10.

Edelmann will nach Herrnhut gehen, und wie Dippel ein Chymist werden, zerkält aber mit dem Hrn. Grafen von Zinzendorf und schreibet Christus und Belial.

[201] § 11. »Bey dieser Gelegenheit erfuhr Edelmann die Beschafenheit von den herrnhutischen Anstalten aus dem Grunde. Sein freyer Geist aber war nicht gewohnt, ein Joch über sich zu nehmen, und sanftmütig zu werden, seine Vernunft unter den Gehorsam des Zinzendorfischen Glaubens gefangen zu nehmen. Sein Absehen war zwar in Herrnhut auf Kosten des Hrn. Graffens einige Zeit zu leben, und sich in der Chymie zu üben, anbey im verborgenen ein anderer Dippel zu werden. Wie Er denn des berüchtigten Conrad Dippels Schriften laß, und dessen Schmäh-Geist des Ministerii in ihm Wohnung machte. Sonst gefiel ihm, was Dippel vor Arcana gehabt, die ihm theuer genug bezahlet worden. Er vermeinte solche in Herrnhut bey dem Hrn. Doctor Theodor Wilhelm Grotthauß so von Kopenhagen nach Herrnhut gekommen, zu erlernen. Allein der Hr. D. Grotthaus muste weiter, und nach America gehen, nahm auch in Dreßden von Edelmannen unvermuthet Abschied. Als nun der Hr. Graf von Zinzendorf weiter kein Geld vorschießen wolte, war die Freundschaft bald aus, unterm Vorwand, Edelmann habe des Herrn Grafens Irthümer erkannt, zu deßen Beweiß edirte er die Schrift Christus und Belial.«[201]

§ 12. Dieser Tert hat, wie die Bibel, sowohl wahres als falsches, weswegen einer, der nicht betrogen seyn will, eines von dem andern gar sorgfältig unterscheiden muß. Wahr ist also, daß ich bey meiner kurzen Anwesenheit in Herrnhut, die Beschaffenheit der herrnhutischen Anstalten ziemlich, aber nicht, wie der Verfaßer schreibet, aus dem Grunde erfahren. Denn wenn das gewesen wäre, so würde ich nimmermehr bey dem Entschluß, nach Herrnhut zu ziehen, noch eine ziemliche Zeit geblieben seyn, viel weniger meinen guten Dienst, beym Grafen von Calenberg aufgekündiget haben. Die Unrichtigkeiten der herrnhutischen Griffe musten mir erst nach und nach kund werden, und insonderheit die gesuchte Herrschaft des Grafen über die Gewißen entdecken. Denn wie ich davon ein Licht krigte, so war freylich kein Heyland mehr im Stande, mich zu Aufnehmung seines Joches zu bereden, und in soweit hat der Verfaßer ganz recht wenn Er schreibet: »Mein freyer Geist wäre nicht gewohnt, ein Joch über sich zu nehmen.«

Wenn Er aber hinzusezt: Er sey auch nicht gewohnt sanftmüthig zu werden, so will ich nicht in Abrede seyn, daß ich das zur selben Zeit, auch nicht sonderlich gewohnt gewesen: Aber wie hätte ich auch zu dieser Gewohnheit kommen sollen; da ich unter lauter Polter-Geistern aufgewachsen und erzogen war, und es vor eine Christen-Pflicht mit halten muste, gegen widrig gesinnte fein mürrisch und unfreundlich zu seyn? Wenn ich also in meinen ersteren Schriften (:wozu ich alle diejenigen rechne, die vor meinem Glaubensbekäntniße herausgekommen:) noch manche Ungeberden von mir blicken laßen, die sich vor einen sanftmüthigen Geist allerdings nicht schicken, so muß man sie als Würckungen des Lutherischen Heil. Geistes betrachten, mit dem ich zur selben Zeit noch starck besessen war, und die Herrn, die mir denselben beygebracht, können nicht Böse werden, wenn er sie bisweilen selbst ein wenig gezauset.

