im geschäftlichen Verkehr.

[342] Sowie es sich um eine Geldfrage handelt, hört nicht nur, nach Hansemann, die Gemütlichkeit, sondern auch die Verstellung auf. Beim Handel, in den Verkaufsläden kann man die Menschen wirklich kennen lernen.

Wenigstens nach einer Richtung hin: ob sie geizig oder freigebig, kleinlich oder großherzig sind. Man entgegne nicht, daß sich das nach der Beschaffenheit des Geldbeutels richte. Nein! ich kann eine Gabe, um die man mich bittet, verweigern, weil mir die Mittel dazu fehlen; aber wenn ich in einen Laden trete, um einen Gegenstand zu kaufen, dann muß ich die Mittel dafür besitzen, sonst darf ich auf den Kauf nicht reflektieren.

Eine große Anzahl Menschen aber – besonders viele dem weiblichen Geschlecht angehörende – kann sich nicht versagen, bei jedem Gegenstand etwas vom Preise abhandeln zu wollen. – Ich traf in einem Laden einmal[342] eine elegant gekleidete Dame an, welche einen Sammetmantel verlangte. Man zeigte ihr einen, der mit seinem Wollenstoff gefüttert war. »Ich trage nur seidenes Futter,« bemerkte sie mit stolzem Zurückwerfen des Kopfes. Man legte ihr nun andere, mit Seide gefütterte Mäntel vor; diese aber fand sie zu teuer und begann von dem geforderten Preise abzuhandeln, erst per zehn Mark, dann per einzelne Mark, suchte kleine Mängel an dem gewählten Kleidungsstück ausfindig zu machen, um es herabzusetzen, wollte schließlich noch Rabatt haben – kurz, stellte die Geduld des Kaufmanns auf eine Probe, welche die meine sicher nicht bestanden haben würde! Mir schwebte immer die Frage auf den Lippen: »Wenn Sie zu nobel sind, um anderes als seidenes Unterfutter zu tragen, wie können Sie dann so unnobel sein, in dieser Weise zu feilschen?«

In der That, ein solches Abhandeln setzt den, der es thut, dem Kaufmann gegenüber herab: er bittet ihn, von dem, was er rechtmäßigerweise als Entgelt für seine Ware fordern kann, ihm etwas zu schenken, denn wir setzen voraus, daß er es mit einem soliden Kaufmann zu thun hat, der seine Kunden nicht überfordert. Nur bei solchen Kaufleuten sollte man kaufen. Jene Schleudergeschäfte, jene herumziehenden Warenlager mit den chronischen Bankerotts sollte kein anständiger Mensch durch seine Kundschaft unterstützen. Und doch sieht man zuweilen ganz seine Damen in solchen Läden, deren Personal, ja deren ganze Atmosphäre etwas Verletzendes hat. Sie glauben dort billiger zu kaufen, als in den größeren soliden Geschäften, aber sie irren sich: sie erhalten nur schlechtere Ware, und nachdem sie die Hälfte vom Preise heruntergehandelt, dürfen sie doch noch überzeugt sein, zu viel gezahlt zu haben. »Billig und schlecht«, dies Wort bestätigt sich da gewöhnlich.

Diese Passion des Feilschens hat zur Folge, daß selbst[343] in soliden Geschäften zuweilen vorgeschlagen wird. Der Kaufmann weiß, dieser oder jener Kunde liebt es, herabzubieten, um sich einbilden zu können, daß er einen Gegenstand billiger erstanden hat als andere Menschen; so läßt der Verkäufer ihm, »das kindliche Vergnügen« und nennt einen höheren Preis. Auch das Rabattgeben beruht nur auf diesem Umstand, denn es wird von dem wirklichen Preise nicht abgezogen, sondern daraufgeschlagen. Gewöhnten die Käufer sich das Feilschen ab, so würde jeder solide Kaufmann sich dessen freuen und gern die billigsten, aber festen Preise ansetzen.

Ist uns also ein Artikel, nach dem wir fragen, zu teuer, so haben wir einfach zu bemerken: »So viel wünsche ich nicht dafür anzuwenden.« Wir begnügen uns dann mit einer geringeren Qualität oder verzichten auf den Kauf, der unsere Mittel übersteigt. Nie aber sollten wir eine Ware tadeln, um sie billiger zu erhalten; gefällt sie uns nicht, so zwingt uns ja nichts, sie zu nehmen. Wie liebenswürdig dagegen erscheint der Käufer, der die vorgelegte Ware lobt, ihre Güte anerkennt; der Kaufmann wird ihn sicher doppelt gern bedienen.

Neben der Liebenswürdigkeit aber darf dem Käufer eine andere reelle Eigenschaft nicht fehlen: die des prompten Bezahlens. Kann man das seidene Kleid nicht bezahlen, so trage man lieber ein wollenes; dem Kaufmann aber das ihm schuldige Geld jahrelang vorzuenthalten ist eine Unehrenhaftigkeit, die kein anständiger Mensch begehen darf. Dieses Borgen der Waren – oft auf unbestimmte Zeit hinaus! – ist auch eine Ursache des erhöhten Preises derselben: die Zinsen müssen ja daraufgeschlagen werden. So hängt die Solidität der Händler großenteils von der der Käufer ab.

Verlangen wir vom Käufer also Freundlichkeit, sowie[344] unverkürztes und promptes Bezahlen, so dürfen wir von dem Verkäufer seinerseits Höflichkeit und Zuvorkommenheit erwarten. Aber auch diese finden wir nicht immer. Besonders sind es die ganz jungen Leute beiderlei Geschlechts, welche sich beim Verkaufen zuweilen eine Zerstreutheit und Achtlosigkeit zu schulden kommen lassen, die höchst unangenehm berührt. Sie messen z.B. etwas ab, während sie auf ein Gespräch horchen, und haben schließlich die Meterzahl vergessen, so daß sie noch einmal anfangen müssen; oder sie unterhalten sich gar mit einem Kollegen, während sie einen Kunden bedienen. Das ist natürlich gänzlich unstatthaft. Auf die Bemerkung des letzteren, er habe diesen oder jenen Gegenstand anderswo billiger gekauft, hört man oft die Antwort geben: »Das kann ich nicht glauben«, oder gar: »Das ist nicht wahr«. Eine solche Ungezogenheit genügt natürlich, den Käufer auf Nimmerwiederkehr zu verscheuchen; freilich aber ist eine solche Bemerkung auch überflüssig, denn kann er dieselbe Ware in einem andern Laden billiger bekommen, nun, so mag er sie dort kaufen!

Manche Commis wissen nicht immer die Grenze zwischen der von ihnen zu verlangenden Höflichkeit und einer unpassenden Vertraulichkeit innezuhalten; doch ist auch das zum Teil mit Schuld des Käufers, welcher den Ton anzugeben hat. Wenn eine Dame z.B. sich mit dem Commis in weitläufige Auseinandersetzungen über den zu kaufenden Gegenstand oder gar in ein persönliches Gespräch einläßt, so kann sie sich nicht wundern, daß er sich Bemerkungen erlaubt, die sie verletzen.

»Sie müssen mir diesen Stoff wirklich umtauschen,« hörte ich einmal eine Dame sagen. »Ich begreife nicht, wie mein Mann blau für mich wählen konnte! Blau macht blaß und dick...«[345]

»Aber die gnädige Frau haben so frische, hübsche Farbe und eine so schlanke Taille, daß Sie das wohl riskieren dürfen,« entgegnete lächelnd der Commis.

Die Dame sah ihn entrüstet an ob seiner Dreistigkeit – allein sie hatte sie doch selbst provoziert.

Lange Unterhaltungen mit dem Verkäufer sind schon deshalb zu vermeiden, weil seine Zeit ja dem Geschäft, seinen Kunden gehört, die wir dadurch zu lästigem Warten verurteilen.

