Hausangestellte

[56] Die Stellung des dienenden Standes ist von jeher eine der wichtigsten Fragen des sozialen Lebens und der häuslichen Kultur. Wohl und Wehe der Familie hängt zum großen Teil von den dienenden Personen ab, deren Wichtigkeit, deren Aufgabe, Ansprüche und Launen, ja in vielen Fällen deren Unentbehrlichkeit seit Jahrhunderten Lieblingsgespräche der Damen sind. Ihre Pfiffigkeit bot Generationen von Lustspieldichtern Stoff, von Plautus bis zu Strindbergs böser Köchin, ihre Treue verherrlichte die ernste Dichtung.

Aufsicht über das Gesinde gehörte zu den wichtigsten Pflichten der Frau im Mittelalter wie in der neuen Zeit und »strenges Regiment zu führen« war ein Lob, das vielen unserer Ahnfrauen nachgerühmt wurde. Sie waren gefürchtet, aber auch geachtet und geliebt, weil sie sich wirklich um ihre Dienstboten kümmerten. Heute sind sie so lässig geworden, so feig durch das Grollen der sozialen Feinoseligkeiten, daß jene zielbewußte Energie, die den Hausfrauen ruhigerer Zeiten eigen war, meistens im modernen Haushalt fehlt. Wir fürchten uns davor, gefürchtet zu werden, die Leute merken diese Lauheit und Lässigkeit und wissen sie gehörig auszunützen. Als eine Dame ihre Jungfer, die gekündigt hatte, mit den Worten[56] entließ: »Nun, ich war doch immer gut gegen Sie«, kam die verblüffende Antwort: »Gut? schwach waren Sie.« Damit hat dieser renitente Dienstbote allen Hausfrauen eine gute Lehre gegeben.

Die Sitte sich mit der Dienerschaft zu unterhalten und von ihr unterhalten zu lassen, wie sie einst allgemein gebräuchlich war, herrscht in ihrer naiven primitiven Familiarität nur mehr im Orient. Die Kultur des Westens verlangte immer mehr Stille und steife Würde, bis nach englischem Beispiel größte Automatenhaftigkeit der Gebärde und Ausdruckslosigkeit des Gesichts zum charakteristischen Merkmal einer eleganten Dienerschaft wurde. Das einstige Bestreben anhänglicher Leute »zur Familie zu gehören«, wie es namentlich in Italien sich lange erhalten hat, ist immer mehr im Schwinden begriffen durch das Betonen sozialer Unterschiede, die staatlich aufgebürdeten Soziallasten und die Unbeständigkeit moderner Haushalte.

Die materiellen Bedingungen der Hausangestellten haben sich, dem Zug der Zeit entsprechend, vielfach geändert und die Behandlung ist wohl im allgemeinen eine würdige geworden, wozu schon die praktische Einsicht geholfen hat, daß man »aufeinander angewiesen« ist. Doch ein Übelstand macht sich stärker geltend als in früheren Zeiten. Plötzlich reich gewordene Leute wollen die eigene bescheidene Herkunft da durch verstecken, daß sie gegen ihre Untergebenen hochfahrend sind und deren Arbeitskraft ungerecht auszubeuten versuchen. Dadurch[57] nähren sie ein Gefühl von Haß und Auflehnung gegen alle Dienstgeber. Der dienende Stand muß es sich besonders angelegen sein lassen, gute Tradition zu pflegen, die jedem Stande nötig ist, ihn ehrwürdig zu machen. Wahre Standesehre besteht darin, innerhalb des eigenen Standes alle Pflichten getreu zu erfüllen mit Trefflichkeit und Anmut, wie es schon Homer von treuer Dienerschaft preist. Das harmlos, still vergnügte Wirken guter Hausgeister gleicht Oasen inmitten der Wüste allseitiger, immer steigender Unzufriedenheit. Es ist eine wichtige Aufgabe der modernen Welt, Dienstgeber und Diensttuende so anzuleiten, daß die kleinen Oasen sich ausdehnen zu großen fruchtbaren Ländern, in denen der gute Ton selbstverständlich zu finden ist.[58]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 56-59.
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