§ 13. Seit der Ausgabe meines Glaubensbekänntnißes wird man einen ganz andern Geist4 an mir erblicken, und ob ich schon weiß, daß er den Liebhabern verjährter Vorurtheile eben so wenig, und vielleicht noch weniger, als der erste anstehen werde, so werden sie doch, wieder willen auch gestehen müßen, daß er sanfter, als der ihre sey. Aufs wenigste werden sie denselben keine heiligen Flüche mehr gegen sich ausstoßen hören, wie der ihre noch gegen mich thut, wen er den Koller kriegt, und gewahr wird, daß ich meine Vernunft eben so wenig unter den Gehorsam des Lutherischen, oder eines andern[202] Aberglaubens, als unter den zinzendorfischen, gefangen nemen laßen will.

Ich erkenne, daß ich beßer gethan haben würde, wenn ich gleich anfangs sanfter und leutseeliger geschrieben hätte: Aber ich glaube nicht, das ich zur selben Zeit im Stande gewesen wäre, es zu thun, wenn ich mirs gleich vorgenommen hätte. Denn die Betrügereyen, mit welchen ich mich so lange hatte voppen laßen müßen, giengen mir viel zu nahe, als daß ich mir hätte Zeit nehmen sollen, meine Betrüger selbst, als arme betrogene Leute zu betrachten, und diese unanständige Uebereilung machte, daß ich ohne Barmherzigkeit wieder sie loß zog, und wunder meinte, wie heroisch ich mich aufführete, wenn ich sie bisweilen wie die Lotterbuben ausmachte. Es mißfällt mir diese damalige Gestalt an mir so sehr, daß ich wünschte, daß keine von meinen ersten Schriften mehr in der Welt seyn möchten. Was aber geschehen ist, daß ist geschehen, und wird nicht mehr geschehen.

§ 14. Eine grobe Lügen ist es indeßen, wenn mein Lebens-Beschreiber weiter schreibet: Mein Absehen wäre gewesen in Herrnhut, auf Kosten des Herrn Grafen einige Zeit zu leben, und mich in der Chymie zu üben, anbey im Verborgenen ein anderer Dippel zu werden. Von diesen allen ist mir nie ein Gedancke in den Sinn kommen. Denn ob ich schon des Grafen Erbieten in so weit annahm, daß ich unter Anweisung des D. Grotthaus Medicinam Studiren wollte, so konnte ich mir doch leicht die Rechnung machen, daß ich des Heylandes Brodt in Herrnhut nicht umsonst eßen, sondern meine Arbeit schon finden würde, wenn ich auch das Joch der Information wider hätte über mich nehmen sollen: daß ich aber besonders auf die Chymie meine Gedancken hätte richten, oder dencken sollen, im verborgenen, ein anderer Dippel zu werden, ist eben so wahr, als wahr ist, daß der Verfaßer jemals gedacht haben kann, öffentlich ein anderer Edelmann zu werden.

Ich begehre gar nicht zu läugnen, daß ich Dippels Schriften gelesen, und freue mich, daß ich5 der Verfaßer, mit dem, zu unsern Zeiten ganz Ehrwürdigen Titul eines berüchtigten beehret. Denn eben dieser Titul, den Ihm andere Rechtgläubige damals auch gaben, machte, daß ich mich mehr nach seinen, als nach seiner Hrn. Gegner Schriften umsahe. Alle diese Herrn waren zwar berühmt und hochberühmt, aber nicht berüchtigt, und ich sahe damals schon ziemlich, daß es ungleich leichter war, von Zeitungsschreibern, Journalisten[203] und andern gelehrten Papageyen, den Titul eines hochberühmten davon zu tragen, als von so hochberühmten Leuten vor berüchtigt gehalten zu werden. Wenn Dippel unter der ersten Titulatur erschienen wäre, würde ich Ihm unter der ungeheuren Menge der hochberühmten Leute, vielleicht nicht bemercket haben, weil ich aber dieselben6, so konte es wohl nicht fehlen, daß Er nicht der Leute Augen auf sich hätte ziehen sollen.

Ob aber dessen Schmäh-Geist des Ministerii bey mir Wohnung gemacht, ist mir unbewust. Aufs wenigste sahe ich bey meinem Pfarrer, und also, ehe ich noch etwas von Dippels Schriften zu lesen krigte, schon ein, daß das Ministerium ein Imperium affectirte, und weiß mich zu besinnen, daß ich dieserwegen schon nicht wohl auf selbiges zu sprechen war. Daß hernach, wie ich Dippeln gelesen, mein Feuer durch daß seinige vermehret worden, will ich eben nicht läugnen, sondern gestehet (gestehen), daß wir beyde hätten sanfter schreiben sollen.

§ 15. Lächerlich ist indeßen, wenn mein Lebensbeschreiber weiter schreibet: Es hätte mir gefallen, was Dippel vor Arcana gehabt, die Ihm theuer genug bezahlet worden. Denn wie konnten mir Dinge gefallen, die Arcana waren, und von denen ich nicht wißen können, ob sie nur Blendwerck oder Wesenheit zum Grunde hatten. Scheint es doch, der Geist der Evangelisten haben bey dem Verfaßer Wohnung gemacht. Denn die erzehlen auch ein Haufen Dings von dem Hrn. Jesu, daß sie weiter mit nichts, als mit ihrem Gesage beweisen, und wovon zu vermuthen stehet, daß der Hr. Jesus, wenn er noch am Leben wäre, und seine unbesonnenen Lebensbeschreiber, so, wie ich, mit den Lügen aufs Maul schlagen könnte, manches, wo nicht das meiste, was man Ihm, nach dem Tode angedichtet, öffentlich, als die unverschämtesten Lügen blos stellen würde. Wenn Dippeln seine Arcana theuer genug bezalet worden, und es sind wahrhaftig Arcana gewesen, die den Menschen was genützet haben, so werden diejenigen, die sie so theuer bezahlet haben, auch gewis mehr Nutzen davon gehabt haben, als die rechtgläubigen armen Sünder von den Geheimnißen, die sie von ihren Seelen-Aerzten erhandeln, und die ihnen wie bekannt auch theuer genug bezahlet werden müßen, ungeachtet kein Mensch, der sie erkauft, nur eine Katze, geschweige sich selbst, damit curiren kan: Sind aber Dippels Arcana Blendwerck und Betrug gewesen (:wovon ich nichts sagen kann,[204] weil sie mir nicht bekannt gewesen:), so haben sie doch den Menschen, wie sie sie gleich noch so theuer bezalet, lange nicht so viel schaden können, als die sogenannten Geheimniße der Christen, die sie aus unverdorbenen Geschöpfen zu höchst verdorbenen und zu allen guten untüchtigen Creaturen machen.

§ 16. Mein Lebensbeschreiber sagt weiter: Ich hätte vermeint des Dippels Arcana von dem D. Grotthaus zu erlernen, ohne im geringsten zu beweisen, daß dieser arme Sünder das geringste von des Dippels Arcanis gewust. Und gewiß, hätte ich demselben damals, wie mir der herrnhutische Heyland den Antrag that, die Kunst Wunder zu thun, von Ihm zu erlernen, so von Person gekannt, wie ich ihn nach der Hand in Dreßden, beym Töpfer Dober kennen lernen, da mir die Lust, nach Herrnhut zu ziehen, schon vergangen war, so würde ich die Gedancken in Herrnhut Medicinam zu Studiren, im ersten Grase erstickt haben. Denn von diesem confusen, und von der Heiligkeit auf eine recht erbärmliche Art umgetriebenen Phantasten, würde ich zwar Schwärmereien genug, aber keine Weißheit gelernet haben, und es war nunmehro Beweiß genug vor mich, daß dieser elender Stümper keine Einsicht in die wahre Arzeney-Kunst und Natur haben muste, weil er ein Herrnhuter war. Was kann von daher Kluges kommen.

Unser Lebensbeschreiber bezeuget es selber, wenn er weiter Schreibet: Es hatte aber der Hr. Dr. Grotthauß (dem, wie ich mercken kunte, daß Apostoliren und herum Laufen beßer gefiel, als das Arbeiten und Naturforschen:) weiter, und nach America gehen müßen, haben auch in Dreßden von mir Abschied genommen. Alles dieses ist wahr, aber es bedarf einer sehr starcken Erläuterung, die ich meinen Lesern nicht versagen will.

