Berliner Spätromantik.

Fouqué – Matthisson – Chamisso – Raupach.

[453] Abgefertigt sind meine Kämpfe mit der Zensur, und Liebes will ich mir nun aus der Vorzeit wecken. – Nicht vergessen sei es, daß ich dem für die Tonwissenschaft edler Richtung begeisterten Friedrich Rochlitz im Jahr 1803 ein Empfehlungsschreiben an Goethe zu verdanken hatte. Dies noch jetzt angenehm nachempfindend, will ich mein Erinnern freundlich zu jenem Sachsen-Weimarschen Hofrat hinwenden, obwohl in seinem Gedächtnis jener Abend, für den ich derzeit als Gast bei ihm war, keine Stätte behalten[453] hatte, was ich einundzwanzig Jahre später entdeckte durch beigeordneten Brief:


»Hrn. Prof. Gubitz.

Leipzig, d. 16ten Febr. 1824.


Ew. Wohlgeboren


bin ich persönlich, hoffentlich aber sonst nicht ganz unbekannt, wäre letzteres auch nur als Stifter der Leipziger musikalischen Zeitung und ihr Herausgeber während der ersten zwanzig Jahre ihrer Dauer. Und so verstatte ich mir denn, Ihnen mitfolgendes Buch zu übersenden. Ich will nicht leugnen: dies Buch ist mir wichtig, da es die letzten und hoffentlich besten Resultate lebenslänglicher, oft angestrengter Beschäftigung mit den Werken der Tonkunst und ihrer Literatur unter allen Nationen und aus allen Zeiten enthält (und in der Folge enthalten wird), da ich es mit der Ausarbeitung desselben ernstlich genommen habe, so daß ich's wirklich nicht besser machen kann, und da eben dies Buch meinen Namen, soll er überhaupt mich überdauern, erhalten muß, indem ich in andern Fächern der begabteren oder sonst überlegenen Mitbewerber zu viele habe: in diesem schwerlich. Unter diesen Umständen darf ich mir erlauben, Ihnen dies Buch bestens zu empfehle. Da Ihr Blatt von so sehr Vielen überall gelesen wird und eines treuverdienten Credits genießt: so können Sie viel für dies Buch thun. Lassen Sie mich bitten, daß Sie wenigstens beitragen, es bald unter die Leute zu bringen, dann wird es sich selbst helfen, wenn es kann, und kann es nicht, so verdient es keine Hülfe. Verbindlichkeit gegen mich haben Sie im Geringsten nicht, und mithin ich kein Recht zu dieser Bitte: aber ich kenne Ihren Antheil an der hier abgehandelten Sache,[454] und werde, was Sie zur Erfüllung meiner Bitte thun, als ein freies Geschenk dankbar aufnehmen.


Mit größter Hochachtung mich

Ew. Wohlgeboren

empfehlend.

Rochlitz.«


Den Irrtum, daß er mir persönlich unbekannt sei, hatte ich bald beseitigt, und was mir Rochlitz sandte, die zwei Bände »Für Freunde der Tonkunst«, wurde im »Gesellschafter« mit verdienter Teilnahme umständlich besprochen.

Meine Erfahrung hat es mir beglaubigt, daß Vertiefen in Tonwissenschaft oft anderes leicht dem Gedächtnis entschwinden laßt: so mag es gewesen sein bei Rochlitz. Während vier Jahren sah ich keine Zeile von ihm, und dann – nach mehreren ihm öffentlich gegebenen Beweisen meiner Aufmerksamkeit hinsichtlich seines Wirkens – schrieb er:


»Der geehrten Redaction des Gesellschafters.


Leipzig, d. 30. Aug. 28.


Ew. Wohlgeboren


schienen ehedem an meinen literarischen Arbeiten einigen Antheil zu nehmen. Ich weiß nicht, ob das noch jetzt geschieht: aber ich wünsche es, und so hoffe ich's auch. Ich sende Ihnen darum mein Buch: ›Für ruhige Stunden‹. Daß ich wünsche, Sie helfen es durch Ihre Zeitschrift in's Publikum einführen, will ich nicht leugnen. Ich darf diesen Wunsch eben hier um so mehr hegen, da dies Buch nicht Weniges enthält, was von Vielen leicht mißverstanden, von Manchen gemißdeutet und entstellt[455] werden wird, wenn nicht Männer von Geist, Eingänglichkeit in Fremdes, und von Credit bei den Lesern, sich seiner annehmen; da ferner es, in seinem Fache, wenn kein gutes, wenigstens mein bestes seyn dürfte, und da es, in diesem Fache, zuverlässig mein letztes bleiben wird. Auf ein Abschiedswort aber nach so langem Verkehr, wie zwischen mir und meinen Lesern stattgefunden hat: wer hielte nicht darauf? und wer verübelte es dem, der hierauf hält? Sie nicht, glaube ich.

Hiermit mich Ihnen in ausgezeichneter Hochachtung und dienstwilliger Ergebenheit empfehlend


Rochlitz.«


Daß ich »Für ruhige Stunden« auch förderlich war nach der Lesewelt hin, versteht sich von selbst, und nun vergaß mich Rochlitz, der noch fünfzehn Jahre im Diesseits verweilte, völlig. Hier aber soll sich über ihn ein Aufsatz von De la Motte-Fouqué einreihen, an geeigneter Stelle, weil es erstens dessen Letztgeschriebenes ist, was sich nachfolgend erklärlich machen wird, zweitens für Fouqué in seinen letzten Lebenstagen durchweg als bezeichnend erachtet werden könnte.


»Friedrich Rochlitz.


Abermals ein edler Geist geschieden von dieser Welt, vielfach und heilsam gewirkt habend in ihr, als Schriftsteller, als Mitbürger, als Spender und Verpfleger der Armen, als heiterer, sorglicher Wirt in seinen gastlichen Hallen, deren Wände von einer ebenso sinnig zusammengebrachten, wie schön geordneten Bildersammlung leuchteten, ein tief gründender Kenner der Musik und aller dahin gerichteten Studien, ganz vornehmlich auch der Metrik, worin er selbst von Meistern der Kunst zu Rat[456] gezogen ward, insbesondere, wo es die Gesangesweise der antiken Zeiten galt.

Seine Poesie zeigt sich mehr dem Verstande verwandt als einer kühn auflodernden Phantasie, aber eine innige Gemütlichkeit durchdrang und durchwebte in seinen Dichtungen jegliche Zeile, wie man wohl sprechen mag. Am glücklichsten bewegte er sich in Stoffen, der Zeit entnommen, worin er äußerlich lebte. Eine ebenso scharfsinnige als menschenfreundliche Beobachtungsgabe vergönnte ihm manch sinnvolle Bearbeitung von Gegenständen, ihm dargeboten von der wirklichen Welt, obgleich auch auf diesem Gefilde die Muse ihm oftmals erfundene Gestaltungen erscheinen ließ.

Der von dem Schreiber dieser Zeilen aufgestellte und mehrfach verfochtene Satz: ›Es gibt, außer dem absolut Sündhaften, nichts absolut Unpoetisches in der Welt‹ findet seine schönste Bewährung in Ro chlitzens oft ernst-feierlicher, oft humoristisch-kecker Darstellung des sogenannt gewöhnlichen Lebens.

Hier ist weder Zeit noch Raum zu näher auszuführender Betrachtung jener angedeuteten Momente auf der vielbedeutenden literarischen Bahn des teuern Verewigten. Das aber kann ich mir nicht versagen, einen Nachklang aus seinem und meinem hienieden letzten Beisammensein folgen zu lassen.

Es war in Leipzig vor nun etwas über zwei Jahren. Wir hatten bis dahin einander nur einmal Auge in Auge gesehen. Darüber war etwa ein Vierteljahrhundert verlaufen, während dessen wir uns jedoch brieflich stets inniger, den Brudernamen zwischen uns eintreten lassend, verbunden hatten, wobei es denn gelegentlich herauskam, daß wir außer dem beiden gemeinschaftlichen Taufnamen[457] Friedrich auch noch die Ähnlichkeit hatten, beide am 12. Februar geboren zu sein; – nur freilich Rochlitz beinahe um ein Dezennium früher als ich. Ob wir uns nach dem so lange äußerlich Fernsein und Ältern auch gleich beim ersten Anblick wieder erkennen würden? – ›that is the question!‹ sagte ich mit Hamlet zu mir, als ich in Leipzig nach der schönen Wohnung des lieben Freundes ging. Eben nur als einen alten Freund bat ich mich anzumelden, und gewann sogleich Zutritt. Da standen wir nun einander allein gegenüber in des Hausherrn schön geordnetem Studiergemach. – ›Wer bin ich?‹ fragte ich ihn lächelnd. – Er sah mich aus den klaren, klugen Augen forschend an, und entgegnete nach kurzem Schweigen: ›Noch weiß ich's nicht, wer eigentlich vor mir steht. Daß es ein alter Freund ist, sagt mir die Anmeldung, und sagt mir auch jetzt mein Herz, und fügt hinzu, ein mir besonders lieber Freund; jedoch der Name fehlt mir noch.‹ – ›Wenn wir einander am dritten Ort getroffen hätten, unvorbereitet, wer weiß,‹ erwiderte ich – ›mir wär' es wohl mit dir gegangen, wie jetzt dir mit mir.‹ – ›Du grüßest mich mit dem Brudergruße‹ – sprach Rochlitz – ›und auch mir wird mehr und mehr brüderlich zu Sinn. Wärest du etwa Fouqué?‹ – Bejahend voll tiefster Bewegung faßte ich die Freundeshand, und nun quoll der selige Strom der Mitteilungen, aus Herz in Herz, aus Seele in Seele, ungehemmt seine Bahn entlang. Versteht sich, daß davon sich nur wenig eignet zur öffentlichen Mitteilung, sonst wär' es ja eben kein unbedingt voller Freundschaftserguß gewesen. Einiges jedoch mag auch hier laut werden. So, als wir auf unser beider Verhältnis zu Goethe zu sprechen kamen – Rochlitz hatte[458] ihm viel näher gestanden als ich – und er mir persönlich holde Äußerungen Goethes über mich berichtete, fiel mir's plötzlich wie Schuppen von den Augen, und ich mußte zu ihm sprechen: ›Sieh', Rochlitz, wie du nun unsern Poeten-Kai ser so redend einführst, wird mir's deutlich, warum du mir so verwandelt vorkamst bei unserm Wiedersehen vorhin. Nicht eben, daß du ausnehmend gealtert wärest, aber du hast während dieses Vierteljahrhunderts eine wunderbare Ähnlichkeit gewonnen; eine Ähnlichkeit, die ich früher nimmer an dir bemerkt hatte – die Ähnlichkeit mit Goethe.‹ – Und wahrlich, so verhielt es sich auch, und das gleiche sollen schon andere bemerkt haben. Eine gewisse vornehm freundliche Würde in beider edler Männer Benehmen herrschte wohl zunächst dabei vor, jedoch hatte sich diese eigentümliche Gattung von Ähnlichkeit erst in späteren Jahren so recht bemerklich entfaltet. Auch in den Zügen der würdigen Angesichter war das immer deutlicher hervorgetreten. Obzwar die Augen Rochlitzens weder an Farbe noch an Umfang jene dunkelrollenden Sphären unter Goethes Jupiterstirn erreichten, bewahrten sie doch denselben Ausdruck sanfter Kraft und tief durchdringender Gewalt für alles, was sie zur Betrachtung anzog.

Aufs anmutigste überraschte mich Rochlitz in jenen paar Tagen unseres letzten zeitlichen Beisammenseins, als er in einem erkorenen kleinen Kreise von Frauen und Männern mir ankündigte: er wolle für heut einige Gedichte vorlesen. Ich faßte es in dem Sinne auf, es seien Dichtungen aus seinem eigenen erhabenen Geiste und sprach unverhohlen meine Erwartungsfreude darüber aus. Er lächelte mild, und begann zu lesen mit all dem vollen Wohllaut seiner schönen Stimme, und dem noch[459] schöneren Wohllaut, hervorquillend aus seiner lieben Seele. Fast hätte ich mich verleiten lassen, nach den ersten zusammengedrängten Zeilen die Trefflichkeit des Gedichts zu preisen. Da ging es mir jedoch auf: das Vorgelesene war von mir selbst und nur so wundersamlich tief mich eben diesmal ergreifend durch des Freundes begeisterten Vortrag. ›Nicht wahr, lieber Poet,‹ sagte Rochlitz, ›ein tüchtiger Rhapsode ist doch auch was wert?‹

Bevor wir zum letzten Male schieden, war noch zwischen uns, wie das ja ohnehin allen besonnenen und auf das Ewige gestellten Greifen heilige Pflicht gebietet, vom Ausgange aus der Zeit und vom Eingang in die Unendlichkeit ausdrücklich klar die Rede, und ich meinte, Rochlitz möge, unerachtet seines vorgerückteren Alters, noch länger hienieden weilen als ich. Er wies mich auf mein kleines Söhnlein an, das er mit inniger Liebe angeschaut und aufgenommen hatte, meinend, dem sei doch ich für manch ein Jahr lang nötig, schier unentbehrlich, während er, der kinderlose Witwer, mehr auf das Jenseits als auf das Diesseits hingestellt sei, wogegen wiederum ich den Freund an einige holde Jungfrauengestalten mahnte, die ihn pflegetöchterlich umwebten und seiner pflegten, ebenso sinnig erfreut durch das, was er aus ihren lieblichen Händen empfing, als was dagegen er ihnen geistig und fromm gemütlich zu bieten vermochte.

Ausdrücklich erwähnte er noch des dazumal erst unlängst abgeschiedenen, auch in Leipzig tief betrauerten Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, und des Umstandes, daß er selbst mit dem frommen Fürsten in gleichem Alter stehe, wobei es ihm seither vorkomme,[460] als werde er über dieses Ziel nicht weit hinausleben. – ›Wie Gott will!‹ sagten Rochlitz und ich beim Scheiden.

Nun ist er mir vorangegangen. – Gott helfe mir zu rechter Zeit und Stunde ihm nach!

Nimm fürlieb, lieber Rochlitz, mit diesem dir nachgesandten Pilgergruß, du stets mir getreuer Pilgergenoß! – Nahmst du es ja auch so gütig auf, als ich noch unlängst dir meine gesammelten Werke durch eine Zueignung weihte, und du mich zum letztenmal durch den Anblick deiner bis aus Ende regelrecht und schön geformten Handschrift erfreutest. – Nun schauest du voll Psalmendankes in das ewige Weihnachtsfest.

L.M. Fouqué.«


Brachte das Empfehlungsschreiben an Goethe mir Friedrich Rochlitz vor den inneren Blick, kommt dies aus gleicher Ursach in Verbindung mit August Mahlmann, der meinen ansehnlichen Briefbeständen manche Zeile zuwendete. In bezug auf seine Empfehlung an Goethe hat er stets weiter an mich gedacht; hier aber will ich ihm für ehemals vergelten durch ein etwas von dem, was ich über ihn schrieb und drucken ließ:


»Berlin. Königsstädtisches Theater.


