Von den Visiten.

[116] Es giebt sehr verschiedene Arten von Visiten: Pflichtgemäße – bei Vorgesetzten, Respectspersonen etc. –, Gratulations-Visiten, um die Theilnahme an irgend einem freudigen Ereignisse der betreffenden Person oder Familie zu bezeigen, – Visiten zu gleichem Zwecke bei Trauerfällen oder unangenehmen Ereignissen, – Danksagungs-Visiten für eine empfangene Einladung.

Diese letztern müssen sehr kurz sein.

Besuche zur Bezeigung der Theilnahme bedingen eine sehr gewählte Toilette, der heitern oder trüben Veranlassung angepaßt.

Freundschaftliche Besuche verlangen keine strenge Rücksicht auf Zeit und Anzug.

Die Visiten sind der wahre Prüfstein eines Mannes von Welt. Nirgend kann der Tact oder das linkische Wesen, die Feinheit oder die Unbedeutendheit, die Unwissenheit oder die Kenntniß der Welt sich deutlicher zeigen, als bei der Abstattung von Besuchen.

Alle Welt macht Besuche, aber wie und wann man sie macht, das ist in dem Umgange mit der Welt eine Frage von der höchsten Wichtigkeit. Es ist daher unerläßlich,[116] sich genau damit vertraut zu machen, auf welche Weise man sich einer Pflicht zu entledigen hat, welche von vielen jungen Leuten ein Frohndienst genannt wird. Dieses wegwerfenden Namens ungeachtet sind übrigens die Visiten für viele Menschen ein sehr willkommenes Zerstreuungsmittel.

Es giebt außer den bereits erwähnten Visiten aber auch noch Danksagungs- und Hochzeits-Besuche; – es giebt sogar Verdauungs-Visiten.

Kömmt man in eine Provinzstadt, in welcher man sich einige Zeit aufzuhalten beabsichtigt, so muß man sich, wenn man Beamter oder Militär ist, beeilen, sich seinen Vorgesetzten durch eine Visite der Etikette vorzustellen. Diese muß stets in Person gemacht werden; die bloße Abgabe einer Karte wäre bei Vorgesetzten oder im Range über uns Stehenden ein entschiedener Mangel an Lebensart und könnte leicht sehr übel genommen werden.

Selbst der Kaufmann oder der Geldmann, die in allen ihren Verhältnissen in der Regel so frei sind und sich deßhalb oft viel zu wenig Zwang auferlegen und sich zu sehr gehen lassen, wie man zu sagen pflegt, muß Zwangsvisiten bei seinen Committenten und seinen Kunden machen. Bei dergleichen Besuchen hat er sogar seinen ganzen Verstand aufzubieten, denn auf der einen Seite ist es seine Absicht, aus freundschaftlichen Rücksichten wohlfeil einzukaufen und auf der andern möchte er Vertrauen erwecken, – auch wieder aus freundschaftlichen Rücksichten.

Bei den Visiten muß man sich liebenswürdig zeigen und nie ein anderes, als ein lächelndes Gesicht mitbringen; es sei denn, daß die Veranlassungen der Visiten selbst es anders erheischten.

Freundschaftliche Besuche sind natürlich ohne alle Ceremonie und man kann sie so lang ausdehnen, als man will; alle andern Visiten aber müssen kurz sein. Wir dürfen nie die Zeit mißbrauchen, welche man uns gewährt, und eben so wenig die eigene wie ein Müßiggänger verschwenden.[117]

Die Toilette sei den Visiten jederzeit angemessen. Bei einem Freunde genügt der gewöhnliche Straßenanzug; zu allen Visiten der Etikette aber ist der schwarze Anzug unerläßlich.

Die Wahl der Stunde zu einer Visite ist ebenfalls von der größten Wichtigkeit. Man falle nicht etwa schon um neun Uhr Morgens in das Haus, in welchem man einen Besuch zu machen hat; man liefe sonst Gefahr, bei der Toilette oder mindestens bei dem Frühstück zu überraschen, oder für einen ungestümen Gläubiger gehalten zu werden, der die Zeit nicht erwarten kann, um zu mahnen.

Im Allgemeinen hat man sich vor der Abstattung eines Besuches nach den Gebräuchen der Familie zu erkundigen, in welcher man eine Visite machen muß, und wo sogenannte Sprechstunden festgesetzt sind, wie dieß bei Beamten und Geschäftsmännern sehr häufig der Fall ist, da muß man sich genau an diese halten und nur bei besondern Veranlassungen davon eine Ausnahme machen. Wichtig ist bei der Wahl der Stunde namentlich auch der Unterschied, ob man die Visite einer Dame oder einem Herrn abstattet. Bei der Erstern ist jederzeit eine spätere Zeit zu wählen, um gewiß zu sein, daß ihre Toilette beendigt ist.