§ 17. Anfangs ist richtig, daß der D. Grotthauß weiter, und zwar, nach America gieng: Aber Gott weiß, ob Er dahin gemußt, und es nicht Umgang haben können, wenn Ihm nicht selber mit dem müssigen herum vagiren auf anderer Leute Kosten, wäre gedienet gewesen. Gegen mich gab Er vor, daß er auf den Beruf der Gemeine dahin gienge, und sagte noch beym Töpfer Dober (wo Er Abschied von uns nahm) mit vielen heiligen Gebehrden, zu uns: Ja! Eines solchen Berufs, da einer von einer ganzen Gemeine des Herrn berufen würde, das Evangelium unter den Heyden zu verkündigen, würden sich wohl wenig rühmen können. Hingegen bezeugete der Heyland (wo ich mich recht besinne) in seinem 2ten (:dem Christus und Belial mit einverleibten:) Briefe an mich, daß Er in seinen eigenen Apostolatswegen nach America gegangen und in St. Crur,[205] sine Lux et sine crux gestorben wäre, und nicht wort gehalten hätte.

Welcher unter diesen beiden Heiligen Recht hat, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß einer unter beiden, nothwendig lügen muß: Wenn der arme Grotthauß Gott und die Natur nur ein wenig gekannt hätte, so würde Er sich nicht zum Apostel haben machen laßen, wenn ihm gleich 10 Heylande und 100 Gemeinen darzu hätten berufen wollen: Denn Er hätte da leicht sehen können, daß die Menschen, die Er zu verkehren gesonnen, von Natur beßer seyn musten, als er sie durch die sogenannte Gnade machen würde.

§ 18. Ein Mensch, der weiter nichts, als die Natur und Vernunft7 zu seinen Leitern hat, weiß nicht das geringste von der Verdorbenheit seiner Natur, die ihm durch die christliche Gnade erst beygebracht wird. Und so lange er davon noch nichts weiß, fühlt er noch ein Vermögen, etwas gutes zu thun, deßen er sich durch die Gnade des Evangelii, die ihm beybringt, daß das Dichten und Trachten seines Herzens, von Jugend auf, nur Böse sey, gänzlich berauben laßen muß. Wenn Er also diesem eintzigen Gedancken bey sich hätte Platz geben können, so wäre es schlechterdings unmöglich gewesen, daß Er sich hätte zum Apostel gebrauchen laßen können. Damals sahe ich zwar dieses Licht eben so wenig, als Er: Aber es regte sich doch schon etwas bey mir, daß mir diesen vermeinten Beruf verdächtig machte, weswegen ich mich auch gar nicht über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit deßelben mit Ihm einließ, sondern mich nur wunderte, als Er im Discours von beyderley Geschlechtern der Menschen, sich verlauten ließ, daß es ein herrnhutischer Heiliger, in der Tödtung seines Fleisches so weit gebracht haben müste, daß Er ein nackend Weibsbild mit eben so kalten Geblüte ansehen könnte, als wenn er die Dreßdner Brücke ansähe.

§ 19. Ich wäre damals noch einfältig genug gewesen, diesem heiligen Geschwätze zu glauben, wenn sich der gute Apostel nicht selber verrathen hätte, daß sein Fleisch noch nicht so erstorben gewesen, als Er uns in seinem ersten Discurse weiß machen wollen. Denn Er gestund im Verfolg dieser Sitten-Lehre, daß sich einmal in Spatzierengehen mit einer gewißen Schwester in Herrnhut, ob sie schon nicht nackend gewesen, doch so wohl bey Ihm, als Ihr, etwas gereget hätte, woraus sie mercken können, daß sie einander nicht gleichgültig gewesen. Er hätte sie zwar, auf Bemerckung dieser Regung angeredet, um zu vernehmen, was bei Ihr dißfalls vorgienge: Aber, was weiter darauf[206] erfolgt, und ob sie beyde, nach dieser Empfindung, dem Evangelio zufolge, ihr Fleisch getödtet, oder der Natur gemäß lebendig gemacht, daß bleibt uns ein Geheimniß.

Inzwischen sahe ich, Hr. Dober und Hr. Zschimmer (die beyde Gichtelianer waren, und gern was anders von dem Apostel gehöret hätten:) daß dieser heilige Mann noch nicht so erstorben war, daß er ein nacket Weibs-Bild mit eben so kalten Geblüte hätte sollen ansehen können, als Er die Dreßdner Brück ansahe, und die Natur zeigte uns, wider seinen Willen, daß sie mächtiger, als die Gnade war. Alle seine Discurse giengen dahin, derselben unter einem heiligen Schein Raum zu machen, und das zu heiligen, was die übrigen begnadigten, sonderlich die Gichtelianer, noch vor eine große Sünde, und vor eine Haupt-Hinderniße an den künftigen Vergnügungen auf der Hochzeit des Lammes hielten. Wir ließen Ihn zwar predigen, dachten aber unser Theil, und ich habe vergeßen, was ich damals am meisten gedacht.

