Die Frau und das gesellige Leben

[129] Errichtet auf einer Fülle von sogenannten Verpflichtungen, Etikettenregeln, Vorurteilen, die man je nach Erziehung und Charakter mit Spott oder Ehrfurcht, mit gleichgültiger Toleranz oder lautem Widerwillen über sich ergehen läßt, vollzieht sich das gesellige Leben noch vielfach in veralteten Formen. Ein Neues an die Stelle des Vorhandenen zu setzen ist gern und oft erstrebt worden, aber selbst die besten Bemühungen scheiterten am Widerstand des Überkommenen, an der Bequemlichkeit und an der Furcht, sittlich irgendwie Anstoß zu erregen. So blieb das gewohnte Bild im Rahmen der Geselligkeit bestehen, unberührt vom Umsturz und Wechsel der Zeit.

Leute, die sich eigentlich nichts zu sagen haben, sitzen einander gegenüber auf Grund irgendwelcher sozialer Konvention korrekt und gelangweilt, aber beruhigt von der sicheren Aussicht, daß die Sache um eine bestimmte Stunde ihr natürliches Ende nimmt. Im Gegensatz zu diesem gewöhnlichen Verlauf gibt es jedoch Häuser, in denen man sich wirklich unterhält, stimmungsvolle Stunden verlebt und selbst so lebhaft wird, daß man sein Bestes gibt. Was erreicht diesen seinen, nie faßbaren, immer fühlbaren Geist, der die Anwesenden schnell und sicher in seine[129] Gewalt nimmt, der keine Langeweile um sich greifen, keine kleinliche Bosheit sich entfalten läßt, unter dessen Zauber man Sorgen und Ärger vergißt und sich restlos dem schönen Eindruck hingeben kann? Eine in der modernen, auf Technik und Sport eingestellten Welt übersehene und doch sehr schwere Kunst ist es, die ihn bringt, die Kunst der Dame, ihre Gäste mit Takt und Anmut zu unterhalten.

Von alters her war man uneinig über diesen Punkt, die griechischen Philosophen dachten schon anders darüber als die athenische Lebewelt. Unüberwindliche Gegensätze trennen die Anschauungen des Spießbürgers von denen der »schönen Welt« und die Aufgabe der Frau besteht darin, vermittelnd Kultur zu bringen, wo diese noch fehlt. Die wichtigste Frage in dieser Beziehung berührt Athenäus, der Sittenschilderer des klassischen Altertums: »Ich spreche über Gastmähler und deren Beschaffenheit und gebe dadurch der Vermutung Raum, als ob ich für das Essen und Trinken vorzugsweise eingenommen wäre: in Wirklichkeit ist es mir aber um eine gesellschaftliche Unterhaltung zu tun, diese, des Geistes Nahrung, ist für mich die Hauptsache.«

Ohne Essen und Trinken können wir uns die Geselligkeit trotz unserer Verarmung immer noch nicht vorstellen, wenn wir auch von Salons schwärmen, in denen nur die Anmut einer klugen Frau die Gäste zusammenführte. Seltene erstrebenswerte Ausnahmen[130] dieser Art hat es immer gegeben und gibt es auch heute, aber im allgemeinen will der geistige Mensch auch essen und trinken. Er ist dann dankbar für die Sorgfalt, die eine gute Hausfrau selbst dem Einfachsten angedeihen ließ und empfindet das Wohlwollen den Gästen gegenüber, das einzig und allein die Seele der Geselligkeit bildet. Nur in diesem Fall werden die Menschen »warm« und entfalten ihre Gaben frei im Kreis der Freunde.

Feinere Geselligkeit will jene sein, die mit Kunstdarbietungen aufwartet. Sie ist heute sehr verbreitet, aber sie blickt trotz Hauskino, Radio und ähnlichen Genüssen eines technischen Jahrhunderts auf altertümlichen Ursprung zurück, denn Tafelmusik gehörte schon zu den antiken Gastmahlen. Es wurden damals, wie in der Gegenwart, allerlei Virtuosen zugezogen, um die Geladenen zu unterhalten. Aber schon Sokrates wendete sich gegen die Vorführung von Varietékunststückchen, die ein reicher Empörkömmling zum besten geben ließ. Platon wollte sogar Flötenspielerinnen und Sängerinnen vermissen, denn solche paßten – nach seiner Ansicht – nur für Einladungen bei ungebildeten Leuten, die keine Konversation machen können. Einstimmig vom Altertum bis auf den heutigen Tag ist die Möglichkeit anregenden Gesprächs, bald ernst, bald scherzhaft geführt, als erlesenster Genuß anerkannt, den die Dame des Hauses bieten kann und jede andere Art von Bewirtung soll[131] nur gleichsam vorbereitend auf diesen Genuß wirken, ihn herbeiführen und angenehm ausklingen lassen.

Wenn ein jeder zu Wort kommt und über das sprechen darf, was er versteht und liebt, so unterhalten sich alle. Allein der Sprecher muß einer gewissen Wärme und Anteilnahme sicher sein und selbst fähig, solche Wärme und Anteilnahme für andere zu zeigen. Besonders im geselligen Verkehr ist »höchster Wert die Persönlichkeit«, wenn sie so herausgearbeitet in Erscheinung tritt, daß man sich in ihrer Nähe bereichert fühlt. Eine solche Persönlichkeit wird, namentlich wenn sie eine gebildete Frau ist, instinktiv das Richtige treffen den Herzenston, um die Gäste je nach Art und Wesen in fördernde Geleise zu bringen, sie einander zu nähern und wie gutgestimmte Instrumente eines Orchesters zusammenspielen zu lassen.

Nur wer zur Geltung kommt, fühlt sich wohl. Dies allen Gästen zu ermöglichen, ist die schwerste, aber dankbarste Aufgabe der Herrin des Hauses. Taktvoll regiert sie mit geschickter Frage und kluger Entscheidung. Sie verwaltet mit liebenswürdiger Sicherheit jenes Amt, das einst von den Meistern der Geselligkeit, den Griechen, dem Symposiarchen übertragen war. Steifer Zwang und anarchische Zügellosigkeit vernichten in gleicher Weise die Blüte des Gesprächs. Es muß gehegt und geleitet werden, damit es nicht in Geplapper oder Streit ausartet. Um dieser Klippe auszuweichen, wird das Fahrzeug der Geselligkeit vielfach[132] in eine andere fremde Windrichtung gesteuert. Statt sich zu unterhalten, sollen die Leute unterhalten werden, statt selbst beizutragen durch Geist, Wissen und Fröhlichkeit, sitzen und stehen sie herum wie in einem bezahlten Theater und Konzert.

Das Bestreben, von Arbeit oder Sport abgespannte Menschen zu beschäftigen, ohne sie geistig anzustrengen, hat die Fülle von programmartig ausgefüllten Gesellschaften gezeitigt, stellt aber den eigentlichen Reiz der Geselligkeit in den Schatten, das gepflegte Gespräch, in dem anmutige Frauen Meisterinnen sind und ihre Kunst zu herrschen angenehm zeigen.

Am leichtesten macht es sich die Dame, wenn sie einfach Spieltische aufstellt, und ihre Freunde zum Bridge versammelt. Das ist gut für Menschen, denen die Fähigkeit zur Konversation abgeht, oder abhanden gekommen ist. Das Spiel ist ein bedeutender nützlicher Faktor im geselligen Verkehr. Menschen, die sich oft sehen und wenig zu sagen haben, sind gut untergebracht, wenn sie den Geist mit den stets wechselnden Kombinationen des Spieles beschäftigen, daher gehört seine richtige Verwendung zu den Grundlagen der Kunst, die Gäste gut zu unterhalten.

Gibt sich eine Dame wirklich Mühe, den Aufenthalt in ihrem Haus Freunden und Bekannten verschiedenster Art möglichst angenehm zu gestalten, muß sie nur auf einen Punkt wirklich acht geben, auf die Vermeidung jedes Zwanges, jedes Eingriffs in die[133] persönliche Freiheit ihrer Gäste. In einem alten Stammbuch fand ich den Vierzeiler, mit dem ich diese kleine Betrachtung schließe:


Geselligkeit soll Freude bringen,

Von Mensch zu Mensch viel Herzlichkeit;

Daß Seelen zueinander klingen,

Zur Würze sei der Geist bereit.
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Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 129-135.
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