Zweites Kapitel.

Der Empfang in Neustadt.

[16] (Mit Ernst, o Menschenkinder, zu genießen!)


Immer langsamer rast das Zügle – jetzt pfeift es auf seinem vorletzten, nun auf dem allerletzten Loche, und endlich hält es mit einem Gekreisch wie ein sterbendes Schwein still. »Neustadt, alles aussteigen!«[16]

Man reiße die Augen mit einem aus dem Präsentiergriff entwendeten Ruck auf – was? Is denn das hier richtig? In welchem Teil der Geographie sind wir denn hier? Hat keiner 'nen Atlas bei sich? Der Zugführer hat sich wohl verlaufen, oder er hat 'nen Affensdurst, daß er uns gradewegs auf ein Bockbierfest oder Vogelschießen geschleppt hat! Ist das der Neustädter Hauptbahnhof?

Das weht von grünen Zweigen und von Fahnen, da bammeln herzlich gemalte Schilder mit der frohen Aufschrift: »Durchgang nur für Mannschaften«. Wo man hinsieht, Grünzeug und Blumen – und dahinten ist ja wohl die Würstchenbude und das Karussell – – wir könnten ja mal – – –»Halt!! Hiergeblieben – macht, daß Ihr in Eure Löcher kommt –! Ggestanden!!«

Ach, kiekste aus die Luke – die Stimme von dem Festordner kennen wir, das ist der Feldwebel Krawutschke! Nun, Anton, halt' die Knarre fest, jetzt geht das Waldfest los – – da, da brechen sie aus dem Gebüsch – gerechter Schlagbolzen, hat man so was schon gesehen? Was will diese Menge tobender Kellner hier? Ist das 'n Trinkgelderüberfall, oder ist der Vesuv aus Dalldorf ausgebrochen – – –??

»Hurra – hurra!« – – Jungeken, wach auf! Diese Kellner mit den flatternden Frackschößen und den quietschenden Stimmgabeln – pardon, Stimmbändern – sind ja die Neustädter Stadtväter![17] Der Dicke da vorn in den prallen Konfirmandenhosen muß der Häuptling sein, vulgär Bürgermeister. Und hinter ihm seine Garde ist vor Begeisterung geplatzt wie geröstete Kartoffeln, das weiße Fleisch quillt raus – Ihr kriegt die Motten, Herrschaften, wo hätte man schon jemals von soviel frischgewaschnen Hemden auf einmal gehört? Die hat das fabelhafte Volk aufbewahrt bis heute, um Euch damit ins Gesicht zu springen – hurra, so ehrt das Vaterland seine Helden!

Und sie schwingen ihre schwarzen Sturmhelme und lachen Euch mit vollen Backen an – und dahinter das weißgekleidete kleine Kruppzeug (überall Krupp und der Militarismus!) mit den schwarz-weiß-roten Schärpen schmeißt mit Blumen und Kienäppeln und schreit wie die Alten!

Wo habt Ihr so was schon mal erlebt? In keinem Kintopp! Wenn Euch etwas mulmig wird, dann bedenkt gefälligst, daß das mit zum Fahneneid gehört! Wer 137 Sturmangriffe überstanden hat und noch nicht d.u. ist, wird sich auch hier zu benehmen wissen. Wo's nicht mal Bahnsteigsperre kostet!

Stille in der Gemeinde – der große Feuerzahn, wollte sagen Herr Bürgermeister, nimmt den Bibi ab und das Wort – – –

»Hochgeehrte Heldensöhne – – – 1914 – – 1918 – – – Vormarsch – – – die ganze Welt – – – Frauen und Kinder – – – heißen Dank – – – deutsche Fäuste – – – unauslöschlich,[18] nie vergessen – – – Franzosen, Italiener – Serben – – – Neustadt – – – Willkommen!!«

Liebe Kameraden, nun bitte ich Euch, in diesem Augenblick müßt Ihr ohne Rücksicht auf Flurschaden brüllen, daß die Bahnsteigsperre bebt – hurra, und noch mal hurra und noch zehnmal! So steht's im Reglement – und alles, was in Neustadt Beine hat, wird mitschreien! Verlaßt Euch drauf!