§ 20. Wären wir damals die Leichtfertigkeiten ihres sogenannten Ehe-Geheimnißes, und die, vom herrnhutischen Heylande erfundene Bordellmäßige Zusammenkuppelung ihrer Eheleute schon bekannt gewesen, so würde ich den D. Grotthaus nicht so leicht haben laufen laßen. Es hat sich aber dieser Greuel erst nach dieser Zeit offenbaret, und zwar ist er abermal nichts neues, immaßen in den ersten Zeiten des Christenthums, unter den unzehligen Secten der Christen fast eben dergleichen saubere Geheimniße angetroffen werden.

Also berichtet Eusebius in der Kirchenhistorie im 4ten Buche am 11 Cap. p.m. 49 A. von gewißen im 2 Jahrhundert lebenden, und vermuthlich zur Valentinianischen Secte mit gehörigen Leuten Folgendes: Alii thalamum eorum apparant, et mytagogiam8 super mitiandos9, adhibitis nefandis quibusdam mysteriis10 persiciunt: Et hoc quod super illos faciunt, spirituale dicunt esse conjugium et codestibus11 conjugiis conforme d.i. Andere bereiten das Ehebette derselben und weyhen (oder richten) oder richten12[207] die neuen Eheleute mit schändlichen und nicht nachzusagenden Geheimnißen ein und das was sie mit denselben vornehmen, nennen sie eine geistliche Ehe, die denen himmlischen Ehen gemäß sey.

Es wird uns da zwar so deutlich nicht gesagt, was diese Leute mit den neuen Eheleuten betreiben, als es uns Bothe sagt, im 2ten Theil seines entdeckten Ehe-Geheimnißes der Herrnhuter: Aber da dergleichen schöne Sächelchen zu unsern erleuchteten Zeiten, von Leuten geschehen, die so zu reden, Erz-Christen und des Heylandes Lieblinge seyn wollen, so kann man sich leicht vorstellen, was in den ersten finstern und verworrenen zeiten des Christenthums geschehen seyn müße, da von den Nicolaiten gleich im ersten Saeculo, und noch zu der Apostelzeiten, schon gemeldet wird, sie hätten, weil sie gehöret, daß man das Fleisch bändigen müße, ohne Schaam und Scheu gehuret.

Eusebius entschuldiget zwar den Nicolaum im 3 B. der K.H. Cap. 26 p.m. 40. I. und es thut es auch, besage der Unsch. Nachr. 1702 p. 630 Clemens Alexandrinus, Theodoret, Augustinus13 und Nicephorus: Sie selber aber scheinen ihn nicht zu entschuldigen, und in der That, wenn man bedenkt, daß gleich bey der ersten Einrichtung des Christenthums, Apostelges. 15, 29 nöthig befunden wurde, ein eigen14 Verboth wieder die Hurerey ergehen zu laßen, so wird sehr wahrscheinlich, daß sich die ersten Christen eben nicht zum besten in diesem Stücke aufgeführt haben müßen. Aufs wenigste bestättigen die Christen unserer Zeiten in allen Secten, die Möglichkeit dieser Muthmaßung, wenn sie gleich nicht, wie die Herrnhuter, den Heyland mit ins Spiel mengen, oder ordentliche Lectiones geben, wie sich die Heiligen auf eine unnatürliche Art verkuppeln sollen.

Es kann seyn, daß der D. Grotthaus damals selber noch nichts von diesen Leichtfertigkeiten gewußt: Allein sein ganzer Discours scheint doch dahin zu gehen, uns die Vorurtheile, die wir überhaupt von der fleischlichen Vermischung damals hatten (:und worin wir, als Gichtelianer allerdings zu weit giengen) so viel möglich zu benehmen. Er mochte aber aus unsern Stillschweigen wohl mercken, daß uns seine Lehren nicht anstunden, ungeachtet ich, vor mein Theil, nicht läugnen kann, daß ich Ihm, Troz meiner Hochachtung, die ich vor die Gichtelianer damals trug, nicht in allen Unrecht geben kunte.[208]

§ 22. Was den Abschied betrift, den Er in Dreßden von mir nahm, so würde ich mich nicht dabey aufhalten, wenn nicht etwas dabey vorgegangen wäre, das ich der Aufmerksamkeit meiner Leser würdig achte. Wie der gute Mann im Begriff war, seine apostolischen Füße weiter zu setzen, ertheilte Er uns zwar überhaupt auch seinen apostolischen Seegen, wie Er mir aber die lezte Hand und Abschieds-Kuß geben wollte, wurde sein gutes Naturell auf eine zärtliche Art gegen mich gerühret, daß Er seinen Mitapostel (:dessen nahme mir entfallen:) in heiliger Imbrunst anredete, Er möchte mir zum Abschied noch ein Verßchen geben.

Dieses zu verstehen, muß ich meinen Lesern sagen, das die Herrnhuter damals im Gebrauch hatten, bey gewißen Gelegenheiten, wo sie besonders gerühret wurden, in eine Art der Begeisterung zu gerathen, und sich, aus ihrem Gesang-Buche, gewißer, auf den gegenwärtigen Fall, und Umstände schickender Verßchen zu erinnern, die sie dann, ohne weitläuftig zu präludiren, stehendes Fußes gleich in pleno abzusingen pflegten, wenn es gleich auf der Landstraße war, wo uns Leute sehen und hören konnten.

§ 23. Damals wuste ich erstlich nicht, was der D. Grotthaus zu seinem Gefährten hatte sagen wollen, wenn Er ihn ermahnete, mir ein Verßchen zu geben, und dachte, ob vielleicht derselbe ein gebohrner Poete seyn möchte, deßen Fähigkeit mir der Doctor noch zu guter Lezt wolte sehen laßen. Allein, ehe ichs mich versahe, erhuben die Männer Gottes ihre Stimme, und sangen, mir die Hände reichend, in einer netten Melodia, mit ersterer und anderer Stimme, nach Waldhörner Art gesezt, mit besonderer Imbrunst Folgendes:


Gieb Ihm heute, Gieb Ihm heute den Propheten-Geist,

Der die Leute, der die Leute zu der Wahrheit weist.

Gieb Ihm Eyfer, gieb Ihm Lust, Einen Harnisch vor die Brust,

Eine Kraft die :,: alles niederreißt.


Der Leser kann sich wohl schwerlich einbilden, was diese ungewöhnliche Music, da sie mich besonders angieng und mir bey den nachdrücklichsten Worten des Texts, allemal die Hände mit besonderer Herzlichkeit gedrückt wurden, vor einen Eindruck in meinen Gemüthe gemacht. Ich nahm sie wie ein Oracul an, und wurde in dem Vorsatze, alles niederzureißen, was der Betrug zum Nachtheil unserer Freyheit aufgebaut hatte, dergestalt gestärcket, daß ich nichts schonete, was mir nur einigermaaßen verdächtig vorkam.

§ 24. Wenn also der Propheten-Geist damals auch Wohnung in mir gemacht hat, so muß Er sich mit dem Schmäh-Geiste des Ministerii, der, nach des Verfaßers Gedancken, schon Wohnung in[209] mir gemacht haben solte, entweder beßer haben vertragen können, als der h. Geist, den man in der Taufe bey mir einquartieret hatte, und so müßen beyde mit einander harmoniret haben, oder Er muß den Schmäh-Geist aufs neue wider vertrieben haben, und so muß der Eyfer, den ich wider das Tyrannisirende Priester-Geschlechte blicken laßen, eben so heilig seyn, als der Eyfer Jesaiä, Jeremia und anderer, wieder die Priester loßziehender Propheten; oder ich muß das, was ich hernach gethan, in Kraft eines andern Geistes gethan haben, deßen Name uns noch nicht bekannt ist; oder die Herren Geisttreiber wißen selber nicht, was sie mit allen diesen Begeisterungen sagen wollen.

Am besten werden sie freylich bey den Gläubigen fortkommen, wenn sie sagen: Der Teufel habe mich geritten. Denn der Gläubige ist viel zu einfältig, als das Er sie fragen solte, warum sie dann den Teufel jetzund nicht eben so leicht aus mir verbannen könnten, als da ich noch ein Säugling war.15 Und also ist ihnen genug, wenn derselbe nur einen Abscheu vor mir bezeugt. O! Ihr armen Leute, wenn werden euch die Augen aufgehen, daß ihr Gott und euch näher werdet kennen lernen?

§ 25. Mein Lebensbeschreiber komt nun wider auf eine Capital-Lügen, indem Er schreibet: der Graf von Zinzendorf hatte mir weiter kein Geld vorschießen wollen, und da wäre die Freundschaft bald aus gewesen, unter dem Vorwand, ich hätte des Grafen Irthümer erkannt, zu dessen Beweis ich die Schrift Christus und Belial ediret.

Hier ist wahrheit und Lügen auf eine recht Bibelmäßige Art unter einander geworfen, und hat der Verfaßer zwar eben, wie die Evangelisten die Freyheit, sich zu Bestärkung seiner Lügen auf meine eigene Handschrift und sonderlich auf Christus und Belial zu berufen. Wenn sich aber ein Wahrheit liebender Leser die Mühe nehmen will, diese lezte Schrift, da sie in öffentlichen Druck vorhanden, und die Händel mit den Grafen von Zinzendorf besonders angehet, selber nachzuschlagen, so wird Er finden, daß sie das Gesage des Verfaßers eben so kräftig beweise, als die Schriften der Propheten das Geschwätz der Evangelisten von Christo.

§ 26. Anfangs ist nicht ein wahres Wort dran, daß mir der Graf von Zinzendorf (:außer den etlichen Thalern Reisekosten, die Er mir ungefordert zur Reise nach Herrnhut einsandte:) jemals einen Heller, geschweige Thaler vorgeschoßen, und der Verfaßer ist doch so[210] unverschämt, daß er schreiben darf: Er habe weiter kein Geld vorschießen wollen. Ich habe dem Publico längst, ohne Bemäntelung im Christus und Belial gezeiget, worzu ich damals 150 Thaler vom Grafen von Zinzendorf zu lehnen begehret, und ich preise die göttliche Vorsicht noch auf diese Stunde, daß aus diesem Darlehn nichts geworden, immaßen ich mich ganz gewiß dadurch zu des Heylandes Sclaven würde verkauft haben.

Daß ich aber aus keiner andern Ursache, als weil Er mir dieses Geld verweigert, die Freundschaft mit Ihm solle aufgehoben haben, das klingt gar zu priesterlich. Priester pflegen wohl die Freundschaft mit ihren Beichtkindern aufzuheben, wenn sie ihnen weiter kein Geld, vor ein Maul voll Wind, auf nimmermehr wiedergeben vorschießen wollen, und daß kann ich, aus der Erfahrung an meiner eigenen Persohn Beweisen. Wie will aber der Verfaßer, wenn Er gleich allwissend wäre, beweisen, daß ich deswegen die Freundschaft mit dem Grafen von Zinzendorff aufgehoben, weil Er mir kein Geld lehnen wollen.

Wäre Er von meinen Begebenheiten beßer unterrichtet gewesen, so würde Er, wenn er redlich hätte verfahren wollen, daß nicht geschrieben, sondern gewust haben, daß ich, ungeacht der abschläglichen Antwort, die ich in dieser Sache von dem Grafen erhielt, dennoch bey dem Entschluß noch geblieben, nach Herrnhut zu ziehen, und eher nicht davon gewichen, als bis ich gemercket, daß der Graf mit einem neuen Pabstthum schwanger gegangen.