Am 28. März (1826): ›Herodes vor Bethlehem‹. Diese von Mahlmann gedichtete Parodie des Kotzebueschen Schauspiels: ›Die Hussiten vor Naumburg‹ hat eine solche Berühmtheit erlangt, daß hoffentlich jeder, den die Literatur der Deutschen interessiert, das Gedicht kennt. Der Wert desselben schützt das bespottete Gedicht vor der gänzlichen Vergessenheit, denn, obwohl ich weit davon entfernt bin, Kotzebue so gering zu achten, als die jetzige worthabende Welt in ihrer Affektation es tut,[461] ja, ob ich zu behaupten mich erkühne, daß er noch unersetzt ist, dennoch darf man sagen, daß er im sogenannten Rührdrama, namentlich wo er sich einbildet, einen geschichtlichen Stoff zur Anschaulichkeit gebracht zu haben, einer solchen Unnatur sich hingab, daß von seinen Werken dieser Art wenig für die Nachwelt zu retten sein wird. Die Fähigkeit, zu erfinden, und dem Stoff eine theatralische Zurichtung zu geben, kann ihm indessen auch bei solchen monströsen Bühnenarbeiten nicht abgesprochen werden. – ›Herodes vor Bethlehem‹ ist eine höchst eindringliche Kritik jenes verfehlten Strebens, und zugleich ein Muster für die phantastische Posse. Das Publikum schien zum Teil nicht zu wissen, wie es den seltenen Humor derselben zu nehmen habe, und da manche niemals zugeben, daß sie einen deutungsvollen Spaß nicht verstehen, so war anfangs die Stimmung im unklaren, endlich aber siegte die Gewalt des echten Witzes und die Aufnahme entschied sich zum Rechten.« (»Gesellschafter« 1826. Bl. 55.)

»Sämtliche Schriften« erschienen gesammelt nach dem Tode Mahlmanns, und aus dem Bericht darüber (»Gesellschafter« 1840. Bl. 22) erneuere ich die Anerkennung:

»Wenn wir auf seine Persönlichkeit näher eingehen, wie er sie uns in seinen Werken hinterlassen hat, müssen wir ihn als einen der innigsten, frömmsten und reinsten Dichter lieben lernen. Überall tiefgemütliche, ungetrübte Liebe des Schönen und Göttlichen, Heiterkeit der Idealität, Sehnsucht nach dem Reinmenschlichen, und dabei ist er durch viele seiner Gedichte geradezu Volksdichter geworden.« –

Möge das Gedächtnis der Deutschen ihm dafür treu[462] sein, was zu unterstützen ist durch den Gesang seines Liedes:


»Ich denk' an euch, ihr himmlisch schönen Tage

Der heiligen Vergangenheit!

Komm, Götterkind, o Phantasie, und trage

Mein sehnend Herz zu seiner Blütezeit.«


Mein Gedächtnis ist ihm noch so treu, wie es bei seinem Leben ihm treu war. Ich sandte ihm mehrmals Abdrücke meiner Holzschnitte, und lasse ich schriftliche, zu überschwengliche Lobeserhebungen über diese Abdrücke beseitigt, sei doch erwähnt aus dem Briefe vom 12ten September 1809 eine Andeutung über meine mit Geschwärm vermischte Schriftstellerei im zweiten Jahrzehnt meines Erdenwallens:

»Kultivieren Sie doch auch Ihr ausgezeichnetes epigrammatisches Talent. Die überschickten Epigramme sind allerliebst und werden sogleich in die Druckerei wandern. Weniger – Sie verzeihen es mir, daß ich mit Offenheit spreche – gefallen mir die elegischen Gedichte.« –

Offenheit ist stets achtungswert, und sie werde als Andenken für August Mahlmann auch hervorleuchtend aus folgendem, vier Jahre vor seinem Tode mir zugesandten Briefe:


»Leipzig, den 23ten April 1822.


Wohlgeborner,

Hochzuverehrender Herr Professor!


Von dem literarischen Verkehr seit vielen Jahren ganz zurückgezogen, lebe ich jetzt nur den Gütern, die mir das Glück zutheilte, mit deren Verwaltung und meinen Lieblingsstudien beschäftigt. Ihr treffliches Blatt [463] der Gesellschafter zeichnet sich durch Gediegenheit und Humanität aus, die immer seltener auf dem literarischen Markt werden, wo der gröbste Egoismus, die frechste Unverschämtheit und seichteste Wortmacherei die Hauptplätze eingenommen haben. Dessen Charakter hat Ihrem Blatte gebührendes Ansehen und Einfluß verschafft, und veranlaßt mich zu dem Wunsche, unter seine Mitarbeiter zu treten. Honorar verlange ich nicht, aber die strengste Verschwiegenheit meines Namens würde ich mir deswegen erbitten, weil ich alle Aufforderungen zu Beiträgen fast von allen jetzt erscheinenden belletristischen Zeitschriften abgelehnt habe, und weil ich in Verhältnissen lebe, die zwar richtiges Beobachten begünstigen, aber mit dem Bekanntmachen derselben sich nicht vertragen. Daß ich nur die Beförderung des Guten und Schönen beabsichtige, werden Sie mir hoffentlich zutrauen, so wie, daß ich auch in Betreff der Form zwar die lebendige, aber nicht die persönlich verwundende wählen werde. Aber wie ist es mit der Censur? Die Berliner, sagt man, habe noch weniger Freiherzigkeit wie unsre Engherzige, und können Sie mir die unverbrüchlichste Verschwiegenheit zusichern? Denn nicht etwa über Theater, nicht etwa abgedroschenes Geschwätz über Neuigkeiten des Tages und der Mode denke ich Ihnen zu schreiben, sondern Schildereien des gesellschaftlichen, sittlichen und literarischen Treibens unsrer Zeit überhaupt und Sachsens insbesondere. Ich kenne das Thema.

Möchten Sie mich bald mit einer graden und offenen Antwort, die ich mir von Ihrem Charakter versprechen kann, beehren, und sollte auch mein Wunsch nicht erreicht werden, so ist es mir schon angenehm,[464] mich wieder in Erinnerung bei Ihnen gebracht und Ihnen die Hochachtung versichert zu haben, mit der ich bin


Ew. Wohlgeboren

ergebenster Diener

A. Mahlmann.

Königl. Sächs. Hofrath.«


Unbedenklich ließ der für gute Absicht ausgesprochene Wunsch sich völligst genehmigen, und nun blieb Mahlmann bis zum Abschluß seines irdischen Lebens Mitarbeiter für den »Gesellschafter«. In welchen Richtungen, das geht hervor aus seinem Schreiben, und genaueres halte ich hier fern, um die zugesicherte »unverbrüchliche Verschwiegenheit« niemals verletzt zu haben.

Nachdem mein Gedächtnis mir Rochlitz und Mahlmann herbeirief, ich jenen durch Friedrich de la Motte Fouqué schildern ließ, vorher äußernd, daß es dessen Letztgeschriebenes sei, will ich gleich auf diesen hinschauen. Seinem Nachruf an Rochlitz hatte ich im Abdruck (»Gesellschafter« 1843. Bl. 18) beizufügen:

»Eben aus meiner Druckerei den ersten Abzug dieses Blattes empfangend, erhalte ich zugleich die Nachricht, daß Fouqué am 23. Januar plötzlich gestorben ist. Wenige Tage vorher war er noch bei mir voll heiterer Aussicht auf fortgesetzte Tätigkeit.«

Im Geist sehe ich jetzt den mit Rittertum, Christlichkeit und Frauenschätzung erfüllten Adelsfreund vor mir, als er im Herbst des Jahres 1825 sehr unwirsch in mein Arbeitszimmer eintrat, nach dem Gruße mich fragend: »Wie habt Ihr das dulden können?« – Er mußte sich erklären, und ich erfuhr nun, daß er in Aufregung geriet wegen des von Julius Curtius und Karl Simrock herausgegebenen »Musen-Almanach für[465] 1826«, dessen Verleger ich geworden war. Er enthält unter anderem Hunderte von »Xenien«, die einen schriftstellerischen Sturm hervorriefen, einen Sturm, der im »Bemerker« meiner Zeitschrift sieben Monate hindurch wütete, auch gegen mich, weil ich den Kämpfern in jener Beilage für Streitiges Freiheit und Raum ließ, den Angriffen meinerseits dann nur entgegnete:


»Wie ein Stamm verschrob'ne Äste

Sich nicht immer kann entfernen,

So muß quergesinnte Gäste

Auch ein Wirt ertragen lernen.«


Zwei jener »Xenien« sind gegen Fouqué gerichtet, und bei jenem Besuch wollte er mich im gesamten verantwortlich machen; ich sagte ihm:

»Herr Baron, die beiden jungen Männer entlockten mir bei fröhlicher Geselligkeit die Zusage, daß ich diesen ›Musen-Almanach‹ in die Lesewelt befördern wolle; den Inhalt lernte ich erst kennen durch die Korrekturbogen, die mir auch Ausfälle vorlegten gegen alle Zeitschriften, den ›Gesellschafter‹ ausgenommen. Er hat aber jetzt sein derbes Gallenteil in einer ›Xenie‹, und diese schrieb ich selbst, bin auch der Meinung, Sie könnten über solche Witzanfechtungen ebenso ruhig hinwegsehen, wie ich es tue!« –

Dies ist Vorrede zu dem, was nicht Fouqué als Dichter betreffen, sondern ihn – andeutend wenigstens – als höchst Gutmütigen schildern soll. Curtius und Simrock waren ihm näher gekommen, fühlten sich etwas reuig, weshalb sie beschlossen, im Frühjahr 1827 Fouqué zu besuchen in seinem Rittersitz Nennhausen. Sie wurden freundlichst, gastlich und redselig aufgenommen; nachher schickten sie ihm den »Musen-Almanach«, äußerlich geschmückt, und innen waren die[466] Ausfälle gegen Fouqué bedeckt durch ein Blättchen mit den Zeilen:


»La Motte-Fouqué.


Laß sie nur spotten, sie höhnen sich selbst: wenn erst sie bekehrt sind, Beten als Paulus sie an, was sie als Saulus verfolgt.«


Veranlaßt war nun bei den dreien der dauernde Freundschaftsbund, ein liebenswürdiger Belag möge dies bezeugen. Curtius hatte im Auftrage Fouqués auf dessen Kosten Gelegenheitsgedichte drucken lassen; sie wurden ihm zugesandt mit beigelegter Rechnung, und der Betrag kam an mit folgendem Reimspiel.:


»Nennhausen, am 19. Julius 1827.


Gruß und Dank Euch jungen Sängern

Simrock, und dem Doppel-Us,

Den in diesem Mond ein Echo-

Us trifft, Julius Curtius!

Seht, ich will im Reim Euch künden –

Fort und immerfort auf Us –

Meiner Seele Ernst und Lachen!

Manchem Reimer wär's ein Muß:

Zwar nur solchem, der im Reim selbst

Nichts sieht als nur herbe Nuß.

Doch mir ist, dem alten Reimbold,

Reim hold, wie ein Frühlingsguß

Knospenreichen Blumenwiesen!

Dann erst kommt die Blüt' in Schuß,

Dann erst schau'n vom schlanken Zweig her

Rosen spiegelnd sich im Fluß. –

Seht, Ihr wolltet mich verbrennen,

Xeniendichter, wie den Huß,

Doch die Muse hat den Glutzorn

Umgehaucht zum Freundeskuß,

Und das freut mich so herzinnig,

Wie's den Schiffer freuen muß,

Wenn an schroffer Klipp' er antrifft

Froher Gastlichkeit Genuß,

Oder wie das Kind, wenn Ruprecht[467]

Ab vom Antlitz wäscht den Ruß,

Und ihm beut, als wohlbekannter

Freund, so Äpfel dar als Nuß.

Wahrlich, Jünglinge, sich gut sein

Ist ein himmlischer Entschluß,

Leichter, besser, edler, kräft'ger

Als sich zerr'n zum Tartarus.

Damit woll'n wir's künftig halten,

Lachend ob dem Zornerguß,

Drin ein zänkisch Meer emporbraust:

Hoch ob ihm schwebt Dädalus.

Wenn recht hoch die Lerche wirbelt,

Trifft sie nicht mehr Jägerschuß:

Himmelan! – das bleibt die Losung

Im Hesperschen Fruchtgenuß. – –

Doch weil auch auf dieser Erden

Setzerfleiß bezahlt sein muß,

Send' ich hier fürs Setzerkonto

Einen kleinen Silbergruß;

Oder kam's auch in Papiergeld,

Muß er doch quittieren, muß!

Und sein etwa Sperr'n dagegen

Wär' ein Werk des Sysiphus. -

Ich erschein' Euch im August erst,

Nicht im Monat Julius:

Dann gedeih' mein frohes Grüßen,

Simrock, Euch, und Curtius!


Treu vom Wirbel bis zur Zeh'

Der lebend'ge Huß


Fouqué.«


Soll nun doch ein Etwas von Urteil sich hier einmischen, mag es geschehen in dem, was der »Gesellschafter« (1843. Bl. 20) aussprach nach Fouqués Tode:

»Fouqué ist in Berlin gestorben. Wir betrauern seinen Tod in menschlich gerechter Teilnahme und in Hinsicht auf seine Familie, nicht in bezug auf die jetzige strebende Literatur. Wir wollen aber auch den Spott[468] und Hohn, dem er im Leben oft ausgesetzt war, von seinem Grabe abweisen; nun er tot ist, gilt allein noch sein wahres Dichten und Wesen. Und Fouqué war durch und durch Dichter, und im ganzen und großen, wie bis ins einzelnste und kleinste, ehrlich und folgerichtig in seiner Gesinnung. Wir verlangen jetzt Freiheit der Individualität, Selbstbestimmung in allen ideellen Dingen; wir müssen ihn deshalb in seiner Persönlichkeit gelten lassen. Sein dichterisches Schaffen ist historisch geworden, das heißt: es bezeichnet eine bestimmte, in der Entwicklung der Literatur notwendige Phase der Poesie. Das ist der Ruhm seiner Schöpfungen. Die, welche ihn verhöhnten, mögen zusehen, ob ihre Schöpfungen historisch werden! Vieles von den seinigen ist freilich schon spurlos verschwunden, aber vieles wird ihn überdauern, anderes mindestens genannt werden müssen in der Geschichte unserer Literatur, und sein Andenken, in welchem wir billig sein Eigenstes und Bestes bewahren, ist eines Lebens und der vollsten Ächtung wert!«

Erwähnt sei noch, daß Fouqué mich und meine Familie erfreute durch eine aus seinem Selbsterlebten hervorgegangene Schilderung des berühmten Schauspielers Fleck, des mir persönlich unbekannt gebliebenen, mehrere Jahre vor meinem Ehebunde zur Gruft geleiteten Vaters meiner liebevoll wackeren Hausfrau. Jene Schilderung, für das Einschalten zu raumfordernd, läßt sich finden im »Gesellschafter« (1841. Blätter 104 bis 107) als Erinnerung an Fleck und Fouqué zugleich.

Vom Jahre 1824 an ist nun aus Schriftlichem und Andenklichem über die »Literarische (Mittwochs-) Gesellschaft« zu berichten, über diesen Verein, der sich anfangs[469] nach dem Tage seiner Versammlungen, später »Gesellschaft für in- und ausländische Literatur« benannte, bei Erwähnung aber meist den ersten Namen behielt, obwohl der Mittwoch dem Montage hatte weichen müssen. Seit seinem Entstehen ertrug dieser schriftstellerische Bund viel unbegründetes Anfechten ohne Widerrede, hatte gesetzlich die Mitglieder verpflichtet, nichts in die Öffentlichkeit zu senden über das Bewegen in dem anspruchslosen Kreise. Jenes Anfechten in aller Fülle zu beachten, ist unnötig; den Verein selber muß ich mir aber wieder beleben in meinen Erinnerungen, denn sie leiten mich zu Begegnissen mit andenkenswerten Persönlichkeiten. Dabei ist hier erst das Geschichtliche jener Gesellschaft eingekürzt heranzuziehen, und es bringt – wie ich meine und glaube – Ansprechendes mit.

