Leimmistel

[19] Leimmistel, Viscum album, L. [Zorn, pl. med. tab. 547.] mit lanzetförmig stumpfen Blättern zweitheiligem Stengel und Blüthenähren in den Astwinkeln, ein in die Rinde und das Holz vieler Bäume, aber nicht in der Erde wurzelnder, höchstens zwei Schuh hoher, immergrüner Strauch, welcher im Februar und März gelblich blüht, und im September[19] und October weiße oder weißröthliche Beeren trägt.

Die holzigen, mit einer gelbbräunlichen Rinde umzogenen Aeste nebst dem fleischigen gelbgrünlichen Blättern, (Viscus, Viscum, Lign. Visci, Lign. St. Crucis.) welche frisch gepülvert, so wie im wässerigen Aufgusse und im geistigen Extracte einen widrigen, pilzartigen Geruch und einen ähnlichen und zusammenziehenden, den Pfirsichkernen sich nähernden Geschmack haben, besitzen adstringirendes Wesen. Seit den Zeiten der abergläubigen Druiden hat man das Pulver des Mistelstrauchs vorzüglich aber der Rinde, als des kräftigsten Theils, für ein fast specifisches Mittel in der Fallsucht, ja auch in den meisten andern krampfhaften Krankheiten ausgegeben. Noch ist es nicht entschieden, ob dieser große Ruhm im mindesten gegründet sei. Man soll die Aeste im December sammeln und in wohlverstopften, vorher erwärmten Flaschen aufbewahren, weil sie sonst leicht schimmeln, in Verderbniß gerathen, und Geruch und Geschmack verlieren. (So geruch- und geschmacklos findet man sie gewöhnlich in Apotheken.) Man giebt bis zwei Quentchen täglich.

Ehedem brauchte man das Pulver auch zur Hemmung der Schleim- und Blutflüsse aller Art, gegen die chronische Schwäche nach hitzigen Fiebern, und gegen Würmer. Es erregt Niesen.

Man hat seit den ältesten Zeiten den auf Eichen wachsenden Mistel (Lign. Visci querni) allen andern vorgezogen; doch giebt es nicht wenig ältere Aerzte, welche in der Fallsucht dem auf der Waldhaselnuß wachsenden Mistel (Lign. Visci corylini) bei weitem den Vorzug vor jenem geben. Andere geben dem auf Weidenbäumen wachsenden (Lign. Visci salicis) als einem Schlagfluß verhütenden Mittel den Vorrang.

In Oesterreich nimmt man statt des Leimmistels das Holz der Mistelriemenblume, w.s. warum?

Die frische Rinde des Mistels, vorzüglich aber die Beeren enthalten ein sehr zähes flüssiges Harz, welches man ehedem als den einzigen Vogelleim (Viscum aucuparium) kannte. Die frische Rinde stampfte man fein, und bildete Kugeln daraus, welche so lange mit kaltem Wasser geknetet wurden, bis alle Holzfasern daraus weggeschwemmt waren; die Beeren aber kochte man einige Stunden lang mit Wasser, rieb sie dann und seihete den noch heißen dünnflüssigen Leim durch aufgebreiteten Hanf, damit alle Fasern, Häute und Samenkerne zurückblieben.

Jetzt wird der meiste Vogelleim aus dem Stechpalmenhülst verfertigt.

Den innerlichen Gebrauch der Beeren hielten die Alten für ein Därme entzündendes, giftartiges Drastikum, aber ihren Leim legte man zur Zeitigung auf schwärende Geschwülste, und auf gichtische Stellen (ziemlich empirisch). Man hielt ihn auch für zertheilend.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 19-20.
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