§ 27. Es spricht zwar der Verfaßer: die Erkenntniß der Irthümer des Grafen, hätte der Vorwand bey mir seyn müßen, weswegen ich die Freundschaft mit demselben aufgehoben, und führt zum Beweiß dessen, die Schrift Christus und Belial an: Allein eben diese Schrift konnte ihn, wenn er sehen wolte, klärlich zeigen, daß ich meine Freundschaft nicht weiter mit demselben aufgehoben, als so weit sie meiner Freiheit nachtheilig, und ich keiner mit von den Schöpfen seyn wollen, die sich mit in seiner Pferch treiben ließe. Denn zu geschweigen, daß die Schrift: Christus und Belial (:die der Verfaßer als eine unmittelbare Folge meines Bruches mit dem Grafen angiebet:) erst etliche Jahr, nach meinem Abzuge aus Dreßden, und also lange, nach unsern damaligen Händeln, ans Licht trat, wie ein jeder, der sie hat, und mit den Umständen, die ich im ersten Theil meines Lebens berühret, zusammen halten will, leicht sehen kann; so erhellet aus den Briefen selber, die ich sowohl an den Grafen von Zinzendorf, als an seinen blinden Anhängern, den einfältigen Bruder Lintrup geschrieben, ganz deutlich, daß ich nichts[211] weniger gethan, als die Freundschaft mit diesen guten Leuten aufgehoben; es müste dann seyn, daß man: das die Freundschaft aufheben, heißen wolte, wenn man sich nicht blindlings der Meinung eines andern unterwerfen will, in welchen Verstande ich eben so viel Recht habe, zu sagen: der Heyland habe die Freundschaft mit mir aufgehoben, als der Verfaßer hat, wenn Er spricht: Ich hätte die Freundschaft mit dem Heylande aufgehoben.

§ 28. Doch ein solcher Evangelist kunte freylich kein ander, als ein solch Evangelium von mir schreiben, und wir sehen daraus abermal sehr deutlich, wie viel denen Canonisirten Evangelisten zu trauen, deren Schriften erst lange nach dem Tode Jesu zum Vorschein kommen, da man sich nicht schämet, von noch lebenden Personen, solche Lügen in der Welt hinein zu schreiben. Ich werde dem Leser noch die Menge solcher umgekehrter Wahrheiten, in der ferneren Beleuchtung der vorhandenen Lebensbeschreibung entdecken, und mir nur so viel Billigkeit dabey von Ihm ausbitten, die Sachen, die ich erzehle, nicht eher, als Unwahrheiten zu blamiren, als bis Er hinlänglichen Grund dazu hat. Denn mit meinen Wißen und Willen gedencke ich Ihm keine Lügen aufzuheften. Mein Lebensbeschreiber schreibet also weiter.

Fußnoten

1 So leichtsinnig geht Edelmann mit der Geschichte um, grade dieser Synesius erklärte, daß er nichts von seiner Ueberzeugung abweichendes lehren wollen. So verdreht Edelmann die Erzählung, nach welchen er in einigen Puncten von der Kirchenlehre abwich und auf seine Erklärung, daß er über diese Lehren vor dem Volke nicht sprechen wolle, zum Bischof geweiht wurde in der Hoffnung, daß der heil. Geist ihn weiter in die Wahrheit leiten würde.


2 Soll wohl heißen Terminatif oder dergleichen.


3 rectius Hardenbergs


4 Man mag darüber aus dieser Schrift urtheilen.


5 Soll heißen: ihn.


6 Hier fehlt etwas im Manuscr. Vielleicht soll es heißen: weil ihn aber dieselben berüchtigt nannten.


7 Aber wie, wenn auch das Gewissen ihn leiten soll?


8 Soll heißen mystagogiam.


9 Soll heißen initiandos.


10 Im griechischen Text steht nur μετ᾽ ἐπιῤῥήσεων mit Zaubersprüchen. Die ganze Stelle lautet im Grie chischen: οἱ μὲν γὰρ αὐτῶν νυμφῶνα κατασκευάζουσι, καὶ μυσταγωγίαν ἐπιτελοῦσι μετ᾽ ἐπιῤῥήσεων τινῶν τοῖς τελουμένοις, καὶ πνευματικὸν γάμον φάσκουσιν εἶναι τὸ ὑπ᾽ ἀυτῶν γινόμενον, κατὰ τὴν ὁμοιότητα τῶν ἄνω συζυγιῶν.


11 Soll heißen coelestibus.


12 Wahrscheinlich aus Versehen des Abschreibers oder des Verfaßers doppelt gesetzt.


13 Vergl. über Nicolaus und die Nicolaiten Neanders Kirchengesch. Bd. 1. p. 513 ff. Die Unschuldigen Nachrichten Leipzig 1702–1719 wurden herausgegeben von V.E. Löscher.


14 Bekanntlich eine von den Bedingungen, die auf dem Apostolischen Convent gestellt wurden, nach welchen die Heiden zum Christenthum zugelassen werden sollten, ohne dem Mosaischen Gesetz unterworfen zu werden.


15 Das möchte nicht so schwer zu beantworten seyn, als Edelmann meint.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 212.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

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