Im Oktober 1824 wurde durch den Kammergerichtsdirektor Julius Eduard Hitzig – auch in der Lesewelt bekannt – ein Aufruf verbreitet, der unter anderem äußerte:

»Während von Tage zu Tage das Unkraut im Garten der Poesie üppiger wuchert, blühen doch auch hier und dort darin die schönsten Blumen. Aber wer hat, oder wer nimmt sich die Zeit, den weitläufigen Raum auf das Geratewohl zu durchwandern, um nach seltenen Gewächsen zu spüren, und so, ehe die Kunde davon sich verbreitet, ist ein neues Jahr erschienen, das mit breitem Strome das Neue aus den Buchläden wegspült, um dem Neuesten Platz zu machen und jenes unabwendbar dem Lethe zuzuführen. Sollte nicht dieser betrübenden Erfahrung für die Dichter, und sollte nicht einer noch traurigeren für die Freunde der Poesie in unsrer weitläufigen Stadt, daß nämlich keiner den andern[470] kennen lernt, wenn sie nicht der Zufall zusammenführt, durch einen Verein abgeholfen werden können, der beschlösse, sich wöchentlich einmal, vorläufig in den Winterabenden, zu versammeln, sich gegenseitig das Neueste aus der poetischen Literatur durch Vorlesung einzelner Gedichte aus den Sammlungen, dramatischer Werke von nicht zu großem Umfange usw. zur Kenntnis zu bringen und nach den Lesestunden zu besprechen? Wohl verstanden aber, das Neueste von anderen, nicht von Mitgliedern des Vereins; vielmehr müßte es ein unabänderliches Grundgesetz sein, daß es keinem solchen gestattet werde, eigene oder Arbeiten von anwesenden Freunden vorzulesen: denn das stört alle Freiheit des Urteils, und führt entweder zur Feindlichkeit, oder, was noch schlimmer ist, zur Lobhudelei.«

Rasch erregte dieser Vorschlag Beistimmung; am 26. Oktober 1824 wurde der Verein gestiftet und am 3. November hatte er den ersten Abend seiner Wirksamkeit. Das Grundgesetz: »Nichts darf vorgelesen werden, was von einem der Mitglieder verfaßt worden, ebensowenig von Gästen etwas, was diese selbst gedichtet haben«, erhielt in den »Statuten« noch den Nachsatz: »Keines der Mitglieder darf über die Gesellschaft etwas drucken lassen, sei es tadelnd, lobend oder bloß berichtend, indem sie unter allen Umständen der Öffentlichkeit fremd bleiben will.« Die Kosten, auch für den allmählichen Ankauf der Bibliothek, wurden durch mäßige Geldbeiträge gedeckt, und das nach der Vorlesung und Besprechung bereite Mahl beanspruchte nur, seltene Feste ausgenommen – wobei das strenge Gesetz ohne Einfluß war – einen sehr geringen Aufwand. Die Geschäfte besorgten einige Mitglieder, die Verhandlungen über das[471] Vorgetragene wurden aufgezeichnet, soweit sie als urteilendes Ergebnis zu betrachten waren. – Bald weitete sich der Inhalt der Vorlesungen allseitig, und nichts, was sich in angenehmer Form bot, von welchem Standpunkt es kam, wurde vermieden. Die Kenntnis der mannigfachsten Richtungen in der Literatur machte sich immer bestimmter zum Zweck. Bei umfänglichen Werken gaben die Vorleser oft erst eine, zuweilen sehr mühsame Übersicht des Ganzen und bekräftigten ihre Meinung mit dem Vortrag des Wesentlichsten. Wie gemeinsam die Neigung zum Gemeinsamen im Bereich des Wahren und Schönen sich äußerte, bezeugt sinnig das von Chamisso der Gesellschaft geweihte Festlied: »Herein!« (Gedichte, zweite Auflage, S. 218), worin der Tragiker, Komiker, Mimiker, Lyriker, Musiker, Maler, Übersetzer und – Leser Einladungen empfangen. Man wollte eben auf den verschiedenen Wegen des Kunstgeistigen vertrauter werden, dabei unbefangen alle Parteien vernehmen, wie dies hervorgehoben ist in einem, für das Stiftungsfest des Vereins bestimmten Liede Eichendorffs, das mit dem Verse schließt:


»Frische Fahrt dann, nah und fern,

Allen mut'gen Seglern,

Die getreu dem rechten Stern,

Schleglern oder Heglern.«


Wie man sich dabei die erheiternde Geselligkeit dachte und wünschte, das möge bezeichnend werden aus wenigen Zeilen eines, »Leben und Lebenlassen« überschriebenen Liedes für den Verein von Karl Schall:


»Wir wissen ja nicht nur zu wissen,

Nein auch zu leben wissen wir;

Wie wir uns wissensernst beflissen,[472]

Nur lebenslustig sind wir hier:

Das Utile treibt man daheim,

Hier ist das Dulce Bundesleim.« –


Wodurch erregte denn aber ein so harmloser Verein den galligen Geifer Böswilliger? wird man fragen, und ein Rückblick auf die Vergangenheit erklärt dies leicht. In der ersten Zeit des Bestehens der Gesellschaft hatte unsre Literatur die unersprießlichen, oft die Grenzen des Anstandes überschreitenden Kämpfe gegen Goethe, und in jenem Kreise gab man dem geliebten Dichter, damals schon seinem achtzigsten Jahre nah, freundliche Zeichen der Ächtung und Teilnahme. Die Mißhandlungen, die Goethe in Büchern und Zeitschriften erdulden mußte, und sie erduldete ohne Entgegnung, waren mitunter von so abscheulicher Niedrigkeit, daß jeder Ehrenhafte sich empört fühlen mußte, und in dieser Stimmung hatte eine Gesellschaft, die vermöge ihres Grundgesetzes nicht öffentlich wirken konnte noch wollte, gegen so widerwärtige Schmähung keinen andern Ausdruck als den erwählten: nämlich innerhalb ihres Zwecks dem Tiefgekränkten die ihm gebührende Verehrung zu bezeugen. Dies geschah durch die, dem Stiftungsfest beigesellte Feier seines Geburtstages, zuerst 1825, und da herrschte, wie überhaupt bei den seltenen, auch den Frauen und Töchtern gegönnten Festen, freie Unterhaltung. Im nächsten Jahre (1826) kam man auf den Gedanken, den Mitgliedern für das beste bezügliche Gedicht als Preis einen Ring mit dem Bildnis Goethes zu bestimmen, und Zelter, der nicht Mitglied war, wurde Prüfungsrichter. Von zwölf Einsendern gewann Houwald den Preis. Auch in den folgenden Jahren feierte die Gesellschaft Goethes Geburtstag, und dies war es, was[473] ihr alle Anfälle jener Parteien zuzog; vergebens sucht man einen andern Anlaß, wenn sich nicht etwa die durch Stimmenmehrheit erfolgte Nichtaufnahme eines oder des andern sich um Mitgliedschaft Bewerbenden einmischte, was nicht zu beweisen ist. In Rede kam fast durchgängig nur der erwähnte Anlaß, der zu den sinnlosesten Beschuldigungen ausgebeutet war, um so gereizter, als Goethe selbst sich der Gesellschaft wohlwollend und ratend zuwandte, was natürlich ist. Er war damals erfüllt von dem gläubigen Gedanken einer das Menschentum überall fördernden »Weltliteratur« und suchte dazu Mitwirkung. »Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit und jeder muß dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen«, so äußerte er sich (1827) in einem Gespräch mit Eckermann, weiter darauf eingehend. Diese Ansicht erläuterte er auch, wenn Mitglieder der Gesellschaft ihn besuchten, und so verstärkte er den Antrieb, daß diese ihre Lesungen und Besprechungen auf die auswärtige Literatur umfassender ausdehnte, wozu Goethe Leitung gab in folgendem, als Antwort auf ein Glückwunschschreiben zu seinem achtzigsten Geburtstage dem Verein zugeschickten Schreiben an Hitzig:


»Geneigtest zu gedenken.


Wenn eine Gesellschaft deutscher Männer sich zusammen begab, um besonders von deutscher Poesie Kenntniß zu nehmen, so war dies auf alle Weise zulässig und höchst wünschenswerth, indem diese Personen sämmtlich, als gebildete Männer, von dem übrigen deutschen Literatur- und Staatswesen im Allgemeinen und Besondern unterrichtet, sich gar wohl die schöne Literatur zur geistreichvergnüglichen Unterhaltung auswählen und bestimmen[474] durften. – Sage man sich daher, daß die schöne Literatur einer fremden Nation nicht erkannt und empfunden werden kann, ohne daß man den Complex ihres ganzen Zustandes sich zugleich vergegenwärtige. – Dies geschieht nur zum Theil, indem wir Zeitungen lesen, die uns ausführlich genug von öffentlichen Dingen unterrichten. Dies ist aber nicht hinlänglich, sondern man hat noch hinzuzufügen, was sie in kritischen und referirenden Journalen von sich selbst und von den übrigen Nationen, besonders auch von der deutschen, für Gesinnungen und Meinungen, für Antheil und Aufnahme zu äußern veranlaßt sind. Wollte man, zum Beispiel, sich mit der französischen neuesten Literatur bekannt machen, so müßte man die seit zwei Jahren gehaltenen und im Drucke erschienenen Vorlesungen, als Guizot: Cours de l'histoire moderne; Villemain: Cours de la literature française, und Cousin: Cours de la philosophie kennen lernen. Das Verhältniß, das sie unter sich und zu uns haben, geht hieraus am deutlichsten hervor. Noch lebhafter vielleicht wirken die schneller erscheinenden Blätter und Hefte: Le Globe, La Revue française und das zuletzt erscheinende Tagesblatt: Le Temps. Keins von allen diesen ist zu entbehren, wenn wir das Hin und Wider jener in Frankreich sich balancirenden Bewegungen, aller daraus entspringenden Wogungen vor unserm Geiste lebendig erhalten wollen. – Die deutsche Poesie bringt, man darf nur die tagtäglichen Produktionen und die beiden neuesten Musenalmanache ansehen, eigentlich nur Ausdrücke, Seufzer und Interjectionen wohldenkender Individuen. Jeder Einzelne tritt auf nach seinem Naturell und seiner Bildung; kaum irgend etwas geht ins Allgemeine, Höhere, am wenigsten merkt man einen[475] häuslichen, städtischen, kaum einen ländlichen Zustand; von dem, was Staat und Kirche betrifft, ist gar nichts zu merken. Dies wollen wir nicht tadeln, sondern gelten lassen für das, was es ist. Ich spreche es nur deshalb aus, um zu sagen: daß die französische Poesie, so wie die französische Literatur sich nicht einen Augenblick von Leben und Leidenschaft der ganzen Nationalität abtrennt, in der neuesten Zeit natürlich immer als Opposition erscheint und alles Talent aufbietet, sich geltend zu machen, um den Gegentheil niederzudrücken, welcher dann freilich, da ihm die Gewalt verliehen ist, nicht nöthig hat, geistreich zu seyn. – Folgen wir aber diesen lebhaften Bekenntnissen, so sehen wir tief in ihre Zustände hinein, und aus der Art, wie sie von uns denken, mehr oder weniger günstig, lernen wir uns zugleich beurtheilen, und es kann gar nicht schaden, wenn man uns einmal über uns selbst denken macht. – Darf ich aufrichtig reden, so wird hierdurch ein größerer Vortheil erzielt, als wenn wir uns mit ausländischen Dichtern in Correspondenz setzen wollten. Die besten bleiben immer in ihrem Kreis beschränkte Individuen, welche in solchem Falle gar nichts thun könnten, als schönstens zu danken, wenn man ihre Sachen gut findet. Setzte man daran aus, so ist das Verhältniß sogleich aufgehoben. Befolgt man aber jenen vorgeschlagenen Gang, so wird man sehr schnell von Allem, was öffentlich wird und der Oeffentlichkeit sich nähert, vollkommen unterrichtet. Bei dem jetzigen schnellwirkenden Buchhandel bezieht man ein jedes Werk sehr eilig, anstatt daß der Autor, wie ich oft erfahre, eine solche Gabe erst durch Gelegenheit schickt und ich das Buch lange schon gelesen habe, wenn ich es erhalte. – Aus allem dem ist ersichtlich, daß es keine geringe Aufgabe[476] ist, eine solche Literatur der neuesten Zeit zu durchdringen. Ueber die Englische, wie über die Italienische, müßte man wieder besonders reden: denn das sind wieder ganz andere Verhältnisse. – Doch ich schließe hier, damit Gegenwärtiges nicht länger zurückbleibe, erbiete mich, auch in der Folge über die Hülfsmittel mich bescheidentlich zu äußern, danke zum allerschönsten für die liebenswürdige Beachtung meines Andenkens und für jenes Schreiben, gezeichnet mit so vielen werthen Namen. Geben Sie mir manchmal Nachricht von dem Fortwalten Ihrer Bemühungen. Empfehlen Sie mich Hrn. Geh. Rath Streckfuß und der übrigen Gesellschaft zum angelegentlichsten.

Weimar, den 11. November 1829.


Treu angehörig

J.W. Goethe.«


Zu dem erweiterten Willen, von den neuesten geistigen Erzeugnissen der Fremde möglichst schnelle und genaue Kenntnis zu nehmen, den steten Entwicklungsgang der bildenden Künste auch bei andern Völkern sich klar zu machen, hatte die Gesellschaft für die wichtigsten europäischen Sprachen besondere Berichterstatter, welche in lebhaftem Verkehr mit dem Auslande ihnen rasch zugesandte Werke desselben im ganzen lasen, Vortrag darüber hielten und zum Schluß das Bemerkenswerteste vortrugen. Dies geschah bei den bekannteren Sprachen aus dem Original, bei anderen, z.B. dem Spanischen und Russischen, in der Übersetzung, die meist der Vortragende selbst übernahm. Neben dem Deutschen, was immer Vorzugsrichtung blieb, ist Spanisches und Portugiesisches, Englisches, Französisches und Italienisches, Russisches und Serbisches in bunter Abwechslung vorgekommen.[477] Dem allen bezeugte Goethe eifrige Aufmerksamkeit, widmete (1830) »in öffentlichem Ausdruck dankbaren Anteils« der Gesellschaft die seinerseits noch mit einer Einleitung begleitete Übertragung von »Thomas Carlyle Leben Schillers«, wie denn auch Professor Wolf in Jena der Gesellschaft ein Werk zueignete. Bis in das Jahr 1831 wurde Goethes Geburtstag – zuletzt sein dreiundachtzigster – gefeiert, trotz des damals in Aussicht stehenden Krieges und der heranziehenden, von Furcht und Schrecken begünstigten Cholera. In einer Ansprache für diesen Tag heißt es: »Mochte es darum geschehen, unsern Landsleuten in Südwesten, die uns so gern der ›Goethemanie‹ zeihen, zu beweisen, daß ein drohender Krieg und eine nahende Pest uns ebensowenig als ihre Verketzerung von einer Verehrung abzubringen vermocht, die wir als Pflicht jedes Deutschen anerkennen, der noch Sinn hat für das Höchste, was aus seinem Vaterlande hervorging. Freilich, Verehrern des neuen ›Völkerfrühlings‹, um uns des seit Juli 1830 geläufigen Worts zu bedienen, kann eine so positive Größe so wenig behagen als denen, die aus entgegengesetztem Standpunkt die Ehren des Dichters als Beeinträchtigung ihres Regals ansehen. Und doch wird Goethe sie alle überdauern, er wird ein Symbolum dessen sein, was der deutsche Geist in seiner schönsten Blüte, in seiner vollen Macht hervorzubringen vermochte, glänzend und fest, wenn längst das stolze alte Gebäude der Regale in Trümmern liegt, und das wunderliche Gemisch von negierenden Begriffen, was sie heut als Volksnot und Volkstrost ausgeben möchten, in seiner trost- und farblosen Nichtigkeit vergessen ist!« – So wird es sein, und in dieser Überzeugung feierte die[478] Gesellschaft noch den 28. August 1832 als Erinnerungsweihe, nachdem der Unvergeßliche am 22. März desselben Jahres in dem Aufruf: »Mehr Licht!« seinen letzten Atemzug ausgehaucht hatte. Stehe hier ein Vers des Liedes, das Wilhelm Neumann für jenen Erinnerungstag dichtete:


»Ein schmerzlich Fest! Doch haben ja die Alten,

Die Großen, Schönen, die Ihm nah nun sind,

Bei ihrer Helden Tod es so gehalten,

Weil einen Halbgott der Olymp gewinnt,

Wenn hier ein Held erliegt des Tod's Gewalten.