Eine Visite ist in der Regel einem Gruße zu vergleichen, den man erwiedern muß, wenn man ihn empfangen hat. Um indeß figürlich zu sprechen, nimmt, z.B., ein Regiments-Commandeur die Besuche seiner Lieutenants an, ohne ihnen Gegenvisiten zu machen. Man kann sich nur dann von dem Zwange des Visitenmachens lossagen, wenn man entweder ein großer Herr oder ein Mann von ausgezeichnetem Verdienste ist, oder wenn Jedermann weiß, daß unsere Zeit durch Berufsgeschäfte so sehr in Anspruch genommen ist, daß uns keine zu Visiten der Etikette übrig bleibt. Dieser Fall ist indessen nicht nur selten, sondern die Entschuldigung würde sogar bei Vielen nicht einmal für genügend gelten.[118]

Verlobungs-, Vermählungs- oder ähnliche Anzeigen sind einem auf uns gezogenen Wechsel vergleichbar, den wir innerhalb der nächsten acht Tage durch eine Visite honoriren müssen.

Wenn ein Bekannter eine glänzende Anstellung bekömmt, oder wenn ihm sonst irgend ein Glück widerfährt, wegen dessen eine Gratulation an der Stelle wäre, ist es passender, diese durch einen Brief, als durch einen Besuch auszusprechen. Durch den letztern läuft man Gefahr, mit der gleichgültigen Menge verwechselt zu werden, die bei ihren Beglückwünschungen oft nur eigennützige Absichten hat.

Bei allen Visiten müssen das Gesicht und das ganze Wesen des Besuchenden sich nach dem Gesicht und dem Wesen des Besuchten richten; auch spreche man nicht von den schönen Künsten mit einem Finanz- oder einem Kaufmanne, noch von Actien und Coursen mit einem Gelehrten oder einem Dichter. Eben so unpassend wäre es, mit Jemand, der Ursache zur Trauer hat, oder der Schmerzen empfindet, von dem Theater oder andern Lustbarkeiten zu sprechen, sowie mit jungen Eheleuten von häuslichen Leiden oder Familien-Unannehmlichkeiten.

Man darf nie eintreten, ohne sich melden zu lassen; wo indeß zu diesem Zwecke keine Dienerschaft vorhanden ist, da klopft man leise an die Thür und meldet sich auf solche Weise gewissermaßen selbst an.

Bei einer Visite der Etikette muß man im Vorzimmer Stock, Mantel, Paletot, Ueberschuhe etc. ablegen. Bei einem freundschaftlichen Besuche behält man Stock und Hut, doch der Besuchte nimmt Beides ab.

Man darf keinen andern Stuhl nehmen, als den, welcher einem geboten wird. Setzt man sich, so lege man sich nicht gemächlich, als wäre man allein bei sich zu Hause, auf dem Armsessel oder dem Sopha zurück, sondern behalte eine gerade Haltung bei.

Es ist nicht nur unbescheiden, sondern sogar unanständig, den Hut auf ein Bett zu legen; da man indeß[119] nicht leicht in einem Schlafzimmer empfangen werden wird, kömmt man auch nur selten in den Fall, gegen diese Regel zu verstoßen.

Sind außer uns noch andere Besucher vorhanden, so dürfen wir nicht zugeben, daß unser Wirth uns weiter, als bis zur Thür begleite; auch wäre dieß von dem Wirthe selbst ein Verstoß gegen die Zurückbleibenden. Uebrigens richtet es sich nach dem Range Dessen, der die Visite macht, sowie nach dem Rangverhältniß desselben zu dem Besuchten, wie weit der Wirth den Gast begleitet. Je vornehmer der Erstere ist, desto weiter giebt man ihm das Gleite.

In einer zahlreichen Gesellschaft weiß übrigens ein Mann von Geist, oder Der, welcher eine vollkommene Weltkenntniß besitzt, sich unbemerkt zu entfernen, was man spöttisch: Sich französisch empfehlen zu nennen pflegt, da die Franzosen, welche im Allgemeinen eine sehr feine gesellschaftliche Bildung besitzen, in dieser nicht ganz leichten Kunst Meister sind.

Empfängt man Besuche, so sei man gegen dieselben stets freundlich und zuvorkommend, selbst gegen seine Gläubiger; denn die Artigkeit kostet nichts und vertritt nicht selten die Stelle einer Zahlung, oder gewinnt wenigstens eine Frist. Uebrigens muß man auch bedenken, daß unsere Gläubiger nicht uns verpflichtet sind, sondern daß dieß vielmehr umgekehrt der Fall ist.

Seinem Besuche, welcher es auch sein möge, muß man stets Gesellschaft leisten, so lange sich derselbe bei uns befindet; man muß sich, wenn er allein bei uns ist, sogar fortwährend mit ihm beschäftigen und ihm in Anwesenheit mehrer Gäste so viel Aufmerksamkeit, als möglich, beweisen, auch jeden sich entfernenden Besucher wenigstens bis zur Thüre des Zimmers begleiten.

Ist man allein, wenn man eine Visite empfängt, und der Besuchende ist eine Dame, oder ein Herr von höherem Range, so dehnt man seine Begleitung bis an die Treppe aus, und – wenn es zugegeben wird – sogar bis an[120] den Wagen. Von dem Besuchenden ist es artiger, die Begleitung nur bis zur Treppe anzunehmen. Nur die höchsten Personen nehmen die Begleitung bis zum Wagen als eine ihnen gebührende Huldigung an.

Ein Künstler kann in seinem Atelier Besuche empfangen, ein Geschäftsmann, ein Gelehrter, in seinem Arbeitscabinet.

Der Abend ist vorzugsweise die Zeit zur Abstattung von Besuchen. In der vornehmen Welt haben viele Familien einen bestimmten Empfangstag. An diesem werden alle Die, welche in dem Hause eingeführt sind, ohne vorhergehende Meldung angenommen, und es ist der Artigkeit angemessen, sich an solchen Empfangstagen wenigstens eine halbe Stunde in dem Salon zu zeigen. Vernachlässigte man diese Pflicht der Höflichkeit längere Zeit hintereinander, so würde man dadurch zu verstehen geben, man wolle den Besuch des Hauses aufgeben und man dürfte dann ferner keine Einladungen zu größern gebetenen Gesellschaften erwarten.

Die Visitenkarte giebt man nur dann ab, wenn man Niemand zu Hause findet. In diesem Falle biegt man als Andeutung, daß man seinen Besuch persönlich machen wollte, eine Ecke der Karte um, oder reißt sie ab.

Die bloße Herumsendung von Visitenkarten durch einen eigenen oder einen Lohnbedienten ist eine leere Höflichkeitsform, auf die man kein besonderes Gewicht zu legen pflegt; die Gegensendung der Visitenkarte genügt in diesem Falle bei Gleichgestellten. Indeß kann die Uebersendung der Visitenkarte eines Höheren an einen Niederen, besonders wenn Der, welcher seine Karte schickt, ein Fremder oder ein Reisender ist, auch die Bedeutung haben: Ich bin hier und bereit, Dich zu empfangen, wenn Du mir vielleicht eine Visite machen willst. Wenn Damen auf diese Weise ihre Karte einem Herrn schicken, so ist das eine indirecte Einladung zu einem Besuche.

Bei Uebersendung der Karte kann man auch fragen lassen, zu welcher Zeit man seine persönliche Aufwartung[121] machen dürfe, oder die Bitte aussprechen, zu einer bestimmten Zeit besucht zu werden. Die Verhältnisse in dem Range beider Theile zu einander sind hier maßgebend. Ein Mann von Tact und Lebensart wird das Rechte zu finden wissen.

Die Visitenkarte muß so einfach als möglich sein. Verzierungen, besonders bunte, zeigen von schlechtem Geschmack, indeß ist ein goldener Rand als elegant anerkannt. Einen schwarzen Rand zum Zeichen der Trauer, wie er an Briefbogen üblich ist, darf die Visitenkarte nicht tragen.

Außer dem Namen darf nur der Titel auf der Karte angegeben sein und allenfalls unten, ganz am Rande, die Wohnung; indeß kann man auch sogar den Titel weglassen. Wollte man sein Geschäft auf der Visitenkarte angeben, so würde diese wie eine kaufmännische Empfehlungskarte aussehen, durch die man Kunden zu gewinnen sucht.

Eine Dame würde sehr gegen die Sitte und den Gebrauch verstoßen, wollte sie ihre Wohnung auf der Visitenkarte angeben. Dieß würde so aussehen, als fordere sie dazu auf, sie zu besuchen.

Wenn bei der Anwesenheit weniger Besucher noch neue eintreten, so erwidern die Damen den allgemeinen Gruß der Herren bei Personen geringerer Bedeutung durch ein einfaches Zeichen der Beachtung, ohne sich in ihrer begonnenen Unterhaltung stören zu lassen; bei höhergestellten oder ausgezeichneten Persönlichkeiten durch eine kurze Erhebung von ihrem Platze, und bei Damen, indem sie sich, je nach dem Range derselben, ganz erheben, ihre Unterhaltung abbrechen und erst dann wieder Platz nehmen und die Conversation fortsetzen, wenn die Neueingetretene zuvor den ihr gebührenden oder angewiesenen Platz eingenommen hat.

Wenn man bei abzustattenden Visiten Jemand auf der Treppe begegnet, den man als zur Gesellschaft gehörig betrachtet, so grüßt der Hinaufsteigende oder Ankommende den Herabsteigenden oder sich Entfernenden[122] zuerst, wenn es ein Herr ist, eine Dame aber in beiden Fällen.

Stock und Regenschirm muß man bei Visiten anderer, als der freundschaftlichsten Art, jederzeit im Vorzimmer lassen, und wo bei einem Vorgesetzten oder einer besondern Respectsperson kein solches vorhanden ist, auf dem Vorsaale, selbst auf die Gefahr hin, sie bei dem Austritt nicht wieder zu finden.

Während einer Visite muß man sich wohl hüten, sich nach der Uhr zu erkundigen; die eigene aus der Tasche zu ziehen, um nach der Stunde zu sehen, wäre vollends eine Unschicklichkeit.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 116-123.
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