Sammeln

[115] Sammeln. Das Einsammeln der verschiedenen Gewächse und ihrer Theile erfordert mancherlei Vorsicht. Gewöhnlich wird es gemeinen unwissenden Leuten anvertraut, Kräutermännern und Kräuterweibern. Diese Einrichtung ist nicht wohl abzuändern; sie hat ihre Vortheile und Nachtheile. Eine gewisse angeborne Liebe zu diesem Fache und zuweilen mehrjährige Beschäftigung damit, bringt diesen Leuten nicht selten eine empirische Kenntniß bei, die schon oft gesuchten Pflanzen von allen übrigen zu jeder Jahrszeit, in jeder Wachsthumsperiode zu unterscheiden, und alle ihre Standorte genau zu wissen, welches manchem wissenschaftlichen Kräuterkenner schwer werden würde. Blos diese leidenschaftlich, einzig für diese Beschäftigung eingenommenen Leute sind hiezu zu gebrauchen, die des bloßen Gewinstes wegen aber Kräuter suchen, und noch andre Beschäftigungen haben, sind zu verwerfen. Jene zu diesem Geschäfte brauchbarern sind jedoch vor sich immer unwissenschaftliche Leute, die blos die wenigen Kräuter kennen, auf die sie einmahl abgerichtet sind, und außerdem keine andern. Diese müssen zur Aufsuchung der übrigen, ihnen unbekannten vom Apotheker angelehrt werden. Hiezu gehört, daß dieser selbst Kräuterkenntniß besitze, die nothwendigen Pflanzen dem Kräutersammler in seinem Herbarium vivum vorzeige, ihm die Blühezeit des Krautes und die Art Boden benenne, wo sie am liebsten wachsen, und wo dieses nicht hinreicht, sich selbst die Mühe nehme, die Gewächse in ihrem natürlichen Standorte aufzusuchen, und sie diesem unwissenschaftlichen Manne[115] an Ort und Stelle zu zeigen. Ist dies einmahl geschehen, so ist die Fassungskraft solcher Leute gewöhnlich so glücklich, daß sie eines fernern und nochmaligen Vorzeigens nicht bedürfen. Doch ist es nöthig, ihnen auch diejenigen Pflanzen durch das Kräuterbuch, gute Abbildungen, oder in der Natur bekannt zu machen, welche äußere Aehnlichkeiten mit der verlangten haben, um sie nicht mit jenen zu verwechseln.

Der Herr der Apotheke muß den Kräuterleuten die Pflanzen selbst abnehmen, und sie nicht von seinen Leuten und Gehülfen in Empfang nehmen lassen. Hier hat er Gelegenheit, letzteren nicht nur die Kenntniß des Habitus der Pflanzen und ihrer botanischen Bestimmung beizubringen, sondern sich auch vor falschen, verwechselten, verdorbnen oder zur unrechten Zeit gesammelten Gewächsen zu warnen und zu verwahren.

Die Kräuter und Blätter werden am besten gesammelt, wenn sie zu ihrem vollkommenen Wachsthum gelangt sind, zur Auspressung des frisch zu verbrauchenden Saftes aber gewöhnlich im Frühlinge. Im allgemeinen sind sie am tauglichsten zu der Zeit, wo sich ihre Blumen zu entfalten anfangen. Doch machen die Blätter der schleimigen Gewächse der Malven und des Eibischalthees eine Ausnahme, die um desto schleimiger sind, je jünger die Pflanze war. Auch von den zweijährigen Pflanzen müssen die Blätter im zweiten Jahre, ehe der Stengel emporschießt, so wie überhaupt bei einigen Pflanzen, deren Blätter weiterhin allzu holzig werden, weit früher gesammelt werden, als die Blüthe erscheint. Die Hulflattichblätter werden zu Ausgange des Frühlings, wenigstens einen Monat nach der Blüthe, gesammelt.

Die Blattknospen (Gemmae) der Schwarzpappel müssen durchaus vor ihrer Entfaltung gesammelt werden; so bald sich die Blätter entwickelt haben, ist aller vorige balsamische Wohlgeruch vergangen.

Die jungen Sprossen (Turiones) sammelt man, ehe sich die Blätter aufgethan haben.

Die Blumen, deren Kraft und Geruch in den Blumenblättern liegt, werden eben wenn sie aufgebrochen sind, oder, besser, wenn sie eben aufbrechen wollen, bei trocknem Wetter Vormittags gesammelt. Die schon lang geöfneten, und dem Abfallen nahen Blumenblätter sind zum Theil oder völlig unkräftig. Man pflückt diejenigen Blumenblätter, die allein Arzneikräfte besitzen, sauber von den Blumenkelchen ab, z.B. die des Goldlacks, der Gartennelke, der Märzveilchen, u.s.w. Von den Blumenblättern der rothen Rosen, welche fast noch ganz unentfaltet gesammelt werden, kneipt man auch die untern weissen Spitzen ab. Bei den Kamillen sind der kräftige Theil die kleinen zusammengehäuften Blümchen in Blumenboden. Am Safran ist blos der dreitheilige Staubweg brauchbar. In alten Zeiten sammelte man auch die Staubbeutel von weißen Lilien und Tulipanen. Bei den Lippenblumen hingegen, bei Rosmarin, Lavendel,[116] Isop, Salbei ist der Blumenkelch das kräftigste; bei ihnen wird daher die eben verblühende Blume mit dem Kelche zugleich gepflückt. Sind aber Blumenblätter und Kelch allzu klein, als daß sie einzeln abgerupft werden könnten, da pflegen die blühenden Krautspitzen (Summitates, Comae, cacumina) gesammelt zu werden, z.B. von Braundost, Mairandost, Beifuß, Wermuth, Schafgarbe, Thümmelthymian, Tausendgüldenenzian, u.s.w.

Die Samen werden gesammelt, wenn sie völlig reif sind und eben ausfallen wollen. Man sondert durch Schwingen die tauben und leichten, von den schweren, und vollkernigen.

Die Früchte und Beeren werden im Allgemeinen in ihrer Reife gesammelt, etwa die Schlehen ausgenommen.

Die Wurzeln von Sommergewächsen (deren nur wenige gebraucht werden) sind vor der Blühezeit zu sammeln. Nach dem Verblühen erstirbt die ganze Pflanze.

Die Wurzeln der zweijährigen Gewächse sterben ebenfalls gleich nach der Blühezeit und der Reifung des Samens im zweiten Jahre ab. Man sammelt ihre Wurzeln daher am besten tief im Herbste des ersten Jahres ihres Lebens, wenn man an dem Reste der Blätter die Pflanze noch so eben genau unterscheiden kann. Sie im Winter oder zu Anfange des Frühlings, ehe die Blätter hervorsprossen, auszugraben anrathen, ist gefährlich, der leichten Verwechselung wegen. Welcher kluge Mann will eine Wurzel aufsuchen, wo über der Erde keine sichern, kenntlichen Reste der wahren Pflanze mehr zugegen sind?

Eben so können die Wurzeln der mehrjährigen Gewächse nicht anders gesammelt werden, als nach dem zweiten Jahre beim Abfallen ihrer Blätter. Auch diese dürfen nicht im Winter, wo keine Reste der Pflanze mehr vorhanden sind, wegen der dann gar zu leichten Verwechselung mit andern Wurzeln, und eben so wenig im Frühjahre ausgegraben werden. In dieser Jahrszeit sind die ersten Blätter selbst für geübte Botaniker so schwer zu unterscheiden, daß man ihre Kenntniß rohen, ungelehrten Leuten durchaus nicht zutrauen darf. Zudem sind die Wurzeln im Frühlinge nach Erscheinung der ersten Blätter allzu saftig, als daß sie sich leicht trocknen, und vor Moder, Schimmel und Wurmstich sicher aufbewahren ließen; auch sind einige wirklich weit unkräftiger im Frühlinge als im späten Herbst, z.B. die Angelikwurzel. Doch sind die schleimigen Wurzeln des Eibischalthee, und des Wallwurzbeinwell davon ausgenommen, welche im Frühlinge zärter und schleimiger sind, und daher in dieser Jahrszeit am zweckmäßigsten gegraben werden. Auch die Wurzel des Fleckenaron, und der Nelkenwurzgaraffel sind kräftiger, erstere im spätern, leztere im ersten Frühling.

Die hohlen, verwelkten, verfaulten Wurzeln werden weggeworfen, auch wohl die Fasern, wenn sie[117] nicht nothwendig erforderlich sind, weggeschnitten.

Die Rinden (cortices), worunter man den zwischen der äußerlichen unkräftigen Oberhaut und dem dicht an dem Holze anliegenden langfaserichten Baste (Splinte, liber) zwischen inne liegenden, die Gewächse umgebenden Theil versteht, enthalten die Gefäße voll der ausgearbeitetsten, arzneilichen Säfte. Man sammelt sie am besten von zwei- drei- bis vierjährigen Aesten, bei Strauchgewächsen auch vom Stamme, die von Harzbäumen im Frühlinge, die nicht harzigen tief im Herbste. Die jüngern sind den ältern Bäumen vorzuziehn. Im Frühlinge sind die Rinden am leichtesten abzuschälen; man säubert sie von anhängendem Mose. Gewöhnlich werden die Rinden mit anhängendem Splinte gesammelt und angewendet, z.B. von Birken, Eichen, Espen, Hollunder, Tannen, Kellerhals, hingegen beim Faulbeerbaum, beim Attich, dem Wallnußbaume und dem Tamariskenstrauche wird der Splint sorgfältig abgesondert.

Unter dem Nahmen der Rinden von Esel- Wolfsmilch, Dornkapper, Schlehenpflaume, Alraunschlafbeere, Ochsenbrechheuhechel und Schwarzholder sammelt man (wo man sie ja noch sammelt) die Rinden der Wurzel.

Die Stengel (stipites) müssen von zweijährigen Schößen im Herbste genommen werden.