So laßt denn immer, weil die Träne rinnt,

In Wehmut lächelnd Euern Ton erheben;

Ihr wißt's und Schiller sprachs: Die Toten leben!«


Mag nun noch im Jahr 1858 das Geschwätz von »Goethemanie« in der Öffentlichkeit durch einen Vergessenen wieder aufgetaucht sein, mir hat es ein beseligt Empfinden bewahrt, daß Goethe in seinen letzten sechs Lebensjahren erfreut wurde durch Zeichen liebevoller Zuneigung, und er empfing sie um so tröstender und dankbarer, weil sie aus einem Kreise kamen, in welchem sich Männer befanden, die, ohne sich mit ihm messen zu wollen, nicht ohne Geltung waren und sein werden. –

Daß die Gesellschaft ihr eigenes, selbst geschaffenes und nicht wertloses »Liederbüchlein« hatte, ist aus dieser Darstellung ersichtlich; – bedeutsam ist aber auch das mir verbliebene »Buch der Gäste«, die ihre Namen mit eigener Hand einzuschreiben hatten. Da fehlt fast kein in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts geschätzter Name, und mancher ist mehrmals zu finden. Auch Engländer und Franzosen bewarben sich um Aufnahme oder Gastbesuch, waren teilnehmende Zuhörer, wenn berichtend geurteilt wurde über das geistige Streben und Weben[479] in den verschiedenen Bereichen der deutschen Heimat wie der Fremde.

Friedlich hatte der Verein beinahe vierjährigen Zusammenhalt, da erzeugte selbstsüchtige Wandelbarkeit im Juli 1828 sehr unnützlichen Hader. Damals war Moritz Saphir, der seinen auf Wasser bezüglichen Namen Moses in den eines Edelsteins verwandelte, durch seine, mit grenzenloser Verleumdung und käuflicher Anhetzerei betriebene Witzjagd als Tagesschriftsteller dem Lesepöbel Berlins ebenso willkommen als den Gebildeten widerlich. Gegen den Schamlosen entstanden Schriftkämpfe, und einer der von ihm mißhandelten Vereinsgenossen wollte seine Gegenrede in der »Mittwochs-Gesellschaft« vorlesen, was nach dem Grundgesetz nicht geschehen durfte. Das noch jugendliche Mitglied benahm sich heftig und sagte nebenbei: »Das ist ein gewaltherrisches Verbot; wenn ich nicht zuweilen auch etwas von mir selbst vortragen darf, dann geh' ich ab!« wonach der Vorsitzende antwortete: »Die Verlegenheit ist groß; denn sehen Sie, wenn hier etwas von Ihnen gelesen wird, dann gehen die andern ab.« – Dies war – in Hinsicht auf das Gesetz – nicht so böse gemeint als es klingt; der Erfolg aber ein solcher, um ein kurzes Gespräch im Heimgange rechtfertigen zu können. Einer sagte: »Wer den heutigen Lärm mit angehört hat, der wird wenigstens nicht der Verleumdung Saphirs beistimmen, daß wir uns gegenseitig lobhudeln, denn es kam sogar mitunter eine kleine Grobheit vor!« und dies wurde bestritten mit dem Ausruf: »Ei, nach Saphirschem Maßstabe ist eine kleine Grobheit schon Lobhudelei!« – Dieser Hinweis auf das Beurteilen jenes Schmähwitzlers wird einleiten, was weiterhin über[480] meinen Verwickelungszwist mit ihm berührt worden ist. –

Der durch jenen Vereinsgenossen veranlaßte Streit wirkte verschieden. Ein geringer Teil der Mitglieder, fürchtend, daß sich ähnliches veröftern könnte, zog sich zurück; dem Querkopf folgte ein anderer Teil, der behauptete: er sei die eigentliche »Literarische Mittwochs-Gesellschaft«, und nun übermütig deren Eigentum an Bibliothek, Briefwechsel und Barem beanspruchte, im Fall des Verweigerns auch mit Prozeß drohte; eine Mehrheit, zu der die bedeutendsten Männer gehörten, hielt sich aber in Eintracht. Auf beiden Seiten standen tüchtige Rechts- und Unrechtskundige, es wurde jedoch durch den Sieg des Beruhigens von den Altvereinten beschlossen, in allem nachgiebig zu sein, und für sich den Verein mit denselben Gesetzen bestehen zu lassen. Dieser Beschluß nebst seiner vollständigen Opferwilligkeit griff aber so tätig ein, daß die Abtrünnigen sich bekehrten, dann im Anfange des Jahres 1829 die Gesellschaft mit ihrem Eigentum wieder beisammen war.

Niemals störte sich diese Einigung in den folgenden siebenundzwanzig Jahren, der Tod verengte indes allmählich den Kreis, und weil Hitzig langwierige Krankheit erlitt, bis es auch mit ihm an das Hinscheiden kam, wechselten seine Stellvertreter, bevor ich im Jahre 1847 zum Vorsteher gewählt war. – Die einst bis zu neunzig sich mehrenden Mitglieder hatten sich bis zu einundzwanzig vermindert; es wurde nun überlegt: ob man neue Mitglieder aufnehmen wolle; die wenigen waren aber fast sämtlich Greise und sahen ein, daß jüngere sich schwerlich mit ihnen zu gleichem vereinen würden in einer Zeit, die besonders seit 1830 alles in Zwiespalt trieb.[481]

So hatte man immer darauf hinzuweisen, was schon in einer Festrede aus dem Jahre 1841 geäußert war:

»Der große Riß durch die politische Welt ist leider auch einer durch die geistige geworden. Die jüngern Strebenden stehen schroff getrennt von den älteren. Welcher Baumeister entwirft einen Riß, um über den andern Riß eine Brücke zu bauen! Wir alle fühlen, daß frisches Blut uns wohl täte, die Aufgabe der Poesie ist es ja, die zerstreuten Glieder zu einem wohlgefügten Ganzen zu verbinden. Hoffen wir, daß eine heitere Sonne über die Zerrissenheit aufgeht, und da positive Blüten treibe, wo wir nur Verneinung erblicken.« –

Diese Hoffnung hat sich bisher nicht besonders auffällig bewahrheitet, und so möge künftig ein Verein, ähnlich dem der »Literarischen Gesellschaft«, im Zeitwesen mindere Zerrissenheit und Verneinung finden und – auch wenn einmal verschiedene Ansichten sich entgegenstehen, was nirgends zu vermeiden ist – zweiunddreißig Jahre hindurch Eintracht erhalten bis zum Hinscheiden fast aller, die von der Gründung an zuletzt noch treu beisammen blieben.

Im Besitz des vollständigen schriftlichen Nachlasses der Gesellschaft könnte ich aus den Verhandlungen noch mancherlei gesamtanwendliche Äußerungen ausgezeichneter Männer einweben; dies würde aber zu weitläufig eindringen für mein Selbsterlebtes, weshalb ich gelegentlich nur der Begegnisse mit denen gedenke, die sich mir näher noch befreundeten.

Bei meiner Übernahme des Vorsteheramts wurde festgestellt, das Ersparte der Gesellschaft – dreihundert Taler in Staatsschuldscheinen – für stets freies Mahl zu verbrauchen, und mit noch hundert Talern für die,[482] später durch Meistgebot von mir gekaufte Bibliothek hat sich dies in heiterer Weise vom Jahre 1847 bis 1856 durchführen lassen. Am 31. März 1856 vermittelte sich die Entscheidung, den Verein, von dessen Mitgliedern nur noch sechs lebten, in der Art zu beenden, daß man sich am Stiftungstage geistig und gesellig begrüßen wolle, was nur dreimal mit Schmerzen geschah, denn die geringe Zahl war schon wieder gemindert. – Als ich dies schrieb, lebte neben mir nur noch einer, der gern mit mir zurückschaute in eine Gesellschaft, die niemand befeindete, und doch so oft befeindet wurde von Leuten, die, ohne jemals auch nur gastlich selbst beobachtet zu haben, ihre Wahngerüchte in die Öffentlichkeit trieben, und sie durch Wiederholungen glaubhaft machen wollten.

Von den vielen Gästen der »Mittwochsgesellschaft« sind mir besonders Matthisson und Schlegel im Gedächtnis nach verschiedenem Eindruck. – Am 29. Juni 1827 war Friedrich Matthisson Gast und wurde an diesem Tage ihr Ehrenmitglied. Ein paar Jahre früher hatte ich ihn schon in meinem Arbeitsstübchen gesehen und fand ihn wenig verändert in der Erscheinung, die infolge seiner Lebensverwickelung etwas von altfranzösisch höfischem Anstrich offenbarte; im Sprachausdruck des Behabens war er aber gemütlich und biederherzig. – Jenes Zierlichgemessene in der Haltung mag bei mir etwas hinderlich gewesen sein an Zunahme der Vertraulichkeit; denn daß ich auch aus meiner Jugendzeit für Matthissons Dichtungsgemälde aus der Gefühlswelt dauernde Hinneigung bewahrte, wird mir noch als Greis erwärmend in Erinnerung an das »alte Bergschloß« und den »Genfer See«, an »Adelaide«, und »Laura betet«.[483]

An jenem Abend im Juni 1827 war die Gesellschaft zuerst unter dem Laubdache langer Baumreihen im sogenannten »Schulgarten«, – dessen Boden jetzt Häuser bedecken – und ein Nachhall schwärmerischer Innigkeit durchflüsterte die Traumeskränze entschwundener Tage. Dann wurde im Saale der damals beinah schon siebzigjährige Matthisson von mehreren dichterisch begrüßt, zuerst durch ein Lied von Holtei, das mit der Hindeutung schließt:


»Einst, o Wunder! wird aus deinem Grabe

Eine Blume treu und blau erblüh'n; –

Mag den Jüngling, wie den Greis am Stabe,

Gleiche düst're Grabesnacht umzieh'n,

Dir bleibt doch, als stetes Selbstvermächtnis,

Wo man nur die deutsche Sprache spricht,

Deiner Lieder ewiges Gedächtnis,

Und die Blume heißt: Vergißmeinnicht.«


Wo wäre im Volke dies Vergißmeinnicht für Matthisson noch unverwelkt? Ein Gesamtgefühl ist jetzt nach keiner Seite hin erkenntlich, am wenigsten für das Gemütsleben. Mir aber soll dadurch die Herzensfreude an dem Schönen in Matthissons Gedichten – ohne deren Überschätzung – unverkümmert sein.

Entfernter von Zuneigung blieb mir August Wilhelm Schlegel, der bereits bis zum sechzigsten Lebensjahr zählte, als er am 14. Mai 1827 zuerst Gast der »Mittwochsgesellschaft« war. Mit seinem ganzen Außenwesen nahm er aber Jugend in Anspruch, den er sich so fest eingewurzelt hatte, daß er manche Spötterei über diese mißglückte Altersverhüllung für Bewunderung hielt. – Durch Putzerei mit vielen Orden, mit Ringen an beiden Händen, in allem geschniegelt und gebügelt,[484] in stolzer Vornehmheit gebrüstet wie eine eitle Schöne, sah er gleichsam aus, als betrachte er es für einen Fehlgriff der Schöpfung, daß er nicht ein reizendes Weib geworden sei.

Gelehrsamkeit und nachhaltige Einwirkung auf Mannigfaches in Wissenschaft und Kunst sichern ihm Andenkenswert; im persönlichen Umgange schadete er sich aber sehr durch mehrseitige, nicht selten lästerlüsterne Anmaßlichkeit, so daß – zum Beispiel – Ernst Moritz Arndt ihn begabte mit einem Beinamen, den ich nicht erneuern mag.

Bekanntlich hielt Schlegel damals (1827) in Berlin Vorlesungen über die schönen Künste, auch ich war Zuhörer. Deren Mehrheit vertiefte sich in Langeweile, besonders anfangs, indem begreiflich die Grundlage des Bezweckten vor einer Mischversammlung der Ausdehnung bedurfte; »Ton« und »Mode« halfen zur Sitzhaftigkeit bei dem Genuß, der vielen nicht hinlänglich spaßhaft eingesäftigt, schließlich aber meist unverstanden belobt wurde. – In jenen Vorlesungen hatte Schlegel das schon vor ihm Gedachte und Entwickelte mit dem ihm Eigentümlichen vermehrt, und er sprach vor diesem gemengten Zuhörerkreise, als geschehe es nur in gnädiger Herablassung. Auch Witzeleien webten sich ein, eben so fade Ausfälle, wie wir sie kennen durch Schlegels »Epigramme«, denen zum Teil auch dann noch, wenn etwa der Anlaß von dem Angegriffenen herstammt, die Rechtfertigung fehlt, weil unter allen Umständen geistlose Grobheit nur den entwürdigt, der sie sich erlaubt. Deshalb werde auch verurteilt, was Arndt wider die bezüglichen Epigramme drucken ließ: obwohl dabei die sittliche Entrüstung anzuerkennen ist. –[485] Im Jahre 1841 sah ich bei der scharfsinnigen Schauspielerin Charlotte von Hagn zum letztenmal den vorzugsweise von seiner Schätzung redselig erfüllten Schlegel, und neben ihm war nur ich Gast. Sichtlich hinfälliger geworden, wollte er der schönen Künstlerin gegenüber sogar bemühsamer noch als früher das Jugendliche sich anverleiben, was natürlich nur auffallender mißglückte. Er unterhielt uns vorherrschend mit seinen Stachelreimen, die ihm treu im Gedächtnis waren; echten Witz nachzuliefern vergaß er freilich, steigerte aber sein Entzücken über die zuweilen doppeldeutigen Schmeicheleien der schalkhaften Wirtin.

Wie meisterhaft August Wilhelm Schlegel fremde Sprachen in Deutsches zu übertragen wußte, das hat er unvergeßlich erwiesen; wenn er aber sich selber aus dem Alter in die Jugend übertragen wollte, dann verlor er alle Grenze und zeigte sich kindisch. Am mit Geistesberuf ausgestatteten Manne wird ein solches Buhlen um Trugschein verletzender als bei jedem, der im gesamten Geck ist; solch Törichtes bemänteln zu wollen an August Wilhelm Schlegel, dies würde zum Unrecht in Betracht seiner argen Mißbandlung anderer, und gerechterweise soll ihm übrigens die Verehrung, wo sie hingehört, nirgends gemindert sein.

Von den uns durch die »Mittwochsgesellschaft« Befreundeten hat sich, nächst Raupach, dem ich eine umständliche Schilderung zu widmen habe, vorzüglich der in Wissenschaft und Dichtung heimische, durch schwer belastende Schicksale aus ehrenwertem Franzosen zum ehrenwerten Deutschen gewordene Adalbert von Chamisso in meinem Andenken befestigt. Nach mehr als dreißig Jahren seines Scheidens von der irdischen[486] Schöpfung empfinde ich es noch innigst tief, daß er mir mit Herz und Seele zugetan war. Wir lebten im Du und Du, wobei ich bemerke, daß die sogenannte Duzbrüderschaft meinerseits gern vermieden wurde, obwohl mir im Sprachgebrach die altdeutsche vom Du geleitete Ausdrucksart, die sich im Gebet, bei den Dichtern und in bürgerlicher Häuslichkeit uns bewahrt hat, zusagender wäre als die aus der Fremde geholte Höflichkeitsmehrheit. Mit Chamisso kam mir das Du von ihm, nachdem jener Verein im Jahre 1827 für das beste Gesellschaftslied eine goldene Feder zum Preise bestimmt hatte. Durch sein Gedicht »Herein!« gewann ihn Chamisso, und mir wurde für meinen Beitrag: Die literarischen zehn Gebote das »Akzessit« – eine Flasche Champagner – zuerkannt. Raupach war Gegner dieser Entscheidung, erklärte das »Herein!« mehr für das Sprechen als Singen geeignet, und wollte den Preis mir zugeteilt wissen, wonach ich in Lustigkeit stegreifte:


»Ob ihr's nicht singen könnt,

Gewiß hat jeder

Die gold'ne Feder

Dem Chamisso gegönnt!«


Da eilte er – ein gefülltes Glas in der Hand – zu mir herbei mit dem Ausruf: »Dich hab' ich schon lange mit du anreden wollen, heut frag ich: willst du?« Schnell war es abgemacht, und ringsum mit meinem Champagner bekräftigt, so daß ich dem »Akzessit« noch ein paar Flaschen anzureihen hatte. – Chamissos Gedicht ist in seiner Sammlung, in meiner das von mir zu finden, hier sind sie weggelassen, da nur zu berichten war, welche Gelegenheit uns verbrüderte.

Von jenem Abend an waren wir oft beisammen,[487] zumeist wenn ich ihn, wie er es wünschte, des Morgens, ehe mich mein Tagewerk festhielt, begleitete. Er mußte nach dem eine halbe Meile entfernten Dorfe Schöneberg, dort in der »Königlichen Heumanufaktur«, wie er das Gebäude zur Bewahrung der Pflanzensammlungen für die Akademie der Wissenschaften nannte, die lehrsame Ordnungseinteilung zu begründen. Wir vermieden die Fahrstraße, wählten die schmalen Feldpfade, die sich damals bis dicht an jenes Dorf dehnten; da habe ich sein kindliches Wesen, vereint mit mannhafter Gesinnung, eindringlich empfunden und erkannt, nebenher auch meine geringe Kräuterkunde in etwas erweitert.

Mit den Strömungen des Zeitsinnes war Chamisso nicht einverstanden, meinte, man begünstige allseitig irrig Aufregendes; in die Zukunft schaute er mit inniger Betrübnis, und bei seinem Betracht und Entwickeln der Lebensverhältnisse kam seine Glaubenskraft oft erschütternd zu Wort. Noch sehe ich ihn deutlich vor mir, wenn solche Augenblicke alles in ihm anstrafften, sehe besonders ausdrucksvoll seine hohe Gestalt, als er mir eines Morgens am Dorfeingange die Hand zum Abschied bot, und dabei tiefbewegt zum Schluß unseres Gesprächs ausrief: »Mehr und mehr verleugnen die gewaltigen Erdherren die Seelenzwecke der Menschheit, ihnen fehlt Gott; sie nennen ihn oft, kennen ihn aber nicht, trotzen auf ihr Betgeplärr und bilden verwegen sich ein, Gott werde ihnen die Völker immerdar als Gaukelpuppen an ihre Ziehfäden geben.«

Da wir jahrelang uns fast durchweg allwöchentlich wenigstens einmal sahen, besitze ich von ihm nichts als kurze Zuschriften, denen ich nur solche Zeilen entnehme, die unsere Vertraulichkeit bezeugen.[488]

Durch seinen sehr angreifenden Husten erkrankte Chamisso in bedenklicher Steigerung seit 1831, während dessen Zeitraum er schon nach irgendeiner Herzenseröffnung mehreren Briefchen den Seufzer einschob: »Mög' es Dir besser ergehen als Deinem alten Freunde!« Von Zeit zu Zeit stärkten sich die Kräfte wieder, er beschäftigte sich dann mit der Herausgabe seiner Schriften, und am 27. April 1836 schrieb er mir zu der bezeichneten Beilage:

»Hier, mein teurer Freund, ein Exemplar von meinen unsterblichen Werken, damit Du sie immer bei der Hand haben magst. – Ignosco! Ich habe immer nicht geglaubt, daß man dem Inhaber einer Buchhandlung ein Buch schenken kann!«

Im Dezember desselben Jahres empfing ich die Mahnung:


»Bist untreu, Gubitz, oder tot,

Wielange willst Du säumen?


Du bist von denjenigen nicht, die, wo sie nicht sind, nicht fehlen; Dein Ausbleiben am Montag wird immer betrauert«, und als Nachschrift hat er gereimt:


»Nicht nur für den Gesellschafter schreiben,

Uns treulich auch Gesellschafter bleiben:

Kerb dies in Dein

Buxbaum ein!«


Der Endreim bezieht sich auf den Holzschnitt; neben diesem nahm aber damals nicht nur der »Gesellschafter« meine Zeit in Anspruch, auch mein »Volkskalender«, der seit 1835 entstanden war. Dies Mannigfache verwehrte mir oft die Teilnahme an der montaglich gewordenen »Mittwochsgesellschaft«.[489]

Hatten wir zu unserm Frühgange einen himmelslichten Tag, dann mischten sich bei Chamisso in der Daseinslust Jugend und Alter, er glich getreu seiner Selbstschilderung:


»Die Sonne bescheinet die blumige Au',

Der Wind beweget das Laub;

Wie sind mir geworden die Locken so grau?

Das ist doch ein garstiger Staub.


Es bauen die Nester und singen sich ein

Die zierlichen Vögel so gut,

Und ist es nicht Staub, ei, was könnt' es denn sein?

Mir ist wie den Vögeln zumut!«


Düstere Stimmung war dann völlig überwunden von seiner Dankbarkeit für den allschöpferischen Allvater, eine Dankbarkeit, die auch in der Betrübnis über Mißhandlung des Menschentums durch mancherlei Zustände stets obenauf mächtig vorwaltete und meine Erinnerung an Chamisso läßt mich an ewiges Gefühl glauben. – Gott waltet und wird sich erleuchtend bewähren! –

Gleicher Glaube spricht aus mir, lenkt sich mein innerer Blick auf Raupach, mit dem ich meist in Einigkeit, zuweilen aber auch im Widerstande lebte, jedoch unter allen Umständen den Mann von achtbarer Eigentümlichkeit erkannte und demnach ihm vertraulich blieb.

Als Raupach starb (am 18. März 1852) waren uns im persönlichen Umgange achtundzwanzig Jahre entschwunden, und ein freundschaftliches Verhältnis entstand bald nach dem ersten Zusammenkommen, das ich dem »Gesellschafter« verdanke durch ein paar, von Raupach in Petersburg gelesene Bemerkungen über seine »Fürsten Chawansky« und »Erdennacht«. Jenes Trauerspiel[490] war sein erstes Werk auf der Berliner Bühne, doch hatte man es in andern Städten schon früher benutzt. Die in Tagesblättern mir vorliegenden Äußerungen veranlaßten mich, nach der Berliner Darstellung meinem Bericht folgendes einzuschalten:

Als besagtes Stück gedruckt war und gelesen wurde, erklärte männiglich die Neuigkeit für etwas Außerordentliches, und nun, nachdem sie aufgeführt ist, soll sie nichts sein. In diesem Dichter regt sich aber etwas, und eben weil so mancher Auswuchs sich zeigt, so manches Überspannte uns entgegentritt, dürften wir eher Hoffnung fassen, daß in späteren Werken uns eine mehr gediegene Eigentümlichkeit klar werde, als wenn in wohl geschniegelter Form eine pretiöse Hohlheit daher tönte. Möge der scheel Angesehene ruhig fortarbeiten und sich dabei freuen, wenn er den gemeinten Berichterstattern zugleich einigen Erwerb verschafft durch Schmähungen, die der Preßbengel in alle Welt spedieren muß. (»Gesellschafter« 1820. B. 87.)

Im Januar 1822 reiste Raupach, nach achtzehnjährigem Aufenthalt in Rußland, wo er nie seine deutschkernige Gesinnung verleugnet hatte, nach Italien. Von dort zurückgekehrt, sah er sich nach einem festen Wohnsitz um und seine Gedanken zogen ihn nach Weimar; er verweilte dort, gewann aber die Überzeugung, dies sei nicht die rechte Heimat für seine beabsichtigte Tätigkeit und wandte sich im Jahr 1824 nach Berlin.

Eines Tages trat in mein Arbeitsummer ein sehr schlicht gekleideter Mann mit der Anrede: »Sie haben mich in Deutschland haben wollen, da bin ich; mein Name ist Raupach.« Aus meiner Überraschung jubelte sich ein herzlicher Willkommensgruß hervor, was die[491] Bedachtsamkeit seines Benehmens nicht im geringsten veränderte. Er setzte sich, befragte mich über mancherlei Zustände und Verhältnisse; ich erklärte sie ihm, so weit ich es vermochte, er hörte zu ohne viel Zwischenrede, erhob sich dann, reichte mir die Hand und sagte: »Wir lernen uns gewiß näher kennen, Adieu!« So ging er seines Weges und war am nächsten Morgen nahe daran, daß er auch zu Berlin gesagt hätte: Adieu! –

Er brachte sein eben vollendetes Lustspiel: »Laßt die Toten ruhen!« in eigener Handschrift, selbst nach dem Theaterbüro. Die Person, zu der man ihn wies, schlug das Heft auf und sagte: »Das ist schlecht geschrieben, ist nicht zu lesen!« – »Klein ist es geschrieben, aber nicht schlecht; daß man hier klein geschriebene Stücke nicht lesen will, war mir unbekannt, ich empfehle mich ihnen, meine Herren!« Dies entgegnend, nahm Raupach sein Werk unter den Arm und schritt so gemächlich von dannen, wie er gekommen war. – Seine Handschrift war unzweifelhaft eine deutliche, ja schöne, klein und gedrängt war sie unleugbar auch. Jener Empfang wäre nun nach seinem schroffen Eigenwesen wahrscheinlich die Ursache geworden, ihn niemals wieder in jenem Büro zu sehen, wenn nicht dem Theatersekretär Hofrat Esperstedt einfiel: das könnte Raupach gewesen sein! Esperstedt erkundigte sich eifrigst, ermittelte: Der Geahnte sei in Berlin, eilte zu ihm, enschuldigte das unangenehme Ergebnis, bat um das Manuskript und empfing es. Dies war die Art, wie Raupach den Weg fand zu der Berliner Bühne, für die er von da an wirkte in seltenster Fruchtbarkeit, deshalb auch bald und fortwährend feindlich angegriffen wurde. –

Die Notwendigkeit öffentlicher Beurteilung wird kein[492] Denkender bestreiten, es nistete sich aber hinsichtlich Raupachs allerlei Leidenschaftliches so um sich greifend ein, daß es ihm nicht zu verargen war, wenn er über Kritik keine anmutige Meinung hegte. Er konnte Tadel ertragen, er hörte darauf und wehrte sich, oder aber, was oft genug geschah, er beherzigte ihn, und seine nächsten Freunde wissen, mit welcher Willigkeit er nun änderte. An seinen berührigsten öffentlichen Gegnern war jedoch die aus dem Hintergrunde anstachelnde Absichtlichkeit nicht zu verkennen. Bei den einen gärte die Ansicht, ihre eigenen Erzeugnisse würden verdrängt durch Raupach, der Mitglied des sogenannten, in seiner Wirksamkeit, wie sich nachfolgend andeuten wird, nicht sehr mächtigen »Prüfungs-Lesekomitee« der Berliner Bühne geworden war; bei andern herrschte die Entzückung für teils meisterhaftes, teils verjährtes oder für deutsches Wesen ungeeignete Fremdalte, bei den dritten Vorliebe für französische Bühnengaben. Dort, da und hier zeigte sich Fehlbegriff über die in Wahrheit nicht sehr mächtige Mitstimme Raupachs; Mißwollen, Entzückung und Vorliebe können aber der Einseitigkeit nicht entkommen: sie sind demnach gleich ungerechte Richter und gewöhnlich kaum halb im Recht.

Keineswegs will ich leugnen, daß Raupach die Gelegenheit, sich auf der Berliner Bühne geltend zu machen, in weitem Umfange benutzte, will es auch nicht als haltbaren Grund annehmen, daß dieser oder jener Andere unter gleichen Verhältnissen und mit vielleicht nicht gleicher Fähigkeit wahrscheinlich dasselbe getan hätte. Zu bedenken ist jedoch bei Raupach, daß er eine ergiebige Stellung in Rußland verlassen und dort tüchtig vorgearbeitet hatte, um selbständig in Deutschland leben zu[493] können, ohne Dienstlasten, wie es ihm bei dem Mangel an untertänigster Fügsamkeit erforderlich war. Wenn sich auch sein Talent mitunter überbot, seine Ansprüche schritten doch nie darüber hinaus, und man möge sich erinnern, daß sowohl Ludwig Tieck, der sich in bezug auf das neuere Drama viel ausschließende Neigung festhielt, geäußert hat: Raupach verdiene schon deshalb Dank, »weil er der ausländischen Sündflut, welche die deutsche Bühne ganz zu überschwemmen drohte, Einhalt getan hat.« Dies schaffte ihm Raum genug, und daß er dabei Heimischgutes, wenn es nicht von ihm kam, zurückgedrängt habe, ist eine tatsächlich zu widerlegende Beschuldigung. Man darf nur die »Repertoire« der Jahre, in denen Raupach seine günstigsten und meisten Erfolge gewann, den neueren gegenüber prüfen, dann stellt sich heraus, daß neben seinen Dramen mehr Werke deutscher Dichter zur Darstellung kamen als später, ohne dem Klassischen und angeblich Klassischen die Tätigkeit der Bühne entzogen zu sehen.