Ehe wir die Läden verlassen, sei es uns gestattet, unsere Ansicht auszusprechen, daß viele Arten des Detailverkaufs gar nicht als männlicher Beruf geeignet sind. Wenn wir einen jungen Mann z.B. Blumen verkaufen sehen, die seine großen Hände oft wenig zart anfassen, oder er uns ein Stück Spitze vormißt, wobei seine Augen gedankenlos ins Leere starren, oder aber er uns Bänder vorlegt und, das bunte Seidengewebe mit elegantem Schwung durch die Finger gleiten lassend, entzückt ausruft: »Großartig schön! nicht wahr, gnädige Frau?« dann können wir nicht umhin, zu denken, daß es weder der männlichen Kraft noch der männlichen Intelligenz bedarf, um ein solches Amt zu versehen. Dafür reichen weibliche Hände und weiblicher Verstand sicher aus. Noch weniger am Platze erscheinen uns die Commis in Geschäften für weibliche Untergarderobe. Wie eine Dame mit solch einem jungen Menschen die Weite ihrer Unterröcke oder die Länge ihrer Beinkleider besprechen mag, verstehen wir nicht; sie sollte vielmehr die Magazine, in denen dies von ihr verlangt wird, meiden, so würde sich der Chef schon dazu verstehen, weibliche Hilfe zu engagieren.

Einkäufe, die ein umfangreiches Paket bilden, hat der Kaufmann dem Käufer immer in seine Wohnung zu schicken. In großen Städten haben die bedeutenderen Geschäfte ihre[346] eigenen Fuhrwerke und Diener zu dem Zweck. Liefert ein solcher uns ein Paket ab, so wird er kein Trinkgeld dafür erwarten; bringt er uns aber eine Auswahl von Stoffen, Mänteln u. dgl., muß vielleicht warten, bis wir die Sachen angesehen haben, so ist es ratsam, ihm ein kleines Geldgeschenk zu geben.

Ueberhaupt sollte man mit Trinkgeldern im geschäftlichen Verkehr nicht allzu sparsam sein. So wenig wir ihnen bei Gesellschaften das Wort redeten, so zweckmäßig erscheinen sie uns bei vielen anderen Gelegenheiten. Begleitet uns ein fremder Dienstbote nach Hause, so mögen wir diese Gefälligkeit nicht umsonst in Anspruch nehmen; hat der Konditorjunge eine Viertelstunde zu warten, ehe er das gebrachte Eis servieren kann, so bieten wir ihm ein Entgelt für seine verlorene Zeit. Das Mädchen, das uns ein Geschenk seiner Herrschaft überbringt, den Droschkenkutscher, der uns gut gefahren, den Kellner, der uns im Restaurant bedient hat, entlassen wir mit einem kleinen Douceur; den Dienstboten der Häuser, in denen wir viel verkehren, geben wir ein solches zum neuen Jahre oder machen ihnen Weihnachten ein Geschenk. Freilich sammeln alle diese kleinen Trinkgelder sich das Jahr über zu einer nicht ganz unbedeutenden Summe an; allein wir kaufen uns auch etwas nicht Unbedeutendes damit: nämlich einen guten Namen in der dienenden und gewerbtreibenden Klasse – also ein ideelles Gut für ein kleines materielles Opfer.

Da nun aber das Geld und alles, was damit zusammenhängt, zu den gemeinen Dingen dieser Welt gehört, so sollte man bei Geldangelegenheiten besonders viel Zartgefühl zeigen. Die Art, wie ein Geldgeschenk gegeben, wie eine Schuld getilgt wird, ist sehr verschieden; sie kann erfreuen, sie kann tief verletzen. Geben sollte man immer rasch, ohne viele Worte, ohne dem Geschenke lange Ermahnungen[347] beizufügen; wir nehmen ihm sonst seinen Wert. Beim Abwickeln eines Geldgeschäfts aber müssen wir berücksichtigen, mit wem wir es zu thun haben.

Lassen wir einem Kaufmann, einem Handwerker seine Rechnung durch unseren Dienstboten bezahlen, so mag er das Geld aus seiner Börse dem Betreffenden aufzählen. Bei anderen Geldzahlungen aber, an Personen, die keinen Laden oder keine Werkstatt haben, also z.B. an den Arzt, den Advokaten, an einen Künstler, Lehrer oder an unseren Hauswirt, würde eine solche Form höchst unschicklich sein: ihnen sendet man den Betrag eingesiegelt. Gewöhnlich fügt man seine Visitenkarte bei, auf der man den Dank für die etwa empfangenen Dienste ausspricht. Erhielt man eine Rechnung, so legt man diese ein und erhält sie quittiert zurück; Aerzte, die häufig keine Rechnungen schreiben, senden ihre Karte als Quittung oder machen kurz nachher einen Besuch.

