Viertes Kapitel.

Eintritt in die heimatliche Deckung.

[29] Nähert man sich der durch einen Draht- oder Holzverhau geschützten heimatlichen Deckung, so gehe man aufrecht darauf zu. Bei näherem Hinsehen wird man in dem Hindernis einen Klingelschutz entdecken, man setze ihn in Tätigkeit, worauf sich eine Pforte im Verhau öffnen wird. Man gehe mutig hindurch und benutze den meist deutlich erkennbaren Anmarschweg, der einen in kurzer Frist an den Eingang der Deckung – vulgär »Haus« genannt – führt. Der Eingang ist nicht, wie sonst üblich, mit einer Zeltbahn verhangen, sondern der frischen Luft wegen fast überall mit festen Bohlen, in denen sich ein winzige Schießscharte – vulgär »Schlüsselloch« – befindet, verrammelt. Es wird kaum nötig sein, ihn einzutreten oder mittels einer Handgranate zu öffnen, da häufig ein Lebewesen weiblichen Geschlechts, das Gewalt über die Deckung hat,[29] den Eingang öffnet und den Fremdling einzutreten veranlaßt.

Bis hierher wird die Sache vermutlich glatt gehen. Aber jetzt geht das Theater los – – aufgeschaut – das weibliche Wesen bricht in ein wüstes Geschrei aus, tritt einen beschleunigten Rückzug an, stößt mit fliegenden Fahnen und dito Zöpfen wieder vor – schreit Salve: Karl! Karll!! Karrllll!!! – und, haste nicht gesehen, biste umzingelt!

Daß du mir nicht vom Stengel rutschst – ihre Vorderflossen umklammern deine Halskrause, und nun – Gerechter! – fährt sie mit ihrer Futterluke mitten in deine Visage!! Einmal, zweimal, dreimal!

Dies ist eine kannibalische Sitte, und du wirst im ersten Schrecken denken, sie hätte es auf deinen Riechkolben abgesehen – weit gefehlt, Heldensohn – das ist ein beseh oder zu deutsch ein »Kuß«, und das schreiende Lebewesen mit dem flatternden Behang ist dein eheliches Weib! Tatsache! Das ist die, die dir immer die vielen Feldpostpäckchen schickte und die in deiner Abwesenheit, vergnügungssüchtig wie alle Weiber, die fidelen Fleisch- und Butterpolonäsen angeführt hat, von denen die Umwelt mit Schaudern las. Emma, deine Olle is das!

Und nun drück' sie an deinen Männerbusen, sie kann das erwarten! Aber tritt die kleinen Schreibolzen nicht tot, die sich jetzt an Mutterns Schürze und deine Waden hängen – guck sie dir an undschwenk' sie hoch, das sind deine Sprößlinge, alle siebzehn! Sie haben von deiner Existenz schon mit schauderhaftem Vergnügen gehört, haben sich aber vielleicht den Erzeuger etwas weniger dreckig vorgestellt – die ältesten haben vielleicht noch eine hinterseitige Erinnerung an Vaterns Rohrstock – – alter Junge, du bist daheim!


In der nächsten Feuerpause schmeiße man den Affen hin, schnall's Korsett ab und trete näher, aber kratze sich mal erst den Rest von Flandern ab, der an den Quadratlatschen hängt!

Alsdann wird man unter heftigem Geschrei, Betastung sämtlicher Gliedmaßen und geistreichen, meist unzutreffenden Bemerkungen in einen leidlich erhaltenen Unterstand geschubst werden. Dort wird man den taktischen Auftrag erhalten, sich an einen vorhandenen Tisch zu setzen, was man unter geschickter Umgruppierung der darauf liegenden Decke und etwa bereitstehenden Kaffeegeschirrs auf den eigens dazu ausgebreiteten Teppich tue.

Wie die Gefechtslage sich weiter entwickelt, darüber gehen die Meinungen auseinander, jedenfalls seid Ihr ständiger Umzingelung durch Eure schon erwähnte Olle und die im Nachbarabschnitt tobenden Sprößlinge ausgesetzt. Sie werden Euch teils mit allerhand dunklen Fragen, teils mit Kaffee, Schinkenbroten und Filzparisern bestürmen, bis durch Sinken des Tages die[33] Dämmerung hereinbricht. Die Einbruchstelle wird sofort vergast, und das Gas in Brand gesteckt, worauf es unter Benutzung von Helligkeit und einer Zugvorrichtung über dem Tische brennt. Dies Phänomen nennt man Abend; man geht ihm praktisch mittels einer großen Schüssel Bratkartoffeln nebst warmer Knoblauchwurst und Bier zu Leibe.

Nach einiger Zeit wird einem dann die Überzeugung hochsteigen, daß auch ein Bantuneger Gefühle haben kann! Wenn nämlich besagter Neger seinen Vater aufgefressen hat, dann überkommt ihn ein Gefühl, das er pietätvoll in die Worte faßt: »Ich bin satt!« Dies rührende Bekenntnis einer schönen Negerseele ist ehrenvoll und bringt Gewinn (Kriegsgewinnsteuer!!). Da Ihr als Christen keinen Grund habt, mit den heiligsten Gefühlen einer Negerseele Wucher zu treiben, werdet Ihr Euch ihnen anschließen mit den Worten: »Genug, ich platze!«

Darauf scheint es Eure Olle unter dem Beifall Eurer bestialischen Sprößlinge aber grade abgesehen zu haben, indem sie Euch mit der linken Hand im Bart krabbelt, mit der rechten Hand den Teller wieder vollfüllt und mit schmelzenden Worten das süße Geheimnis in die Horchlöffel flüstert: »Iß nur, in der Küche ist noch mehr!«

Hierauf ergreife einen die zu diesem Zweck erfundene allgemeine Rührung2 – worauf der[34] wohlgefüllte Teller seine Erledigung findet. Alsdann stellt sich langsam ein Zustand im Unterstand ein, den man mit »intimem Familienleben« bezeichnet, und zu dessen Durchführung es besonderer Verhaltungsmaßregeln wohl kaum bedarf. Man würde ungebetene Zuschauer auch vermutlich mit einem höflichen Fußtritt an die gute Luft draußen setzen.

Ich schließe also das Kapitel mit dem herzlichen Wunsche: »Achtung! Präsentiert das Gewehr!«

2

Militärisch hieß das früher: Rührt Euch! worauf man mit einem weithin hörbaren Ruck das linke Bein vorstellte. Die Vorstellung des linken Beines kann jetzt fortfallen, weil die Olle Euer linkes Bein schon kennt.

Quelle:
Engelhardt, Wilhelm: Kleiner Knigge für heimkehrende Sieger nebst kurzer Instruktion über die Heimat. Berlin 1918, S. 29-31,33-35.
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