Daß aber Raupach bereit war, was ihm mehr oder minder wert dünkte, der Bretterwelt anzueignen, dazu habe ich zunächst mehr Beweis, auch einen etwas abenteuerlichen. – Zu dem Inhalt des Jahrbuchs deutscher Bühnenspiele für 1827 (ausgegeben im September 1826) gehört ein kleines Stück: »Die Ehrenschuld«! in demselben Jahrgange ist Raupachs Lustspiel: »Der geraubte Kuß« eingeordnet, infolgedessen ihm ein Freiexemplar gebührte. Als wir uns dann in der »Mittwochsgesellchaft« trafen, sagte er zu mir: »Ich habe in dem ›Jahrbuch‹ gelesen, mir hat das kleine Drama ›Die Ehrenschuld‹ gefallen.« – »Viel ist's nicht«, antwortete ich; »eine flüchtige Arbeit«. Nicht[494] ohne Empfindlichkeit wollte er mir begreiflich machen, ich sei im Irrtum, was mich zwang, ihm die Mängel zu bezeichnen. Er wurde wärmer und endlich mußte ich den Ausfall vernehmen: »So seid Ihr Kritiker, immer schreit Ihr, es fehle an Talent, und wenn es sich irgendwo zeigt, habt Ihr wer weiß wie viel daran auszusetzen. Der Verfasser ist offenbar ein junger Mann, noch unbehilflich, namentlich weiß er den Dialog noch nicht zu koupieren, aber sein Stück ist zu beachten, und ich werde mich bemühen, es hier zur Aufführung zu bringen.« – »Es wird hier nicht aufgeführt«, bemerkte ich lächelnd, und er entgegnete barsch: »Das wollen wir sehen!« – Nach etwa einem Monat äußerte er mir mit dem Ton des Siegers: »Nun, die ›Ehrenschuld‹ ist angenommen!« – »Wird aber doch nicht gegeben!« erwiderte ich; »denn Sie kennen die Veranlassung, weshalb ich in Aufwallung erklärte, es solle auf der königlichen Bühne kein Stück von mir aufgeführt werden, und die ›Ehrenschuld‹ ist von mir«. – »Dennoch finden Sie so viel daran auszusetzen?« fragte Raupach, und ich antwortete: »Das kleine Stück hat alle Fehler, auf die ich hinwies, teilweise vielleicht durch die Art seiner Entstehung. Holtei ordnete bisher das ›Jahrbuch‹, und diesmal waren nicht hinlängliche Beiträge vorhanden, so daß ich mich genötigt sah, mein Stoffbuch zu durchblättern und in neun Tagen neben den unabwehrlichen Geschäften das Drama: ›Die Ehrenschuld‹ und das Lustspiel: ›Allein ist geholfen‹ zu schreiben. Ich mußte mir natürlich sagen: sind sie hoffentlich nicht ganz zu verwerfen, wirst du doch selber bald Mängel genug daran entdecken, deshalb ließ ich sie ohne meinen und ohne irgend einen Namen drucken.« – Wir haben[495] uns später dieses augenblicklichen Haders mit Lachen erinnert.

Möchte man meinen: Raupach habe eben Unbedeutendes gern vorgeschoben, um seinen Glanz zu erhöhen, so wäre zu wiederholen, was ich über die damaligen Repertoire sagte: wer jedoch verdächtigen will, findet leicht Behelfe. – Eingeschaltet sei übrigens noch, daß mein »Allen ist geholfen« auf drei Berliner und noch manchen andern Theatern dargestellt wurde; die »Ehrenschuld« hat man auswärts ebenfalls an ein paar Orten sichtbar werden lassen. In Zürich, als dort Charlotte Birch-Pfeiffer Theatervorsteherin war, wurde dies kleine Drama sogar die unschuldige Ursache wilden Lärms. Dort sollte für den in die Handlung verwebten Jesuiten der Schauspieler seine äußere Gestaltung einer Züricher Persönlichkeit nachgebildet haben; darüber wütete eine Sippschaft so arg, daß der Unglückliche, nur mit Schutzmacht vor Mißhandlung bewahrt, in der Nacht heimlich aus der Stadt gebracht werden mußte.

Daß Raupach der Kritik abhold war, ist schon gesagt, betrifft aber nur solche, die sich mit dem Gehässigen und Klatschhaften vermischt: denn er selbst war eigentlich durch und durch der Kritik verschwistert. Irrig wäre aber der Glaube, er habe über das hundert- und tausendstimmige Gerede unbekümmert vornehm hinweggesehen. Im Jahre 1825 hatten »Isidor und Olga«, »Kritik und Antikritik«, »Laßt die Toten ruhn« so glänzende Erfolge, wie selten der lebende Bühnendichter sie erreicht. »Die Bekehrten«, 1826 zum erstenmal aufgeführt, wurden kühler aufgenommen, und als mir Raupach bei einem Spaziergange begegnete, war er nachdenklich, sprach mürrisch über Launen der Theaterbesucher.[496] Ich hatte Gelegenheit, ihm zu erwidern, daß die »Bekehrten« mir das gewichtigste seiner bisher gegebenen Lustspiele sei, doch werde das Ideelle darin der Mehrheit nicht so faßlich als die Inhalte der vorangegangenen heiteren Stücke; gefallen habe auch das neue und die Wiederholungen würden hoffentlich die Teilnahme steigern. Raupach wollte nicht recht beistimmen, blieb wortkarg, hatte auch insoweit richtig geurteilt, als jenes Lustspiel nicht viel über die Lauigkeit hinauskam und bald von der Bühne verschwand. Acht Monate nachher wurde das fünfaktige Possenspiel: »Die beiden Nachtwächter« aufgeführt, worin das Ideelle mit der Komik sich sehr bedeckte. Voran schickte Raupach einen Prolog, auch etwas kampfgerüstet durch stachliche Worte wider die Belieben der Menge. Gerügt wurde ihre Unart, mit der sie ein Stück, nach herzlichem Lachen im Theater, hinterdrein verurteile in Herzlosigkeit gegen den Verfasser: »Das stehe nur den heutigen Rezensenten zu«. Die Aufnahme des Possenspiels war keine beifällige, Raupach zog es zurück, mit Verzicht auf Honorar, und mir äußerte er unter anderem: »Ich wollte wissen, ob ich mich auf das Publikum verlassen kann, da meine Neider und Widersacher jetzt schon meinen Charakter verleumden; sie werden dies weiter treiben, und das Publikum ist wandelbar, wird es um so eher sein, wenn ich nicht dessen Gelüst zur Richtschnur nehme«. – Immer hatte aber Raupach mit den »Hohenstaufen« und andern Schauspielen, neben zuweiligem Mißergebnis, stets wieder die ausgezeichnetsten Erfolge bis zum Jahre 1836. Von da an traute er aber der Stimmung immer weniger; er verhüllte sich bei dem fünfaktigen Schauspiel: »Die Geschwister«, nannte den Verfasser »Leutner«, und das[497] Einreichen hatte sein Freund der Oberregierungsrat Skalley übernommen. Dies Werk gefiel sehr und Raupach konnte sich freuen über einen solchen Sieg, der aber zugleich ihn bestärkte in dem Glauben, die Angriffe gegen ihn seien vorzugsweise persönliche. Obwohl er auch wieder durch Neues mit seinem Namen sich Anerkennung erwarb, ist doch zu berichten, daß er mehr und mehr mißgestimmt wurde über solch ein Bühnenwesen, welches sich durch Oper, Ballet und Prunksucht vom geistigen Einfluß, demnach vom Grundzweck der Schauspiele entfernte.

Im Jahre 1840 erschienen das vieraktige historische Lustspiel »Elisabeth Farnese«, das fünfaktige Trauerspiel »Boris Godunow« und das fünfaktige Possenspiel: »1740, oder die Eroberung von Grüneberg« auf der Bühne; das erste Stück bei – im günstigen nicht vollauf gerechtfertigter – das andere bei zweifelhafter, das dritte bei widerwärtiger Aufnahme. Nach der Darstellung von »Boris Godunow« schrieb Raupach seine erste und einzige Antikritik, und schrieb sie – gegen mich. Nach der Einleitung hatte ich gesagt (»Vossische Zeitung« 1840. Nr. 80):

»Das Vorspiel stellt uns den Boris Godunow auf in der Mitschuld an der Ermordung des Dimitri Iwanowitsch und den Begebenheiten, durch die er sich auf den Zarenthron erhob. Die fünf Akte lassen nun die Verwebungen während seiner siebenjährigen Regierung folgen (wobei hauptsächlich der erste falsche Dimitri einwirkt) und enden mit Boris Godunows freiwilligem Tode durch Gift. Wie wir hören, ist dies das erste Stück zu einer Trilogie, welche die damaligen geschichtlichen Stürme Rußlands dramatisch darlegen würde,[498] bis das Haus Romanow den Thron in Besitz nimmt. Durch das Ganze zieht sich ein höherer, nicht ohne Begründung für jene Zeit mit Aberglauben und Mystik verschwisterter Kampf in der Idee: ob des Menschen Geist sein Gott, oder dieser Gott außer ihm vorhanden ist und den Geist des Menschen seiner Macht und seinem Willen unterwirft. Daß mit diesem Thema sich viel Reflexion dem Gange der Begebenheiten einmischt, ist unvermeidlich, und wenn nun Boris Godunow eben dadurch zu passiv wird und beinahe nur Worte und Anordnungen zum Kampf aufstellt, sich selber von der äußeren Tat ausschließt, so schadet dies ebensowohl jener Idee wie der Wirkung auf der Bühne. Gewiß hat Raupach auch hier das Wahre treu gesucht und gesichtet, aber er fand zu lückenhafte Überlieferungen, als daß er nicht notgedrungen der Phantasie und Erfindung ein Feld zu eröffnen hatte, und es mehr noch eröffnen, auch diesem Teil der Trilogie einen festeren Schluß geben konnte, unbeschadet der Fäden, die weiter zu spinnen sind. – Der zum Helden des Stückes bestimmte Boris Godunow ist eine umfangreiche, um so schwierigere Rolle, als er scheinbar mehr teilnimmt für seine Idee als für die sich schaffenden und umschaffenden Ereignisse; er erbaut sich selbst daran, wie das große Problem sich lösen werde, und wie wir ihm nun keine wahre, ihm absichtslos kommende Empfindung zutrauen, können wir auch nicht für ihn empfinden; seine Schwäche ist sein Schicksal.«

Diese Äußerung wurde von Raupach befehdet (»Vossische Zeitung« 1840. Nr. 82) in der


»Bemerkung.


Wiewohl ich sonst nicht auf Rezensionen zu antworten pflege, will ich mir doch einmal eine Gegenbemerkung[499] erlauben. Es ist seltsam, daß von allen Kritiken, die ich bis jetzt über mein Trauerspiel ›Boris Godunow‹ gelesen habe, auch nicht eine einzige den Standpunkt aufgefunden hat, von dem aus mein Werk angesehen werden muß, wenn man es verstehen will, ehe man es beurteilt. Mein Stück ist keine sogenannte historische Tragödie (das zeigt schon der Theaterzettel), sondern ein Charaktergemälde in einem historischen Rahmen und mit einigem historischen Beiwerk. Meine Aufgabe war: einen Mann darzustellen, der durch innere und äußere Veranlassungen zu dem Grade geistigen Hochmuts gelangt ist, daß er sich selbst vergötternd den Glauben an eine Weltregierung aufgibt, dann aber durch den ewig rätselhaften Lauf der Dinge gezwungen wird, wenigstens zur Idee derselben zurückzukehren und in dieser Zerwürfnis untergeht. Will mich also ein Rezensent gründlich tadeln, und das will er doch, so muß er mit in der Entwicklung dieser inneren Begebenheiten eine Lücke, eine Widernatürlichkeit oder dergleichen nachweisen. Das hat keiner getan. Frage: Wie kann der böse Zufall, bei einer Beurteilung die Hauptsache zu übersehen, Männern begegnen, die doch imstande sind, über ein ziemlich umfangreiches Werk nach einmaligem Anhören ein kategorisches Urteil zu fällen?


Raupach«.


Tags darauf (»Vossische Zeitung« 1840. Nr. 83) folgte meine

»Abwehr


Da ich auf achtungswerte Gegenbemerkungen zu antworten pflege, und annehmen muß, Herr Hofrat Dr. Raupach habe, indem er wider ›alle Kritiken über[500] sein Trauerspiel Boris Godunow‹ sich erhob, auch mein Referat nicht übersehen, erlaube ich mir folgende Hinweisung«. Raupach sagt: Der Standpunkt sei nicht aufgefunden und setzt hinzu: »Mein Stück ist keine sogenannte ›historische Tragödie‹ (ich habe sie auch nicht so genannt), sondern ein Charaktergemälde in einem historischen Rahmen und mit einigem historischen Beiwerk.« In meinem Referat heißt es: »Gewiß hat Raupach auch hier das Wahre treu gesucht und gesichtet, aber er fand zu lückenhafte Überlieferungen, als daß er nicht notgedrungen der Phantasie und Erfindung ein Feld zu eröffnen hatte, und es mehr noch eröffnen konnte.« Ist damit etwas anderes gesagt, als: das Historische konnte hier nur ein Rahmen, ein Beiwerk sein? – Raupach fährt fort: »Meine Aufgabe war: einen Mann darzustellen, der zu dem Grade geistigen Hochmuts gelangt ist, daß er sich selbst vergötternd den Glauben an eine Weltregierung aufgibt, dann aber durch den rätselhaften Lauf der Dinge gezwungen wird, wenigstens zur Idee derselben zurückzukehren und in dieser Zerwürfnis untergeht.« Ich sagte: »Durch das Ganze zieht sich ein höherer, nicht ohne Begründung für jene Zeit mit Aberglauben und Mystik verschwisterter Kampf in der Idee: ob des Menschen Geist sein Gott, oder dieser Gott außer ihm vorhanden ist, und den Geist des Menschen seiner Macht und seinem Willen unterwirft.« Das ist dem Sinne nach dasselbe, was Raupach als seine Aufgabe darlegt. – Frage: Wie kann der böse Zufall, bei nur verschiedenen Worten nicht gleichen Sinn zu finden, sogar dem begegnen, der kein umfangreiches Werk, sondern nur ein sehr zusammengedrängtes Referat vor sich hatte? – Wenn ich nun[501] dem Stücke keine sogenannte »Lücke« oder »Widernatürlichkeit« nachwies, so hat doch in seiner Kürze, welche von dem in diesen Blättern dem Theaterartikel zugemessenen Raum bedingt ist, der in Rede stehende einiges, was mindestens zu Raupachs »und dergleichen« gehört. – Gegen einen unverdienten Vorwurf mußte ich mich rechtfertigen; ich stehe indes einem Manne gegenüber, dessen wahrhafte Verdienste um die deutsche Bühne ich nie verkannt habe, nie verkennen werde, und von einem solchen Manne lasse ich mir schon eine kleine, leicht erklärliche Empfindlichkeit gefallen, darf ich nur überzeugt sein, sie nicht verschuldet zu haben, und bin – wenn er nichts dawider hat – nach wie vor sein ergebener Freund und Verehrer


F.W. Gubitz.


