25) Der Undankbare.

[95] Die Dankbarkeit ist, wie wir in dem Abschnitte: Von den Dienstfertigen bereits erwähnten, eine schwere Last, und viele Menschen sind unfähig, dieselbe zu tragen. Deßhalb sagte auch schon der Dichter Lafontaine:


Wenn alle Undankbaren man verdammt,

Wem darf Verzeihung man dann wohl gewähren?


Die Undankbarkeit ist daher vielleicht das am Weitesten in der ganzen Menschheit verbreitete Laster, zugleich aber auch das erniedrigendste, welches in dem menschlichen Herzen Wurzel schlagen kann.

Am Abscheulichsten ist die Undankbarkeit unbedingt, wenn sie von den Kindern gegen ihre Eltern gezeigt wird, und ein undankbares Kind kann in keiner andern Beziehung ein achtbarer Mensch genannt werden, wenn er auch durch mancherlei Verdienste die Achtung der Welt erschlichen hat, solange sein Verbrechen der Undankbarkeit derselben verborgen blieb. Gewiß wird sich Jeder voll Verachtung von dem Kinde abwenden, welches sich gegen die Urheber seines Lebens undankbar beweis't, mögen diese auch sogar nicht alle Pflichten gegen sie mit strenger Gewissenhaftigkeit erfüllt haben. Undankbarkeit die ser Art findet man daher auch nur bei den rohesten und entartetsten Geschöpfen.[95]

Durch die Undankbarkeit, auf welche man jederzeit gefaßt sein muß, darf man sich indeß nie abhalten lassen, einen wichtigen Dienst zu leisten oder eine Wohlthat zu erzeigen. Denn wollte man sich bei dergleichen Handlungen nur durch die Aussicht oder die Hoffnung auf den zu empfangenden Dank leiten lassen, so gleicht man einem Handelsmanne, der seine Waare mehr oder minder vortheilhaft an den Mann zu bringen sucht, und der Dienst, die Wohlthat, verlöre dadurch jeden Werth.

Uebrigens wird man sich gegen die Kränkung, welche jedenfalls in der erfahrenen Undankbarkeit liegt, in den meisten Fällen dadurch zu schützen wissen, daß man sich bei seinen Wohlthaten nicht von dem Zufalle oder dem Impulse des Augenblickes leiten läßt, sondern dabei mit ruhiger Ueberlegung und gründlicher Prüfung verfährt. Wer dem Unwürdigen Wohlthaten erzeigt, beraubt sich dadurch der Mittel, sie dem Würdigen zu spenden.

Das beste Samenkorn kann keine Früchte tragen, wenn es an einen unfruchtbaren Boden verschwendet wird.

Das Gute, das man thut, ist ein Genuß, den man durch die Freude darüber sich selbst gewährt, ganz abgesehen noch von der Freude, welche man dem Empfänger bereitet.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 95-96.
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