Ausklang

[101] Mein Verlag ist in seiner Form als deutscher Kulturverlag zu einem gewissen Abschluß gekommen, und auch ich selbst fühle mit meinen sechzig Jahren in mir einen Abschluß meiner Anschauungen und all dessen, was ich gewollt und ersehnt habe. Man ist nun so weit gekommen, daß man sich sagt, jede neue Zeit stellt auch neue Aufgaben, jetzt mag die nächste Generation die neuen Aufgaben in die Hand nehmen. Aber das Verzichten wird trotz aller Einsicht nicht leicht, denn immer noch fühlt man als notwendige innere Verpflichtung mitzuhelfen, daß etwas geschieht, damit wir zu neuen Bindungen kommen. Man ist ja selbst noch in den alten Bindungen aufgewachsen und hat erlebt, wie wohltätig das war, auch wenn manche Lebensformen schon erstarrt waren.[101]

Ich bin mir wohl bewußt und sage es in aller Bescheidenheit mit dem Gefühl der unvollkommenen Leistung, daß die Autoren meines Verlages in ihrer Wirkung auf das geistige Leben des Volkes aus der Geistesgeschichte um die Jahrhundertwende nicht wegzudenken sind und ebenso, daß vom Verlag aus auch eine gewisse Wirkung auf den Buchhandel ausgegangen ist, nicht nur in Ausstattungsfragen, sondern auch in der Auffassung der inneren Verpflichtung unseres Berufes. In dieser Auffassung fühle ich mich in der gleichen Linie mit meinem Thüringer Landsmanne Friedrich Perthes, der etwas mehr als nur geldverdienender Buchhändler und Verleger war. Im geistigen Leben der Nation fühle ich mich etwa in der Richtung von Lichtwark, Avenarius und Friedrich Naumann stehend, mit deren Lebenswerk ich mich eng verbunden fühle und denen ich während ihrer Wirksamkeit manchmal persönlich begegnet bin. Zumal zu Avenarius habe ich jahrelang ein enges Freundschaftsverhältnis gehabt, und es freute mich, daß dann nach langer Trennung in seinem letzten Lebensjahr sich dieses wieder anspann.

Blicke ich auf mein Werk zurück, so muß ich gestehen, ich hätte vieles besser machen und erfolgreicher gestalten können. Es ist wie bei den Herren vom Rathause, man wird erst später klug, wenn man vom Rathause wieder fortgegangen ist. Als Verleger ist man ein ewiger Dilettant, und das ist die eigentliche Tragik seines Lebens; wenn man irgendwo in einer eigenen schöpferischen, literarischen oder wissenschaftlichen Tätigkeit wurzeln würde, taugt man nicht zum Verleger. Ich meine, die erste Eigenschaft eines Verlegers muß Einfühlungsfähigkeit gepaart mit Instinktsicherheit sein, die zweite eine gewisse Kombinationsgabe, um verschiedene geistige Bezirke miteinander zu verbinden und zu selbständigen Analogieschlüssen zu kommen, die dritte Eigenschaft ist aber Wagemut, und diese ist sein eigentliches Schicksal, denn es heißt auf die richtige Karte setzen. Das bedeutet nicht immer, augenblicklichen Erfolg zu haben. Ich möchte sogar so weit gehen und sagen, der augenblickliche Erfolg ist gar nicht so entscheidend im verlegerischen Leben, das Entscheidende[102] ist Ausdauer und Konsequenz. Der Zickzackkurs des Verlegers, der immer der neuesten Mode nachläuft, führt selten zu einem guten Ende. Es geht das wohl ein paar Jahre gut. Man kann aber nicht immer so schlau sein, daß man gleich die nächste Strömung am richtigen Zipfel anpackt, dafür ist die Konkurrenz zu stark.

Ich weiß sozusagen die impressionistische Art meines Verlages, die für das vergangene Zeitalter durchaus richtig war, geht zu Ende. Mein Verlag wird später unter Leitung meiner Söhne nicht mehr seinen universalen Charakter als deutscher Kulturverlag durchhalten können, sondern wird sich ganz bestimmte engere Linien suchen müssen. Wahrscheinlich wird in Zukunft erst der eigentliche Grundzug des Verlages, nämlich das Religiöse, deutlich sichtbar werden, freilich nicht religiös in kirchlicher Auffassung, sondern in dem Sinne, daß Gott und die Welt eins sind. In dem Sinne, daß Gott im menschlichen Geiste lebt und als solcher die Forderung stellt, daß der wirklich wesenhafte Mensch – er befindet sich immer innerhalb einer dünnen Einzelschicht – nicht in der Form des »Leblings« beharren darf, sondern sich zum »Geistling« entwickeln muß.

Ich glaube jedoch, die eigentliche Aufgabe meines Verlages ist noch nicht erfüllt, sondern steht ihm erst bevor, nämlich die Ausdehnung seiner Verdindungen über Deutschland hinaus in die Welt. Weniger im Verfolg internationalistischer und pazifistischer Ideen, sondern Vorausbedingung des Wirkens in Weltweite ist die Verwurzelung im Volkstum, denn dadurch entsteht erst die religiöse Dynamik des deutschen Menschen. Kein religiöses Gerede haben wir mehr nötig, sondern religiöses Tun im Sinne eines Sozialismus, der nicht nur die Arbeiterklasse, sondern alle Klassen umfaßt, mit einem Wort also: die wahrhafte Volksgemeinschaft. Volksgemeinschaft kann aber nur bestehen, wenn sich die Anschauung über Besitz im Sinne unseres großen Jenenser Ernst Abbe umwandelt: Besitzpflicht geht vor Besitzrecht.

Als ich während des Krieges in Kopenhagen einmal infolge von[103] allerlei Verknüpfungen im Auto unserer Feinde und daher gleichfalls mit einem englischen Chauffeur in die Umgebung fuhr, kam mir zum Bewußtsein: Menschen verschiedener Nationen, die eine gemeinsame Menschheitsaufgabe haben, verstehen sich trotz aller notwendigen Verschiedenheit immer. Sogar in einer Zeit, in der ihre Regierungen Krieg führen. Sie fühlen sich verbunden, eben weil das Gemeinsame größer ist als das Trennende.[104]

Quelle:
Diederichs, Eugen: Aus meinem Leben. Jena 1938, S. 101-105.
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