Und wie nahm dies Raupach auf? Er schwieg; bei der nächsten Versammlung der »Mittwochsgesellschaft«, wo wir uns trafen, kam er aber gleich zu mir und gab mir die Hand mit den Worten: »Na, es ist schon gut, Gubitz!« Damit befriedigte sich der kurze Zwist. –

Raupach war erfüllt von würdiger Gesinnung trotz seiner zuweiligen Schroffheit, die er sich bei vielen Opfern, ihm abgenötigt durch angeborene Verhältnisse und eingreifende Schicksale, als eine Art von Schutz erkor, was dann scheinbar zur zweiten Natur wurde. – Wenn man ihn aber unter mancherlei öffentlichen Verdächtigungen sogar der Geldgier und des Geldgeizes beschuldigte, so war und ist dies freche Sündlichkeit. Daß er sein Erworbenes zusammenhielt, bedingte sich für seine geliebte freie Stellung; von Unterwürfigkeit seiner Einsicht, seines Strebens und Tuns um des Geldes willen[502] darf aber bei ihm nicht geschwatzt werden Er gab reichlich an Verwandte, half, wo er helfen konnte, und ich selbst habe erlebt, daß er zu mir kam und sagte: »Lieber Freund, ich weiß, Sie leiden noch an den Nachwehen eines schweren Unglücksfalls. Nun ist eben das Gesetz wegen der Kautionen für Zeitschriften erschienen und Sie werden für den ›Volks-Gesellschafter‹ eine Kaution zu erlegen haben. Ich kann mir denken, das ist Ihnen für den Augenblick beschwerlich, und bringe Ihnen fünfzehnhundert Taler in Papieren, soviel wird die Kaution betragen.« Daß von mir eine solche Gewährleistung für untertänige Fügsamkeit nicht zu verlangen war, weil bei meinen vielen Geschäften der »Volks-Gesellschafter« zu einer sogenannten zwanglosen Zeitschrift werden mußte, ändert nichts an diesem Zuge freundschaftlichen Zuvorkommens, das Raupach dauernd bekräftigte, wenn er fühlte, ich sei in schwieriger Lage. Wer aus eigenem Antriebe so handelt, wie ich es hier von Raupach erzählte, der unterwirft sich in keiner Hinsicht nur um des Geldes willen. Nicht selten erlitt er auch bedeutende Verluste, und als bei einem derselben – im schriftstellerischen Bereich – durch einen Prozeß günstige Wendung sich hätte gewinnen lassen, sagte er trocken zu einem Rechtsanwalt: »Das ist mir zu störend, lassen wir's!«

Vermöge seiner öfteren Krankhaftigkeit war Raupach auch von Hypochondrie geplagt; besonders voll trüben Ansichten und Ahnungen seit dem Jahre 1836, machten ihn häusliche Verhältnisse noch nußmutiger. Seine Verstimmung wurde offenbarer nach dem arg widerwärtigen Mißfallen des Possenspiels »1740 oder: Die Eroberung von Grüneberg«. Ein Teil der Zuschauer hatte sich[503] aller, auch der rohesten Mittel bedient, um das Stück nicht ausspielen zu lassen, was zwar nicht gelang, in den letzten Akten aber die Schauspieler in lähmende Bestürzung und das Ganze in Verwirrung brachte. Raupach mußte sich davon im Tiefsten ergriffen fühlen, infolgedessen erhielt ich von ihm bald nach jenem Ereignis eine Zuschrift, in der unter anderem zu lesen ist:

»Denn ich habe den Entschluß gefaßt, nicht mehr für das Theater zu schreiben, bin aber an geistige Beschäftigung gewöhnt und kann sie nicht entbehren. Sie sind ein erfahrener Mann, mit den literarischen Verhältnissen genauer bekannt als ich; so möchte ich über die zu nehmende Richtung wohl mit Ihnen sprechen.«

Der Brief zeugte außerdem noch von sehr düsterer Ansicht, und ich hielt es für geraten, den Freund sogleich zu besuchen. Ich fand ihn gedrückt auf dem Sofa sitzend, und nach kurzer Unterredung sagte ich: »Lieber Raupach, es ist sehr schönes Wetter, das beste wäre, wir gingen ins Freie.« – Seine Widerrede half ihm nichts, eine halbe Stunde später waren wir vor dem Tore. Ich hatte die unangenehme Pflicht, ihm zu sagen, daß die »Eroberung von Grüneberg« allerdings zu den Stücken gehöre, die er zu rasch, ja übereilt geschaffen, verschiedenes auch anders aufgefaßt habe, als es die damals (1840) schon sehr verschiedentlich erregte Parteisucht aufgefaßt haben wollte. Dann zeigte ich ihm, was ich darüber für den »Gesellschafter« geschrieben hatte und wies auf den Schluß hin:

»Raupach wird's hoffentlich machen, wie der Held von 1740, der nach einer Niederlage sich rasch in neuer Kraft erhob und immer wieder ungeahnte Hilfsmittel entwickelte; der geschätzte Dichter hat so viele dramatische[504] Siege zu nennen, daß dagegen ein paar nachteilige Scharmützel wenig oder gar nicht zählen.« –

»Mein Freund«, erwiderte er, »Sie wissen recht gut, daß ich mehrmals Stücke, mit denen ich den Eindruck verfehlte, beseitigt habe, und es kommt mir auch jetzt nicht darauf an, hundert und abermals hundertmal wiederholten jedoch meine Gegner, daß ich ein Verderben für die Bühne sei, sie scheuten sich auch nicht, meiner Tätigkeit die niedrigsten Beweggründe zuzuschreiben, und was man dem Volke so oft sagt, das Gute und Schlimme, wird Sache des Glaubens. Er kann Dichter tragen und sie zu Falle bringen, kann Schwaches verherrlichen und Besseres verschwärzen. Ich will mein letztes Stück nicht in Schutz nehmen, es hat gewiß Mängel, aber einem Manne, der das Publikum, ich darf es sagen, viele Abende nicht ohne zu beherzigende Gedanken unterhielt und erheiterte, in seiner Gegenwart so zu begegnen, wie mir geschah, verleugnet alle Pietät, alles Wohlwollen; es wurde eben Glaubenssache, gegen mich zu sein, und fanatischer Stimmung ist endlich nicht zu widerstehen.« –

Unleugbar liegt Wahrheit in dieser Äußerung, die er mit mehreren Belegen, so auch mit Hinweisung auf Iffland und Kotzebue – ich erwähne nur diese, die unserer Gegenwart noch nicht zu fern stehen, – unterstützte. Es vermittelte nichts, daß ich ihm vorstellte, welchen glücklichen Erfolg mit den »Lebensmüden« er noch im vorigen Jahr gehabt; er bemerkte: »ein eben neues Wohlwollen, das für ein paar junge Schauspielerinnen, sei die Gegenmacht gewesen.« Das Gespräch nahm keine andere Wendung, und ich erinnere mich besonders noch seines Ausspruchs: »Die Handwerkskritiker[505] verzeihn es nie, wenn man nicht ihre Protektion sucht, und bei den Neidern muß ein Mann von Talent nicht mehr da sein, oder sie müssen ihn heruntergebracht sehen, wenn sie aus großmütigem Erbarmen ihm ihren gnädigen Schutz angedeihen lassen.« – Meine Schlußworte aber waren: »Für die Bühne und von ihr aus zu wirken ist Ihr Beruf und Ihre Freude; Sie sollten sich darin nicht stören, jedoch bedenken: ob Sie nicht allmählich bei dem Schaffen in das Hastige und Übereilende gerieten, was Sie, mit nur seltener Ausnahme ein Meister auch in der Bedächtigkeit, leicht erkennen und überwinden würden. Wäre jedoch Ihr Entschluß, nicht mehr für das Theater zu schreiben, ein felsenfester, was mir nicht in den Kopf will, dann zeigen Ihre so ausgebreiteten und gründlichen Kenntnisse in der Geschichte Ihnen den Weg zum Ruhme auch auf diesem geistigen Felde. Namentlich wäre es verdienstlich, wenn Sie eine Geschichte des Zarenreichs schrieben oder dessen jetzige Zustände schilderten, wozu Sie, durch Ihren achtzehnjährigen Aufenthalt in den verschiedensten Landstrichen Rußlands, während einer ebenso verhängnisvollen als ereignisreichen Zeit, vollkommen ausgerüstet sind, und Sie könnten vielleicht Ihre denkwürdigen Erlebnisse damit verbinden.«

Sein Entschluß wankte damals nicht, und die Beharrlichkeit wurde ihm durch eine Veränderung in der Theaterverwaltung gefördert. Nachdem im Januar 1841 nur noch die früher schon auf den Wunsch des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Raupach übersetzte »Athalja« des Racine zur Darstellung kam, findet man kein neues Werk von ihm auf der Bühne bis zum Jahre 1850. Da er nun seit jenem Gespräch eine lange[506] Zwischenzeit fast gar nicht über das Theater sprach, außer wenn wir im Schauspielhause bei neuen Stücken oder Gastspielen beisammen waren – ich hatte meinen Platz neben dem seinigen – so meinte ich, er arbeite im Geschichtlichen, oder für zukünftige Herausgabe an seinen Denkwürdigkeiten, worin ich aber völlig irrte: in seinem Nachlaß war nichts davon zu finden. Eher darf man vermuten, er habe doch Pläne zu Schauspielen entworfen und sie dann in Unmut nicht vollendet, oder Vollendetes zurückgelegt, was sich einigermaßen dadurch bestätigt, daß man in der Vorrede zu »Mirabeau« (gedruckt 1850) liest: dies Werk sei bereits »im Herbst 1846« entstanden.

Der Unmut Raupachs mußte sich in ihm verhärten vom Jahre 1842, von der Zeit an, als Theodor Küstner General-Intendant des Königlichen Hoftheaters wurde. Während dessen Vorgänger, die Grafen Brühl und Redern, wohlwollende Teilnahme hegten für den fleißigen Dichter, mischte sich infolge eines Nebengrundes das Gegenteil ein durch Küstner, was bei meinen Erlebnissen mit diesem am geeignetsten einzuordnen ist. Deshalb lenken sich hier die Erinnerungen hauptsächlich hin auf mein an Traulichkeit sich steigerndes Freundschaftsverhältnis mit Raupach. – Ich wende mich sogleich zu dem Unheilvollsten, zu dem Haderwesen, das den Pariser Februaraufruhr des Jahres 1848 auch in Berlin nachahmte und wie gewöhnlich seine Zwecke als Stimme des Volkes verkündigte. Man konnte sich darüber in der ersten Aufwallung täuschen, die Einsicht drängte sich aber den Besonnenen sehr bald auf. Raupach, der allerdings der unbeschränkten Machtherrschaft geneigter war, als ich es bin – täuschte sich darüber keinen Augenblick; mit dem gerechtfertigten widrigsten Eindruck von[507] dem, was er am 18. März 1848 gesehen, verließ er schon Tags danach Berlin, eilte nach seinem Geburtslande, nach Schlesien, und kehrte nur zurück, um sich im Mai 1848 zu verheiraten mit seiner ihn innig verehrenden Freundin, Anna Pauline Werner, die während ihrer Tätigkeit als Schauspielerin unter der Namensverhüllung »A.P.« der Bühne mehrere geschätzte Dramen lieferte. Jetzt hatte Raupach seine glücklichsten Tage, nie zuvor sah man ihn so lebenslustig und heiter. Er zog mit seiner Frau nach Potsdam, wo ich ihn auf seine Einladung ein paarmal besuchte und namentlich noch den gefeierten Jahrestag seiner Verheiratung frisch im Gedächtnis habe. Bei solchen Gelegenheiten vernahm ich auch manches über den wissens- und geistvollen König Friedrich Wilhelm IV. Dessen Gast war Raupach oft in Sanssouci, stets dort Alexander von Humboldt treffend.

Ein paar Jahre vor seinem Hinscheiden wohnte er wieder in Berlin, in der angenehmsten Häuslichkeit, wie ich schon andeutete. Wenn seine alten Freunde – Geheimrat Skalley, Professor von Raumer, Hofrat Esperstedt und ich – an seinem Geburtsfeste mittags bei ihm waren, leuchtete der Frohsinn, das ihn durchdringende Behagen aus jedem seiner Blicke; ebenso, wenn ich an Abenden allein neben ihm und seiner Frau saß, wir zuweilen bis nach Mitternacht plauderten, und auch wohl stritten: Stoff genug hatten wir gewiß, denn wegen meines Mangels an Zeit waren inzwischen stets Wochen verschwunden. Kehrte Raupach dabei mitunter sein redlich barsches Wesen heraus, ertrug er dagegen rechtschaffen jeden Widerspruch, und obwohl ich oft, wenn er von der Frau beschuldet wurde, er sei ein wenig über[508] die Maßgebühr hinweg, die Weisung empfing; »Gubitz soll mir's ganz so wiedergeben, deshalb sind wir Freunde!« ergötzte ich mich meist lieber an seinem aufrichtig derben Wesen: es war immer etwas dabei zu denken und zu lernen. Ich kannte ihn genau, hatte niemals Ursache, ihm etwas übelzunehmen, denn ich wußte, er war ein teurer Freund, warum sollte ich ihn hindern in dem Vergnügen, mich manchmal ein bischen zu hofmeistern! – und war ich einmal nicht so gefällig, lenkte er schon selber ein. Ähnliches begab sich sogar mitunter gegen diesen oder jenen in der »Mittwochsgesellschaft«, die er regelmäßig besuchte, und es nicht unterließ, als er in Potsdam wohnte. Er kam herüber am Versammlungstage und blieb dann die Nacht im Gasthofe. Die Mehrheit im Verein hatte ihn lieb, rechteten nicht mit ihm über eine zuweilen hervorbrechende kurze Abfertigung, wenn er entwickelte, was ihm Wahrheit und Überzeugung war, oder auch wohl nur scheinbar eine Sonderlingsbehauptung zu Vernunftgemäßen machen wollte, um ein geistig Spiel in die Unterhaltung zu werfen, wobei er dem »Till« in seinen Lustspielen glich. Hatte er sich ausgesprochen, dann war er in vollster Aufmerksamkeit für Gegenreden mit beneidenswerter Fähigkeit, rasch ganz und gar sich auf den Standpunkt anderer zu stellen.

Als ehemaliger Theolog war er geneigt zu Gesprächen über Religion, zeigte hierin jeder Richtung Duldsamkeit, keineswegs aber den weltklüglichen Schein der Frömmelei. Unzweifelhaft Vernunftsgläubiger mit der Einsicht von Begrenzten unserer Einsicht, erachtete er bei der Volksmenge ein Feststehendes in der Glaubenslehre für unerläßlich. Keck daran zu rütteln, mit den biblischen Überlieferungen dichterische oder weisheitseitle Kunstversuche[509] zu machen, war ihm ein unerträgliches Bemühen. Dies bestätigte er – zum Beispiel – als ich eines Abends in der »Mittwochsgesellschaft« aus dem Gedicht von Elise Schmidt: »Judas Ischarioth«, nachdem ich eine gedrängte Stoffangabe vorausgeschickt hatte, die bezeichnendsten Bruchstücke vortrug. Mitteninne erhob sich Raupach sehr erregt, schritt ein paar Sekunden im Zimmer hin und her, dabei ausrufend: »Ich muß es unrecht nennen, dergleichen hier mitzuteilen!« Ich hielt im Lesen an und die Blutwärme stieg mir in der Erwiderung: »Lieber Raupach, unser Zweck ist, auch mit der neueren Literatur bekannt zu sein, mit ihr bekannt zu bleiben. Das Geistlose haben wir abzuweisen, aber den Geist des Tages dürfen wir nicht ausschließen, selbst wenn er Irrpfade einschlägt, sonst werden wir fremd in unserer Zeit. Geist hat das Gedicht, und wenn es uns mehr verletzt als befriedigt, darf dies kein Hindernis sein, Kenntnis davon zu geben und zu nehmen.« – Sich dann setzend, entgegnete Raupach: »Das ist wahr, gewiß wahr, wollen nachher miteinander reden.« Ich las nun die angezeichneten Stellen zu Ende und dann erläuterte er so eifrig, wie er werden konnte, sein Widerstreben gegen dichterische Erzeugnisse der Art und niemand versagte ihm die Beistimmung, sie war ihm auch – von seinem Standpunkt aus unzweifelhaft nicht zu versagen.

