[373] Le style c'est l'homme. Dieses Bouffonsche Wort ist allgemein gekannt, wird sich aber schwerlich immer als richtig erweisen. Die Schreibweise eines Menschen ist häufig so wenig der getreue Ab- und Ausdruck seines Innern, daß von der einen auf das andere zu schließen uns oft gänzlich irre führen würde. Die Litteratur bietet zahlreiche Beispiele davon, und auch im Privatleben haben wir häufig Gelegenheit, diese Bemerkung zu machen. Wer ist nicht einmal höchst überrascht gewesen, von einem gescheiten Menschen einen nichtssagenden, schlecht stilisierten Brief zu empfangen, während ein anderer, dem er in dieser Hinsicht gar nichts zugetraut, einen reizenden Brief schreibt? Der schriftliche Ausdruck ist eben, wie der mündliche, eine Kunst, und zur Ausübung einer jeden Kunst gehört ein Talent. Man kann richtig und klar schreiben wie sprechen lernen, aber so wenig man durch Studium die Rednergabe erlangt, so wenig wird alle Mühe uns die Fähigkeit schön und anziehend zu schreiben verleihen.[373]

Indessen auch das Talent muß ausgebildet werden, und wo es fehlt, muß man es durch doppelte Sorgfalt zu ersetzen suchen. Denn zum Schreiben hat jeder Mensch mehr oder weniger Veranlassung. Wo Entfernung oder besondere Verhältnisse den mündlichen Verkehr nicht zulassen, da tritt der schriftliche Verkehr, der Brief, an seine Stelle; einen guten Brief zu schreiben gehört deshalb mit zu den Anforderungen, welche an die Mitglieder der guten Gesellschaft gestellt werden.

Besprechen wir zuerst die


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 373-374.
Lizenz:
Kategorien: