[193] »Gott nur siehet das Herz« – Drum eben, weil

Gott nur das Herz sieht,

Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn.


So mahnt uns Schiller in einer seiner Xenien. Es ist bedeutungsvoll, daß gerade Schiller, der ideellste unserer Dichter, dies thut, er, der als Jüngling nicht recht wußte, was er mit seinen langen Armen und Beinen anfangen sollte, und der selbst erzählt, daß er erst spät den Wert einer Spitzenmanschette, eines Jabots kennen gelernt habe. Er hatte am Weimarer Hof diesen Mangel wohl empfunden, trotz der Versicherung Charlotte von Kalbs: er könne es mit seinen Manieren überall wagen.

Auch Lessing, und selbst der schöne, von Natur gewandte und sein erzogene Goethe hatten unter ihren äußeren Mängeln zu leiden, sowie sie ins Leben eintraten. Der letztere erzählt von der Frau Hofrat Böhme in Leipzig, an welche der junge Student empfohlen war: »sie wußte mich, der ich zwar gesittet war, aber doch eigentlich was man ›Lebensart‹ nennt, nicht besaß, in manchen[193] kleinen Aeußerlichkeiten zurecht zu führen und zu verbessern;« und Lessing klagt, ebenfalls als Leipziger Student: »eine bäurische Schüchternheit, ein verwilderter und ungebauter Körper, eine gänzliche Unwissenheit in Sitten und Umgang, verhaßte Mienen, aus welchen jedermann seine Verachtung zu sehen glaubte, das waren die guten Eigenschaften, die mir bei meiner eigenen Beurteilung übrig blieben.«

Wir sehen also, die trefflichsten inneren Eigenschaften genügen nicht, da eben nur Gott das Herz sieht; sie müssen sich auch nach außen hin bethätigen, damit die Welt ebenfalls etwas Erträgliches zu sehen bekomme. Nun, an dem Wunsche, anziehend zu erscheinen, fehlt es gewiß niemand; was aber können wir thun, um dieses Ziel zu erreichen?

Das Mittel dazu ist ein dreifaches. Wir können freilich unsere Gestalt nicht verändern, unserer Länge, wie die Bibel sagt, nicht einen Zoll zusetzen; aber wir können das Aeußere, welches die Natur uns verliehen, erhalten, kultivieren und schmücken. Wir können es erhalten durch die Pflege des Körpers, es kultivieren durch gute Haltung und Manieren, es schmücken durch die Toilette.


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 193-194.
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