In der Politik urteilte Raupach wie in allem nach reiflich durchdachten und fest abgeschlossenen Begriffen. Die Zustände Rußlands waren ihm – bei etwas Ausnahmen – nicht die passendsten für seine Gesinnung, für das genannte Reich aber fand er sie zweckgemäß; mit dem Eingewachsenen und Notwendigen unterstützte er seine Ansicht und im Kreislauf jener Zustände enthüllte[510] er eine Ausgleichung, wie nach den Verhältnissen sie eben nirgends viel besser sei. Er ähnelte dann auch wieder seinem »Till«, wenn er eine solche Ausgleichung sogar bei der gegenseitigen Vorteilsucht und dem Begehrlichen der Beamteten vermittelte, »Denken Sie sich« – sagte er einmal – »fünf Personen; deren erste nimmt von der zweiten, die zweite von der dritten, und so fort, bis die fünfte wieder von der ersten nimmt, wodurch dieses anscheinend Schlimmste ebenfalls in Ordnung ist und dort als herkömmlich zum Natürlichen wurde. Die geschickteren und verlarvten Manieren, womit man in Ländern der gepriesenen Bildung oft ebenso verfährt, sind den Russen und sämtlichen Orientalen zu umständlich und es ließe sich eine Preisfrage stellen: ob in dergleichen Dingen die Offenheit oder die Heimlichkeit vorzuziehen sei?« – Nie anders, als in größter Hochachtung sprach er vom Kaiser Nicolaus, von seiner Umsicht und seinem überall guten Willen; die von Wortführern damals auch in Deutschland angefachte und überreizte Stimmung gegen Rußland hatte bei Raupach keinen Anklang. –

Die Zukunft Deutschlands erfüllte ihn mit Bangigkeit, und wenn er bemerkte, daß ich in Lebhaftigkeit frische Hoffnung verteidigte, mußte ich, wie verändert der Wortlaut war, stets dem Sinne nach hören: »Die Völker haben in ihrer Entwicklung gleiche Zeitabschnitte des Steigens und Sinkens. Erst sehen wir die Priester-, dann die Soldatenherrschaft, die beide zumeist die wiederkehrendsten sind. Nach und nach verfeinert, überfeinert und verüppigt sich die Bildung und was man so nennt, im Flittern und Schimmern; es folgt die Handels- und Krämerübermacht, und mit ihr nimmt die schlaueste Selbstund[511] Vorteilsucht so überhand, daß sich alles edlere entwertet und begräbt, wodurch eben ein Volk in sich zerfällt. Daß wir bei der alles in ihre Wirbel hineinreißenden Handels-, Krämer- und Wuchergewalt angekommen sind, Intellektuelles, was nicht in die Kalküle paßt, vom Materiellen unterjocht wird, wissen wir, und Sie können sich auch meine Erfahrung selber aus der Weltgeschichte holen, was Sie sich verbergen wollen mit Ihren Hoffnungen, die mich aber nicht widerlegen, wenn ich behaupte wir sind schon tief in den Verfall hinein.« – Wir wurden darüber nicht einig; zu bestreiten war das Gesagte doch immer insofern, als wir in Erbmonarchien ähnliche Zeitabschnitte sich wiederholen sehen, was zwar kein Fortschritt, doch auch kein Untergang, allerdings aber auch niemals ein anmutiger Zustand ist. Jedenfalls wollte ich der Gedanken- und Schlußfolge Raupachs meine Hoffnungen überhaupt nicht und mit deshalb nicht preisgeben, weil ich meinte, des Freundes düstere Anschauung wenigstens für Abendstunden in eine mildere, ihm wohltuende zu verwandeln; denn seine Befürchten für unser gemeinsames deutsches Vaterland, ein Befürchten, was sich mitunter auf das jetzige Menschengeschlecht aller sogenannten zivilisierten Staaten bezog, war ihm sehr schmerzlich.

Auch über meine schriftstellerischen Bestrebungen sprach er mehrmals, bedauerte mich nebenher, weil ich der Theaterkritik nicht entkommen könne: denn ihm war bekannt, daß ich in betreff der »Vossischen Zeitung« gebunden sei durch ein Manneswort, dessen Lösung nicht in meiner alleinigen Macht stand. Mit meinen Theaterberichten stimmte er zuweilen völlig, meist teils überein: teils ward er mir ganz und gar Gegner. Selten tat[512] ich ihm genug in der Strenge, wenn er mir auch beipflichtete, daß man besonders vorsichtig Grenze zu halten habe in einer Zeitung, die bis zu den gedankenlosesten Volksschichten hin gelesen wird. – Als im Jahr 1851 die Verwaltung des Berliner Hoftheaters einen neuen Gebieter empfing, hoffte er mehr von dieser Veränderung als sich den verwickelten Umständen nach hoffen ließ: er sprach mir Geduld ein, bis er endlich selber zweifelnd wurde. Eben damals durfte ich jenes Manneswort an den Justizkommissarius Lessing für lösbar erachten, kam zu Raupach mit dem Ausruf: »Jetzt ist Ihr Wunsch zu erfüllen, ich kann mich von der zeitunglichen Theaterkritik trennen!« – Der Eindruck dieser Anzeige war jedoch ein auffälliger. Raupach sah mich erst schweigend an, nahm als sehr fleißiger Tabaksverbraucher bedächtig eine Prise und sagte mit Schärfe: »Es ist eine Zeit der Gefahr für die Deutsche Bühne und da verläßt der treue Kämpfer seinen Posten nicht!«. – Das Weitere in diesem Bezug hat er nicht erlebt!

Überrascht war Raupach, als ich (1849) das einaktige Lustspiel: »Der Kaiser und die Müllerin« geschrieben hatte, nachdem ich, ein Gelegenheitsvorspiel für die erste Königstädtische Bühne ausgenommen (1834), in zwanzig Jahren nicht Muße erübrigen konnte für Dramatisches. Ich erzählte ihm den Anlaß des Entstehens: die seitens des Generalintendanten Küstner von mir erbetene Schlichtung eines obwaltenden Haders zwischen ihm und der Schauspielerin von Lavallade, der ich zum Friedensvertrage eine neue Rolle versprechen mußte, Raupach, der sich des Theaterbesuches fast entwöhnt hatte, sah das kleine Stück aufführen und ich hatte die Freude, daß er es als ein Etwas gelten ließ.[513]

So gut ward es mir nicht, da ich, von solchem Wiederbeginn angeregt, das fünfaktige Schauspiel: »Herz und Weltehre« erzeugt hatte und es ihm vorlas. Er lobte zwar die Charakteristik, aber den eingreifendsten Grundgedanken: ein sehr schlau durch Benutzen edler Aufwallungen verführtes Mädchen noch der gesellschaftlichen Ächtung und ehelichen Verhältnisse wert zu finden, verbannte er in seinem Urteil unbedingt von der Bühne. Er gab mir im Streit über echte und unechte Sittlichkeit, über Wahrheit und Schein, nicht unrecht, beschuldigte mich nicht der Unsittlichkeit hinsichtlich der Art, wie ich meinen Gedanken in der Handlung durchgeführt habe, blieb aber dabei: die Entwicklung dieser Aufgabe gehöre nicht auf die Bühne, änderte auch nicht an seinem Widerspruch, als ich ihm ein paar Monate nachher Briefe von Frauen zeigte, deren Meinung von der seinigen völlig abwich. Über dies Schauspiel und dessen Abenteuer ist später weiter zu berichten; hier erwähnte ich die Entscheidung Raupachs als Belag, daß er auch seinen Freunden, wie es geziemend, der freimütige Mann war. Das später von mir geschriebene fünfaktige Lustspiel: »Verschiedene Wege« hatte seine Beistimmung und ein neues gleichen Umfangs konnte ich ihm leider nicht vorlesen, er war im Grabe, ehe ich es beendete.

Am Abend des dreizehnten Märztages 1852 – ein Sonnabend, und, wie ich es erst bei dem Entwurf dieses Lebensumrisses entdeckte, Ernst Raupachs Namenstag – kam ich zu ihm infolge eines Briefes, worin schließlich bemerkt ist: ich hätte mich lange nicht sehen lassen. Ich fand ihn allein, die Hausfrau war im Theater, wo sein Lustspiel »Die Schleichhändler« aufgeführt wurde, das sie seit Jahren nicht aufführen sah. Wir sprachen vom[514] Zeitwesen, über Literatur und Bühnenzustände. In Hinsicht auf diese war ich ihm in der Öffentlichkeit wieder nicht eingänglich, nicht streng genug, empfing dennoch kein geringes Teil Rüge und wehrte mich mit Tatsächlichem, zum Beweise, wie wenig sich da Nutzen zeige. Gewöhnlich blieb ich zu dem einfachen Abendessen, da jedoch die Hausfrau fern war, erhob ich gegen neun mich vom Sitz und wollte nach Hause. Raupach tat Einspruch, zuletzt mit der Äußerung: »Wenn meine Frau kommt und hört, Sie sind dagewesen, wird es heißen: Du hast den Gubitz gewiß schlecht unterhalten und wir haben uns doch recht gut unterhalten!« Ihn sanft auf die Schultern schlagend, antwortete ich lachend: »Gewiß! Sie haben mich wieder heruntergemacht, dabei unterhalten Sie sich immer ganz vortrefflich!« – und er lachte schelmisch in sich hinein. Ich mußte den Stuhl nochmals in Besitz nehmen und die Zwiesprache begann von Neuem. Er gedachte in aufgeweckter Scherzlaune seines Jugendtreibens in Halle, erzählte unter anderem, daß er sich sogar einließ in eine alberne Studentenverbindung, wobei sich ihm erst hinterdrein das Bedenkliche offenbarte und wurde burschikos in der erheiternden Rückerinnerung, als Senior oder Sekretär – was Raupach eigentlich dabei gewesen, ist mir entfallen – drohender Gefahr durch glückliche Beseitigung der Papiere vorgebeugt und die Untersuchung wirkungslos gemacht zu haben. Dann war abermals vom Theater die Rede, von dem er oft nicht sprechen wollte und zuweilen doch davon sprach. Um zehn etwa trat die Hausfrau ein und wir blieben in vollster Heiterkeit beisammen bis über die Mitternacht hinaus. – Am Dienstage darauf, sagte man mir im Theater: »Wissen Sie schon, Raupach[515] ist sehr krank!« Ich eilte nach seiner Wohnung, konnte nicht zu ihm, vernahm aber, daß er am Montag ausgegangen sei, sich wahrscheinlich erkältete, jetzt sich jedoch besser befinde. Am nächsten Tage sah ich ihn schon im Sterben und am 18. März 1852 hatte er das Irdische überwunden.

Unser letztes Gespräch bewahrte ich mir im Hauptsächlichen aus frischer Erinnerung schriftlich und kann – ohne durchweg beizustimmen – ein paar Einzelheiten, fast Inbegriff seiner Ansichten zweier Zeitrichtungen, als Gesinnungszeichen einfügen:

»Die Demokratie unseres Jahrhunderts ist die Partei der Zerstörung und des Umsturzes, ihr Endzweck die Verneinung, das heißt Auflösung aller bestehenden, ja aller Natur- und vernunftgemäßen Staatsform. Die Forderungen, welche die Demokratie macht, sind dieselben, durch welche Frankreich einen Umsturz nach dem andern über sich brachte und nichts erzielte als Blutschuld und Despotismus, weil die meisten dieser Forderungen mit dem gefunden Menschenverstande in Widerspruch stehen. Die Prinzipien einer Philosophie, welche alles dermaßen verkehrt sieht und treibt, daß sie in Luft und Wind zu wurzeln gedenkt, sind aber den dümmsten Volksmassen eingeblasen worden, haben sich dort mit der Unzufriedenheit und ihren unfruchtbaren Neigungen so verschwistert, daß mit dem Geschlecht der Gegenwart nichts Gescheites anzufangen ist, und sollte es mit dem kommenden besser sein, müßten wir die Lehrer umschaffen und uns einer ebenso ernsten als weisen Oberleitung versichern können.«

Der Bühnendichter mag über Ideal und Schönheit sich so klar geworden sein, wie sich darüber klar werden läßt, heut soll er vor allem begreifen, daß die intellektuelle[516] Bildung in den Lebensverhältnissen die moralische Bildung unterdrückt hat und immer mehr zerrüttet; dieser in einer das Volk anziehenden Weise ihre Mitherrschaft und ihren Einfluß wieder erobern zu helfen, muß das ehrliche Prinzip des von der Bühne her wirkenden Geistes und Talents sein. Neue Stücke, die nicht einen solchen Gedanken in sich fassen, sind an sich schon deshalb untergeordnet, und tadelnswert, wie überhaupt die heutige Bühne hauptsächlich wegen ihrer Prinziplosigkeit anzugreifen ist. –

Nachschriftlich habe ich, um völlig den Bericht über die »Literarische Gesellschaft« geendet zu haben, noch zu erwähnen, daß Xavier Marmier, im Jahre 1833 Gast der Gesellschaft, für diese mir folgenden Abschiedsgruß einhändigte:


»Merci! car vous m'avez accueilli comme un frère:

Je venois pres de vous pour savoir vos travaux,

Pour m'instruire à parler votre langue étrangère,

Pour marcher après vous par des chemins nouveaux.

Et vous m'avez rendu facile cette tâche,

Ce que je desirois, je le retrouve ici,

Les livres et l'etude et ce que nous attache,

Les entretiens de coeur et de savant: merci!


C'est que les lettres sont la franc-maçonnerie,

Qui dans le monde étend au large ces liens,

C'est que triste, isolé, dehors de sa patrie,

Pour trouver des amis et des concitoyens,

L'etranger doit pourvoir s'adresser aux poëtes

Car, tous soumis de mêmo aux orages du coeur,

Ils sont tous reunis par des chaines secrètes,

Par des rêves de gloire, hélas! par le malheur!


Poëtes d'Allemagne et Poëtes de France,

Oh! rapprochez vous donc, échangez a la fois

Vos travaux, vos projets, vos voeux, votre esperance;[517]

Puis laissons fuir au loin nos guerres d'autrefois

Et vos rivalités, nos haines politiques.

De ces chaines l'esprit demande à s'affranchir,

Et déployant alors ses ailes poëtique,

De monde en monde, il va toujours pour s'aggrandir.


Pour moi, je n'oublierai jamais, je puis le croire,

Les jours, que j'ai passés dans votre interieur,

Vos noms seront souvent présents a ma mémoire,

Et je les entendrai redire avec bonheur.

Dieu veuille seulement qu'un jour dans ma patrie,

Je puisse en frère, aussi, vous presenter la main,

Vous faire les honneurs de ma ville chérie,

Mèler le vin de France à votre vin du Rhin.


Berlin, 14. Mai 1833.


Xavier Marmier.«
[518]

Quelle:
Gubitz, Friedrich Wilhelm: Bilder aus Romantik und Biedermeier. Berlin 1922, S. 453-519.
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