Wovon und wie man in Gesellschaft nicht spricht.

[52] Der Ton des gesellschaftlichen Gespräches hat sich im Laufe der Zeiten geändert und kennt auch heute noch je nach den verschiedenen Ländern allerlei Nüancen.

Im bürgerlichen Zeitalter bis herein ins 18. Jahrhundert herrschte auch in eleganten und galanten Hofkreisen eine geradezu verblüffende Derbheit. Selbst in Gegenwart hoher Damen waren die gewagtesten Scherze und derbsten Redewendungen gang und gäbe und es verstieß nicht gegen die Sitten der damaligen Zeit, wenn sich das »zarte Geschlecht« in ähnlicher Weise äußerte.

Heutzutage hat das gesellschaftliche Gespräch andere Gesetze. Zwar sind wir in Deutschland nicht so prüde wie die englische Gesellschaft, in der man von all den Dingen nicht sprechen darf, die unter dem Tische sind. –

Auch mutet es uns sonderbar an, wenn wir hören, daß es die spanische gute Gesellschaft für durchaus unanständig hielt, den Fuß der Damen irgendwie im Gespräch zu erwähnen. Dennoch gibt es eine Menge bösartiger Kleinigkeiten, mit denen sich ein Anfänger blamieren kann und die der Gebildete mit innerlichem Schmunzeln oder mit mitleidigem Lächeln quittiert – und eine Anzahl Härten, Unbeholfenheiten und Geschmacklosigkeiten, die in wirklich vornehmen Kreisen peinlich empfunden werden.[53]

Man spricht nicht über Religion.

Frauen sprechen nicht über Politik.

Wäsche und Verdauungsstörungen sind auch kein passendes Thema. –

Man spricht nichts, was Abwesende verletzen und Anwesende peinlich berühren könnte, also niemals von körperlichen Gebrechen, künstlichen Zähnen und Haaren ...

Fehlerfreier Gebrauch der Muttersprache ist das Wenigste, was wir von einem gebildeten Menschen verlangen müssen. »Schliff« jedoch verlangt noch ein wenig mehr: nämlich ein sorgfältiges Auswählen der Worte, ein Vermeiden aller unfeinen Schattierungen und burschikosen Ausdrücke.

Man sagt nicht »ausziehen« und nicht »aus dem Bette steigen« und nicht »schwitzen«, vermeidet auch den Ausdruck »echauffiert« (nicht bloß, weil er ein Fremdwort ist!) Ebenso ist man höchstens »erregt« und nicht »aufgeregt«. Das Telephon ist »besetzt« und die Zeitung »vergriffen«, aber keinesfalls sind beide »belegt«.

Abgegriffene Ausdrücke und triviale Phrasen sind zu vermeiden. Bei Tischgesprächen braucht man nicht den Ehrgeiz zu haben, besonders originelle Themen anzuschneiden und hüte sich über unappetitliche Dinge zu reden.

Einen Menschen vergleicht man niemals mit einem Tier.. Eine Härte ist es, bloß »ja« und »nein« zu sagen. Man umschreibe und mildere jedes Ja und Nein und sage z.B. Ja, gerne – Nein, leider nicht, Herr X. Hart klingen auch die Fragen: Wie meinen Sie? Was haben Sie gesagt? Ganz unmöglich ist »Was« und »Hm«. Man sagt: Entschuldigen[54] Sie, Herr Doktor, ich habe Sie nicht verstanden.. Oder: Bitte, wie sagten Sie, Herr Professor?

Zu sagen: Das ist nicht wahr! oder: Sie haben Unrecht! ist eine gesellschaftliche Grobheit. Solche Aeußerungen sind – wenn man sie wirklich nicht unterlassen zu können glaubt – sehr sorgfältig einzukleiden, vielleicht so: Ich meine die Sache verhält sich anders ... Oder: Sie dürften vielleicht nicht gut unterrichtet sein ...! Natürlich kleidet man auch seine Bitten in eine wohlklingende Form und begnügt sich nicht zu sagen: Geben Sie mir das!

Vor Schwerhörigen leise zu sprechen und vor Kurzsichtigen bestimmte Zeichen zu machen ist eine Taktlosigkeit. Geschmacklos ist es auch, mit Pathos zu sprechen oder jemanden so lange überzeugen zu wollen, bis das Gespräch schon mehr einem Streit als einer Annehmlichkeit gleicht.

Man hört wohl mit Interesse zu, widerspricht aber im allgemeinen nicht ernsthaft.

Scherze sollen nicht persönlich sein, sondern sich mehr auf Sachen beziehen Scherze, durch die andere sich beleidigt fühlen, verfehlen natürlich ihren Zweck und verraten Mangel an Takt oder Ungewandtheit.

Man soll natürlich reden und alle Geschraubtheiten vermeiden. Z.B. spricht man von seiner Frau, aber nicht von seiner »Gattin«.

Wer als »Dame« gelten will, darf in der Oeffentlichkeit nicht zum Rechtsanwalt für »freie Liebe« werden ...

So beliebt kleine, nicht übertriebene Artigkeiten sind, so geschmacklos wirken plumpe Schmeicheleien. Namentlich Anfänger, die den begreiflichen Ehrgeiz[55] haben, von dem zu sprechen, was andere angenehm berührt, mögen sich vor diesem Fehler hüten.

Man spreche nicht zu laut und nicht zu leise, nicht schleppend und nicht hastig und sei sehr achtsam inbezug auf Dialekt, Kraftausdrücke und Fremdwörter. Eine üble Angewohnheit sind auch jene »Lückenfüller« im Sprechen, z.B. der stete Gebrauch der Phrasen: »Nicht wahr?« oder: »Also – wissen Sie!« oder: »Sage ich«, oder: »Verstehen Sie?« usw.

Quelle:
Gratiolet, K. (d.i. Struppe, Karin): Schliff und vornehme Lebensart. Naumburg a.S. 1918, S. 52-56.
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