Vorrede zur ersten Ausgabe.

Als ich vor einem Jahre einige, meiner Tochter gewidmete Bruchstücke über weibliche Bestimmung und über die dazu erfoderliche Vorbereitung und Ausbildung, dem Braunschweigischen Journale einzuverleiben anfing, hatte ich noch nicht die Absicht, ein ganzes Buch darüber zu schreiben, noch weniger ein ganzes Buch darüber drucken zu lassen. Dieser zweifache Vorsatz kam mir erst nachher, da ich theils vom väterlichen Herzen dazu aufgefodert ward, theils bei genauerer Prüfung dessen, was unser Bücherwesen über diesen Gegenstand bis dahin aufzuweisen hatte, zu bemerken glaubte, daß der Versuch, diesen ganzen Gegenstand noch einmahl, nicht bloß für meine Tochter, sondern auch zur öffentlichen Ausstellung zu bearbeiten, wenigstens zu den verzeihlichen gehöre. Mein Herz, welches niemahls stärker fühlte, daß ihm Vaterpflichten obliegen, blutete beim Anblick so mancher Mißleitung, wodurch dis ewig gegängelte und ewig getäuschte Geschlecht, in Schriften nicht weniger als durch Anführung und Beispiele, von seiner ursprünglichen hohen und würdigen Bestimmung so häufig abgeführt wird;[4] und weder die Betrachtung der zarten Natur des Gegenstandes, noch die abschreckende Schätzung meiner durch so viele andere gleichzeitige Besorgungen zu sehr getheilten Kräfte, konnten mich länger abhalten, den Versuch zu wagen, wie weit die schwache Stimme eines mitleidigen Warners, beim Rauschen des Weltstroms, sich hörbar zu machen und Eingang zu finden vermöchte.

Ich verheelte mir dabei nicht, was für einen, der kein Neuling in der Welt ist, so leicht zu bemerken war, daß diejenigen Begriffe von weiblicher Bestimmung und weiblicher Vollkommenheit, welche die unbefangene Betrachtung an die Hand gibt, mit denen, welche in der Welt, besonders in den verfeinerten Ständen, darüber herrschend sind, einen auffallenden, oft widrigen[5] Abstich machen. Ich sah es nur zu gut voraus, daß der Geist unsers Zeitalters – der des Leichtsinns und der Ueppigkeit – über viele meiner, ihm gerade entgegenstrebenden unsanften Vorstellungen empört, mir manches gute Wort verwehen, manches aus seinem Zusammenhange reissen und es dadurch widersinnig machen, manches, welches eben eindringen wollte, von der Oberfläche des Herzens, worauf es fiel, mit überwiegender Kraft wieder hinwegblasen würde. Aber diese niederschlagenden Betrachtungen konnten und durften mich nicht abhalten, meinen wohlgemeinten Rath zu Papier zu bringen; konnten und durften, nachdem dis geschehen war, mich nicht abhalten, ihn drucken zu lassen. Denn wenn auch tausend mahl Tausende ihn nicht lesen, ihn also auch nicht benutzen werden:[6] so gibt es doch außer diesen vielleicht noch einige hundert andere, deren natürlich guter Sinn schon vorher ahnend merkte, daß die große Heerstraße, auf welche eine zweckwidrige Erziehung und das fortreißende Beispiel der Schwestern sie geleitet hatten, wol nicht der rechte Weg zu ihrem Ziele sei; die sich daher schon lange nach einem treuen, des bessern Pfades kundigen Führer umsahen, und die nun mich vielleicht mit einigem Vertrauen, wo nicht auf Erfahrung und Einsicht, doch auf die Lauterkeit wohlmeinender Absichten, beehren dürften. Für diese sei mein Buch denn auch bestimmt; und wohl mir und ihnen, wenn sie dasselbe, wie von solchen Leserinnen zu vermuthen steht, nicht als eine Unterhaltungsschrift, wozu es so ganz nicht geeignet ist, sondern als einen ernsten Rath[7] über ihre ernsthafteste und wichtigste Angelegenheit, mit angestrengter Aufmerksamkeit, in den Stunden der größten Ruhe und Seelenheiterkeit lesen, beherzigen und durchgängig auf sich selbst anwenden wollen!

Ich habe zwar in dem Werke selbst an mehr als Einem Orte geäußert, daß ich es vornehmlich für junge Frauenzimmer des glücklichen Mittelstandes, nicht für junge Damen von Stande schrieb: aber es ist gut, daß diese Nachricht auch hier an der Spitze desselben stehe, damit Leserinnen aus der großen Welt, falls auch von diesen etwa eine oder die andere sich an dis Buch verirren und es dann ihrer Aufmerksamkeit würdigen sollte, diesen Gesichtspunkt nicht übersehen, und nach eigenem Gutbefinden selbst[8] bestimmen mögen, wie viel oder wie wenig von dem, was ich jenen gerathen habe, auch für sie anwendbar und nützlich sein könne. Warum ich mir jene Schranken selbst gesetzt habe und setzen mußte, davon ergeben sich die Gründe, ohne daß ich sie erst anzudeuten nöthig habe, wol ganz von selbst.

Der zweite Theil dieses Werks handelt von der, einem jungen Frauenzimmer nöthigen Menschenkenntniß, und theilt die darauf gegründeten Klugheitsregeln mit. Da ich den nämlichen Gegenstand schon vor sechs Jahren in meinem Theophron für Jünglinge behandelt hatte, und die Menschen, im Ganzen genommen, unterdeß nicht anders geworden sind, als sie damahls waren: so stand es nicht bei mir, in Ansehung[9] verschiedener dahingehörigen Beobachtungen und Regeln, eine für niemand mehr, als für mich selbst lästige Wiederholung zu vermeiden. Man wird indeß, wenn man solche Stellen mit denen in dem obgenannten Buche zu vergleichen sich die Mühe geben will, hoffentlich nicht undeutlich wahrnehmen, daß ich unterdeß nicht umsonst unter Menschen gelebt, und bei den sich mir darbietenden Gelegenheiten zu neuen oder berichtigenden Bemerkungen meine Augen nicht geschlossen haben müsse. Dieser Umstand, daß ich nicht leicht eine meiner ehemahligen Beobachtungen hier wieder benutzte, ohne sie durch neuere Bemerkungen entweder zu bereichern, oder genauer zu bestimmen, machte es in den meisten Fällen unthunlich, das obgedachte ältere Buch dabei anzuführen, weil die daraus entlehnten Stellen nicht mehr[10] ebendieselben waren. Uebrigens wird man bei genauerer Nachzählung finden, daß alle, hier mit verbessernden Abänderungen wieder benutzten Gedanken, zusammengenommen nicht mehr, als zwei Bogen und einige Seiten anfüllen,1 und daß, wenn man den Preis dieses Buchs mit den gewöhnlichen Bücherpreisen vergleicht, den Käufern[11] desselben, nicht bloß eben so viel, sondern mehr noch unentgeldlich zugegeben sei.


Braunschweig, im März 1789.


Der Verfasser.[12]

1

Bei der dritten gänzlich umgearbeiteten Ausgabe des Theophrons ist die Zahl der Bogen, welche beide Werke mit einander gemein haben, zwar größer geworden; aber die Preise beider Werke sind auch nach dieser Veränderung so gestellt worden, daß derjenige, der beide kauft, dasjenige, was sie mit einander gemein haben, bei dem einen wenigstens unentgeldlich erhält.

Quelle:
Campe, Joachim Heinrich: Vaeterlicher Rath für meine Tochter. Braunschweig 1796 [Nachdruck Paderborn 1988].
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