Virginientabak

[357] Virginientabak, Nicotiana Tabacum, L. [Zorn, pl. med. tab. 252] mit ovallanzetförmigen, ungestielten, herablaufenden Blättern, und spitzgelegten Blumen; ein mehrere Fuß hohes Kraut bei uns mit einjähriger, im südlichen Amerika aber, wo es ursprünglich einheimisch ist, mit zehn bis zwölfjähriger Wurzel, welches im J. 1560 durch den französischen Gesandten am portugiesischen Hofe, Nicot, zuerst in Europa eingeführt worden ist, und bei uns im August blaßroth blüht.

Die frisch etwas klebrigen Blätter (Fol. Tabaci, s. Nicotianae) erhöhen ihren eignen narkotischen Geruch und beißend bitterlichen Geschmack durchs Trocknen, blitzen und verpuffen angezündet an mehrern Stellen, besonders an den Stielen, dampfen einen betäubenden Rauch aus und verglimmen zur weißen Asche. Der Rauch sowohl, als der Aufguß der trocknen und der Dicksaft der frischen Blätter äußern eine besondre heftige Wirkung, am meisten bei Ungewohnten. Ausser dem Zusammenfluß des Speichels im Munde, und dem Nießen, allgemeine Kälte und Schwäche, große Angst, Verdunkelung der Sinnen, Trunkenheit, kalten Schweiß, Zusammenziehungskrampf des Schlundes, der Luftröhräste (Erstickung), des Magens, der Gedärme, Schwindel, Uebelkeit, Würgen, Diarrhöe, Harnfluß, Ohnmachten, Verminderung der Empfindung des Speisekanals, verminderte Reitzbarkeit der dem Willen unterworfenen Muskeln, Schlagfluß u.s.w. Doch muß man gestehen, daß die Effekte des Tabakkrautes noch lange nicht alle genau beobachtet worden sind, woran der die Beobachtungen verwirrende Misbrauch dieses Krautes beim Rauchen, Schnupfen und Kauen, auch wohl die Ungenauigkeit der Beobachter selbst Schuld zu seyn scheint.

Die häufigste arzneiliche Anwendung war bisher die Einbringung des Rauchs als Klystir bei Ertrunkenen, oder auf andre Art Ersticken, um zuerst die Reitzbarkeit der Gedärme und hiedurch die des ganzen Körpers wieder rege zu machen – theils mittelst eigner zusammengesetzterer, und einfacherer Maschinen, (Tabaksklystirmaschinen), theils durch die einfachste Art, durch etliche Zoll tiefe Einbringung der Röhre einer thönernen Tabakspfeife, auf deren halb voll mit Rauchtabak gestopften Kopf man den Mund aufsetzt und so den Rauch einbläßt. So gewiß man hiedurch oft seinen[357] Zweck erreichte, so gewiß ist es auch, daß man die Menge des eingebrachten Rauchs oft übertrieb, und so dem Kranken, wenn er wieder zu sich kam, jenes Heer von schrecklichen Zufällen, deren ich oben gedachte, zuzog, die oft das eben angefachte schwache Leben wieder auslöschten. Die Einbringung des Rauchs von einem Quentchen gutem Tabak – allenfalls in Zwischenzeiten wiederholt, scheint eine hinreichende Gabe zu dieser Absicht zu seyn, die alles ausrichten wird, was überhaupt vom Tabaksrauchklystir erwartet werden kann. Nicht selten hat man auch gute Anwendung von diesem Klystire bei einigen Arten von Ileus, wenigstens der Verstopfung von krampfhafter Zusammenziehung der Gedärme, und bei eingeklemmten Brüchen gemacht, bei welchen leztern der gute Erfolg des Rauchs wohl nicht selten von seiner allgemeinen, und ungemeinen Erschlaffungs- und Abspannungskraft des ganzen äussern Körpers zugleich mit hergerührt zu haben scheint.

Gleiche Wirkung hat man in allen diesen Fällen von Einspritzung des wässerigen Aufgusses erfahren, nur daß man auch hier oft die Gaben ungeheuer übertrieb und nicht selten schlimme Nachwehen erregte. Zehn Gran Pulver mit zwölf bis sechszehn Unzen siedendem Wasser bis zum Verkühlen eine Viertelstunde lang aufgegossen, scheint für Erwachsene schon eine hinlänglich große Gabe auf ein Klystir zu seyn, welches der Sicherheit halber getheilt und auf zweimahl in den nöthigen Zwischenzeiten eingebracht wird. Man muß wissen, daß man es mit einem der heftigsten Gewächse zu thun hat.

Ausserdem hat man des Fowlerschen Tabaksaufguß (eine Unze Pulver der trocknen Blätter mit sechszehn Unzen kochendem Wasser in einem verdeckten Geschirre eine Stunde infundirt, und dem Durchgeseiheten zwei Unzen Weingeist zugesetzt) zu 40 und mehrern Tropfen täglich zweimahl gegeben, in einigen Arten Wassersucht (von tonischkrampfhafter Natur?) so wie in der Disurie und den übrigen Zufällen der Nierensteinkolik mit auffallendem Nutzen angewendet. Auch in gewissen Arten Husten und Engbrüstigkeit soll er Dienste geleistet haben. Doch scheint eine in der Kälte bereitete geistige Tinktur ein sich gleicher bleibendes Mittel, die Gabe aber überhaupt noch etwas zu stark zu seyn, in den meisten Fällen.

Der äussere Gebrauch des Tabaks gegen Hautausschläge und Ungeziefer der Haut scheint in vielen Fällen ein sehr unsicheres und gefährliches Mittel zu seyn; so wie auch sein innerer Gebrauch bei hysterischen und epileptischen Personen große Einschränkung leidet.

Ein Antidotum seiner zuweilen sehr beunruhigenden Wirkungen hat man bisher sich nicht bemüht auszuforschen. Indessen scheint die Zitronsäure etwas auszurichten.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 357-358.
Lizenz: