingetragen haben. Denn nicht dem Alter zumeist gilt der Spott, sonst würde er auch die Matrone, die Großmutter treffen; auch nicht die »Jungfer« oder Jungfrau, d.h. die Unverheiratete würde ihn in dem Maße hervorrufen, wenn sie selbst sich nicht ihres Alters wie des Cölibats schämte.

Und dazu kommt oft noch ein anderer, aus diesem Cölibat hervorgehender Mangel: der eines Berufs. Sie hat den natürlichen Beruf der Frau, die Ehe, nicht gefunden, einen anderen nicht gewählt; so steht sie ohne bestimmte Pflichten, ohne wirkliche Arbeit im Leben. Sie mag sich beschäftigen, mag sich in oder außer dem Hause nützlich machen, allein ihr Dasein ist nicht ausgefüllt, sie fühlt sich nicht notwendig in ihrem Kreise, und nur dies Gefühl kann die Befriedigung verleihen, welche Ersatz für manches Entbehren, für manche Täuschung gewährt. Diese beruflose, sich an die Jugend anklammernde, nur sich selbst lebende, dadurch leicht egoistische, engherzige und verbitterte Frau ist es, die allein das Stigma der »alten Jungfer« verdient. Wer denkt daran, eine Lehrerin, die im treuen Wirken für die Jugend ergraut ist, oder die unverheiratete Frau, welche einem kaufmännischen Geschäfte vorsteht, oder jene, welche[94] ihre Kräfte und Mittel gemeinnützigen, humanen Bestrebungen widmet, oder auch die Künstlerin, welche durch ihr Schaffen sich eine Existenz und anderen Freude bereitet, als »alte Jungfer« zu belächeln? ... Was man auch von der Frauenbewegung unserer Zeit denken mag, diesem Princip muß doch jeder vernünftige Mensch beistimmen, daß nämlich die Frau so gut wie der Mann die Pflicht hat, ihre Gaben zum Wohle der Menschen zu verwerten, die Pflicht, in einer ihren Fähigkeiten angemessenen Weise teilzunehmen an der Kulturarbeit der Menschheit. Erst aus der Erfüllung dieser Pflicht erwächst ihr auch das Recht auf die Achtung ihrer Mitmenschen, und der Spott, unter dem sie jetzt zu leiden hat, die »alte Jungfer«, wird damit beseitigt werden.

Solange das unverheiratete Mädchen im Vaterhause, unter dem Schutze der Eltern steht, ist ihre gesellschaftliche Stellung gewöhnlich die der anderen Familienglieder. Aber der Vater, die Mutter werden ihr genommen – sie steht allein. Da gestaltet ihr Los sich denn oft zu einem recht traurigen.


»O, welche Lust, allein zu sein!

Allein zu stehn – o, welche Pein!«


dieses Wort haben Tausende von Frauen als wahr empfunden. Sie bedürfen mehr als sonst des freundlichen Zuspruches, des Rates; und doch ist in ihrer neuen Stellung der Verkehr mit den alten Freunden ihnen erschwert. Ihre weiblichen Bekannten freilich mögen sie besuchen und bei sich sehen, soviel sie wollen; aber die befreundeten Männer, welche, solange sie mit dem Vater oder der Mutter zusammenlebten, häufig Gäste in ihrem Hause waren, sie halten es für eine ihnen schuldige Rücksicht, sich jetzt seltener sehen zu lassen.[95]

In der That ist die Gesellschaft sehr zurückhaltend in ihren Zugeständnissen gegen alleinstehende Damen, und hier sprechen wir nicht nur von dem unverheirateten Mädchen, sondern auch von der jungen Witwe, von der geschiedenen Frau. Im allgemeinen sagt man, mit dreißig Jahren ist die Frau über die Jugend hinaus, dann darf sie Herren zu sich einladen, darf freier als das junge Mädchen mit ihnen verkehren. Dennoch möchten wir keiner Frau dieses Alters, besonders wenn sie hübsch ist, raten, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen; ja selbst mit vierzig und fünfzig Jahren ist sie noch nicht vor dem Tadel der Welt sicher, wenn sie es thut. Der Fluch Hamlets: »Sei keusch wie Eis, sei rein wie Schnee, der Verleumdung wirst du doch nicht entgehen,« er ist immer noch nicht von der Frau genommen.

Am meisten hat die schon erwähnte geschiedene Frau unter ihm zu leiden. Mag die Veranlassung zur Trennung ihrer Ehe gewesen sein, welche sie wolle, mag sie selbst nicht die geringste Schuld treffen – es ist und bleibt neben dem wirklichen auch ein gesellschaftliches Unglück für sie. Ihre Stellung ist dadurch beeinträchtigt, die Reinheit ihres Namens getrübt. Nicht nur ist man stets geneigt zu glauben, daß das Unrecht doch wohl auf beiden Seiten liegen müsse, sondern, wie in Herzensangelegenheiten dem Manne ja immer mehr Zugeständnisse gemacht werden, als der Frau, so mißt man ihr gewöhnlich den größten Teil der Schuld bei. Der geschiedene Mann bewegt sich frei in der Gesellschaft, findet leicht einen Ersatz; die geschiedene Frau lebt wie in einem Glashause: alles beobachtet sie, kritisiert sie, die unschuldigsten Handlungen werden falsch gedeutet, manche Freiheit, welche die Witwe, die Unverheiratete sich erlauben darf, wird ihr übelgenommen.

Allein auch die letzteren thun wohl, auf ihrer Hut zu[96] sein. Ohne ängstlich bei jedem Wort, jeder Handlung nach den Spionenaugen dieser allmächtigen »Welt« zu blicken, ob sie auch nicht mißbilligend dreinschauen, wird die alleinstehende Frau es doch möglichst vermeiden, Anstoß zu erregen. Sie mag zu ihren Gesellschaften Herren hinzuziehen, unverheiratete wie verheiratete, muß sich ihnen gegenüber aber reservierter halten, als eine Hausfrau den Freunden ihres Mannes gegenüber dies thun würde. Kleinere Gesellschaften mag sie allein besuchen, bei Bällen und öffentlichen Festlichkeiten aber hat sie sich einer befreundeten Familie anzuschließen, und immer thut sie wohl, sich von ihrem Dienstmädchen abholen zu lassen, oder einen Wagen für den Zweck zu bestellen, um nicht den Gastgeber oder einen der Herren der Familie, die sie mitgenommen, zu nötigen, sie nachts nach Hause zu begleiten. Dieser Dienst ist, besonders bei großen Entfernungen, kein angenehmer für den Herrn; auch die Gattin oder Mutter des Betreffenden – fast hätten wir gesagt »Betroffenen« – empfindet das, und wird sich vielleicht das nächste Mal weniger bereit finden lassen, die Freundin zu einem Feste mitzunehmen.

Allein zu reisen, ist jetzt jeder Dame, und einer älteren zumal, erlaubt; ja man sieht solche häufig allein die Sehenswürdigkeiten einer Stadt besuchen oder eine Gegend durchstreifen. Angenehm ist das aber nicht für sie, und die ihr begegnenden Touristen werden sie entweder für sehr emancipiert oder, wenn sie noch ein jugendliches Aussehen hat, für etwas »fragwürdig« halten. Bei einem Aufenthalt in einem Badeorte, einer Villegiatur, wo sie regelmäßig die Promenade, die Table d'hôte besucht, ist ein solches Alleinsein aber ganz unthunlich; sie würde bei den übrigen Gästen entschieden Anstoß erregen und die Erfahrung machen, daß es keine peinlichere Einsamkeit gibt, als das Alleinsein[97] unter vielen fremden Menschen. In solchen Fällen ist es also stets ratsam, sich, wenn nicht einer Familie, so doch einer Freundin anzuschließen; zwei ältere Damen zusammen können getrost die Reise um die Welt wagen, es wird ihnen das niemand übelnehmen!

Im allgemeinen hängt es sehr von dem Wesen der alleinstehenden Dame ab, wieviel Freiheit sie sich gestatten darf. Fordert sie aber weder durch ihr Benehmen noch durch ihre Toilette oder Lebensweise den Tadel der Welt heraus; dient sie, statt nur sich selbst und ihrem Vergnügen zu leben, mit ihren geistigen und materiellen Mitteln, soviel sie vermag, dem Wohle anderer – sei es in einem Berufe oder in freier Thätigkeit, – dann darf sie dieselbe Achtung seitens der Gesellschaft beanspruchen, welche der Gattin, der Familienmutter gewährt wird. Ja man sollte sie, die den natürlichen Schutz des Mannes, die das Glück der eigenen Familie entbehrt, doppelt schützen, doppelt zu erfreuen suchen; dann wird einerseits ihre Stellung eine für sie selbst befriedigendere werden, andererseits auch die Gesellschaft, statt eines störenden Elementes, in ihr ein ihre Zwecke förderndes Mitglied besitzen. –

Wir haben nun die verschiedenen Mitglieder der Familie, sowie die häuslichen Einrichtungen innerhalb derselben betrachtet. Diese letzteren aber lassen sich nicht leicht treffen ohne Hilfe von Personen, die nicht zur Familie gehören, und mit diesen haben wir uns jetzt zu beschäftigen.


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 92-98.
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