Wohlthun.

[59] Was in dem Herrn du thust, das wird gelingen,

Die Ehre ihm, dann ist der Segen dein,

Er gibt das rechte Wollen und Vollbringen,

Er will im großen stets wie im geringen

Der Herr und Schöpfer aller Werke sein.

Die Händ' ans Werk, die Herzen himmelan,

So wird allein ein gutes Werk gethan.

Spitta.


Wohlthun! schon das Wort selbst spricht den reichen Segen aus, den es hervorbringt. Beachte ihn wohl, meine Jungfrau, wende den Sinn nicht in eitler Zerstreuung von dieser köstlichsten Tugend eines liebevollen Herzens ab, laß die Dienste, die du anderen leistest, die Wohlthaten, die du ihnen erweisest, durchweht sein vom Hauch der christlichen Liebe, denn nur dann werden sie des Wortes schöner Bedeutung entsprechen, sie werden wohlthun.

Halte dich nicht für zu gut, um die Hütten der Armut zu betreten, schlage die Mittel, die dir zu Gebote stehen, um zu helfen, nicht zu gering an, du bedarfst keines Reichtums, um barmherzig zu sein; besuche eine Gesellschaft weniger, stelle ein Kleid einfacher her, nimm statt der kostbaren französischen Samtblume einige frische Blüten aus deinem Garten ins Haar, und von dem, was du ersparst, kannst du so manche Kummerthräne trocknen.

Glaube nicht, daß es sich für dich nicht schickt, selbst zu den Kranken und Hilfsbedürftigen zu gehen, überwinde eine gewisse Scheu, welche namentlich der Jugend eigen ist, vor Unreinlichkeit und Krankheit. Beides wirst du bei den Armen leider kennen lernen, aber das Mitleid mit ihrem Elend soll den Widerwillen besiegen. Ein teilnehmendes Anhören ihrer Leiden, ein freundlicher Blick thut ihnen oft mehr wohl als die Gabe selbst, es erquickt sie, von einem Höhergestellten beachtet zu werden, es wird dich selbst erquicken, ihren Jammer zu lindern, und der Friede, der sich durch das Wohlthun über dein ganzes Wesen ergießt, wird dich Gott und den Menschen wohlgefällig sein lassen. Darf von der mitleidigen Jungfrau nicht ein jeder hoffen, daß sie in[59] ebenso reichem Maße auch ihren nächsten Liebsten wohlthun wird. Ja, nicht bloß draußen im Kreise der Armut, auch daheim in den Grenzen der Häuslichkeit der Familie gibt es ein stilles lautloses Wohlthun, das die edle Jungfrau niemals versäumen müßte. Ein Blick des Verstehens für den Kummer des andern ist auch hier lindernder Balsam, auch hier gilt es an ein Krankenbett zu treten und durch kleine unscheinbare Dienste, durch das Zurechtrücken eines Kissens, das Herunterlassen eines Vorhangs z.B., dem Leidenden Sorgfalt zu zeigen. – Die Thräne des Mitleids ist dem Kummervollen wohlthuend, der stumme Händedruck des Mitgefühls erquickt ihn. Oft ist schon das bloße Erscheinen einer frischen, jugendlichen Gestalt am Lager des Kranken eine wohlthuende Erfrischung. Bedenke dies alles, du junges Herz, vergiß aber auch niemals, daß die Linke nicht wissen soll, was die Rechte thut, brüste dich nicht mit den Wohlthaten an Arme, übe sie nicht vor den Augen der Welt, sondern in stiller Verborgenheit. Dehne auch deine Thätigkeit nach außen niemals so wett aus, daß du deine häuslichen Pflichten darüber vernachlässigst. Eine Tochter, welche an Vereinen und öffentlichem Armenwesen so viel teilnimmt, daß sie sich dadurch den Eltern entzieht und es verabsäumt, sich diesen nützlich zu machen, versäumte ihre erste heiligste Lebensaufgabe.

Ich möchte nun schließlich noch von einer Tugend der wohlanständigen Jungfrau sprechen, welche, auf die richtige Weise ausgeübt, gleichfalls ein mitleidiges Herz verrät und dennoch zu mancherlei Taktlosigkeiten führen kann. Es ist dies ihre Neigung und Sorge für die Haustiere. Ein Vögelchen, im von ihr selbst zierlich gehaltenen Bauer, welches mit fröhlichem Morgenliede die jugendliche Schläferin weckt, sollte eigentlich, wenn es Raum und Verhältnisse gestatten, ebensowenig wie die wohlgepflegten Blumen in ihrem Zimmer fehlen. Anders verhält es sich mit Hund und Katze; sie gehören dem Hause an, gehören auch wohl in die gemeinschaftliche Wohnung, nicht aber in das Zimmer der jungen Dame. Es macht keinen guten Eindruck, wenn sie ihnen allzuviel äußerliche Liebesbeweise gibt, wenn der dicke Mops von ihren Lippen geküßt und zärtlich an das Herz gedrückt wird, wenn die Schoßkatze auf dem Sofa,[60] oder wohl gar auf dem Bett gemächlich ruht. Liebe und Freude an den vierfüßigen Mitbewohnern der Häuslichkeit wird ihr niemand verargen, und selbst, wenn sie beides für sie nicht empfinden sollte, sondern nur genötigt wäre, sie zu dulden, darf sie sich niemals soweit vergessen, den armen Tieren durch unsanfte Behandlung ihren Groll zu zeigen. Nichts bringt auch Tierfreunde so auf und reizt sie so zum Mißfallen als ein rücksichtsloses, abstoßendes Benehmen anderer gegen ihre Lieblinge. Die junge Dame, welche über das laute Gebell eines Schoßhundes, der einer Tante gehört, sich beklagt, oder ihn unsanft beiseite schiebt, wird sich das Mißfallen ihrer Verwandten sehr bald zuziehen. Es wäre taktlos, wollte sie jemand, der irgend ein Tierchen zärtlich liebt, fortwährend mit den schlechten Eigenschaften dieses Tieres unterhalten.

Auf der Straße sich von einem Hunde, namentlich von einem sehr großen, begleiten zu lassen, verstößt gegen den seinen Anstand der jungen Dame, zu Bekannten nehme sie ihn nur dann mit, wenn sie be stimmt weiß, daß er dort wohlgelitten und gern gesehen ist.

Eine zu große Scheu vor Tieren kann anderseits auch in Lächerlichkeit und Taktlosigkeit ausarten, auch davor hüte sich die wohlanständige Jungfrau. Wenn sie bei dem Gebell eines Hundes schreiend auffährt, bei dem Anblick einer Maus in Ohnmacht sinken möchte, vor einer Wespe davonläuft, so stört sie dadurch nicht allein die harmlose Gemütlichkeit der anderen, sondern muß sich auch ihr Gelächter und ihr tadelndes Urteil gefallen lassen. Es gibt Damen, welche vor einer Spinne, diesem unschuldigsten aller Tierchen, in Entsetzen geraten; man ist leicht versucht, dergleichen Erregungen für verstellte Affektation zu halten, sie wollen zarte Nerven affektieren, sich dadurch interessant und vornehm machen, denn es gilt ja manchem für ein Zeichen der Vornehmheit, nervös zu sein.[61]

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 59-62.
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