Alsdann wird sich aus den Reihen der schwarzbehosten Weißwürste – pardon, -brüste, ein kleines, weiß angestrichenes Lebewesen mit blonden Haaren und einer Schärpe um das Leibchen loslösen und gradeweg vor dem Herrn Oberst zwei tiefe Kniebeugen machen. (Natürlich vollkommen unvorschriftsmäßig!) Den aufsteigenden Verdacht, die Sache arte in eine Turnbesichtigung aus, unterdrücke man mittels des Modells 98, aber alsdann raffe man all seinen Mannesmut in der Zeltbahn zusammen, denn die Kleine fängt jetzt an, auf den Oberst loszureden und – haste Worte – in Versen!

Unglückswurm, hast du schon mal mit deinem Oberst in Versen gesprochen – – –?? Vermutlich nicht! Aber die Kleine da tut's ohne das geringste Schamgefühl auf offenem Bahnsteig! Und es kommt noch ganz anders – – – guck, der Alte lächelt, streicht den abrasierten Schnauzbart (vielleicht kommt die niedliche Kleine noch[19] mit drei Tagen gelindem weg?), und er lächelt immer noch und nickt dem Blondkopf zu – – – und jetzt, Anton, halt' dich fest – jetzt nimmt die Kleine ganz heimtückisch einen großen Lorbeerkranz und langt damit nach dem Oberst seinem Kopf – und wahrhaftig (dreht sich da nicht der Globus?), der Oberst macht eine tadellose Rumpfbeuge und läßt sich von der Kecken den Kranz umlegen! Und jetzt nimmt er die Kleine hoch und gibt ihr 'nen Schmatz!!!

Das war 'n dolles Stück! Jetzt schreien sie alle und fletschen die Zähne vor Vergnügen und schmettern die Angströhren in die Kgl. Preuß. Eisenbahnlust – und das Hornvieh bläst, daß ihm die Backen springen – beinah wie Kirchweih, was, Junge? Aber welche weinen auch, und ich will dir sagen – dies ist keine Kirmse, dies ist die tiefe Freude der Heimat, die Euch wiedersieht, Väter, Söhne und Enkel, wettergebräunt und sieggekrönt!

Und nun wieder Stille, der Oberst will sprechen! Das heißt, so einfach wird das nicht sein – einmal ist das Volk noch ganz aus dem Häuschen, und dann hat der Alte wohl plötzlich eine Erbswurst im Halse, die er ohne Zange nicht rauskriegen kann – – Herrschaften, der Bürgermeister rudert mit Händen, Füßen und seinem Schwalbenschwanz – – – endlich kommt die Festordnung wieder und der Oberst kann sprechen.

Und er spricht. Ich brauche Euch nicht zusagen, was er reden wird, Ihr kennt den Alten, den Eisernen und Gütigen. Ihr wißt, er hat Herz wie Mund auf dem rechten Fettfleck. Weißt du noch, Anton, wie er dir das Eiserne anstach? Und du, Karl, wie er mit dir mitten im Kanonendonner über den Streuselkuchen auf der Kegelbahn – ich meine natürlich über den Streukegel der Geschoßbahn sich unterhielt? Er spricht wenig, aber kurz und gedrungen. Und jetzt – Helme hoch, hoch das zerfetzte Panier – macht das Maul auf, was der Kinnriemen hergibt – Kaiser und Vaterland hurra!! –

Herrschaften, wie ich Euch das eben vorgeführt habe, so kommt's. Schlimmstens etwas anders, und der Generalanzeiger nennt das dann »Wie Neustadt seine Helden ehrt!« Ich rate Euch, das ganze Unternehmen durch gönnerhaftes Grinsen zu unterstützen, damit die Neustädter, die für Euch die sauberen Hemden und den ganzen Vormittag geopfert haben, bei der nächsten Stadtratssitzung sagen können: »Den Zimt hätten wir mal wieder fein gedeichselt!«

Was nachher noch kommt, werdet Ihr selber erraten. Welcher Zeitgenosse hat schon mal ein militärisches Vergnügen überstanden, ohne zum Schluß einen Vorbeimarsch zum mindesten in Gruppenkolonne?

Und so kommt auch der Salat! Vor dem Bahnhof drängt sich das festlich gekleidete und dito erregte Neustadt, und über Blumen, grüne Zweige[23] und den Bahnhofsplatz marschiert Ihr hinein ins Städtchen – zu Muttern!

Quelle:
Engelhardt, Wilhelm: Kleiner Knigge für heimkehrende Sieger nebst kurzer Instruktion über die Heimat. Berlin 1918, S. 16-21,23-24.
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