Einheimische Hölzer werden wenig oder gar nicht mehr gesammelt; wo es aber geschieht, müssen sie im Winter gefället werden, und zwar junge Bäume, nicht aber alte, abgestorbene. Man schält sogleich ihre Rinde, sammt dem Splinte ab.

Ueberhaupt müssen alle frisch eingebrachten Pflanzentheile und Pflanzen sogleich gelesen, das ist, das Gute von dem Schlechten, Verdorbnen, oder wohl gar Unrichtigen gesondert werden, ehe man zur Reinigung von Erde, Insekten, u.s.w. und zum Trocknen (w.s.) übergeht.

Eine Hauptsache beim Einsammeln besteht darin, daß man die Pflanzen auf ihrem natürlichen, besten Standorte aufsuche. Die Apotheker fangen zwar hie und da an, eine Menge theurer oder doch nicht überall zu habender Gewächse in Gärten zu erzeugen; vergeblich sucht man aber in vielen derselben die volle Kraft der Wildgewachsenen, wenn der natürliche Standort dieser Pflanzen nicht auf das vollkommenste nachgeahmt wird. Der Purpurfingerhut, im fetten Gartenboden gezogen, wird das nie werden, was diese Pflanze auf hohen, dürren, wüsten Waldblößen wird. Man gebe der Belladonnschlafbeere dürre, steile, nach Osten gekehrte Abhänge voll lockern Steingrants zu ihrem Standorte und stelle sie nicht dicht an sumpfige Gräben, wenn man will, daß sie kräftig seyn soll. Eben so würde sich der Faulbaum und die Waldhähnchenwindblume sehr übel auf einem andern Boden als in sumpfigem Gebüsche befinden, und ohngeachtet die Fieberkleezottenblume, und der Bibernellwiesenknopf nasse Wiesen verlangen,[118] so werden sie sich doch immer gegen Einfassung von Gebüschen sträuben. Oder gedeiht wohl Fallkrautwohlverleih in einer andern Lage, als auf hohen ebenen Bergwiesen, der Herzfreudboretsch in einer andern Lage wohl so gut, als in getrockneten, tiefen Schlammgraben neben dem Portulak, die Mettramkamille wohl in einer andern Lage so gut, als auf festem, freiem Thonboden? Uebertrifft der Katzenbaldrian in den Hecken auf hohen Acker-Ufern neben Hohlwegen nicht den an sumpfigen niedern Wiesenrändern gewachsenen unvergleichlich an Kraft? Was ist die wässerige Zichoriwegwartwurzel unsrer wohlgedüngten, lockern Gärten gegen die an steinharten, steilen Wegen gewachsene? Wo geräth die Königskerze besser als auf hohen Dämmen? der Huflattich besser als auf rothem Letten an der Nähe von Wasser? die Thymianarten besser als auf dürren Kießsandhügeln? wo gewiß die Wiesenkreßgauchblume nie gedeihen wird, so wenig als die Aklet, die dumpfige wässerige Grotten liebt, obgleich höhere Standorte als die Marchantien. – Wird wohl Wallwurzbeinwell irgendwo so gut wachsen, als am niedern Ufer schnellfließender großer Wassergräben neben der Mengelwurzel? oder der Eibischalthee irgendwo besser als in freien Gruben reinen, weißlichen Thons, wo Stechapfel nie wachsen wird, der den starkgedüngten Sand so liebt? Wird der Bittersüßnachtschatten im freien, trocknen Gartenboden fortkommen, oder muß er nicht vielmehr in dichten Hecken an Wassergräben stehen? Dürre sandige Heiden können wohl Besempfrieme und Pulsatillwindblume hegen, aber eben so gut auch der fette Gartenboden? Vergeblich zieht man Brunnkreßrauke, wo nicht niedriges Quellwasser ewig darüber wegrieselt. Was wird aus dem Wacholder in niedern Gärten, sucht er nicht die rauhesten höchsten Gebürge? Welchen steinigen, harten, trocknen Boden verlangt nicht die Nießgarbe? und wie wenig kann der Neunkraftroßhuf bestehen, wenn er seine Wurzeln nicht in nahes fließendes Wasser erstrecken kann? Wird der hochliegende lichte Wälder mit Laubholz besetzt liebende Kellerhals eben die Kräfte besitzen, wenn er in die niedern, dunkeln, dumpfen Gartenwinkel versteckt wird, wo Kermesphytolacke und Pfeffermünze wuchert? Wie dürftig und trocken muß nicht der Boden für Andorn seyn? Wird die Maiblumzauke so wohlriechende Blumen in freien Gartenbeeten tragen, als unter hochliegendem dünnem Schlaggebüsche?

Kann man aber die natürlichen Standorte der Pflanzen nachahmen, so kann man auch in künstlichen Anlagen kräftige Gewächse ziehen, oder besitzt doch, wenn man sie auch nicht in gnüglicher Menge baut, den Vorzug, nicht nur den Kräutersammlern die lebendigen Pflanzen bekannt machen, sondern auch seine Lehrlinge und Gehülfen in der theoretischen und praktischen Botanik unterweisen zu können.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 115-119.
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