§. [176] 110.

Daneben sah ich, dass die krankhafter Schädlichkeiten,[176] welche vorgängige Schriftsteller von arzneilichen Substanzen aufgezeichnet hatten, wenn sie in grosser Menge aus Versehen, oder um sich oder Andre zu tödten, oder unter andern Umständen in den Magen gesunder Personen gerathen waren, mit meinen Beobachtungen beim Versuchen derselben Substanzen an mir und andern gesunden Personen viel übereinkamen. Sie erzählen diese Vorgänge als Vergiftungsgeschichten und als Beweise des Nachtheils dieser heftigen Dinge, meistens nur, um davor zu warnen, theils auch, um ihre Kunst zu rühmen, wenn bei ihren, gegen diese gefährlichen Zufälle gebrauchten Mitteln allmälig wieder Genesung eingetreten war, theils aber auch, wo diese so angegriffenen Personen in ihrer Cur starben, sich mit der Gefährlichkeit dieser Substanzen, die sie dann Gifte nannten, zu entschuldigen. Keiner von diesen Beobachtern ahnete, dass diese von ihnen bloss als Beweise der Schädlichkeit und Giftigkeit dieser Substanzen erzählten Symptome, sichere Hinweisung enthielten auf die Kraft dieser Droguen, ähnliche Beschwerden in natürlichen Krankheiten heilkräftig auslöschen zu können, dass diese ihre Krankheits-Erregungen Andeutungen ihrer homöopathischen Heilwirkungen seyen, und dass bloss auf Beobachtung solcher Befindensveränderungen, die die Arzneien in gesunden Körpern hervorbringen, die einzig mögliche Erforschung ihrer Arzneikräfte beruhe, indem weder durch vernünftelnde Klügelei a priori, noch durch Geruch, Geschmack oder Ansehen der Arzneien, noch durch[177] chemische Bearbeitung, noch auch durch Gebrauch mehrer derselben zugleich in einer Mischung (Recepte) bei Krankheiten die reinen, eigenthümlichen Kräfte der Arzneien zum Heilbehufe zu erkennen sind; man ahnete nicht, dass diese Geschichten von Arzneikrankheiten dereinst die ersten Anfangsgründe der wahren, reinen Arzneistoff-Lehre abgeben würden, die vom Anbeginn bis hieher nur in falschen Vermuthungen und Erdichtungen bestand, das ist, noch gar nicht vorhanden war88.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 176-178.
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