Der Arzt nimmt eine solche Ausnahmestellung in der Gesellschaft ein, daß wir ihm wohl einige besondere Bemerkungen widmen müssen. Die Frage, wen wir in einer uns fremden Stadt zu unserem Arzte wählen sollen, ist eine sehr wichtige, und wir werden sie nicht ohne genaue vorherige Erkundigungen entscheiden. Wünschen wir, daß der Arzt uns regelmäßig, als Hausarzt, besuche, so müssen wir ihn besonders darum bitten; sonst benachrichtigen wir ihn, so oft wir seiner bedürfen. Im ersteren Fall schicken wir ihm zu Neujahr eine bestimmte Summe; im anderen senden die Aerzte meist ihre Rechnung ein.

Haben wir einen Arzt rufen lassen, so werden wir ihn alsbald zu dem Patienten führen, auch wenn dieser – oder diese – das Bett hütet. Es wäre eine falsche und oft gefährliche Prüderie, wenn eine Dame, um den Arzt zu empfangen, trotz heftiger Unpäßlichkeit aufstehen, oder man[348] ihn nicht zu ihr lassen und ihm statt dessen nur eine Beschreibung ihres Zustandes geben wollte. Da der weibliche Arzt in Deutschland nicht, oder doch nur sehr selten zu haben ist, so müssen Frauen dem männlichen gegenüber alle sonst gebotene Schamhaftigkeit überwinden. – Findet der Arzt seinen Patienten nicht zu Hause – ohne daß er ihm das Ausgehen gestattet hatte – oder entdeckt er, daß die von ihm vorgeschriebenen Mittel nicht angewendet worden sind, so wird er seine Besuche einstellen. Ist man damit einverstanden, wünscht also einen anderen Arzt anzunehmen, so berichtigt man einfach die Rechnung des bisherigen; anderenfalls bedarf es einer begründeten Entschuldigung und dringender Bitte von seiten des Patienten, um den Arzt zum Wiederkommen zu vermögen.

Zuweilen kommen wir in die Lage, Dienste zu empfangen, für die wir kein pekuniäres Entgelt leisten können: z.B. wenn ein Arzt uns aushilfsweise gratis behandelt, ein Lehrer unser Kind ohne Honorar unterrichtet. In solchen Fällen sucht man seinen Dank bei passender Gelegenheit, z.B. Weihnachten, durch ein Geschenk zu beweisen, zu dem man dann irgend einen Kunst- oder Luxusgegenstand wählt. Das Anbieten von Geld kann bei derartigen Vorkommnissen geradezu beleidigend sein; der Takt, das Zartgefühl muß da das richtige Verhalten diktieren.

Sehr gewissenhaft sollte man mit dem Bezahlen kleiner Anleihen sein, die man bei Bekannten macht. Ein Freund bezahlt für uns im Restaurant, weil uns das Kleingeld ausgegangen; eine Freundin leiht uns ihr Portemonnaie zu einem Einkauf, an den wir beim Ausgehen nicht gedacht hatten. Da sollten wir, sobald wir nach Hause zurückgekehrt sind, das Geld einsiegeln und den Betreffenden zuschicken; durch Aufschieben geraten solche Kleinigkeiten gar zu leicht in Vergessenheit. Der Gläubiger scheut sich natürlich,[349] uns zu mahnen; wir meinen aber, wenn er unser Freund ist, dürfte er das getrost thun, denn er muß wissen, daß es unsererseits nur eine Vergeßlichkeit ist, die uns später, wenn wir ihrer bewußt werden, sehr verdrießt. Auf Reisen besonders sollte man nicht Anstand nehmen, an solche kleine Auslagen zu erinnern; denkt der Schuldner erst daran, nachdem er uns oder wir ihn verlassen, so hat er die Mühe, den kleinen Betrag nachzusenden. Wer sich bewußt ist, dergleichen leicht zu vergessen, sollte beim Entlehnen gleich bitten, ihn zu mahnen; das wird es dem anderen erleichtern, der sonst in die Lage kommt, an die Warnung zu denken: man hüte sich vor der ersten Auslage!

Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit in allen Geldangelegenheiten gehört entschieden zu den Eigenschaften, die keinem Mitgliede der guten Gesellschaft fehlen sollten.


Unser nächster Gang führt uns, besonders wenn wir dem männlichen Geschlecht angehören, in


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 342-350.
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